Frankreich: Vielzahl an Vorfällen – Innenminister schlägt Verschärfung des Abschiebungsrechts vor

Gérald Darmanin will straffällige Ausländer konsequenter abschieben und macht sich Hoffnungen auf die Stimmen der Républicains und anderer „Regierungsparteien“. Dagegen soll eine Zusammenarbeit mit den Parteien Le Pens und Mélenchons ausgeschlossen bleiben.

IMAGO / PanoramiC
Französischer Innenminister Gérald Darmanin

In Frankreich sind die Koalitionsverhandlungen im Sommerloch stecken geblieben, damit stehen die Zeichen auf wechselnden Mehrheiten. Einer festen Koalition hat sich jeweils einer der Partner verweigert: Die konservativen Républicains wollen nicht mit Macron, der aber hat die Zusammenarbeit mit den Parteien von Jean-Luc Mélenchon und Marine Le Pen ausgeschlossen. Nun sollen und müssen für jeden Gesetzesvorschlag einzeln Mehrheiten gefunden werden, „texte par texte“.

Doch die Probleme im Land dulden keinen Aufschub. Gewaltakte und Verbrechen auf offener Straße sind an der Tagesordnung. Noch immer beunruhigen die Vorfälle am Stade de France, als Fußballfans dem Treiben von jugendlichen Taschendieben überlassen wurden. Derzeit sorgt ein Einzelfall für Aufsehen – auch weil die Polizei bei der letzten Festnahme des 2017 nach Frankreich gekommenen Ahmed I. überfordert schien: Der abgelehnte Asylbewerber, Gewalt- und Straftäter wurde schon mehrfach festgenommen, doch weder verurteilt noch abgeschoben.

— Amaury Bucco (@AmauryBucco) July 6, 2022

Und so wechseln – bedingt durch aktuelle Geschehnisse und die politische Situation – politische Ideen den Eigentümer. Innenminister Gérald Darmanin, früher selbst Mitglied der konservativen UMP, hat sich nun die Gedanken eines republikanischen Senators zu eigen gemacht – sicher nicht ohne Absprache mit Premierministerin Elisabeth Borne und dem Präsidenten selbst. François-Noël Buffet aus dem Département Rhône bei Lyon hatte Verschärfungen im Abschiebungsrecht vorgeschlagen. Dieser Vorschlag taugt auch für die Macronisten.

In einem großen Interview mit der Tageszeitung Le Monde, das am Wochenende erschien, sagte Darmanin: „Wir wollen die Ausweisung jedes Ausländers ermöglichen, der von der Justiz einer schweren Tat für schuldig befunden wurde, unabhängig davon, unter welchen Bedingungen er sich im nationalen Hoheitsgebiet aufhält.“ Derzeit gelte dieses Ausweisungsrecht nicht für alle Ausländer, die schwere Straftaten begehen, zum Beispiel wenn sie vor Erreichen des 13. Lebensjahres nach Frankreich eingewandert sind.

Daneben sieht Darmanin die Gesetzesänderung auch als Fortsetzung seines eigenen Kurses: „Seitdem ich Innenminister bin, wurden 2.761 vorbestrafte Ausländer ausgewiesen, von denen 60 Prozent so das Gefängnis verließen. Das ist eine Verfünffachung der Zahlen aus den Vorjahren.“

Kompromisse nur mit „Regierungsparteien“

Doch wie will Darmanin sein neues Vorhaben durchs Parlament bringen? Mangels einer eigenen Mehrheit beschreibt er den Weg wie folgt: Man müsse mit den Oppositionskräften diskutieren, so könne man das Ziel der Verabschiedung erreichen. Morgen oder übermorgen könnte das Duo Borne-Macron also einen grün oder sozialistisch geprägten Gesetzesvorschlag machen und dafür dann eine eher linke Mehrheit erhalten. Das erste Signal nach der Parlamentswahl geht aber nach rechts.

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Der Minister meint dazu: „Wir müssen einen Kompromiss mit den ‚Regierungsparteien‘ finden, die teils links, teils rechts stehen.“ Mit ihnen könne man die eigenen Vorhaben diskutieren und beschließen. Unklar ist, wie weit und wie lange dieses Modell tragen könnte.

Was Darmanin mit dem seltsamen Terminus „Regierungsparteien“ meint: Mit allen Parteien, sogar mit den Kommunisten, will die Macron-Regierung sich abstimmen und nötigenfalls Gesetze beschließen – nur nicht mit den Stimmen von La France Insoumise (LFI) oder dem Rassemblement National (RN). Diese beiden Parteien, seine Hauptkonkurrenten um die Macht, hatte Emmanuel Macron vor einiger Zeit als nicht regierungsfähig bezeichnet und so von der Mehrheitssuche ausgeschlossen. Er nahm damit den Vorschlag einer seiner Abgeordneten zurück, die ein vollkommen freies Regieren mit wechselnden Mehrheiten in Aussicht gestellt hatte – sogar mit den Stimmen des RN. Das wollen Macron und seine Regierung offenbar nicht. Macrons eigene Partei heißt neuerdings Renaissance (Wiedergeburt) statt einst LREM. Vorerst bleibt es bei der Kopfgeburt. Denn das Regieren in Frankreich dürfte in nächster Zeit vor allem Kopfzerbrechen machen.

Le Pen: Republik beruht auf der Achtung vor der Demokratie

Doch zugleich verpufft die Ächtung zumindest des RN gewissermaßen. Denn Darmanins Gesetzentwurf findet die volle Zustimmung dieser Partei und ihrer Vorsitzenden. Marine Le Pen sagte am Sonntag im Nachrichtensender BFM TV, dass sie „100 mal Ja“ zu dieser Idee sage, die tatsächlich ihre eigene war – seit Jahren hat das RN ähnliche Verschärfungen im Kampf mit der inneren Unsicherheit gefordert. Solchen Vorschlägen, die in eine gute Richtung gehen, würden folglich auch die RN-Abgeordneten in der Nationalversammlung ihre Zustimmung geben.

Die Weigerung Gérald Darmanins, konstruktiv mit ihrer Partei zusammenzuarbeiten, kritisierte Le Pen allerdings mit eindeutigen Worten: „Die Republik beruht auf der Achtung vor der Demokratie. Die RN-Abgeordneten sind nicht vom Himmel gefallen, sie wurden vielmehr von Millionen Franzosen gewählt.“ Darmanin verlasse so den Boden der allgemein anerkannten Regeln der Republik.

Dabei erkennt auch Darmanin durchaus Verbesserungsbedarf beim Regieren (wie Gott) in Frankreich. Die Präsidentenpartei müsse „gewisse Verhaltensweisen“ korrigieren und aufhören, nur das Lager der „Vernunft“ und der „Technik“ zu verkörpern. Man müsse auch „mit den Eingeweiden der Franzosen“ sprechen, so wie es Mélenchon und Le Pen täten – nur eben „anders“. Was Darmanin den beiden Rivalen entgegensetzen will, sind „positive Emotionen“, Empathie und Zuhören. Das ist immer eine gute Idee. Er könnte gleich mit den beiden „geächteten“ Parlamentsfraktionen anfangen.

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