Transparenz – total

Wenn es um Konten und Steuern geht, fordern viele totale Transparenz. Wo hört das Private auf, was darf die Totalüberwachung?


Ja, man muss seine Steuern zahlen, wenn auch nicht gern. So war und wird es immer sein. Warum also diese Über-Moralisierung, die wir gerade erleben? Vermutlich, weil die unersättliche Geldgier des Staates sich mit der Frustration des Normalverdieners verbrüdert. Der ärgert sich über steigende Steuern – und über diejenigen, die sich davonschwindeln, weil sie noch nicht so ganz total überwacht werden. Die Frage ist – gibt es noch ein Recht auf Privatheit jenseits der Steuerpflicht?


Privatheit, das ist ja mehr als die Vorliebe für eine Joghurtsorte oder sexuelle Praktiken – es geht auch um das, was den Menschen erst materiell unabhängig macht: das liebe Geld. Es ist wesentlicher Teil unserer Privatheit. Privat ist daran längst nichts mehr, was man bei der jährlichen Steuererklärung unbedingt beachten sollte. Die Unterschrift ist ein selbst ausgestelltes Todesurteil, wenn sich ein unbeabsichtigter Fehler eingeschlichen haben sollte. Das Bankgeheimnis wurde schon in den Achtzigerjahren geknackt. Das Versteck in der Zürcher Bahnhofstraße steht längst so offen wie ein Scheunentor. Es hatte etwas Zynisches, wie die Schweizer erst die Reichen aller Länder in ihre Tresore lockten und sie jetzt gnadenlos an die Häscher ausliefern; Verrat wird auf Schwyzerdütsch buchstabiert. Es folgte das Ende der Privatheit bei der Strafverfolgung. Wir alle haben das Bild im Kopf, wie der damalige Post-Chef Klaus Zumwinkel frühmorgens im Vorgarten den Kameras zum Fraß vorgeworfen wurde. Eherne Formeln des Rechtsstaats wie „im Zweifel für den Angeklagten“ gelten ebenso wenig wie die Unschuldsvermutung – wenn es um Steuern geht, dem offenbar allerhöchsten Rechtsgut des gierigen Staates. Längst operieren Staatsanwälte geschickt mit der Veröffentlichung von Akten und Beschuldigungen, um im Kampf mit den Bösen zu obsiegen oder sich gegen übermächtige Anwaltsheere der Betroffenen zur Wehr zu setzen.
Denn der Zweck heiligt die Mittel, und zwar alle. Die Finanzminister des Landes NRW kauften Steuer-CDs, deren Inhalt gestohlen und unter Verstoß gegen Datenschutzrechte zustande kam. Seither verfügen die Finanzämter über ungeheures Drohpotenzial und Erpressungsmittel. Selbstanzeigen und daraus resultierende Steuermilliarden sind die gewünschte Seite des Ertrags. Der eine oder andere Sachbearbeiter aber erlegt nebenbei auch einen Promi, der ihm nicht gefällt. Seit dem Fall Uli Hoeneß wissen wir: Auch das Steuergeheimnis gilt nicht mehr.
Und warum soll sich ein kleiner Finanzbeamter an Gesetze halten, wenn der Chef damit Politik macht? Rechtsstaatlichkeit wird nicht mehr von oben vorgelebt, sondern nur gespielt. Und dann – willkommen im Altherrenclub der Steuerhinterzieher, Alice Schwarzer! Da trifft sie Klaus Wowereits Staatssekretär. Die Lust am Steuerhinterziehen ist weltanschaulich neutral, wen wundert’s? Keiner zahlt gerne. Das sollte man nicht verlangen. Masochismus darf nicht staatlich verordnet werden.
Das Private ist heute öffentlich. Wer Steuern hinterzieht, ist „asozial“, sagt der Bundespräsident. Verdächtig ist schon, wer ein Konto im Ausland hat. Der gute Deutsche bleibt bei der Sparkasse. Das Ziel der fiskalischen Totalüberwachung ist erst erreicht, wenn auch das Bargeld abgeschafft ist. Dann ist alles transparent, Ziel erreicht?
Gleichzeitig klagen wir über die Abhöraktion der Amerikaner. Der Unterschied ist nur: Sie machen es in Realtime, während die Unseren bisher noch zufällig angebotene Steuer-CDs kaufen, das Trägermedium des vorigen Jahrhunderts. Nur die Verschwendung der eingetriebenen Steuern durch Verwaltung und Politik – das bleibt straffrei. Immer und ewig.

(Erschienen auf Wiwo.de am 08.02.2014)

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