Merz knickt wieder ein

Nach öffentlichem Dissens und Streit um die Zukunft des Bürgergeldes haben sich die Unionsparteien mit der SPD darauf geeinigt, den Reformprozess zu verschleppen. Die gespielte Harmonie im Anschluss des Koalitionsausschusses steht im scharfen Kontrast zum ökonomischen Absturz Deutschlands.

Das ging schnell. Bei einem gemeinsamen Bier räumten SPD-Arbeitsministerin Bärbel und Bundeskanzler Friedrich Merz ihre Uneinigkeit über die Zukunft des Bürgergeldes aus. Merz betonte nach wiederholter Kritik am überdehnten Sozialstaat, dass – so Merz wörtlich – niemand den Sozialstaat abschaffen, schleifen oder kürzen wolle. Der Kompromiss wird sich also derart gestalten, dass Teile des Bürgergeldes in andere Sozialkassen umgetopft werden. Dies vollzieht sich im Klandestinen, gut verborgen vor der Öffentlichkeit. Strukturell ändert sich nichts. Und die Unionsparteien fügen sich dem Koalitionspartners um des lieben Friedens willen.

Der nächste Rückzieher

Merz hat also erneut vor seinem Koalitionspartner kapituliert. In dieser Koalition ist es inzwischen zur Gewohnheit geworden, dass man trotz wachsender Haushaltsprobleme, der dramatischen wirtschaftlichen Entwicklung und dem implodierenden Sozialstaat beharrlich die Augen verschließt. Medienarbeit, Distraktionen und Scheinlösungen sollen ein Problem aus der Welt schaffen, das von der Politik ausgelöst wurde und das ihr längst über den Kopf gewachsen ist.

Und auch der Bundesfinanzminister agiert mit der Vogel-Strauß-Taktik, ganz nach dem Motto: Es muss nur eskalieren, dann wird der Steuerzahler mit einem Geldregen die Probleme freiwillig lösen.
Über 500 Milliarden Euro werden Lars Klingbeil in diesem Jahr im Bundeshaushalt zur Verfügung stehen. Ein großer Teil dieses Geldes fließt als ergänzende Zahlungen in die deutschen Sozialkassen, um die aufreißenden Haushaltslöcher zu stopfen. Die inszenierte Harmonie der Koalitionsparteien kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass man weiter denn je davon entfernt ist, eine tragfähige Lösung für das Haushaltsloch von 30 Milliarden Euro im Jahr 2027 zu finden.

Kein Bezug zur Realität

Es ist ganz gleich, wie großzügig der Steuerzahler den Fiskus ausstattet. Am Ende steht der nimmersatte Staat stets mit einem noch größeren Defizit da. Wir erleben politisches Versagen auf einem ganz neuen Level.

Um den Streit beim Bürgergeld zu entschärfen, schlug Arbeitsministerin Bas eine Strategie vor, künftig stärker auf Beschäftigung zu setzen. Mit 100.000 neuen Arbeitsplätzen in der Wirtschaft sei das Problem gelöst, erklärte Bas – offenkundig ohne zu erkennen, dass die deutsche Wirtschaft schon vor Jahren in den Modus des Stellenabbaus gezwungen wurde.

Bas’ Kommentar offenbart das mangelnde Verständnis für ökonomische Zusammenhänge in der Politik auf eine beinahe groteske Weise. Für die Regierung erscheint wirtschaftliches Handeln als eindimensionaler Prozess, der sich am Reißbrett zentral planen und steuern lässt. Also her mit den 100.000 Jobs – zur Not wird der Staat als Arbeitgeber einspringen. Nachdem der öffentliche Dienst in den vergangenen Jahren bereits über 400.000 neue Stellen geschaffen hat, ist es wohl müßig, Politikern zu erklären, welche Folgen auch dieser Irrglaube für die öffentlichen Finanzen haben wird.

Sozialstaat muss neu justiert werden

Dass die Politik weder willens noch intellektuell die Fähigkeit besitzt, die Schwere der deutschen Wirtschaftskrise zu erkennen, ist tragisch. An jedem untätigen Tag verliert Deutschland Kapital, Unternehmen und gute Arbeitskräfte ans Ausland. Der Sozialstaat müsste dringend nachjustiert werden. Eine Berechnung des Ökonomen Dr. Thorsten Polleit bringt das Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit im deutschen Sozialwesen auf den Punkt. Nach seinen Berechnungen rangiert die deutsche Industrieproduktion etwa 21 Prozent unterhalb des eigentlich erwarteten Potenzialwachstums. Die Sozialsysteme aber waren eingestellt auf reales Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent im Jahr. Die im Zuge der schwachen Wirtschaft immer weiter aufreißende Lücke treibt die Sozialkassen fraglos ihrem Kollaps entgegen.

