Gauland gibt den Johannes Heesters der Politik

Alexander Gaulands kalkulierte Provokation treibt die AfD weit nach Rechts.

© Sean Gallup/Getty Images

Der Entertainer Johannes Heesters wurde weit über einhundert Jahre alt. Kurz vor seinem Ableben gab er noch ein Interview und wurde gefragt, wie denn Hitler so war, den Heesters persönlich kennen gelernt hatte. Heesters saß da fast blind im Rollstuhl. Seine Antwort: Hitler sei ein guter Kerl gewesen.

Gauland sitzt im Bundestag. Über den Einen kann man hinwegschauen; Senilität ist ein furchtbares Schicksal und die Verantwortung trifft eher den Frager als den Befragten. Es kommt eben darauf an, wer was sagt. Will Gauland wie Heesters bewertet werden?

Gauland weiß das alles. Er ist ein eiskalter Profi; er tastet sich immer vorwärts, gerade so weit, dass die abregnenden Erregungswolken sein Feld befeuchten, damit sein politischer Weizen wachsen kann – und die Grenze seines Feldes sich weiter hinausschiebt. Immer weiter. Es ist ein Spiel mit Tabus; und mit der kalkulierten Reaktion seiner Gegner ebenso wie mit der seiner Anhänger. Dazwischen gibt es nun keine Brücke mehr.

Wir werden in den kommenden Wochen zwei Debatten erleben: Da ist die massive Kritik an der Äußerung von Gauland, die das Bekenntnis zur Verantwortung und Schuld der Deutschen unwirksam macht. Auch dieses Nebeneinander ist Kalkül: Wer einen Punkt setzt hinter eine Aussage oder auch nur ein Komma, nimmt bewusst oder gewollt in Kauf, dass nur der eine Teil zitiert wird. Wer angreifen will, liest nicht im Kontext, sondern filzt Halbsätze auf ihre Eignung als Element der Erregung. So funktioniert das Spiel, wer es nicht spielen will, soll schweigen. Bei dem aktuellen Wort von Gauland heilt zudem der eine Teil den anderen nicht.

Gaulands Kritiker haben hier die Moral auf ihrer Seite. Auschwitz, Massenmord, Krieg und Verwüstung, auch die des eigenen Volkes und seiner Städte und Landschaften im totalen Krieg – unfassbar, dies als eine abwaschbare Kalamität zu bezeichnen. Tote kann man nicht wegwischen; wer so spricht, macht ihr Leiden lächerlich: Das der schrecklichen Opfer in Auschwitz, die niemand hörte, wie das des Soldaten, der irgendwo in Russland jämmerlich erfrieren musste und dessen Schrei nach der Mutter ungehört in der Eiswüste verhallte, in die er nicht freiwillig gezogen war.

Wer jemals über einen der vielen Soldatenfriedhöfe ging, die Europas Wunden von Nord bis Süd, von Ost bis West zeigen, oder über eine der Gedenkstätten der Opfer des Terrors gegen Juden und andere Gruppen, von Gauland muss er sich verhöhnt fühlen: „Vogelschiss“.

Aber klar ist auch, wie seine Getreuen argumentieren werden: Mit den toten Flüchtlingen vom Haff, abgeknallt von russischen Jabos, mit den 100 Millionen Toten des Stalinismus, den Leichenbergen von Mao bis zu den Killing Fields von Pol Pot.
Damit stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber.

Gauland zerstört bewusst den Konsens, dass Verbrechen nicht verharmlost werden, und dass nicht aufgerechnet wird. Die Bilanz des Todes ist immer wieder nur der Tod. Denn wenn aufgerechnet wird, gibt es keine Versöhnung, nur noch Rache. Er eröffnet die große Rechnung, auch wenn er so tut, als meinte er die „guten“ Zeiten der deutschen Geschichte, er weiß genau, auf welchen Gefühlen er spielt: Auschwitz gegen Dresden, Vertreibung gegen Massenmord an der Zivilbevölkerung in allen von der Wehrmacht besetzten Ländern. Er verwischt damit Verantwortung und stellt Ursachen und Wirkung auf den Kopf. Warum? Wofür? Will er wirklich eine knallharte rechtsextreme Partei formieren? Mit aller Konsequenz? Es scheint so zu sein. Sein Kalkül geht auf: Der ZEIT-Journalist Moritz von Uslar twittert: „Von meinen Gesprächen mit ehemaligen Neonazis und Verächtern der Demokratie (nicht so wenigen) weiß ich: Das einzige, was diese Leute beeindruckte, ist, wenn ihre Kritiker einen Schritt nach vorne taten und ihnen mit einem gut sitzenden Hieb zwei Zähne aus dem Mund rausschlugen.“

