Die Merz-Wende: Hat er sich verplappert?

Mit dem impliziten Einreißen der Brandmauer löste Friedrich Merz ein politisches Erdbeben aus. Einige feiern bereits eine „Merz-Wende“ oder „Merz-Revolution“. Doch war es vielleicht nur ein Versehen? Das planlose Handeln der CDU deutet darauf hin. Nicht die AfD sollte aus der Brandmauer befreit, sondern Grüne und SPD dagegen gedrückt werden.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | E. Noroozi

„Ich gucke nicht rechts und nicht links, ich gucke nur geradeaus“, sind die Worte, mit denen Friedrich Merz ein politisches Erdbeben auslöste. Denn sie bedeuten nicht weniger als ein Ende der Brandmauer. Doch kann es sein, dass Merz sich sprichwörtlich verplappert hat?

Wenn in Berlin ein politischer Schachzug ansteht, wird er minutiös vorbereitet. Als Bundesinnenministerin Nancy Faeser die angeblichen „Reichsbürger-Putschisten“ um Heinrich Prinz Reuß festnehmen ließ, waren die Medien vorher informiert und standen bereit. Wenn Parteien einen Kurswechsel vornehmen wollen, werden nur ungeliebte Journalisten nicht informiert – die Hofberichterstatter wissen es vorher und können ihre Fragen und Texte vorbereiten. So funktioniert die Korruption durch Nähe zur Macht. Die Parteiführung hat ihre Phrasen auswendig gelernt, Presseerklärungen liegen bereit. Echte Überraschungen gibt es hier nur, wenn höhere Gewalt im Spiel ist. Oder eben ein Versehen.

Auf die „Merz-Revolution“ war niemand vorbereitet, weder seitens der Presse noch der Parteien. Ein Blick in die Medienlandschaft verrät das. Die sonst gut informierten Journalisten des inneren Kreises mussten sich damit begnügen, Stunden nach der Präsidiumssitzung der CDU am Donnerstagabend über den Inhalt dieser Sitzung zu berichten – nachdem Merz seine Bombe bereits gezündet hatte.

Das ist insofern beachtlich, als dass sonst die Vertraulichkeit solcher Sitzungen kaum bis zum Ende der Sitzung hält. Zu gerne plaudern Politiker über Parteiinterna. Auch die kopflosen Reaktionen der CDU am Freitag lassen darauf schließen. Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, muss wissen, was in der Partei passiert. Im Morgenmagazin (Moma) der ARD schließt er „jede Zusammenarbeit mit der AfD“ aus, „vor der Wahl“ wie „nach der Wahl“. Wie kann es also sein, dass Friedrich Merz verkündet, er würde jetzt „nicht links, nicht rechts gucken“?

Es ist kaum vorstellbar, dass die Grünen-nahen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Daniel Günther so einen Plan nicht durchgestochen hätten – wenn sie davon gewusst hätten. Wenn es diesen Plan gegeben hätte. Der Protest regt sich erst im Nachgang. Anonyme Mitglieder des Bundesvorstands ätzen bei befreundeten Journalisten nun gegen Friedrich Merz – Julian Reichelt von Nius behauptet, darunter sei auch der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe.

Wer einmal mit der AfD zusammenarbeitet, um die Grenzen zu schließen, kann schlecht erklären, warum man mit ihr nicht auch zusammenarbeiten könnte, um Atomkraftwerke zu reaktivieren oder einen Habeckschen Heizhammer zu stoppen. Damit sie funktioniert, muss eine Brandmauer absolut sein.

Die CDU versucht sich jedenfalls in Schadensbegrenzung – oder zumindest in etwas, das sie dafür hält. Merz schließt ausdrücklich aus, dass man einem migrationskritischen Antrag der AfD im Bundestag zustimmen könnte. Stattdessen sollten andere Parteien, darunter zufällig auch die AfD, seinem Antrag zustimmen. Der erst noch eingebracht werden muss. Wenn Merz „nur geradeaus“ schaut, warum? Vielleicht, weil seine Strategie eine andere war.

Carsten Linnemann gibt im Interview mit ntv hierzu einen Hinweis. Denn er spricht nicht davon, dass man zusammen mit der AfD, FDP und freien Abgeordneten die Grenzen schließen möchte – eine solche Spontankoalition wäre nötig, um Erfolg zu haben. Stattdessen wirbt er für eine „Mehrheit der Mitte“. Dass die CDU ihre Sprachregelung zur AfD geändert haben könnte, um sie in den Kreis der Parteien der „politischen Mitte“ einzuschließen, scheint unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Viel wahrscheinlicher ist, dass der Plan der CDU ein anderer war.

