Die armenisch-apostolische Kirche ist die Hüterin der nationalen Identität der Armenier. Doch für die geopolitischen Interessen des Westens und der gegenwärtigen armenischen Regierung stellt sie einen Störfaktor dar und wird mit Repressalien überzogen. Mehrere Bischöfe wurden bereits verhaftet.
picture alliance / ZUMAPRESS.com | Chris Huby
Pfarrer Peter Fuchs ist Geschäftsführer von Christian Solidarity International. Die Menschenrechtsorganisation ist auch an Krisenherden präsent, die in der öffentlichen Wahrnehmung unbeachtet bleiben. Tichys Einblick hat mit ihm über die Situation in Armenien gesprochen. Dem kleinen Land wurde kurzzeitig etwas größere Aufmerksamkeit zuteil, als Aserbaidschan 2023 die Region Berg-Karabach annektierte und die dort ansässigen Armenier vertrieb. Aber auch innenpolitisch ist die Lage heikel.
Tichys Einblick: Pfarrer Fuchs, Armenien ist eine der ältesten christlichen Nationen der Welt, die armenisch-apostolische Kirche ist die älteste Staatskirche weltweit, und dennoch wird sie derzeit ausgerechnet von dem Staat attackiert, zu dessen Selbstverständnis das Christentum integral gehört. Könnten Sie zunächst erläutern, worin die Bedeutung der armenisch-apostolischen Kirche besteht?
Pfarrer Peter Fuchs: Die armenisch-apostolische Kirche ist nicht nur von großer religiöser Bedeutung. Sie ist in Armenien und natürlich darüber hinaus die Hüterin des kollektiven Gedächtnisses aller Armenier. Das betrifft die ganze Geschichte seit der Übernahme des Christentums als Staatsreligion im Jahre 301 und dann insbesondere die ganze Thematik des Genozids an den Armeniern: Die armenische Kirche ist wirklich die Hüterin dieses Gedenkens, die Hüterin der armenischen Kultur.
Und das hat auch Verfassungsrang: In Artikel 18 der armenischen Verfassung heißt es, dass die Republik Armenien die besondere und exklusive Mission der armenisch-apostolischen Kirche anerkennt, sogar als Nationalkirche; dass sie eine besondere Position innehat im geistlichen Leben des armenischen Volkes und für die Entwicklung der nationalen Kultur und den Schutz und die Bewahrung der nationalen Identität von besonderer Bedeutung ist.
Diese innige Verzahnung von nationalem Bewusstsein und Kirche ist für Menschen aus westlichen protestantisch oder katholisch geprägten Ländern wahrscheinlich eher schwer nachvollziehbar, oder?
Das kann man sicher so sagen. Gerade in der katholischen Welt wurde seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil doch auf eine stärkere Trennung zwischen Staat und Kirche Wert gelegt. Das mag man nun kritisieren oder befürworten, in Armenien hat so etwas jedenfalls nie stattgefunden und man kann das armenische Volk oder die armenische Nation nicht von der Kirche trennen.
Wenn Sie zum Beispiel in der armenischen Diaspora sind, zum Beispiel in Syrien, dann finden Sie die großen Mahnmale an den Genozid von 1915 gerade auf den Grundstücken der armenischen Kirche, auf Kirchengrund, und die Kirche ist wie gesagt die Institution, die an diesen Genozid immer wieder erinnert und die armenische Identität bewahrt, unterstützt und fördert.
Wie äußert sich diese bewahrende Funktion aktuell?
Im Herbst 2023 wurden aus Berg-Karabach 120.000 christliche Armenier vertrieben. Und auch hier kam Unterstützung wesentlich von Seiten der armenisch-apostolischen Kirche, weil die jetzige Regierung unter Ministerpräsident Nikol Paschinjan diese Rolle ganz gezielt aufgegeben hat, um eine Aussöhnung zwischen Armenien und Aserbaidschan und der Türkei zu fördern.
