Die Motorsäge greift

Ministerien geschlossen, Bürokratie abgebaut, Inflation reduziert, Kriminalität bekämpft - Die Bilanz der ersten 8 Monate Argentiniens unter Javier Milei liest sich beeindruckend. Dennoch ist in Argentinien noch längst nicht alles eitel Wonne. Eine Zwischenbilanz.

picture alliance / Anadolu | Luciano Gonzalez

Kaum ein Politiker traf bei seinem Amtsantritt auf größere Erwartungshaltungen, als Javier Milei nach seinem radikal-libertären Kettensägen-Wahlkampf des Vorjahres. Die radikale Streichung des bürokratischen Filzes bei gleichzeitiger ökonomischer Schocktherapie machte sich im “Afuera!”-Wahlkampf zwar gut, doch wie viel davon würde tatsächlich umsetzbar sein? Nach etwas über acht Monaten im Amt lässt sich jetzt bereits sagen: Mehr als man dachte. Das heißt aber nicht, dass dieser Weg über Rosen ging.

So wurden unter Milei bereits 8 Ministerien geschlossen und insgesamt verloren 30.000 Staatsbedienstete ihren Job im zuvor aufgeblähten Verwaltungsapparat. Das führt zwar zu einer Entschlackung der Bürokratie, offenbart aber an anderer Stelle, wie umfassend das bürokratische Netz vor Milei bereits war. Die Provinz La Rioja führte nun nämlich eine eigene Währung ein, um die Wirtschaft in der Provinz wieder anzukurbeln. Denn sage und schreibe zwei Drittel der berufstätigen Bevölkerung in La Rioja sind Verwaltungsangestellte, die Provinz war im Februar nach den massiven Kürzungen Mileis offiziell zahlungsunfähig geworden.

Ebenfalls im Februar stieg die Zwölf-Monats-Inflation Argentiniens auf unfassbare 276 Prozent an – damals der weltweit höchste Wert! Seitdem hat es Milei geschafft, mit seinen Reformen die Monatsinflation von über 25% auf unter 4% zu drücken. Bei Lebensmitteln gelang es Milei sogar, erstmals seit 30 Jahren keine Inflation zu verzeichnen. Und auch wenn Pensionisten aufgrund des Wegfalls von Sozialstaatsbonbons noch immer gegen Milei und seine Reformen protestieren, so verzeichnen auch die Renten einen realen Anstieg von 5% gegenüber dem Wert beim Amtsantritt Mileis.

Vor allem die wirtschaftlichen Reformen benötigen Zeit, um im Bewusstsein der Bevölkerung anzukommen. Während der Wegfall bestimmter Förderungen sofort und unmittelbar spürbar ist, wird ein effektives Plus häufig erst mit zeitlicher Verzögerung wahrgenommen. Aber die Zahlen sprechen für Milei: Der freie Fall des Pesos konnte gestoppt werden, die Zentralbank wurde saniert und Importzahlungen erfolgen mittlerweile zu 90% zeitnah. Dazu kommt, dass mit der Gesundung der Wirtschaft nach wie vor weitere Deregulierungen einher gehen. Seit Juli sinkt nun erstmals auch wieder die Zahl der armutsgefährdeten Haushalte.

Gewiss, wo gehobelt wird, da fallen Späne. Afuera! Und ein weiter Teil linkslastiger Medien greift diese Späne bereitwillig auf und versucht daraus einen Splitter im Auge Mileis zu zimmern. So berichtet die Deutsche Welle nicht nur von den anhaltenden Protesten von Rentnern, sondern unterhält sich auch mit einer ehemaligen Verwaltungsangestellten mit lila Haaren, die im Zuge der Milei-Kürzungen ihren Job verlor. Es mag auf persönlicher Ebene immer bedauerlich sein, aber die hochnötige Entbürokratisierung wird immer dazu führen, dass manch individueller Lebensweg auf die Probe gestellt wird. Argentinien ist hier nicht das Ende, sondern der Anfang eines Prozesses, der noch viele andere Länder erfassen sollte.

Bekämpfung von Kriminalität und außenpolitisches Selbstbewusstsein

An anderer Stelle lassen sich Mileis Erfolge aber nicht umdeuten, höchstens verschweigen. Denn es gelang Milei mit hartem Durchgreifen der Exekutive gegen organisierte Gewalt, mehrere Banden zu zerschlagen, die Zahl der Drogenrazzien stieg um 500% an und in der Mordhauptstadt Argentiniens, Rosario, konnte die Mordrate um gleich 70% reduziert werden. Damit gelang es Milei Argentinien, binnen kürzester Zeit zum sichersten Land Südamerikas zu machen.

