Verlorene Monate für eine supranationale Organisation, die nach außen hin ihre eigene Position nicht oft genug als historische Unabdingbarkeit verkaufen kann, aber im Grunde selbst nicht weiß, wie sie ihre historische Beständigkeit begründen will.
Die Europäische Union redet am liebsten über sich selbst. Es ist eine Autosuggestionsübung. Täte sie es nicht, sie könnte an ihrer eigenen Existenz zweifeln. Seit Allerheiligen sollte die neue Kommissionsführung im Amt sein. Ursula von der Leyen wartet als ungeduldige Prinzessin auf dem Thron, aber das Hofzeremoniell gestattet ihr nicht die Nachfolge. Der kranke König Juncker bleibt geschäftsführend im Amt, obwohl ein Aneurysma erst kürzlich die Grenzen seiner eigenen Macht aufzeigte. Dass von der Leyen ihre Kommissare ein halbes Jahr nach der Europawahl noch nicht um sich geschart hat, liegt dabei nicht nur am fehlenden britischen Amtsträger, der im Gänseblümchenzupfen um den Brexit noch nicht festgelegt werden konnte. Die Kandidaten aus Frankreich, Rumänien und Ungarn müssen immer noch vom EU-Parlament geprüft werden. Der geschlechtliche Proporz bei der Kandidatensuche – wir leben in paritätischen Zeiten, in denen offensichtlich die richtigen Sexualorgane mehr über die Qualifikationen aussagen als die Kompetenz – tat sein Übriges.
Verlorene Monate für eine supranationale Organisation, die nach außen hin ihre eigene Position nicht oft genug als historische Unabdingbarkeit verkaufen kann, aber im Grunde selbst nicht weiß, wie sie ihre historische Beständigkeit begründen will. Die Werte, welche die EU vertritt, könnten überall auf der Welt vertreten werden; der Einsatz für Menschenrechte und Frieden ist keine genuin europäische Sache, das Bekenntnis zu Anti-Diskriminierung könnte ebenso gut in Australien oder Neuseeland stattfinden. Ein überzeugendes Narrativ ihrer Existenz hat die EU bis heute nicht vorgelegt: Frieden allein sicherte auch das Osmanische Reich in den von ihm befriedeten Teil der Welt.
Während sich die EU zu nichts zu bekennen traut und sich am Ende der Geschichte wähnt, lechzen jene Völker, die jahrzehntelang unter dem sowjetischen Joch darbten, nach dem Wiedereintritt in die Geschichte. Wie ist anders der Bund der Visegradstaaten zu erklären, der in einem weitaus effektiveren Manöver als das Pendant EU mit Grenzschützern aus Polen, Tschechien und der Slowakei am ungarischen Zaun patrouilliert? Schon 2015 kritisierte Deutschland dieses Vorgehen. Dabei ist es Deutschlands historisches Verdienst, dass die V4 heute so hervorragend zusammenarbeiten – das alte Dreieck aus Paris, Berlin und Warschau ist längst vergessen, und Deutschland hat auch keinen Hehl daraus gemacht, dass es diese Partnerschaft nicht interessiert. Wenn nicht unter Gerhard Schröder (als man russische Pipelines in der Ostsee festlegte – und damit an Polen vorbei dirigierte), so doch spätestens unter Angela Merkel (deren Migrationspolitik wenig populär ist).
Die Antwort Visegrads bei der Bewährungsprobe von 2015 zeigt – gerade im Unterschied zum Wirken der EU – die Vorteile des alten Lehrsatzes „small is beautiful“ auf. Die mangelnde Effizienz der Brüsseler Bürokratie mit ihren unzureichenden Antworten verhält sich unflexibel angesichts Problemstellungen katastrophalen Ausmaßes. Sie wirkt chancenlos. Kleine Bündnisse in der Größe der Benelux- oder Visegradstaaten, die sich schneller abstimmen können, bilden dabei nicht nur eine mögliche Antwort auf die Krise des Kontinents – sie könnten sogar alternativlos sein.
