Atomkraft: Politische Taktiererei auf Kosten der Energieversorgung

Das Wall Street Journal berichtet, die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke sei ausgemacht. Eine Sprecherin des BMWK dementiert – aber nur halbherzig. Ist die bald anstehende Niedersachsen-Wahl der Grund, weshalb die Ampel das Unvermeidliche hinauszögert?

IMAGO / Wolfgang Maria Weber
Kernkraftwerk Isar in Essenbach bei Landshut – Wird Block 2 Ende des Jahres abgeschaltet oder nicht?

Muss man sich wieder aus dem Ausland informieren, wenn man wissen will, was in Deutschland geschieht? Das Wall Street Journal (WSJ) schreibt am 16. August: „Deutschland lässt seine drei Kernkraftwerke nach politischer Kehrtwende weiterlaufen“. Das ist keine Frage, keine Vermutung – sondern eine klare Feststellung. So deutlich hat das bisher kein deutsches Blatt formuliert.

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Weiß das WSJ demnach etwas, was wir nicht wissen? Schließlich hat die Diskussion um die Laufzeitverlängerung nicht nur in den letzten Wochen an Kraft verloren – nach einem kurzen Moment des Aufbruchs wird ein Politiker wie Jens Spahn derzeit gleich einem Häretiker gejagt, weil er sich für die Fristverlängerung ausspricht. Eigentlich hatte sich der Wind in der Laufzeit-Debatte wieder zugunsten der Grünen gedreht.

Doch im WSJ liest sich der Vorgang so, als sei er in Stein gemeißelt. Er müsste nur noch „formal“ vom Kabinett Scholz abgesegnet und als Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht werden. Zitat:

„Die Entscheidung muss noch vom Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz offiziell angenommen werden und würde wahrscheinlich eine Abstimmung im Parlament erfordern. Einige Details werden noch diskutiert, sagten drei hochrangige Regierungsbeamte. Eine Kabinettsentscheidung müsste auch auf das Ergebnis einer Bewertung des deutschen Energiebedarfs warten, die in den kommenden Wochen abgeschlossen werden soll, die aber nach Aussage der Beamten eine ausgemachte Sache sei.“

Die Zeitung fährt damit fort, dass eine solche Entscheidung noch „einige Wochen“ dauern könnte, aber die Bundesregierung scheint aufgrund zweier Schlüsselkriterien von einer Fristverlängerung überzeugt: erstens wegen einer zu erwartenden Gasknappheit im Winter; zweitens, weil es keinerlei Sicherheitsbedenken gibt, die Reaktoren auch über den 31. Dezember hinaus laufen zu lassen. Die Regierungsbeamten versicherten dem WSJ gegenüber, dass die Anlagen zumindest für einige Monate weiterlaufen sollten. In der FDP regten sich Stimmen, die eine Laufzeitverlängerung bis 2024 forderten.

Wie vertrauenswürdig die drei ungenannten Zeugen aus dem Regierungsapparat sind, wird sich im Laufe der nächsten Wochen zeigen. Gestern hatte eine Sprecherin des BMWK eindeutig Bezug auf den Artikel genommen. „Dieser Bericht trifft nicht zu“, sagte sie. Als Begründung sagte sie, dass der Stresstest zur Überprüfung der Stromnetzstabilität noch andauere. Aber damit widerspricht sie der eigentlichen Aussage des Artikels nicht: Denn auch das WSJ sagt lediglich, dass das Ergebnis dieses Stresstests ausgemacht sei, nicht, dass es bereits vorliegt. Das Dementi wirkt daher nur halbherzig.

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Solche Aussagen erhärten den Verdacht, die Bundesregierung wolle Zeit gewinnen, um das Unvermeidliche hinauszuzögern. Aber zu welchem Zweck? Es drängt sich der Gedanke auf, dass der Ausstieg aus dem Ausstieg ähnlich wie der Einstieg in den Ausstieg verlaufen könnte. Angela Merkel wollte nach der Aufregung um Fukushima die Wahl in Baden-Württemberg retten, wo die Grünen die CDU abzulösen drohte. Die „historische Zäsur“ war in Wirklichkeit ein kurzfristiges Merkel-Manöver, wie so häufig mit längerfristigen Konsequenzen, die zu dem Zeitpunkt nachrangig waren.