Entsprechend steigt nun auch wieder die Zustimmung für Milei im Land. Auch sein außenpolitischer Kurs hat, einigen Unkrenrufen zum Trotz, bislang vor allem Vorteile für Argentinien erwirkt. Mileis Abkehr von den BRICS hindert die seit 2022 in Argentinien präsente “Belt and Road Initiative” Chinas nicht, weiter Geschäfte zum Ausbau erneuerbarer Energien in Argentinien zu machen. In bester realpolitischer Manier geht Milei vor allem den Weg, der ihm und Argentinien am Besten erscheint. So ist die Absage an die BRICS nicht nur ideologisch zu verstehen, sondern vor allem auch ein Zeichen an das B in den BRICS, nämlich den großen südamerikanischen Konkurrenten Brasilien.

So überrascht es auch nicht, dass Milei im derzeitigen Konflikt Brasiliens mit Elon Musk immer wieder die Führung des Nachbarlandes angreift. Dessen prominente Rolle innerhalb der BRICS machte Mileis Bekenntnis zur NATO auch weniger zu einer Frage strikter Ideologie, sondern vielmehr zur selbstbewussten Aufnahme des Fehdehandschuhs um den Führungsanspruch in der Region. Diesen Anspruch unterstreicht wohl auch der Ankauf von F-16 Kampffliegern, die im Süden des Landes die Interessen Argentiniens in ihren Hoheitsgewässern absichern sollen.

Milei jongliert die Motorsägen bei seinem Drahtseilakt

Es wäre aber natürlich illusorisch zu glauben, es gäbe keine Schattenseiten. Denn der progressive polit-mediale Komplex arbeitet international – auch in Deutschland – intensiv an einer Diffamierungskampagne Mileis. Der Spiegel, zum Beispiel, sorgt sich plötzlich wieder um die Freiheitsrechte (am anderen Ende des Globus) und widmet einen ganzen Artikel der finanziellen Aufstockung des Geheimdienstes durch Milei. Böse Erinnerungen an dunkle Zeiten würden dabei wach, der politische Widerstand rege sich auch unter den Verbündeten. Anhänger von Mileis Reformen berichten hingegen von einer Beendigung der Bespitzelung des eigenen Volkes.

Was allerdings stimmt: Nicht alle Weggefährten Mileis sind auf gleicher Linie. Das war allerdings schon bei Amtsantritt bekannt und spricht für den bewussten Versuch, bei der Regierungsbildung die Breite der Gesellschaft abzubilden. Dennoch brodelt es zwischen Milei und seiner Vizepräsidentin Victoria Villarruel, die u.a. eine Berufung zum Höchstrichter Mileis torpedierte. Im Gegenzug kritisierte Milei eine (zurückgenommene) Diätenerhöhung des Senats, die Villaruel mitverantwortete, scharf als “Verrat am Volk”. Die traditionelle Katholikin atmet nicht den radikal-libertären Geist Mileis und manche Zeitungen Argentiniens berichten sogar von konspirativen Treffen Villaruels mit Ex-Präsident Macri.

Doch auch hier gilt zu bedenken, dass fast jede Berichterstattung über die Erfolge oder Misserfolge Mileis von eigenen Interessen geprägt ist. So ist es sicherlich zu früh, den Umbau Argentiniens als durchschlagenden Erfolg oder gar abgeschlossen zu feiern. Andererseits sagen auch Presseberichte über eine bevorstehende Palastrevolte gegen Milei wohl mehr über das Wunschdenken ihrer Autoren aus, als über die Realität.

Letztere erweist sich wie so oft als Drahtseilakt. Die zahlreichen Entlassungen im öffentlichen Sektor, sowie der wirtschaftliche Umbau Argentiniens haben die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen lassen und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die Früchte der Reformen bis in die tiefsten Winkel der Gesellschaft durchgedrungen sind. Bis dahin kann noch vieles passieren: Interne Revolten, von außen herangetragene Schmutzkampagnen, außenpolitische Spannungen – das Minenfeld der Realpolitik ist in Argentinien nach wie vor nicht geräumt. Aber die ersten Erfolge Mileis sind unübersehbar und wenn er die Gelegenheit bekommt, sein Projekt fortzusetzen, wird es spannend sein zu sehen, ob und wie sich ein Land in kurzer Zeit zum Positiven verändern kann. Eine Lektion, von der viele andere Länder – inklusive Deutschland – womöglich bald lernen könnten.