Eine Gesundung des Kontinents könnte daher ein EU-Europa mehrerer Geschwindigkeiten sein; im Grunde ist die EU eben genau das seit Jahren, gibt es doch seither Euro-Staaten und Nicht-Euro-Staaten. Dennoch versucht Brüssel eine solche Reform um jeden Preis zu verhindern: die Gesamtintegration steht im Vordergrund. Die beiden Motoren Deutschland und Frankreich haben – aus Furcht vor einer kompletten Desintegration – solche Vorhaben behindert. Insbesondere aus Paris folgen Zentralisierungsvorschläge im Wochentakt. Deutschland liegt paralysiert in der Mitte Europas, dank einer Kanzlerin, die in ihrer Amtszeit zu einer „lame duck“ geworden ist. Mit dem Ende der Regierungsbeteiligung der Lega ist auch Emmanuel Macrons wichtigster Gegenspieler Matteo Salvini verschwunden. Frankreich ist derzeit die gestaltende Macht des Kontinents – mit allen Konsequenzen.
Diese Herausforderung könnte jedoch zum genauen Gegenteil führen, nämlich dann, wenn sich erneut zeigt, wie überfordert Brüssel mit seinen Aufgaben ist. Regionalbündnisse werden dann notwendigerweise erzwungen, um Krisen zu lösen. Nicht nur wirtschaftliche und sicherheitspolitische Vorstellungen spielen dabei eine Rolle, sondern auch historische und kulturelle Verbindungen. Eine Vereinigung der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen wirkt ebenso sinnig wie ein Bündnis der Nachfolgerstaaten der Donaumonarchie. Gerade Österreich weiß um sein Erbe und hat trotz seines kleinen Territoriums einen erfahrenen Diplomatenapparat, um ein ähnlich effizientes Netzwerk zu spinnen. Das Vereinigte Königreich hatte wiederum eine historisch wichtige Rolle im Nordseeraum, wo es lange Zeit mit der EFTA (European Free Trade Association) führendes Mitglied einer Konkurrentin zur alten EWG war. Die Europäische Freihandelsassoziation ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst, aber eine engere Kooperation mit Irland erscheint schon deswegen sinnig, um eine neue Spaltung der Insel zu unterbinden. Norwegen und Island sind bis heute keine EU-Staaten, die sich ebenfalls anböten. Dass Nordeuropa zudem seine pan-skandinavischen Träume niemals ganz aufgegeben hat, ist eine Binsenweisheit.
Deutschland ist dabei das Land, das solch einem Szenario widerstehen muss. In einem Konzert der europäischen Blöcke stände es allein. Mit seinen 80 Millionen Einwohnern und seiner gewaltigen Volkswirtschaft ist es schlicht zu groß, um Verbündete zu finden. Selbst die drei großen romanischen Nationen Frankreich, Italien und Spanien halten sich gegenseitig das Gleichgewicht. Deutschland dagegen kann nur in einem gesamteuropäischen Konzert eingebunden werden, in dem es mehrere gleichwertige Kräfte gibt, die sich im Zweifelsfall gegen den germanischen Riesen verbünden können. Ein oft erträumter Nord-Euro muss den Nordstaaten deswegen schon als Gefahr gelten, weil Deutschland ein ähnliches Übergewicht hätte wie Preußen im Deutschen Kaiserreich. Bündnisse dieser Art pervertieren zu Hegemonien. Es stünden keine Optionen in nächster Nähe zur Verfügung. Womöglich müsste Deutschland dann – zynisch gesprochen – seine besondere Partnerschaft mit der Türkei beleben, um doch noch einen Freund zu finden.
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Klasse Argument für eine Teilung des deutschen Riesen, obwohl? Wir werden ja gerade Geschrumpft. Egal, ich bin für Teilung, ein Teil den vernünftigen Indigenen, der andere Teil den Kommunisten und ihren Gästen. Die Schlafmichel müssten sich dann entscheiden. Wir sollten nicht solange warten wie die Amis, da haben die Weißen Antikommunisten keine Chance mehr, Trump hin oder her.
„Kanzlerin, die in ihrer Amtszeit zu einer „lame duck“ geworden ist“ – sie war nie etwas anderes!
Ja, die Türkei unser einziger Freund! Ich bin schon Deutscher von Geburt, kann ich auch Türke wern? Es gibt ihn doch schon, den Doppelpaß und ich möchte natürlich auf der richtigen Seite stehn.
„Europa“ ist eine Chimäre um vom eigenen Versagen abzulenken – und ein billionenfressendes Scharzes Loch für die deutschen Bürger seit Generationen.
