Neid-Storm

Die Bundestagswahl wird zur gesamtgesellschaftlichen Neiddebatte. Der Streit um Peer Steinbrücks Honorare ist erst der Anfang.

Es gibt wenige Politiker, denen man so gerne zuhört, dass man dafür bezahlt. Peer Steinbrück ist einer von ihnen; mit der Melange von grandios überspitzter Rhetorik, auf Bestellung abrufbarer Empörung und vor Wut zuverlässig zitternder Stimme hat er eine seltene Kunstform perfektioniert: die Publikumsbeschimpfung. Denn er redet den zahlenden Bankern nicht nach dem Mund; er haut ihnen ihre Sünden so krawallig um die Ohren, dass sie sich lustvoll im Versagen baden, sich nach einer masochistischen Stunde der Selbsterniedrigung bis zur Selbstgeißelung, aber auch so gereinigt und geläutert fühlen dürfen, dass sie weitermachen wie bisher. Kein Wunder, dass Steinbrück einer der bestbezahlten ambulanten Vortragskünstler werden konnte, und vermutlich ist es das, was seine parteiinternen Gegner ihm noch mehr neiden als Geld und Würden. Andrea Nahles weiß, dass sie einem Publikum eher Geld anbieten müsste, damit man ihr zuhört.

Es ist die Ironie der Geschichte, dass Großverdiener Steinbrück plötzlich mit Vorwürfen kämpfen muss, die wie ein Echo seiner eigenen Schmähungen klingen. Man muss sich nur seine Gier-Attacken auf Banker, Unternehmer und Manager anhören; seine Angriffe auf Besserverdiener, vermeintliche Steuerhinterzieher und Steuervermeider, um sich vor Lachen zu krümmen, wenn jetzt seine Honorare nachgerechnet werden. Seinen Spruch, dass “Transparenz nur in Diktaturen” möglich sei, können ihm alle entgegenhalten, deren wirtschaftliches Handeln gerade von Steinbrück prinzipiell unter Generalverdacht gestellt wird und die schon als Schwerst-Tatverdächtige gelten, wenn sie nur ein Konto in der Schweiz ihr Eigen nennen. Klar soll jeder brav die Steuer zahlen, die er zahlen muss; aber unter dem Finanzminister Steinbrück hat jene verbissene Jagd auf angebliche Steuerhinterzieher und Schwarzgeldschufte begonnen, bei der man den Eindruck hat, Steuern zahlen sei noch wichtiger, als überhaupt Geld zu verdienen und Arbeitsplätze zu schaffen. Steinbrück hat gehörig dazu beigetragen, dass sich das Bewusstsein nach links gewendet hat: Was verdient wird, gehört danach nicht mehr dem, der dafür arbeitet und davon gefälligst Steuern zu bezahlen hat – sondern was verdient wird, gehört dem Finanzamt, das großzügigerweise noch einen Restbetrag zur privaten Verwendung zuteilt.

Dafür werden die Fakten verbogen: 2007, im Jahr vor der Finanzkrise, wurden in Deutschland 538 Milliarden Euro an Steuern abkassiert. In diesem Jahr werden es mehr als 600 Milliarden sein. Obwohl der Staat im Geld schwimmt, lamentieren die Steinbrücks aller Parteien aber immer über den finanzklammen Staat. Selbst der Armutsbericht der Bundesregierung konstatiert, dass der Trend zur zunehmenden Einkommensungleichheit seit 2006 gestoppt sei und dass es gerade bei den niedrigsten Einkommen bergauf gehe. Trotzdem leiten daraus auch CDU-Politiker wie Ursula von der Leyen ab, dass die Abgaben erhöht, Vermögende hart bestraft und noch weit mehr umverteilt werden müsse: Dabei beginnt der regierungsamtliche Reichtumsbegriff schon beim Monatsgehalt von 6000 Euro. Kurz, Leistung darf sich nicht mehr lohnen, noch weniger Netto vom Brutto – der Königsweg zum gesellschaftlichen Wohlstand. Steinbrück hat ausgerufen, wovon er jetzt persönliches Opfer werden könnte: eine gesellschaftliche Neiddebatte, die im Wahlkampf gut funktionieren könnte. Darunter leidet das sogenannte bürgerliche Lager. Die jetzt geforderte Transparenz der Abgeordneten bis auf den letzten Cent trifft ja kaum Sozialdemokraten, deren Alimentation durch den öffentlichen Dienst ohnehin transparent ist – es trifft die Parteien, in denen noch der eine oder andere Unternehmer oder Freiberufler arbeitet, die nicht ihr persönliches Einkommen, aber die Daten der Firma bewahrt wissen wollen.

Gerechte Buße, wenn jetzt die Revolution der Umverteilung einen ihrer Verursacher frisst?

(Erschienen auf Wiwo.de am 13.10.2012)

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