Indem Merz einen migrationskritischen Antrag im Bundestag einbringt, setzt er die Grünen und die SPD unter Druck. Nach dem Doppelmord von Aschaffenburg, den Anschlägen von Mannheim, Solingen und Magdeburg verlangen auch deren Wähler nach einer Neuausrichtung der Politik. Eine Neuausrichtung, die die Funktionäre dieser Parteien zu verhindern suchen. Und Merz braucht die Grünen und die SPD, wenn er Kanzler werden möchte. Eine Koalition mit der AfD ist für ihn unmöglich, nachdem er diese mit den schärfsten möglichen Worten ausgeschlossen hatte. Wollte Merz also Scholz und Habeck an die Wand spielen, sie seiner Politik gefügig machen?

Dafür spricht, dass Friedrich Merz selbst keine Aussagen trifft, bei denen er explizit Stimmen von der AfD für seinen Antrag fordert. Stattdessen streift er sie als unerheblich ab. Wenn die AfD zufällig auch für seinen Antrag stimmt, dann ist das halt so, interessiert ihn aber nicht. Auf dem Nachrichtendienst X formuliert er an die Macht-Parteien im Bundestag: „Ich fordere den Bundeskanzler, die SPD, die Grünen und die FDP auf: Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen. Die nächste Sitzungswoche gibt Ihnen dazu die Chance. Die Bevölkerung hat das Recht zu wissen, ob die Parteien es jetzt ernst meinen. Wir bringen die nötigen Anträge dazu ein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass SPD, Grüne und FDP gegen mehr Sicherheit für die Menschen in unserem Land stimmen.“

In einer internen CDU-Mitteilung vom Donnerstagabend steht, dass auf mögliche Unterstützung der AfD „keine Rücksicht“ zu nehmen sei. Und weiter: „…CDU und AfD haben im Bundestag keine Mehrheit, was die gestern präsentierten Punkte angeht. Auch hier die klare Ansage vom Parteivorsitzenden: Ohne die Umsetzung dieser Punkte [zur Migration, Anm. d. Red.] keine Koalition mit irgendjemandem.“

In diesem Fall war die Formulierung, er, Friedrich Merz, schaue „nicht links, nicht rechts, sondern nur geradeaus“, eine unbedachte rhetorische Floskel. Eine Formulierung, die er – verliebt in die eigene rhetorische Brillanz – von sich gegeben hat und mit der er die Mauer fallen ließ. Eine unbedachte rhetorische Floskel, über die Friedrich Merz nun in ein neues Zeitalter der deutschen Politik stolpern könnte – oder in die komplette Unglaubwürdigkeit.

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Kommentare ( 83 )

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elly
12 Tage her

noch immer finden rund 12- 14% der Wählerschaft die Politik der Grünen gut bzw. sind Profiteure Grüner Politik.
In Österreich fiel die Brandmauer auch deswegen, weil die Grünen lediglich 8% der Stimmen erhielten.

Warte nicht auf bessre zeiten
12 Tage her

Ich wundere mich immer, wieviele Kommentatoren hier in die Zukunft schauen können. Es sind sehr turbulente Zeiten. In solchen Zeiten entwickeln sich unvorhersehbare Eugendynamiken, einfach weil zu viel gleichzeitig passiert. In schlichten Kausalketten zu denken, ist da sinnlos. Die Lage jetzt ist vergleichbar mit einem Billardtisch voll Kugeln, zwischen die nicht nur eine fällt, sondern immer wieder unerwartet neue.

Alleswasrechtist
12 Tage her

Sarrazin bspw. kann sicher genauso wenig in die Zukunft schauen, gleichwohl sind seine Grundannahmen inzwischen über viele Jahre hinweg bestätigt worden. Ich fürchte, Ihre Einschätzung ist entweder zu wohlmeinend oder, Verzeihung, eher dümmlich.

martinique
13 Tage her

Die Päpste des Mittelalters haben unliebsame Gegner mit dem „Bannfluch“ belegt. Die Verfluchten wurden quasi aus der Menschheit ausgeschlossen. Wie etwa Martin Luther 1521 („Bannbulle“). Hat aber damals schon nicht funktioniert.
Heute nennt man es „Brandmauer“ und es ist nicht der Papst, der verflucht.

Last edited 13 Tage her by martinique
Horst Hauptmann
13 Tage her

Mal ehrlich: er hatte keine andere Wahl. Was wäre passiert, wenn die AfD seine Punkte im Bundestag eingebracht hätte? Dann hätten nicht nur SPD und Grüne blank ziehen müssen sondern auch die CDU. Fazit: AfD wirkt, auch wenn sie von einer sogenannten „demokratischen Mitte“ undemokratisch ausgegrenzt wird. Sie wirkt als Druckmittel. Deshalb mein Rat an alle: auch wenn die CDU die Wahl gewinnen sollte – unbedingt weiter die AfD aufbauen, bis sie in einer Koalition mit der CDU ist.