Um zurück in den Wachstumsmodus zu finden, müsste die Politik ihre heiligen Kühe schlachten – etwa den Green Deal mit seinem regulatorischen Dschungel. Zugleich müsste die Energiekrise durch einen Wiedereinstieg in die Atomkraft, die Wiederaufnahme von Gesprächen über den Import russischen Gases sowie das Ende der CO₂-Besteuerung angegangen werden.

Selbstverständlich fehlt zu einer paradigmatischen Kehre jeder Wille. Die deutsche Politik ist tief verwoben mit der Brüsseler Agenda der grünen Transformation. Auch ist man fest entschlossen, den längst verlorenen Stellvertreterkrieg in der Ukraine fortzusetzen. Ganz gleich, mit welchen Kosten diese politischen Hasardeur-Taten für die deutsche Bevölkerung verbunden ist.

Kollaps setzt sich fort

Während die Koalition in Berlin also an ihrer Kommunikationspolitik feilt und sich für den öffentlichen Auftritt künftig harmonischer präsentieren will, rutscht die deutsche Wirtschaft in beschleunigtem Tempo bergab.

Aus der Flut schlechter Nachrichten stach am Mittwoch die Entscheidung von Mercedes-Benz heraus, die Sprinter-Produktion im eh schon strukturschwachen Ludwigsfelde in Brandenburg nach Polen verlegen zu wollen. 2.000 Arbeitsplätze sind nun unmittelbar von dieser Werksverlagerung bedroht. Automobilproduktion in Deutschland hat schlichtweg unter diesen Rahmenbedingungen keine Zukunft mehr.

Es sieht generell düster aus in den Kernsektoren der deutschen Industrie. Der Verband der Chemieindustrie VCI meldete gestern für das zweite Quartal im laufenden Jahr erneut Katastrophenzahlen. Nach Angaben des Verbandes operiert der Sektor weit unter der Rentabilitätsschwelle mit einer Kapazitätsauslastung von lediglich 71,7 Prozent, dem niedrigsten Wert seit dem Krisenjahr 1991.

Die schwere Energiekrise hat die Branche hart getroffen. Im zweiten Quartal lag die Produktion 3,8 Prozent unter dem Vorquartal und rund 3,1 Prozent niedriger als 2024. Damit spiegeln die Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie den allgemeinen Abwärtstrend der deutschen Wirtschaft wider. Der Gesamtumsatz sank um 2,7 Prozent im Jahresvergleich und brach gegenüber dem Vorquartal sogar um 5,2 Prozent ein – ein dramatischer Absturz.

Weiter so mit Staatsknete

Eine Besserung ist nicht in Sicht, warnt Verbandspräsident Wolfgang Große Entrup. Er fordert von der Politik entschlossenes Handeln: „Nehmt gemeinsam die Schaufel in die Hand und baut das riesige Bürokratiegebäude sowie die strukturellen Defizite am Standort ab.“

Angesichts der politischen Ohnmacht im Land klingen diese Worte wie aus einer längst versunkenen Zeit.

Große Entrup bedient sich eines wiederkehrenden Musters in der Kommunikationspolitik der großen Wirtschaftsverbände. Sie beklagen die dramatisch schlechten Rahmenbedingungen am Standort Deutschland, fordern indirekt staatliche Hilfen, scheuen aber den Mut, die wahren Ursachen der Krise anzusprechen oder Druck auf die Politik auszuüben. Kurz gesagt: Die Mehrheit setzt auf ein ‚Weiter-So‘, akzeptiert die bereits diskutierten Steuererhöhungen und hält vorerst am Kurs der grünen Transformation fest.

Das wird ein teurer Herbst für den deutschen Steuerzahler.

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Kommentare ( 123 )

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Or
3 Monate her

Liebes TE Team. Wäre es nicht einfacher und lohnender zu schreiben, wenn der Merz mal nicht umknickt, umfällt, nicht zurück rudert.
Ich weiß, die Artikel über ihn würden selten, oder müssten ganz eingestellt werden.
Aber es fänden sich garantiert interessanter Themen, als über‘n rückgratlosen Gernegroß zu schreiben, der‘s – mal wieder – verbockt.
Nur so mal als Vorschlag.

Waehler 21
3 Monate her

Ich denke mal mit Alu-Hut! Geht es Merz um dieses Land oder verfolgt er andere Interessen? Andere Agenden. Das würde auch erklären warum er bei Themen nachgibt, solange er sich mit seinen eigentlichen Zielen durchsetzen kann.

