Hunderte Milliarden und viel guter politischer Wille reichen nicht aus, um den Euro zu sichern – weil der grundlegende Konstruktionsfehler nicht geheilt wird: In einem gemeinsamen Währungsraum muss schon ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit oder wenigstens eine Tendenz zur Annäherung vorhanden sein.
Eine Gemeinschaftswährung ohne Gemeinschaft zerbricht. So weit, so schlecht. Und jetzt? Jetzt reden alle über ein besseres, vertieftes Europa – allerdings auf unrealistischer Basis: Am weitesten daneben springt Ursula von der Leyen mit ihrer Forderung nach den “Vereinigten Staaten von Europa”. Das klingt gut und verführerisch. Aber glauben wir wirklich, dass wir einheitliche Steuersätze von Malta bis zum Nordkap hinkriegen? Eine gemeinsame Polizei mit Rumänien, gleiche Höhe von Renten, Hartz IV und Sozialleistungen mit Bulgarien, gleiche Migrationspolitik mit Frankreich und ein gemeinsames Staatsfernsehen mit Ungarn? Wo sitzt diese Regierung, wer wählt sie und wählt sie auch ab? Bauen wir dann Berlin wieder ab und machen aus dem Reichstag einen Freizeitpark? Bis wir das alles vereinheitlicht haben, ist der Euro schon mehrfach krepiert. Es ist ein böswilliger Täuschungsversuch, eine Medizin anzubieten, die nicht zur Verfügung steht.
Auch die Forderung nach einer europäischen Wirtschaftsregierung oder einem europäischen Finanzminister folgt diesem Prinzip der Täuschung. Wie soll so eine Regierung gebildet, der EU-Finanzminister bestimmt werden? Vom Europäischen Parlament, in dem die Deutschen und andere große Länder dramatisch unterrepräsentiert sind? Welche Kompetenzen erhält diese Regierung, wer bestimmt die Sozialabgaben und Leistungen, die Regelungen für Arbeitsmarkt- und Gesundheitssystem, das Rentenalter und die Besoldung der Beamten? All das bleibt bewusst offen. Es wird ins Ungefähre schwadroniert, mit viel rhetorischem Getöse ohne den geringsten Bezug auf Machbarkeit, wirtschaftliche Realität und Zeitachse. Einigkeit in Europa ist dünner verteilt als Seltene Erden; so sind nicht einmal gemeinsame Standards für die Sicherheit von Atomreaktoren durchsetzbar, weder eine einheitliche Autobahnmaut noch Höchstgeschwindigkeit und vor allem: keine gemeinsame Verschuldungsgrenzen der öffentlichen Haushalte. Da wäre es schon ein riesiger Erfolg, wenn wir wenigstens zu den bisherigen Mindeststandards zurückkehren könnten, wie sie im Vertrag von Maastricht festgelegt wurden: keine Transfers in Milliardenhöhe per Währungspolitik und Rettungsschirm, Einhaltung der Verschuldungsgrenzen und keine Finanzierung der Staatsschulden durch die Notenpresse.
Diese Grundprinzipien werden derzeit fundamental verletzt, und es ist offensichtlich: Mit dem massiven Stimmenübergewicht der überschuldeten Südländer werden auch die letzten Bastionen überrannt, die im gemeinsamen Europa eine langfristig stabile Währung und halbwegs solide Staatsfinanzen gewährleisten sollen – und gleichzeitig soll mit Instrumenten wie den Euro-Bonds eine Umverteilungspumpe etabliert werden, die Deutschland systematisch aussaugt. Da wird es schwer genug sein, auf den Ausgangspunkt Maastricht zurückzukommen. Und es geht doch nicht mehr um Griechenland, dessen Schulden abgewickelt werden müssen – es geht um das Schuldenschwergewicht Italien.
Es ist europapolitischer Populismus in XXL, wenn der Blick auf die tatsächliche Entwicklung dadurch verstellt wird, dass man hübsche Utopien als Kulisse anbietet und dahinter Ungeheuerlichem zustimmt. Europapolitik vermag kaum mehr den Sandkastenkuchen der Maastricht-Regeln in die Form bringen, aber gleichzeitig wird ein vergemeinschaftetes Schuldenschlaraffenland beschworen.
Wir brauchen ein Europa auf unveränderlichen Grundsätzen, nicht eines der Täuschung – denn diese Selbsttäuschung zerstört sich selbst wie die Fehlkonstruktion des Euro zeigt.
(Erschienen auf Wiwo.de am 17.09.2011)
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