Alleswasrechtist
12 Tage her
Antworten an  Horst Hauptmann

Letzteres ist sicher richtig. Aber blank ziehen hätte niemand müssen. Superrotgrün (einschl. CDU, FDP bis Ampelbruch) gefällt sich darin, die sachlich sinnvollsten Anliegen des polit. Gegners abzulehnen, zu diskreditieren, und bekommt dafür Lob vom GEZ-TV und Verdienstorden von Frank dem Spalter.

Elmar Hofmann
13 Tage her

10 Aspekte zum Thema Merz:        Merz und Rückgrat? Rückrad ja, im Sinne der fleißig eingeübten Rolle rückmerz, einer Nummer aus der Merz’schen Verbalakrobatik. Merz und Politik? Politikerwechsel ja, aber mit ihm als blackrockigem Frontmann. Politikwechsel: Nein, denn es grünt so grün bei der Union. Merz als Kanzler? Eine merk(el)würdige Vorstellung. Merz und Versprechen? Merz verspricht nichts, Merz verspricht sich. Merz und Mut? Eine flache Alliteration; die Begriffe haben nur den Anfangsbuchstaben gemein. Merz und Revolution? Ein primitiver Rechtschreibfehler; es gibt nur die März-Revolution. Merz und Geschichte? Zum schmalspurigen Caesarenwahn passen die ‚Iden des Merz‘. Merz und Brandmauer? Passt ganz gut… Mehr

Juergen Schmidt
13 Tage her

Es wird keine Wende geben. Es ist – wie seit über zehn Jahren üblich – das »rechts blinken und dann doch links abbiegen« vor/nach den Wahlen.
Nur jetzt mit großer Dramatik und mit sehr viel Getöse.
Die CDU-Politiker haben damals den UN-Migrationspakt im Bundestag mitbeschlossen, und den werden sie weiter artig umsetzen.
Die Tragödie ist aber, dass wieder Millionen Deutsche keine Lust haben sich mit Politik zu beschäftigen, und sich wieder von der CDU betrügen lassen werden.

Logiker
13 Tage her

Es müsste jetzt bei der CDU Schlag auf Schlag gehen – ähnlich wie bei Trump.

Anträge, Gesetze, Untersuchungsausschüsse bei Corona, Klimairrsinn, Bildung, Gesundheitswesen, Energiepriese, Lebenshaltungskosten, Steuern, NGO-Verbote etc. pp.

Glaubt hier irgend jemand daran?
Man wird sich in den Migrationsmaßnahmen, falls sie erfolgreich werden, sonnen bis zur nächsten Wahl.

Last edited 13 Tage her by Logiker
Cimice
13 Tage her

Natürlich wird die Merz-CDU die „Brandmauer“ nicht fallen lassen, sondern mit Rot-Grün die nächste Regierung bilden. Schon allein dazu wird Merz etliche seiner Vorhaben streichen müssen, es wird härteste Koalitionsverhandlungen geben. Anschließend wird er – in den massgeblichen Punkten, wie Migration, Energie – immer wieder auf die Stimmen der AfD zurückgreifen müssen. Das heisst: Ohne die AfD wird Merz nicht wirklich so regieren können wie er vielleicht möchte und wie er jetzt vorgibt. Und das ist paradox. Während Merkel nie ein Problem mit der Opposition hatte, weil sie ganz in deren Sinn regierte, braucht Merz die Opposition sogar, um überhaupt… Mehr

HRR
13 Tage her

„Nach dem Doppelmord von Aschaffenburg, den Anschlägen von Mannheim, Solingen und Magdeburg verlangen auch deren Wähler nach einer Neuausrichtung der Politik. Eine Neuausrichtung, die die Funktionäre dieser Parteien zu verhindern suchen.“

Das Land befindet sich unbestreitbar in einem inneren Sicherheitsnotstand.
Jeder Partei im Bundestag würde es gut anstehen die für eine schnelle Verbesserung der unhaltbaren Zustände erforderlichen politischen Maßnahmen im Bundestag zu beschließen.
Der Zeitpunkt vor der Wahl ist geradezu ein ausgezeichneter. Der Wähler hat die einmalige Gelegenheit seine Wahlentscheidung an den Taten der Parteien zu messen, nicht an ihren wohlfeilen Reden.

Paroline
13 Tage her

Sei es nun die CDU oder die SPD… ich verstehe nicht, wie überhaupt IRGENDJEMAND künftig einen Antrag zu auch nur geringen Verbesserungen im Bundestag einbringen will. Die AfD sitzt im Bundestag und wird überall ihre Stimme abgeben. Die logische Konsequenz von „nicht mit den Stimmen der AfD“ ist: „Wir können/wollen nichts ändern“.
Merz wird hoffen, dass einige SPD- und Grünen-Wähler CDU wählen, wenn vernünftige Forderungen von denen nächste Woche abgelehnt werden.
Im Übrigen bin ich dafür, dass es im Bundestag nur noch geheime Abstimmungen gibt, damit endlich dieser unsägliche Fraktionszwang endet und Abgeordnete tatsächlich nur ihrem Gewissen verpflichtet sind!