Im Fall der Laufzeitverlängerung steht eine umgedrehte Konstellation bevor. Es spricht einiges dafür, dass die Landtagswahl Niedersachsen, die am 9. Oktober stattfindet, eine Rolle in den Kalkulationen spielt, bei denen Grün wie Rot sich als Atomkraftgegner inszenieren. Um die eigene Wahl nicht zu torpedieren, darf die unangenehme Nachricht erst danach verkündet werden. Das hieße: Eine Entscheidung zur Laufzeitverlängerung wäre erst nach dem 9. Oktober zu erwarten.

Das ist aus vielen Gründen spät – vielleicht zu spät. Die politische Taktiererei geht nicht nur auf Kosten der deutschen Versorgungssicherheit. Sie zahlte sich schon damals in Baden-Württemberg nicht aus. Trotz Merkels Fukushima-Pirouette gewannen die Grünen im „Ländle“ – und die Energiewende zehrt bis heute an Deutschland.

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Kommentare ( 23 )

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Robert Tiel
2 Jahre her

Es gibt untrügliche Anzeichen dafür, dass die drei Kernkraftwerke zumindest nicht zum 31.12. abgeschaltet werden, wenn die Randbedingungen so bleiben.

Emmanuel Precht
2 Jahre her

Für den Weiterbetrieb muss zuerst der „Antirealistische Schutzwall“ überwunden werden, hinter dem sich die politische „Verantwortungs“ Gemeinschaft verbarrikadiert hat. Das wird schwierig, sehr schwierig und wenn es soweit ist, dann wird es vermutlich schon zu spät gewesen sein. Auf jeden Fall wird es ein spannender Herbst.
Wohlan…

Ordoliberal
2 Jahre her

Nach einem Gespräch mit meinem Bruder (einem promovierten Chemiker in leitender Position) beim Grillen in seinem Garten (Speckgürtel München, das Haus so gut wie abbezahlt, Rente mit 60 sicher, die zwei Kinder auf dem Weg in die Verbeamtung) habe ich jedes Vertrauen in die Vernunft des deutschen Wählers verloren. Mein Bruder, kein Grüner, kannte nicht nur den Zusammenhang zwischen Gas, Wind und Solar nicht (Gaskraftwerke als notwendiges Backup für intermittierende Energieproduktion), er war auch der Meinung, „dass wegen dem Klima ja mal endlich was gemacht werden muss“, dass Kernkraft ein unlösbares Endlagerproblem habe (er hatte noch nie etwas von der… Mehr

Lackyeric
2 Jahre her
Antworten an  Ordoliberal

Tja, beim Lesen musste ich echt schmunzeln. Im Grunde bin ich gegen eine Laufzeitverlängerung, um dann zu erleben wie ein (meiner Meinung nach unvermeidlicher) Super Blackout die Gefriertruhen mit dem Ökogemüse zum Tauen bringt und grüne naive Influenzer ihre Smartphones nicht mehr laden können. Die Analyse des Suchkranken völlig richtig. Vor einiger Zeit geriet ich mit einigen Bezirksgrünen hier in Berlin in eine Diskussion. Als ich lapidar feststellte, dass man beispielsweise verlegte Stromleitungen (je nachdem welche Stärke bzw. Querschnitt sie aufweisen) nicht unendlich mit Energie belasten könne, und ob man den Unterschied zwischen Watt (Leistung bzw. Verbrauch) Ampere oder Spannung… Mehr

caesar4441
2 Jahre her

Die letzten AKW werden abgeschaltet ,denn Die Grünen haben es v o r der Wahl versprochen : „Kein Strom,kein Gas,kein Öl,kein Holz ,keine Kohle,keine Heizung,kein Auto,kein Fleisch,keine Arbeit,kein Einkommen ,kein etc.Das Paradies ist nahe.“Sie halten Wort im Gegensatz zu den anderen Parteien.Und der kleine Masochist ist beglückt.

werner2k
2 Jahre her

Die ganze Diskussion über die Laufzeitverlängerung übersieht ein paar Faktoren. Primär ist die Frage, weshalb die Eigentümer die Kraftwerke laufen lassen sollten. Die Abschaltung ist seit langem geplant, wesentliche Personalanteile dürften nach dem 1.1.2023 neue Jobs bzw. den Pensionseinstieg planen.
Fürs Herunterfahren und Auslagern sind die Ressourcen verplant – nicht aber für einen Weiterbetrieb um ein paar Monate. Ohne einen Staatsvertrag über eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzungsperiode würde ich als Eigner die Anfrage der Regierung abschlägig beantworten.
Da dürften die Grünen dann dumm da stehen.