Die Masken fallen auf beiden Seiten. Die Rohheit ist unfassbar. Die Brücken brechen.

Manche haben gehofft, dass die AfD bei aller scharfen Kritik und harter Opposition in der Sache doch Brücken in die Mitte der Gesellschaft sucht. Etliche Abgeordnete der AfD stehen dafür mit erstaunlicher Sachkenntnis. Viele sind enttäuscht von der CDU, die ihre Werte aufgegeben haben. Sie sind die Warnung an die CDU wie an die Restbestände der SPD, dass die Entfernung aus der Mitte der Gesellschaft diese zurücklässt und ihre Vertreter sich neue Parteien suchen können. Politik kommt von unten, nicht von oben.

Hier wächst die Wut auf Gauland. Gauland spaltet nicht nur die Wähler – er treibt den Keil auch in die eigene Partei. Sie sei ein „gäriger Haufen“ hat er einmal beschrieben, wie die Auseinandersetzungen so erfolgen in einer jungen Organisation, die noch nicht so stromlinienförmig ist wie die ältere Konkurrenz. 

Die Gärung treibt manchmal den Korken aus der Flasche. 

Und er macht das zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, weil der BAMF-Skandal gerade einen ganz anderen Korken aus der Flasche treiben könnte.

Jetzt hat die Gärung Gauland selbst hinaus geschossen.

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Kommentare ( 569 )

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569 Comments
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Wolfgang Schuckmann
5 Jahre her

Ich könnte mir denken, dass es Gauland vielleicht deshalb zur Sprache brachte, weil er der Ansicht sein könnte, dass die 12 Jahre des NS nicht als Negativpause für ein Volk schlechthin anzusehen sind, und es in jener Zeit, das weiß ich aus Erzählungen meines Vaters, extrem gefährlich war sein Leben zu verlieren, sollte man sich nicht machtkonform verhalten. Wir können dies natürlich an den Schicksalen der Menschen festmachen, die in dieser Zeit ermordet wurden, nur weil sie nicht der Regierungsmeinung waren. Stauffenberg mit dem Hitlerattentat in der Wolfsschanze, und der Rachejustiz danach an Allen, die damals dafür sorgten, dass wir… Mehr

Aljoschu
5 Jahre her
Antworten an  Wolfgang Schuckmann

Danke, Herr Schuckmann, dass Sie das so sagen. Auch ich habe den Gauland eher so verstanden wie Sie. Aber wer nicht verstehen will, der wird in 100 Jahren nicht verstehen. Im Übrigen wollten nach meinem Verstehen auch Walser und Augstein sen. der geschichtlichen Verabsolutierung des deutschen Faschismus aus genau diesen guten Gründen entgegetreten. Für mich kommt hinzu, dass von einer singulären deutschen Alleinschuld überhaupt nicht die Tede sein kann. Man hat das bereits im Versailler Vertrag für den 1. Weltkrieg versucht und es war spätestens der australische Historiker Clarke, der diesen Versuch als reine Siegerjustiz entlarvt hat. Wenn man nun… Mehr

Babylon
5 Jahre her

Gauland hat den „Vogelschiss“ inzwischen als Fehlleistung beauert, da er Anlass durch Doppeldeutigkeit geben kann, den NS als Bagatelle in der deutschen Geschichte zu sehen, was nicht in seinem Sinn ist, da der „Vogelschiss“ seine, Gaulands, Verachtung für Hitler und den Nationalsozialismus zum Ausdruck bringen sollte.