Also wo setzt er sich durch? Ich höre nämlich nur das Lachen der Wallstreet.

HansKarl70
3 Monate her

Weggeräumt wird nach meiner Meinung gar nichts. Diese Politiker sind am Ende. Kein Geld, keine Ideen keine Zukunft. Man kann allerhöchstens versuchen das Schlimmste zu verhindern aber selbst dabei habe ich wenig Hoffnung. Es wird wohl nicht gelingen.

puke_on_IM-ERIKA
3 Monate her

Pinocchio ist doch ein Umfallerprofi und weiß genau, dass er bei Disziplinierung von Bullshit-Bärbel schnell bei Kanzler Klingbeil in Ungnade fällt und sich die Unterstützung resp. Duldung unter SPD-Ägide in seine Sauerländer Restlocken schmieren kann.

Franz Reinartz
3 Monate her

Fritz Pinnocchio hält sich an das umgeschriebene Pfadfindermotto: „Jeden Tag eine glatte Lüge!“ Und die Pinnochiopartei im Bundestag taugt nicht einmal mehr als Klatschhase. Die Deutschen haben aber auch ein seltenes Talent, immer wieder auf Selbstdarsteller und Hohltöner reinzufallen.

Last edited 3 Monate her by Franz Reinartz
89-erlebt
3 Monate her

Jeder !! hätte wissen können was Merz und dessen Club der Unfähigen sind. Auch zu Merkel wäre es ein Leichtes gewesen, diese Lügner, Betrüger, Zerstörer des Landes rechtzeitig zu erkennen. Wer das gewählt hat ist mitschuldig, Mittäter.

Wilhelm Roepke
3 Monate her

Wer jetzt Deutschland noch Geld leiht, ist selbst schuld. Bei einem Schuldner kommt es nicht nur auf die absolute Höhe seiner bisherigen Schulden an, sondern auch auf sein Verhalten. Selbst ein Darlehen über 5.000 € ist bei einem Spielsüchtigen ein Fehler, während ein anderer auch 500.000 € problemlos zurück zahlen wird. Deutschland will nicht solide sein und ist daher nicht mehr kreditwürdig, denn auf die Rückzahlabsicht kommt es als allererstes an.

Abraxas1609
3 Monate her

Aus sozialer Marktwirtschaft wird binnen 10 Jahren asoziale Planwirtschaft!
Danke SPD und danke „Wir schaffen das!“ – für nichts. Unglaublich, was Ihr aus unserem Land gemacht habt…

OJ
3 Monate her

RENTNER wählen seit Gründung der Bundesrepublik in der Masse SPD und CDU/CSU.
RENTNER sind in der Masse politisch und wirtschaftlich ungebildet.
RENTNER, in der Masse,
generieren ihre Informationen aus dem ÖRR.
Jetzt raten sie mal, wer die Schuld an der ganzen Misere trägt❓

Haba Orwell
3 Monate her
Antworten an  OJ

Manche beschweren sich hier, eine berüchtigte ÖRR-Propagandasendung sei wie ein Horror – und glotzen weiter…

Last edited 3 Monate her by Haba Orwell
Tobias Koch
3 Monate her
Antworten an  OJ

Das ist bei meinen Eltern (84/81 Jahre) genau das Gleiche. Haben immer schon CDU gewählt und werde es bis an ihr Ende tun. Holen sich jeden Abend um 20:00 Uhr ihre tägliche Propagandadosis ab und glauben alles, was ihnen der Volksempfänger eintrichtert.

HansKarl70
3 Monate her
Antworten an  Tobias Koch

Mag ja bei Ihren Eltern so ablaufen, Ich kenn auch andere. Also bitte keine Verallgemeinerungen.

Rosalinde
3 Monate her
Antworten an  OJ

Blödsinn. Es war doch due Jugend die vor Jahrzehnten die Grünen hochgebracht und salonfähig gemacht hat!
Außerdem: ab wann soll denn diese Beschimpfung gelten?
Vor 4 Jahren waren die heute 65 Jährigen noch keine Rentner und vor 10 Jahren noch weniger.

Kuno.2
3 Monate her
Antworten an  Rosalinde

Obiger „Säugling“ ohne jede Lebenserfahrung geschweige den geschichtlichem Verständnis wird in Jahrzehnten auch anders wählen wie heute. Aber das hat es dann schon wieder vergessen.

Digenis Akritas
3 Monate her
Antworten an  Rosalinde

Alles, was vor dem Pillenknick in das gemachte Nest der BRD geboren werden durfte. Historisch völlig einmalig: Von der Wiege bis zur Bahre nur Wohlstand.
Alles, was nach dem Pillenknick das „Licht“ dieser Welt erblickt hat, hatte grosso modo eine schöne Kindheit und wird ein elendes Alter haben. Da sind die meisten der Kommentarschreiber hier nicht mehr am Leben.

