BUNTE Aufregung von Beckham bis Dr. Oetker

Journalistische Bewertungen von Menschen und Meinungen waren bislang ein Gottesurteil: Ausgesprochen von einer höheren, überirdischen Weisheit. Unwiderrufliche Urteile, gegen die es keinen Anwalt, keine Berufung und schon gar keine Revision gibt, so Publizistik-Professor Hans Kepplinger in seinem Buch „Die Mechanismen der Skandalisierung“. Die Gründe liegen nicht in der tatsächlichen überirdischen Weisheit von Journalisten begründet, sondern einfach darin, dass Journalisten den Zugang zu Massenmedien besitzen. „Gatekeeper“, nannte Marshall McLuhan sie daher.

Leider gibt es seit einigen Jahren neben den Massenmedien jede Menge kleiner Tore zur öffentlichen Meinung. Man nennt es Internet. Seither schreiben die Menschen zurück. Und häufig werden ihre Kommentare genau so oft gelesen, wie die Gottesurteile der höheren Weisheiten selber. Internet ebnet das Gefälle zwischen den publizistischen Göttern und den normalen PC-Usern ein.
Dumm gelaufen für die Journalisten. Siehe aktuelle Fälle: Süddeutsche.de und BUNTE.

Zeitungen wählen ihre Leser selber aus

Süddeutsche.de ärgert sich über die Kommentare der Leser. Sie seien zu oft unqualifiziert, beleidigend, niveaulos, heißt es in der Begründung. Stimmt. Ich finde es auch beleidigend, wenn mir Leser widersprechen. Denn ich habe doch Recht, oder? Und grob sind sie auch noch! Wie ungezogen aber auch. Journalisten sind schnell im austeilen, aber empfindlich beim einstecken. Da versteckten wir uns bisher gern hinter Artikel 5 Grundgesetz. Allerdings schützt uns die Meinungsfreiheit vor dem Staat – nicht vor Lesern. Und neuerdings also werden bei der Süddeutschen.de die Kommentare der Leser nur zu bestimmten, selbstverständlich von der Redaktion ausgewählten Themen, überhaupt zugelassen und dann zensiert. Ich verstehe die Süddeutsche.de.

Wer darf ein Abo kaufen?

Leser stören. Man sollte dieses System auch auf Print übertragen: Zukünftig erhält ein Abo des geschätzten Blattes nur, wer mindestens Hochschulreife und Einverständnis mit dem rot-grünen Mainstream der politischen Redaktion nachweisen kann: gute Idee, oder? Wer gelegentlich wirtschaftlichen Sachverstand offenbart, erhält allenfalls den Wirtschaftsteil. Feuilleton gibt es erst ab nachgewiesenem sozialwissenschaftlichen oder Gender-Studium.
Wenn man so vorgeht, kann nichts unvorhergesehenes mehr passieren. Ich finde, das ist die Zukunft: Nicht mehr Leser wählen die Zeitung, sondern Redaktionen wählen sich ihre Leser aus.

Eine Dreijährige und die Gouvernante der Königshäuser

Auch BUNTE hat es kalt erwischt mit dieser Zurückschreiberei der Leser. Man stelle sich vor:
Ein kleines, dreijähriges, etwas rundliches Mädchen, bringt die alte Tante des deutschen Journalismus zum schwitzen. Immerhin – es geht um Harper, die Tochter von den Beckhams, von der ich bis gestern weder wußte, dass es sie gibt, noch dass sie dicklich sein soll. Das wußte nur BUNTE zu berichten. Bisher wäre das glatt durchgelaufen:

„Während die beiden Stars rank und schlank durchs Leben gehen, zieht es Harper offenbar vor, getragen zu werden. Das zeigen aktuelle Aufnahmen. Zudem lässt es sich die kleine Prinzessin dabei noch schmecken, genießt augenscheinlich einen Softdrink. Wenn dem so ist, nimmt Harper mit einem Zug wohl mehr Kalorien zu sich als ihre Mutter in der ganzen Woche…
Können Becks und Posh ihrer Kleinen etwa keinen Wunsch abschlagen? Lassen sie bei der Erziehung die Zügel schleifen und geben ihr bedenkenlos Süßes und Fettiges im Übermaß? Die weitere Entwicklung der Dreijährigen wird es zeigen.“

Aber diesmal war es anders. Klicks explodieren, Leser toben, die Fachzeitschrift werben&verkaufen steigt ein, ein heilpraktizierender Gutmensch fordert einen Werbeboykott. Ziemlich hohe Wellen im Zahnputzglas.

BUNTE entschuldigt sich zunächst und legt dann nach. Wendet den Shitstorm der empörten Leser, aus deren Sicht die Gewichtsschwankungen eines dreijährigen Kindes nicht derart zu thematisieren seien, ins Klickträchtige, gibt sich besorgt. Man wird doch wohl noch hinterfragen dürfen, heißt es da in der zurückgeruderten Meldung, nachdem sich der übliche sozialmediale Shit-Tsunami da bereits in Gang gesetzt hat. Nachher ist für Harper Beckham der Zug bereits in der Vorschule abgefahren, und am Ende passt sie nicht mehr in die Triple Zero Jeans ihrer geposhten Mutter Victoria, die ohnehin nur für eine12jährige mit Ernährungsproblemen zugeschnitten sind, sorgt sich still die Redaktion. Ein moppeliger Teenager, dessen Eltern XXS und XX-Sexy sind? Das mag die BUNTE, die Gouvernante der Stars, Königshäuser und Magerladies gar nicht gerne. BUNTE wäre nun mal nicht die BUNTE, wenn sich aus irgendwelchen Proportionen, ob zuviel oder zuwenig, neulich aufgepolstert, gebotoxt oder jüngst unattraktiv gen Südpol neigend, nicht eine Story konstruieren lassen könnte. An dem Tag, an dem sich unter dem geblähten Bäuchlein einer jungen Prinzessin nicht ein „süßes Babybäuchlein wölbt“, kehrt sich die Schöpfung um! So sind nun mal die Gesetze der Medienwelt.

Der Pudding-Riese greift ein

Doch der Shitstorm geht weiter, seine Ausläufer erreichen in Bielefeld sogar den Nahrungsmittelkonzern Oetker. Darf man in so einem Umfeld überhaupt Werbung schalten? Brav springt der Pudding-Riese über das Stöckchen und erklärt peinlich berüht:
„Die BUNTE sowie der Online-Ableger „bunte.de“ sind uns bislang nicht als „problematisches“ Umfeld aufgefallen. Wir werden Ihren Hinweis jedoch zum Anlass nehmen, unsere Platzierung auf „bunte.de“ zukünftig kritisch zu begleiten und diese Erfahrungen in unsere Platzierungsstrategie einfließen zu lassen.“

Merke: Die Zeiten sind vorbei, in denen Journalisten aus eigener Kraft und Herrlichkeit auch nur eine Dreijährige für zu dick oder zu dünn befinden konnten. Seit Internet ist, lassen sich die Leser nicht mehr aussperren. Selbst die Definitionsmacht darüber, was ein Skandal ist, entgleitet und kann zum Skandal in eigener Sache werden.

Und just an dem Tag gräbt der Mediendienst Turi2 auch noch ein passendes Zitat einer echten Geistesgröße aus: „Die Presse wäre viel weniger unausstehlich, wenn sie sich nicht so grauslich wichtig nähme.“ sagte Kurt Tucholsky, Schriftsteller und Satiriker, 1890 – 1935.

Was er nicht wußte: Erregung im Netz sollte man noch weniger wichtig nehmen. Manchmal muß man sie einfach hinnehmen.

Das wäre dann ein Zeichen echter Größe.


 

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