waller59
5 Jahre her

Die Aussage von Gauland ist sehr bescheiden gewählt. Hätte er zb. Augenblick gesagt, wäre ihm die Zustimmung sicher gewesen. Wo ich ihm zustimmen kann und muss, ist die Aussage, das man die Deutsche Vergangenheit nicht auf die 12 Jahre reduzieren darf. Was hier in Deutschland mittlerweile betrieben wird , gleicht schon dem Masochismus. Natürlich sollte man die Geschichte nicht verleugnen oder verschweigen, zu der Geschichte der Deutschen gehört aber unendlich mehr wie „nur“ die Nazizeit. Es fragt auch keiner, wer die Inkas in Südamerika oder die Indianer in Nordamerika an den Rand der Ausrottung gebracht hat. Genauso wenig kreide ich… Mehr

Abendroete
5 Jahre her
Antworten an  waller59

Diese Antwort ist absolut richtig! Sie verspielen unser Leben, unser Schaffen, die Zukunft aller Deutschen ( Verzeihung) der schon länger hier Lebenden, und dies wird nach 2 Monaten mehr als deutlich. Jetzt sind es Ärzte (Offenburg), die einfach während Ihrer Arbeit abgestochen werden oder Sprechstundenhilfen schwer verletzt. Krankenhauspersonal, Polizei, Feuerwehr wird bald nicht mehr Herr der Lage? Wie lange noch??Wer sind die Naechsten? Wieviel Todesopfer durch diese unsägliche Migrationspolitik sollen wir noch hinnehmen? Wer da sich über einen Schi.. noch aufregt, dem hat man ins Gehirn …….. Deutschland wird sich verändern und darauf freue ich mich von KGE ausgesprochen, zeigt… Mehr

mielforte
5 Jahre her

Was Gauland für die CDU ist Lafontaine für die SPD. AfD und Linke halten ihre jeweilige Mutterpartei CDU und SPD in der Balance (siehe auch Animation „Balance“ auf youtube).
Das ist Politik vom Allerfeinsten. Typisch deutsch. Hier und dort ein paar Antagonismen gestreut, damit der Schwindel nicht all zu offensichtlich wird. Aufklären wird er sich eines Tages ohnehin, wenn die jeweiligen Parteien fusionieren.

mielforte
5 Jahre her

Wie der Mond die Erde stabil in seiner Umlaufbahn hält, so hält die AfD die CDU sicher in der Spur. Durch saublöde Äußerungen wird der Lenkmechanismus betätigt, damit die ganze Schose nicht ins Nirwana abdriftet (sehr anschaulich dargestellt in folgender Animation „Balance“ https://www.youtube.com/watch?v=-flKGPW9QCw). Eingelocht, Herr Gauland, Sie sind auf sicherem Kurs. Gauland ist für die CDU das Pendant zu Lafontaine für die SPD. Beide ringen extern um ihre Mutterpartei und wollen gemäß ihrem Ego auf den Olymp der selbigen. Partisanen!!!

Fragen hilft
5 Jahre her
Antworten an  mielforte

Guten Tag mielforte
Na na na, Sie werden doch wohl nicht meinen wollen, dass eine Alternative nur eine Schein-Alternative für Trotzköpfchen ist. Wie werden Sie denn dann mit dem Vorwurf fertig ein Verschwörungstheoretiker zu sein. Ich mache mir Sorgen. Nicht direkt um Sie, aber dass Sie Recht haben könnten. Schönes Wochenende.

Deucide
5 Jahre her

Es geht um die reale, existenzgefährdende Lage Deutschlands durch illegale islamisch-islamistische Massenimmigration! Meine These: Wenn Deutschland fällt, fällt Gesamteuropa! Wozu also in aller Herrgotts Namen macht Herr Gauland, in Leitungsposition der einzigen authentisch-deutschen Partei, ohne die geringste Not, ohne jeden Zwang eine so absurde wie politisch nur selbstmörderische Aussage? Und nicht das erste Mal! Für den nüchternen Verstand gibt es 3 Möglichkeiten: Entweder ist er immer noch ein Anfänger in der Politik, in der es in erster Linie um Glaubwürdigkeit und das Erreichen von klar definierten Zielen geht. Oder aber, wie in diesem wieder richtigen und klugen Beitrag von Herrn… Mehr