Dieter Rose
3 Monate her
Antworten an  OJ

Warum dürfen die nicht zu den etwa 75% der SPDCDUCSULINKENGRÜNEN-Wählern gehören? Im übrigen werden die nicht schlagartig beim Eintritt ins Rentenalter politisch und wirtschaftlich ungebildet. Vor allem: mit dem Eintritt in die Rentenzeit bekommen sie die Regierungsfehler am eigenen Leibe zu spüren.

Manni2801
3 Monate her
Antworten an  OJ

Stimmt, aber eben für die masse. Und damit kommen wir wieder zu dem alten Spruch meines Vaters aus den 60igern !! 90% des Volkes sind wahlunmündig!

Ombudsmann Wohlgemut
3 Monate her
Antworten an  OJ

Ominöse Eliten im Hintergrund, über die wir leider kaum etwas wissen, ausgeschlossen, trägt die Hauptschuld die SPD mit ihren zahllosen Medienanteilen (als einzige Partei), um Print und Radio zu kontrollieren. Danach die vergrünte radikaltotalitäre Jugend, die als Aktivisten jeden Scheiß mitmachen und von diesen Medien als „Zivilgesellschaft“ tituliert werden. Es gibt zwar viele Rentner, die sich nicht informieren und einfach den ÖRR-Mist glauben, oder so festgefahren sind, dass sie trotzdem weiter die gleiche Partei wählen wie früher auch. Aber ebenfalls gibt es einige Rentner, die das Spiel durchschauen und AfD wählen. Nur weil die Rentner einen großen Teil der Bevölkerung… Mehr

Siggi
3 Monate her
Antworten an  OJ

Diejenigen, die die Wahlen manipulieren.

DDRforever
3 Monate her
Antworten an  OJ

Ganz einfach, die BRD Bürger. Wer sonst?.

Ralle002
3 Monate her

Etwa der Wiedereinstieg in die Atomkraft zögert die Probleme allenfalls hinaus und schafft sehr viel größere Probleme für die Zukunft. Ähnlich verschiebt die Justierung des Sozialstaats allenfalls den endgültigen Kollaps.
Weil Herr Merz die Probleme sehr bequem mit immer größeren Schuldenbergen löst, wird er auch immer mehr Geld für Rüstung, Sozialausgaben etc. ausgeben müssen.
Er zaubert alle mögliche Dinge aus dem Ärmel wie einige Sicherheitsgarantien für die Ukraine, einige Einsparungen beim Bürgergeld, mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Es ist wie Alkoholismus, aber eben ohne eine Entziehungsmaßnahme.

wackerd
3 Monate her
Antworten an  Ralle002

Da die fossilen Brennstoffe tatsächlich endlich sind, bleibt als zukunftsweisende Technologie nur noch Kernkraft übrig. Vielleicht in einer mehr beherrschbaren Form als heute. Aber mit Solarpanelen und Windmühlen kann man nicht weltweit den zukünftigen Energiebedarf egal in welchem Land decken. So sehen es ja auch nahezu alle Industrie-Länder weltweit.

Ombudsmann Wohlgemut
3 Monate her
Antworten an  Ralle002

Das mit dem Sozialstaat ist eine ganz andere Sache, denn dort will man ja nichts grundlegend ändern, also geht es natürlich weiter mit dem Kurs. Kernkraft hingegen ist eine Wende, da man von den volatilen Energien mit zigtausendfachen Regeleingriffen weggeht und wieder ein stabiles umweltunabhängiges System anstrebt. Viel größere Probleme für die Zukunft? Welche sollten das sein? Bis man eine Lösung für das Wind- und PV-Problem gefunden hat, sollten gar keine neuen Anlagen (außer zur Eigennutzung) mehr installiert werden und besser sogar alles durch Atomkraft versorgt werden. Das hilft auch gleichzeitig bei der Erforschung für die Kernfusion, damit das nicht… Mehr

Montesquieu
3 Monate her
Antworten an  Ralle002

Tauen Sie auch Ihr Hähnchen auf, wenn der Strom aufgrund von zu großen Spannungsschwankungen im Netz ausfällt? Die Zukunft der Energiesicherheit liegt nicht im Bau von gigantischen Batterien (brennen übrigens spontan, spektakulär schön und lang, wie man in den USA wiederholt bewundern durfte), sondern im Bau gigantischer Hähnchentiefkühlfabriken. Sozusagen gigantische Frostlegebatterien.

Last edited 3 Monate her by Montesquieu