Deutschland ist weder geographisch „groß“ im europäischen Vergleich, noch demographisch alles überragend: Es gibt inzwischen weniger ethnische Deutsche als Frankreich Einwohner hat (die anderen 20 Millionen Einwohner sind Deutschland im Zweifelsfall, wenn ihre opportunistischen Siedlungsgründe nicht mehr bedient werden, gegenüber nicht loyal), dazu sind sie überaltert, schlimmer als beinahe jedes andere Volk des Kontinents, und das, was dieses Land wirklich aus dem Elend des 17./18. Jahrhunderts geführt hat, Bildungswille, Anstrengungsbereitschaft, eine überragende Arbeitsmentalität, ist in der Wohlstandsdekadenz der letzten 50 Jahre verdampft. Daher ist es nicht „zu groß“ für Bündnisse – nur, es müssen ja nicht immer wieder Neuauflagen derer… Mehr
„Womöglich müsste Deutschland dann – zynisch gesprochen – seine besondere Partnerschaft mit der Türkei beleben, um doch noch einen Freund zu finden.“
Nana, wir wollen doch nicht etwa auch unsere Freunde aus dem Iran und Palaestina vergessen?
Oder aus Afghanistan, wo Deutschland schließlich seine Interessen am Hindukusch verteidigt…
Bleibt eigentlich nur die Frage, wollen wir solche Freunde?
Oder: Zeig mir deine Freunde und ich sage dir wer du bist.
1. Warum nicht Deutschland aufteilen? Aber nicht in BRD und DDR, sondern in Preussen und Süddeutschland. Eventuell noch in einen lothringisschen Rheinbund am Westrand. 2. Mit welchen Milliarden Euros will Deutschland denn noch jonglieren. Irgendwann ist auch der Inflations-Euro aus. Das kann dem Draghieuro mangels Werthaltigkeit rasch passieren. Was dann? Warum auf solchen tönernen Beinen stehen? 3. Eine Integration, bei der alle nur noch Englisch reden ist keine. Man frage einmal einen Verfechter des immer engeren Europas wie es denn mit seiner Kenntnis der Ostsprachen stehe. Wer von diesen ganzen Gutmenschen versteht auch nur ein Wort Polnisch? Und wenn alle… Mehr
Die schwarz-rot-grünen Blockflötenparteien sorgen gerade mit allerlei Verboten, einer irrsinnigen Zuwanderungspolitik und absurder Subventionitis dafür, das von der wirtschaftlichen Stärke nicht mehr viel bleibt. In diesem Sinne kann Deutschland bald hinter Italien, Spanien und Frankreich zurück fallen, ohne das es die Deppen in Deutschland bemerken.
„…aber im Grunde selbst nicht weiß, wie sie [EU] ihre historische Beständigkeit begründen will“ Was sollen sie sagen? Das die EU zu einem starken Einheitsstaat werden soll der als westlicher Brückenkopf US Interessen in Eurasien Nachdruck verleihen soll, insbesondere dem Interesse dass niemals eine einzelne Macht oder ein Machtbündnis aus dem riesigen, bevölkerungsreichen und wirtschaftsstarken eurasischen Kontinent entsteht, welche die Weltmachtstellung der USA (erfolgreich) in Frage stellt. Also selbst Europa als ganzes betrachtet ist für die Amis nur ein Werkzeug zum erreichen eines höheren Ziels. Einzelne Staaten oder gar Bevölkerungen wie das Deutschland der Deutschen sind da völlig irrelevant und… Mehr
Ohne Carl Schmitt und sein Werk „Der Nomos der Erde“, der vollständige Titel lautet „Der Nomos der Erde im Völkerecht des Publicum Europarum“ ist die Konzeption der EU als „Großraum“ neben anderen politischen Großräumen globalstrategisch ohne realpolitisch tragende theoretische Grundlage. Außer in der deutschen Diskussion ist Carl Schmitt, jetzt auch im China des Xi Jinping, der anerkannte Vordenker für globales Planen in Großräumen. Stichwort „China entdeckt Carl Schmitt“, Pekings Blick nach Plettenberg. Wie die Interessen innerhalb des europäischen Großraums noch einmal gewichtet sind, spielt globalpolitisch nur eine Nebenrolle und ist eine Frage der Justierung und des Interessenausgleichs zwischen den Subjekten… Mehr