oHenri
5 Jahre her

Wenn ich dieses moralinsauere weinerliche Gejammere hier so lese, scheint mir: Deutschland und seine Wähler haben genau das verdient, was sie dereit bekommen: Verachtung – sowohl von den Migranten (vulgo Flüchtline) wie auch vom gesamten Ausland. Es ist, also ab ganz Deutschland eimem Sado-Kult frönt und alle für etwas leiden wollen, wofür sie einerseits gar nichts können – da damals noch ncith auf der Welt – und wofür Vorgänger längst mehr als genug geblutet haben. Wäre ich Deutscher, würde ich AFD wählen, eal ob ichmit denen einige gehe: man muss doch Prioritäten setzen, und erste Priorität muss sich sein: Weg… Mehr

Donald G
5 Jahre her

Vogelschiss hin, Vogelschiss her. Warum gibt Gauland sämtlichen politischen Gegnern und vor allem den linken Mainstreammedien ständig und völlig ohne Not die Möglichkeit gleich die gesamte AfD in die Nazi Ecke zu stellen, zu diskreditieren und zu verspotten, um dann anschließend seine Aussagen wieder zu relativieren? Wenn er nur sich selbst damit schädigen würde, könnte man noch Mitleid mit einem alten senilen Mann haben. Als Vorsitzender fällt das ohne Überlegung daher gesagte aber massiv auf die ganze Partei zurück und gibt ihren Gegnern nicht nur Munition um zu diskreditieren und zu verleumden, nein, vor allem wird ihnen die Möglichkeit gegeben… Mehr

Markus Hlubek
5 Jahre her
Antworten an  Donald G

Die AfD muss sich strategisch fragen, ob sie die Unfähigkeit der CDU aus der bürgerlichen Mitte heraus aushebeln möchte, oder weiter reine Oppositionspartei bleiben will.
Letzteres führt auf Dauer in die Beteutungslosigkeit, ersteres würde dem Namen der Partei gerecht, eine echte Alternative zu bilden.

Hugo Treppner
5 Jahre her

„Das deutsche Volk hat trotz der Untaten des Nationalsozialismus einen Anspruch darauf, nicht allein nach dieser Epoche seiner Geschichte beurteilt zu werden.“ Das sagte Adenauer mit 70 Jahren kurz nach dem Kriege 1946.

Leonor
5 Jahre her

Maria, Mia, Mirey, Susanna.. MEIN Herz blutet.
Ich will einen Aufschrei darüber. Die Leben dieser Mädchen sind nicht weniger wert als Leben Millionen Opfer im zweiten Weltkrieg!!
Meine Trauer und Verzweiflung sind unendlich. Und ganz ehrlich Herr Tichy, bei all Ihrer berechtigten Kritik, lässt das ganze die Vogelschissdebatte für mich komplett ausblenden. Ich habe nämlich zwei Töchter!

Axel Fachtan
5 Jahre her
Antworten an  Leonor

Sehen Sie, dass ist der Unterschied zwischen historischer Einordnung und individueller Betroffenheit.

Sie haben zwei Töchter, und das erklärt Ihnen die Welt.

Wer aber Welt und Geschichte verstehen will, muss sich aus dem Gefängnis individueller Betroffenheit befreien.

Wenn Merkel seit September 2015 unkontrolliert Mörder und Vergewaltiger ins Land läßt, dann klärt das in keiner Weise die Frage, wie es sich mit Hitler, Stalin und dem 2. Weltkrieg verhält. Wer das nicht trennen und unterscheiden kann, wird nicht weit kommen in seiner Welterkenntnis.

Alexis de Tocqueville
5 Jahre her
Antworten an  Axel Fachtan

Ja, die Politiker denken auch alle sie verstünden Welt und Geschichte. Aber manchmal hilft es, einfach auf dem Boden zu bleiben. Essen, Schlafen, Fortpflanzen und die Seinen beschützen. Hätte Merkel daran gedacht, statt an welterklärende humanitäre Imperative…