Berliner Neuanfang: Wo das Scheitern einer Politik offenkundig ist

Diese Wahl hat gezeigt, das sich etwas ändern muss. Doch Berlin ist nur Vorbote künftiger Probleme fürs ganze Land. Vermüllung und Beschädigung – meist noch abseits der grünwählenden Mitte – ist das Symptom eines nicht nur wirtschaftlichen Niedergangs. Vor allem politische Entscheidungen richten diese Stadt und ihre Wohnviertel zugrunde.

IMAGO / NurPhoto

Müll und Unordnung gehören in Berlin zum Alltag. Und viele fragen sich, ob es wirklich sein muss, dass eine Millionenstadt mit beständig wachsender Zufuhr an preiswerten Arbeitskräften nicht für einen Grundstandard an Ordnung und Sauberkeit sorgen kann. Stattdessen werden Gehwege von 
Unkraut überwuchert, während Grünanlagen zu Matsch und Schlamm zertreten werden. Um vom allgegenwärtigen Müll im öffentlichen und privaten Raum zu schweigen. Öffentliche und Privatgebäude sind mit sogenannten „Graffiti“ beschmiert, dauerhaft – oft sind es nur primitiv-tribale „Tags“, die die Besetzung der Stadt, des öffentlichen Raums durch ihre Schädiger erkennbar machen. Das Bild der Zerrüttung ist vollständig, und niemand muss sich wundern, dass eine Stadt so an Attraktivität für den wertschaffenden, aufbauenden Teil der Bevölkerung verliert.

All das passt gut in die Broken-Window-Theorie, wonach ein kaputtes Fenster weitere Beschädigungen nach sich zieht, weil es die Straf- und Konsequenzlosigkeit der Zerstörung und die allgemeine Vernachlässigung verdeutlicht. Zu loben ist hier das Werk des „Luisenstadt-Fotografen“ auf Twitter, der akribisch die Abweichungen der Berliner Stadtästhetik vom eigentlich Normalen dokumentiert, um darüber nicht selten in witzige Dialoge mit anderen Mitbewohnern desselben Elends verwickelt zu werden, die sich allerdings schon akklimatisiert haben. Die Akzeptanz des Realen gehört zu den grundlegenden Bedingungen für das Überleben in einem sozialen System.

— Luisenstadt-Fotograf (@LuisenstadtFoto) February 13, 2023

Nebenbei fallen auch die ganz praktischen, menschlichen Folgen einer verfehlten Baupolitik ins Auge. Blickt man beim Lauf durch die Stadt gelegentlich zur Seite – auch in den veredelten Innenstadtbezirken –, dann fällt der Blick gelegentlich auf den Obdachlosen, der in einem Hauseingang sein provisorisches Lager aufgeschlagen hat.

Beliebt auch: Auslagen nach dem Muster „Zu verschenken“. Hier: alte Fernseher und Matratzen. In Wahrheit spart man sich so natürlich die Entsorgungsgebühr und die Fahrt zum dafür bestehenden Hof der Stadtreinigung.

Auch Neubauten und andere urbane Gestaltungsideen bringen nicht immer Frieden.

Weitere Internetnutzer assoziieren dazu „das gestaltgewordene Nichts“. Für einen eventuell herauszugebenden Bildband denkt der Photograph an Titel wie „Mein versautes Berlin“, „Jahre im Müll“ oder „Das beschmierte Berlin“.

Man sollte auch daran denken, dass viele Menschen – immer öfter auch die Grünen-Wähler in der Innenstadt – in genau solchen Szenerien leben und irgendwann keine Lust mehr darauf haben dürften. Mit anderen Worten: Unordentlichkeit könnte Protestwähler erzeugen. Die Grünen arbeiten daran, dass auch die Innenbezirke sich in puncto Vermüllung bald messen können. Ökologisch wertvolle Holzgebilde werden in der Art von Fischreusen aufgestellt, in denen sich weiterer Müll der nun eindeutigen Art verfangen kann.

Und Dreckecken sind überall.

Im Graefekiez, den SPD und Grüne zur parkplatzfreien Zone machen wollen, erhielten die Grünen mehr als 40 Prozent der Zweitstimmen.