Etwas holzschnittartig könnte man sagen: Die einzige Institution in Armenien, die sich für die aus Berg-Karabach Vertriebenen einsetzt, für ihr Rückkehrrecht, ist die armenisch-apostolische Kirche. Damit entspricht diese Kirche ihrer verfassungsgemäßen Stellung und kommt ihrer Aufgabe nach – und ausgerechnet deshalb wird sie, und das kann man ganz deutlich sagen, von der Regierung Paschinjan verfolgt.
Wie äußert sich diese Verfolgung?
Zum Beispiel wurden von Paschinjan und seiner Frau grobe, unter die Gürtellinie gehende Anschuldigungen gegen den Katholikos, das Oberhaupt der armenischen Kirche, und gegen den Klerus geäußert. Und in den letzten Wochen und Monaten gab es große Verhaftungswellen. Derzeit sitzen vier armenisch-apostolische Bischöfe im Gefängnis, teilweise auch bereits verurteilt wegen angeblichen Putschversuchs. Priester wurden verhaftet, auch Verwandte des Katholikos.
Paschinjan macht sich auch daran, eine Art Schisma innerhalb der Kirche zu kreieren. Er sucht sich gezielt Priester aus, mit denen er zusammenarbeiten will, um innerhalb der Kirche eine Opposition gegen den Katholikos, Karekin II. Nersissian, in Stellung zu bringen. Das ist eine ganz perfide Art, wenn der Staat sich auf diese Weise in eine Kirche einmischt. Man setzt also alles daran, die Rolle der armenisch-apostolischen Kirche zu schwächen, im Hinblick auf die politische Situation und auf die Anfang Juni 2026 anstehenden Wahlen.
Wie wird es in der Bevölkerung aufgenommen, wenn die politischen Machthaber damit ja auch gegen die nationale Identität und gegen die eigene Verfassung ziemlich direkt vorgehen?
Es ist interessant, dass die Sanktionen und Einschüchterungsmaßnahmen sich nicht nur gegen die Kirche in Armenien richten, sondern auch gegen Blogger und Journalisten. Das heißt, das ganze Klima in Armenien ist derzeit von Angst geprägt. Vielleicht äußern sich armenische Gläubige aus diesem Grund viel weniger als man das erwarten könnte. Pressevertreter werden verhaftet; Mitglieder der armenischen Diaspora, die sich kritisch über die Regierung Paschinjan äußern, müssen befürchten, nicht mehr ins Land einreisen zu können. Diese Repressalien zeigen, dass die Meinungsfreiheit auch allgemein in Gefahr ist.
Auch darüber hinaus sollte man beachten, was Paschinjan generell vorhat. Die Kirche ist auch für Armenier, die nicht sehr religiös sind, als Hüterin ihrer Kultur von Bedeutung. Paschinjan will das ändern. Er will ein völlig anderes Armenien schaffen.
Das bezieht sich auch auf die nationale Symbolik: Traditionell spielt der Berg Ararat, der zwar in der Türkei liegt, eine wichtige Rolle im nationalen Bewusstsein. Nun soll plötzlich der in der Republik Armenien liegende Berg Aragaz als Ersatz für diesen symbolischen Mittelpunkt dienen. Und auch das nationale Gedächtnis wird manipuliert. Paschinjan sagt, man solle nicht ständig über den Genozid reden. Gerade gegenüber der Türkei sollen die Forderungen, dass der Genozid als solcher anerkannt wird, fallengelassen werden.
Da ist die Opposition unter den Armeniern im Ausland oft noch viel größer als in Armenien selbst. Denn die Menschen im Land haben mit der wirtschaftlichen Depression und Armut zu kämpfen, und genug Probleme. Aber die Kirche steht diesem Versuch, eine künstliche nationale Identität zu erschaffen, natürlich entgegen: Die armenische Kirche kann sich selbst ja nicht aufgeben und ihren Auftrag verleugnen, was sie tun würde, wenn sie ihren Einsatz für die religiöse und geschichtliche Wahrheit aufgeben würde.
Innenpolitisch ist das also eine komplexe politisch-religiöse Gemengelage. Wie existenziell ist angesichts dessen die Bedrohung durch Aserbaidschan?