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Kommentare ( 15 )

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15 Comments
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Tacitus
28 Tage her

Ich durfte Argentinien beruflich mehrfach bereisen. Ja, ich empfinde es noch heute als absolutes Privileg. Tolles Land, tolle Menschen! Schattenseiten gibt es jedoch auch zur Genüge. Die extreme Kriminalität war immer allgegenwärtig, so wie in Brasilien, Peru oder Kolumbien allerdings auch. Rosario kenne ich übrigens sehr gut. Den überbordenden Behördenapparat musste ich mehrfach erdulden. Die mittelständischen Unternehmer in Argentinien sind nicht nur sehr gut, sondern sogar wahre Lebenskünstler. Die meisten Menschen in Europa können sich gar nicht vorstellen, aus welchem ‚Holz‘ man in Argentinien geschnitzt sein muss, um unternehmerisch erfolgreich sein zu können. Inflation ist da lediglich ein Thema von… Mehr

Mausi
28 Tage her

entbürokratisierung: bei uns kommen bürokraten noch die menschen hinzu, die im sozialen netz liegen und diejenigen, die von subventionierten jobs leben. und diejenigen, die nicht mint studieren oder studieren bis zur rente. das sind viele, viele menschen.

Nibelung
28 Tage her

Welches Staatswesen ist schon ideal? Der Hitleriismus, Stalinismus und Maoistmus war es ganz bestimmt nicht, die anderen Formen wie die autokratische Staatsführung in Singapur ist auch nicht überzeugend, weil die bürgerliche Entscheidung fehlt und deshalb nur wenige Systeme sich wirklich eignen, wie z.Bsp. Demokratien die vom Volk auf Zeit gewählte Politiker ernennen um deren Interessen zu vertreten, sofern diese sich nicht verselbstständigen und das Recht zu ihren Gunsten aushebeln um damit größere Schäden anzurichten, wie es eigentlich vorgesehen war. Der Versuch von Milei in Argentinien ist im Gegensatz zu vielen Ländern in Europa noch zu retten was zu retten ist… Mehr

MarcusPorciusCato
29 Tage her

Argentinien stiftet Hoffnung für Europa. Anhand dieses Beispiels müssen wir erkennen, dass die Kursänderung schon vor dem absoluten Tiefpunkt erfolgen muss!

Unglaeubiger
29 Tage her

Wenn er es noch schaftt, dem Einfluß der USA und des WEF zu widerstehen, die Bodenschätze des Landes nicht an ausländische Unternehmen zu verscherbeln, der Korruption widersteht, dann ist er ein wirklicher Segen für das Land. Möge es ihm gelingen, die Menschlein in diesem Land hätten es verdient.

NochNicht2022
29 Tage her

Das Bild mit der „Motorsäge“ ist nicht unklug gewählt. Ist wohl deutlich besser als den „Faulen“ (in der öffentlichen Verwaltung: Bund bis hinunzter zu den Groß-Kommunen) mit dem „Gummiknüppel“ daherzukommen … Phantastisch: „So wurden unter Milei bereits 8 Ministerien geschlossen und insgesamt verloren 30.000 Staatsbedienstete ihren Job im zuvor aufgeblähten Verwaltungsapparat.“ Solche Orte gibt es wie Bonn und den 16 Landeshauptstädten (+ Brüssel, Rom, Paris, Warschau usw. sowieso) bei uns auch … Im Übrigen: Acht Monate sind keine Zeit um das insgesamt beurteilen zu können. Im Falle Argentiniens wurde aber wohl Gigantisches erreicht. Ein Übertragen der geschilderten Maßnahmen/Indikatoren wären für… Mehr

GR
29 Tage her

Es ist schwer, auszuhalten, daß man nur ein kleines Licht ist. Das ist das Problem mit der Freiheit. Man hat alle Möglichkeiten, und dann kommt das raus, was rauskommt. Ich wünsche Milei viel Erfolg.

