Das hässliche I-Wort

Es ist schon eine verkehrte Welt: Jeder, mit dem man spricht, erwartet massive Inflation. Die Statistiken sprechen eine andere Sprache – je nachdem, welche Statistik man zum Lügen bringt, signalisieren sie das Gegenteil: Es drohen Deflation und sinkende Preise. Regierung und Notenbank in Japan warnen vor einer Beschleunigung der Preis-Abwärtsspirale. Inflation und Deflation sind ein Gegensatzpaar, erfordern konträre Verhaltensweisen, haben jeweils andere Gewinner und Verlierer: Bei Deflation gewinnen die Konsumenten.

Jeder Tag, den sie den Kauf eines Autos oder einer Waschmaschine hinauszögern, ist dann ein guter Tag, weil morgen alles billiger zu haben ist. Auch niedrigste Zinsen mästen dann das Sparbuch, weil mit dem Guthaben bald mehr gekauft werden kann. Die Gekniffenen sind Unternehmer, die sich für Fabriken verschuldet haben, Kredite tilgen müssen und täglich weniger für ihre Produkte erlösen können.

Anders bei Inflation: Alles wird dann teurer. Unternehmen können höhere Preise verlangen. Schulden sind sexy, weil sie täglich entwertet werden. Das freut den Staat als größten Schuldner. Überdies kassiert er Mehrwert- und Einkommensteuer auch dann, wenn seine Bürger real immer ärmer werden. Verlierer sind Rentner, die kurzgehalten werden, Arbeitnehmer, deren Löhne langsamer steigen als die Inflation, und Geldanleger, deren Erspartes sich täglich entwertet.

Aber wie kommt es denn nun wirklich? Für Deflation spricht, dass viele Fabriken derzeit nicht ausgelastet sind, dass wegen der schwachen Weltkonjunktur manche Rohstoffe billig bleiben und neue Fabriken in Schwellenländern den Betrieb aufnehmen, die sich mit Dumpingpreisen ein Stück vom Wohlstandskuchen erkämpfen. Folgt auf die grassierende Staatsverschuldung also Inflation? Nicht unbedingt. Es schwimmt gewiss viel Geld herum, aber noch findet es keinen Weg in die Wirtschaft (Seite 102). Bundesbankpräsident Axel Weber gibt sich entschlossen und verspricht, jede Inflationstendenz mit dem Feuerschwert der Geldverknappung und Zinserhöhung zu bekämpfen.

Die Menschen hören die Worte, aber glauben sie nicht. Das I-Wort kriecht durch die Diskussion. Schon werden mit Inflationsangst prima Geschäfte gemacht wie früher mit Subprime-Krediten. Über Inflation als „Exit-Strategie“ für die überschuldeten Staaten diskutieren längst Ökonomen. Weil die Staatsverschuldung so hoch ist, dass sie nicht mehr durch höhere Steuern und staatliches Sparen eingefangen werden kann, müsste sie weginflationiert werden – selbstverständlich kontrolliert. Weltweit wird neues Geld gedruckt wie sonst nur in Simbabwe.

Zwar sind die Notenbanken in Europa und den USA unabhängig und mächtig genug, sich gegen solche Politik zur Wehr zu setzen. Aber kann ein Notenbanker wirklich höhere Zinsen und geringeres Kreditvolumen durchsetzen, wenn die Arbeitslosigkeit sprunghaft ansteigt? Kann ein Notenbanker seinen Finanzminister torpedieren, indem er die Zinsen hochtreibt und damit die Staatsverschuldung unfinanzierbar macht? Nichts ist so schwer wie das Absaugen jener Abermilliarden, die die Regierungen in den Kreislauf gepumpt haben, um den Kollaps der Konjunktur zu verhindern.

Nach der Finanzkrise ist die Welt eine andere – es ist eine Welt, die auf der Geld- und Schuldenwelle surft. Dass die Preise seit Juni erstmals um winzige 0,3 Prozent stiegen und Öl zur Wertaufbewahrung gebunkert wird, sehen manche als Trendwende in eine sich aufheizende Inflationszeit. Kommt es allerdings wieder zu einem Rückschlag der Wirtschaft, könnte die Welt auch schnell in die Deflation zurückfallen. Der Kampf zwischen Inflationisten und Deflationisten ist also noch längst nicht entschieden.

(Erschienen am 28.11.2009 auf Wiwo.de)

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