Also, wenn man die Rhetorik des aserbaidschanischen Präsidenten Alijew betrachtet, der zumindest Teile der Republik Armenien als Westaserbaidschan bezeichnet hat, wenn man bedenkt, dass Aserbaidschan Interesse daran hat, über hunderttausend Aserbaidschaner auf armenischem Gebiet anzusiedeln oder ihnen die Ansiedlung zu ermöglichen, besteht durchaus eine starke Bedrohung Armeniens durch Aserbaidschan. Das sehen auch viele Armenier so.
Nun geriert sich Europa gern als Hüter der Menschenrechte, Freiheitsrechte und der vielbeschworenen “europäischen Werte”. Im Konflikt mit Russland wird die Ukraine unterstützt. Und man scheut sich auch nicht, sich in innenpolitische Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen, wenn man diese Werte bedroht sieht. Wie kommt es, dass Armenien weder im Konflikt mit dem Aggressor Aserbaidschan unterstützt wird, noch dass die innenpolitische Situation Reaktionen hervorruft?
Der Ansatz von EU und USA ist sehr pragmatisch. Man will Armenien dem Westen annähern, wie es auch während des Besuchs Paschinjans in Berlin Anfang Dezember angesprochen wurde. Dabei geht es aber nicht um Demokratie in dem Land. Es geht um Geopolitik. Armenien soll aus einer russisch-iranischen Abhängigkeit herausgelöst und in eine aserbaidschanisch-türkische Abhängigkeit hineingedrängt werden. Da spielt die Menschenrechtssituation in diesem kleinen Land mit drei Millionen Einwohnern für den Westen keine große Rolle.
Und die Situation der Kirche im Land betreffend muss man bedenken, dass in den stark säkularisierten Gesellschaften des Westens das Christentum ohnehin eher als Störfaktor betrachtet wird. In der armenisch-apostolischen Kirche sieht man ebenfalls einen Störfaktor für die jeweiligen geostrategischen Interessen. Deshalb setzt man sich für die armenisch-apostolische Kirche und für die Religionsfreiheit nicht ein.
Was müsste geschehen, um aus diesem Dilemma herauszukommen?
Ja, was müsste geschehen? Der US-amerikanische Botschafter in der Türkei, Thomas Barrack, hat mehrfach gesagt, dass man den Orient nicht in Demokratieideen des Westens hineindrängen kann. Die USA rücken also von Forderungen nach Demokratie im Nahen Osten ab, und in Armenien ist das letztendlich ähnlich. Man fordert nicht Demokratie oder Menschenrechte ein, sondern sucht einen geostrategischen Partner.
Um das zu ändern, müsste man wahrscheinlich wieder ganz andere politische Maßstäbe setzen. Das halte ich derzeit für unrealistisch. Die EU hat Armenien Anfang Dezember 15 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das ist kein Geld, um die Demokratie in Armenien zu fördern, sondern Geld, um die Wiederwahl Paschinjans zu gewährleisten. An solche Geldgeschenke könnte man sehr wohl Forderungen knüpfen und Druck in Bezug auf die Menschenrechte ausüben. Darauf hat man verzichtet.
Wie versucht Christian Solidarity International, in dieser Situation zu helfen?
Die Verbindung zu Armenien und Armeniern hat bei Christian Solidarity International eine lange Tradition. Bereits in den 90er Jahren haben wir die aserbaidschanisch-türkische Blockade von Bergkarabach durchbrochen und Medikamente geliefert.
Wir weisen in unserer Menschenrechtsarbeit unermüdlich auf die Verletzungen der Religionsfreiheit in Armenien hin. Und natürlich unterhalten wir humanitäre Projekte, insbesondere für die aus Berg-Karabach vertriebenen Armenier, und setzen uns für ihr Rückkehrrecht ein.
Denn, davon bin ich überzeugt, der angestrebte Friede zwischen Armenien und Aserbaidschan muss ja ein Fundament haben. Friede ist nicht nur Abwesenheit von Krieg. Die traditionelle Definition von Frieden ist „Ruhe in der Ordnung“. Abwesenheit von Krieg ist wichtig, aber es muss auch eine gerechte Ordnung geben, aus der heraus Friede wachsen kann. Derzeit aber verlangen Aserbaidschan, die Türkei und westliche Akteure von Armenien schlicht Unterwerfung – und das wird unserer Ansicht nach niemals Grundlage eines dauerhaften Friedens sein können.