Hannibal ante portas
29 Tage her

Damit wirklich möglichst viele Menschen ihre Kreativität und ihren Fleiß in einer neuen Wirtschaftsordnung erfolgreich einbringen können und eben nicht nur die Reichen immer reicher und die Armen noch ärmer werden, ist es entscheidend in welcher Reihenfolge die Bürokratie abgebaut wird. Der Weg ist das Ziel! Den absolut utopischen libertären Musterstaat wird auch Milei nicht errichten können.

Hannibal ante portas
29 Tage her

Auch wenn mir die libertäre Grundidee sehr, sehr viel näher liegt, als die jegliche Freiheit erstickende sozialistische Staatsidee. So muss ich doch sagen, dass alle beiden „Ideale“ unerreichbare Utopien sind. Aus meiner Sicht auch gefährliche! Zum Sozialismus brauche ich hier auf dieser Plattform wohl nichts sagen. Der libertäre Staat wäre ein Widerspruch in sich, da absolut jeder Staat Steuern erheben muss (zumindest solange er nicht auf einer Ölquelle sitzt), um seine Aufgaben zu finanzieren. Auch wenn dies nur innere und äußere Sicherheit und das Justizwesen sein sollten.

Hape
29 Tage her
Antworten an  Hannibal ante portas

Die libertäre Idee führt letztendlich zum Raubtierkapitalismus und der Sozialismus zum Kommunismus mit all seinen bekannten Folgen. Daher gefällt mir die Idee der sozialen Marktwirtschaft a la Ludwig Erhard immer noch am Besten.

Ordoliberal
28 Tage her
Antworten an  Hape

Ludwig Erhards sogenannte „soziale“ Marktwirtschaft war nichts anderes als freie Märkte plus Pflichtversicherungen. Also Libertarismus im Sinne der Freiburger Schule. Erhardt war ein Ordoliberaler. Aber er kannte seine Deutschen: Wenn Politik nicht irgendwie „sozial“ ist, bocken sie. Deutschland ist eben ein seit vielen Jahrhunderten von Untertanen bevölkertes Land. Das Wort „sozial“ hatte keinen anderen Zweck, als den Deutschen zu signalisieren: „Keine Angst! Papa Staat passt schon auf euch auf! Ihr habt weiterhin einen gnädigen Fürsten!“

Ordoliberal
28 Tage her
Antworten an  Hannibal ante portas

Selbst Ludwig von Mises, der Gottvater der Libertären, hat den Staat für notwendig und seine Finanzierung durch Steuern für richtig gehalten. Dem Libertarismus geht es nur darum, dass sich der Staat auf seine Kernaufgaben besinnt: Landesverteidigung, öffentliche Ordnung, Marktordnung, Allmendeverwaltung. Alles andere können private Organisationen besser. Insbesondere hat sich von Mises für die Pflichtversicherung von Lebensrisiken wie Krankheit und Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen. Wie er überhaupt das Versicherungsprinzip als ein marktwirtschaftliches Prinzip schätzte. Er hat nur darauf aufmerksam gemacht, dass Versicherungsdienstleistungen effektiver von Privatunternehmen angeboten werden. Außerdem war er für flat rates. Schon ein staatlich vorgeschriebener Verzicht auf Risikoprämien ist ja eine… Mehr

Hannibal ante portas
28 Tage her
Antworten an  Ordoliberal

„Was ist daran bitte utopisch?“ Ganz einfach: der Weg dorthin, das tatsächliche alltägliche politische Leben in einer demokratischen Gesellschaft mit nicht unerheblichen Partialinteressen. Dieser Weg hätte hierzulande erst dann eine Chance, wenn wirklich kein Geld mehr da ist UND (viel wichtiger!) niemand mehr da ist, der uns dieses leiht. Ganz konkret: wenn die große Mehrheit der angehenden Rentner versteht, dass definitiv alle ihre Rentenzahlungen nicht bis zur Auszahlung in Fort Knox „zwischengelagert“ wurden, sondern schon weg sind und niemand mehr da ist, der „Lust“ hat, weiterhin in die Rentenkasse einzuzahlen.

Wilhelm Roepke
29 Tage her

Tja, das was die Sozialisten immer schon am meisten gehasst haben, ist der Erfolg freiheitlicher Länder. Weswegen auch eine in ferner Zukunft eventuell vorhandene demokratische Weltregierung zum Weltsozialismus führen wird, denn dann wird es keine Vorbildstaaten mehr geben.