Das tiefere Problem: Soziale Dreckecken

Aber daneben gibt es ein tiefergehendes Problem, das jenen Oberflächen-Effekten allerdings genau analog ist. Es handelt sich um die Dreckecken im sozialen Gewebe der Stadt, Viertel, in die sich die Berliner Polizei vielleicht noch hineintraut, aber dann auch nur in Einsatzwagenstärke. Das ist übrigens noch kein Makel, sondern entspricht der Broken-Window-Theorie: Wo es ein Problem gibt, da sollte man es mit massivem Personaleinsatz bekämpfen und so möglichst ausmerzen. In ausländischen Großstädten reicht da manchmal schon eine Gruppe betrunkener Penner für einen mittleren Polizeieinsatz. Das sollte auch in Berlin Usus werden, wenn die Stadt irgendwann wieder Licht am Ende des Tunnels sehen will.

In Neukölln gibt es solche Viertel schon heute, die laut Einwohnerurteil über ihre eigene ‚Polizei‘ verfügen, die für Ordnung sorgt. Vertreter der Rest-Gesellschaft sind in solchen Vierteln nicht willkommen, wie Recherchen des Teams von Achtung Reichelt! ergaben.

Ein Problem sind diese Zustände auch für junge Menschen, die in sie hineingeboren werden und unwillkürlich von ihnen geprägt werden, sie aber auch weitertragen, wie die Verhältnisse an Neuköllner Schulen zeigen. Der CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner, der nun einen Achtungserfolg erringen konnte, forderte eben auch die Bewilligung von Geldern für eine zentrale Anlaufstelle für religiös motiviertes Mobbing an Schulen, die von Linken und Grünen offen bekämpft wurde, während die Unterstützung der SPD lau war. Natürlich war vor allem die Silvesterrandale ein zentrales Thema im Hintergrund der Wahlen – sozusagen die Außenseite und direkte Folge des an den Schulen und in den Vierteln bestehenden Problems. Und natürlich hängt all das auch mit der nicht abnehmenden Zuwanderung aus islamischen Staaten zusammen. Und natürlich ist in vielen linken Biotopen schon die Wahl der CDU die pure Rebellion, was sich an der verfestigten linken Stimmenmehrheit der Stadt ersehen lässt.

Allerdings ließen sich die fast unmittelbaren Nachbarn jener (Un-) Kultur nicht beirren: Auch im hippen Norden von Neukölln, der sozusagen organisch aus dem alten Kreuzberg emporgewachsen ist, wählte man die alte Hauptstadtkoalition mit über 70 Prozent wieder.

Die Außenbezirke sind heute der Speckgürtel ohne Speck

Das galt aber eben nur für die Innenstadtbezirke, wie nun auch die linke Deutschlandpresse mit Erschrecken feststellt. Der „linke Lack“ scheint demnach vor allem an den Rändern zu blättern, wie taz und auch der Spiegel nun versuchten uns zu sagen, aber das ist schon die nächste Selbsttäuschung. Denn die kleine Umwälzung des (aus heutiger Sicht vorläufigen) Wahlergebnisses vom letzten Herbst hat sich in allen Bezirken abgespielt. Nur das Ruhepolster der linken Kräfte war eben vorläufig noch etwas größer in den innenstädtischen Lagen.

Das kann man zum Beispiel auch im beschaulichen Südwestteil der Stadt wahrnehmen. Die grünen Hochburgen der Innenstadt finden überall dort ihre Fortsetzung, wo noch ein paar Altbauten sich zum Ensemble vereinen und so die gereinigte Stimmung der grünen Bettenburgen reproduzieren. Gleich daneben, wo die Sozialbauten beginnen, wurde ganz anders abgestimmt. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis auch die grünen Schlafstädte von den Realitäten erreicht werden, die den (inneren) Berliner „Speckgürtel“ so offensichtlich plagen.

Da ist nichts mehr mit Speck, eher schon ist Schmalhans Stadtgestalter, weil die öffentlichen Mittel offenbar für prestigeträchtige Verschönerungen der Innenstadt draufgehen. Dieses Elend der vielen „zerbrochenen Fenster“ schafft langfristig auch eine Stimmung, die sich in soziale Unordnung und am Ende in eine Neuordnung in den Wahlurnen umwandeln wird. Das Berliner Elend, das sich in den realen und sozialen Vernachlässigungsecken ausdrückt, kann jedenfalls nicht weitergehen. Das haben schon diese Neuwahlen ergeben. Die Vermüllung und Beschädigung des öffentlichen Raums ist nicht nur ein besorgniserregender Zustand, der für Unordnung in den Köpfen und im Verhalten der Menschen sorgt, sondern auch das Symptom einer tiefgreifenden Vernachlässigung des Eigenen, die sich keiner leisten kann.

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