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Ehrlich gesagt sind mir die Armenier völlig schnuppe. Seit ich denken kann, kriechen sämtliche minderbemittelte Völker ständig aus ihren Löchern und „der Westen“ soll sich kümmern. Gerne auch zu Weihnachten. Das ist ermüdend. Aber wer mag, darf gerne helfen. Ich bin da mental schön längst raus!
Werte Frau Diouf, was wollen Sie dem Tichys-Leser mit diesem Artikel sagen? Menschrechte existieren nur dann, wenn man einem schwachen Staat die Fr… polieren will. Was ist mit den Beduinen aus Spanisch-Sahara, die seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern Algeriens vegetieren, mit Tibet, den Uiguren, den vertriebenen Deutschen, den Korsen, den Katalanen, den Ungarn? Der Kosovo- & Serbien Krieg wurde von der UN angezettelt. Im US-Bundesstaat New Mexico liegt der Bevölkerungsteil der Latinos bei knapp 50%, in ein paar Jahren sicher drüber. Was meinen Sie, was passiert, wenn die in einer Staatsabstimmung für den Beitritt zu Mexiko stimmen würden? Dann schießt die… Mehr
Geht es nach Brüssel und der früheren Biden-Regierung, muss Armenien in die EU und auch Nato. Im Grunde gilt das für alle Russland Anrainer. Wir müssen dem Russen immer mehr auf die Pelle rücken. Irgend wann muss Putin doch zurück schlagen und den 3. Weltkrieg beginnen. Er ist dann auch der Schuldige. Für nix anderes gelten diese EU/Nato-Erweiterungspläne der EU. Man lauert schon darauf, dass es endlich los geht. 1914 lässt grüßen.
Die Pfaffen wurden längst unterwandert. Der Islam wird unser Untergang.
Wir sollten der Realität ins Auge sehen: Unsere christliche Kultur ist zwar dem Islam überlegen (man denke lediglich an die Erfindungen/Entdeckungen aus dem christlichen Deutschland/Europa); allerdings haben wir uns in den Hedonismus/Nihilismus treiben lassen, der bewirkt, dass wir als Individuen (Stichwort: „Emanzipation“) dem Islam als Kollektiv (gegenwärtig?) ausgeliefert sind, sodass wir vor jenem Hintergrund zwei Wege wählen können: Entweder Besinnung auf unsere christliche Kultur oder der Islam wird unsere Heimat (zur Gänze) übernehmen – für erste Option müsste der sogenannte „Feminismus“ gänzlich annulliert werden, da unsere christliche Kultur auf dem christlichen Familienbild basiert; ob uns dies gelingt oder ob der… Mehr
Das zeigt auch die Verwirrung heutzutage auf, die der vorliegende Artikel versinnbildlicht: Die Annahme, dass wir Deutschen die Innenpolitik anderer Länder wie die Armeniens verändern könnten; wir können lediglich für Frieden in unserem Land sorgen, das bedeutet, dass unter anderem Armenien selbst dessen innenpolitischen Probleme lösen muss!
Wenn „den Westen“ Humanität interessieren würde, dann würden sie nicht ihr eigenes Volk zur Auslöschung durch primitivsten Fremdkultur Zuzug freigeben. Oder den „Ukraine Krieg“ künstlich zu verlängern während Russen und ganze Generationen an Ukrainern verrecken. Alles nur billige Alibi Storys um ihre jeweiligen Interessen dem Steuersklaven zu verkaufen. Schaut man sich die Mittel für einen tatsächlichen Kernhaushalt an und der Gigantobetrag der für Ideologie und Steuergeld-Umleitung hinausgeworfen wird, sieht man wie die sich an ganzen Völkern bedienen. Dazu gehören auch die Zinszahlungen für die Merzschen Giganto Schulden, sämtliche Subventionen/Planwirtschaft der Doofen und das ganze „woke“ Gutmenschengedönse rund um die Welt.… Mehr