Wittgenstein
2 Jahre her

Lieber Herr Gallina, wäre die „Opposition“ schlau, würde sie die Exploration der Ergasvorkommen in Niedersachsen zum Wahlkampfthemamachen, die Weil kategorisch ablehnt. Alle Politiker, die heute gegen Maßnahmen zur Sicherung einer kostengünstigen, sicheren und ausreichenden Energieversorgung sind, schaden dem Wohl des Landes und seiner Bürger. Soweit sie einen Amtseid geleistet haben, wäre dies als „Meineid“ zu bewerten, mit juristischen Folgen für die Verantwortlichen. Sollte es im kommenden Winter zu vermeidbaren Einschränkungen in der Wärme- und Stromversorgung kommen, zu Abschaltungen, Brownouts oder gar Blackouts, sollten die dafür zuständigen Politiker vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden. Dasselbe müsste ebenfalls für die Corona- und… Mehr

GWR
2 Jahre her

Eine wichtige Variable fehlt in dieser Betrachtung auch in den Kommentaren.
Was ist, wenn die Betreiber nicht mitmachen?
Der Weiterbetrieb ist nicht sinnvoll, wenn man keine längerfristige Perspektive hat.
Und bei unseren Politikerdarstellern werden die Betreiber sehr skeptisch sein. Denn was heute zugesichert ist, kann morgen schon wieder Makulatur sein.

Okko tom Brok
2 Jahre her

Rot-grün steht im Grunde nicht nur nackt da, wenngleich offenbar noch weitgehend unbemerkt von der eigenen Klientel und den woken Medienclaqueren. Rot-grün ist darüberhinaus sehr schwer erkrankt. Diagnose: Ideologischer Burnout. Eine echte Kernschmelze und – welch bittere Ironie – dabei des eigenen Kernthemas beraubt und mit diesem programmatisch verglüht. Fukushima reversed. Geschichte wiederholt sich manchmal eben wirklich – als Farce. Politologen und Historiker, aber auch Psychologen und Geistliche der Zukunft werden ihre Freude haben, unsere Zeit zu analysieren, und manche werden sprechen: „Wir hätten dabei niemals mitgemacht…“

Wittgenstein
2 Jahre her

Lieber Herr Galina, Wwäre die „Opposition“ schlau, würde sie die Exploration der Ergasvorkomnen in Niedersachsen zum Thema machen, die Weil kategorisch ablehnt. Alle Politiker, die heute gegen Massnahmen zur Sicherung einer kostengünstigen, sicheren und ausreichenden Energieversorgung sind, schaden dem Wohl des Landes und ihrer Bürger. Soweit sie einen Amtseid geleistet haben, wäre dies ein Meineid und sollte juristische Folgen für die Verantwortlichen haben. Sollte es im Winter zu vermeidbare Einschränkungen in der Wärme- und Stromversorgung kommen, sollten die dafür zuständigen Politiker vor Gericht gestellt werden. Dasselbe müsste man ebenfalls für die Corona- und Impfpolitik erwarten; in diesem Fall sollten sich… Mehr

H. Hoffmeister
2 Jahre her

Die werden es „Streckbetrieb“ und nicht Laufzeitverlängerung nennen und erneut mit ihren Tricksereien davonkommen. Diese Gestalten werden so oder so wieder gewählt. Der vom durch und durch selbstreferenziellen ÖRR und den anderen MSM propagandistisch verblödete Wahlbürger begreift gar nicht, wer ihm den Irrsinn eingebrockt hat.

Emmanuel Precht
2 Jahre her
Antworten an  H. Hoffmeister

Streckbetrieb und Verlängerung sind in der Tat verschieden Verfahren. Beim Streckbetrieb wird die Leistung der Meiler heruntergefahren, um mit den vorhandenen Brennstäben eine längere, verminderte Ausbeute zu erwirken, was dann bis ca. März 2023 ginge. Bei der Verlängerung werden die Brennstäbe gegen neue ersetzt und die Meiler können mit Vollauslastung weiterbetrieben werden. Das lohnt sich für die Betreiber aber nur, wenn es geschätzt um 5 Jahre weitere Laufzeit geht. Brennstäbe wurden nicht bestellt, die gibt es nicht im Baumarkt. Zudem sind die Abklingbecken voll, es war ja nicht vorgesehen weiter zu betreiben. Hier sieht das Gesetz aber vor, dass Platz… Mehr