UN – A Torrent of Faces

Mit diesem Beitrag von Tomas Spahn starten wir eine längere Serie zum Thema Bevölkerungspolitik (TE). Dieser Tage befassten sich drei Studien mit der Zukunft der Menschheit. Eine entstand in der UN, eine bei der EU und eine wurde vom Club of Rome beigesteuert. Gemeinsam betrachtet wirken sie wie der Generalplan einer grundlegenden Umstrukturierung der globalen Menschheitsgesellschaft, getrieben vom Diktat der Statistik und dem kollektiven Versagen in den vergangenen Jahrzehnten.

Es war still geworden um den „Club of Rome“, jener 1968 von dem italienischen Industriellen Aurelio Peccei ins Leben gerufenen Denkfabrik internationaler Wissenschaftler, die 1972 und 1974 mit zwei bemerkenswerten Studien auf sich aufmerksam gemacht hatten. Unter der Federführung des Ökonomen  Dennis L. Meadows erschien erst ein Werk mit dem deutschen Titel „Die Grenzen des Wachstums“. Zwei Jahre später legte der Club mit „Das globale Gleichgewicht“ nach.

Beide Publikationen wagten etwas zu jener Zeit unvorstellbares: Sie stellten globale Bezüge zwischen Ressourcenangebot und Nachfrage her, rechneten anhand verfügbarer Daten aus, wann es zu Verteilungskämpfen kommen werde, warfen einen mehr als kritischen Blick auf die unkontrollierte Vermehrung der Menschheit – kurz: Sie legten sich vom religiösen Traumtänzer bis zum endlos wachsen wollenden Global Player mit so ziemlich jedem an, der damals Rang und Namen hatte.

Vor allem ihre Prognosen zum Bevölkerungswachstum stießen auf vehementen Widerspruch nicht nur der Kleriker-Fraktion, die das „Seid-fruchtbar-und-mehret-Euch“ als Dogma des irdischen Paradieses auf ihren Bannern stehen hatte – auch jene damals noch rudimentär verankerten Vorläufer linksgrüner Naturträumer griffen Meadows und seine Forscher massiv an, indem sie deren Frage nach globaler Bevölkerungskontrolle nicht nur nicht aufgriffen, sondern als faschistische Argumentation wider die Menschlichkeit anprangerten.

In der Folgezeit zog sich der Club of Rome zwar nicht zurück – doch mit dem allgemeinen Niedergang der Wissenschaftlichkeit in der universitären Forschung verflachten die Themen, waren nicht mehr in der Lage, die Menschheit aufzurütteln, wie sie es in den dynamischen Tagen der späten Sechziger und frühen Siebziger geschafft hatten, als Mondflug und Emanzipation die Tore zu einer glücklichen Zukunft der Menschheit zu öffnen schienen und deutsche Gutmenschen den zukunftskritischen Roman des US-Schriftstellers James Blish aus dem Jahr 1967, erschienen als „A Torrent Of Faces“ (wörtlich übersetzt ungefähr: „Eine Sturzflut aus Gesichtern“) mit dem aberwitzigen deutschen Titel „Tausend Milliarden glückliche Menschen“ versahen.

Die Euphorie der Sechziger

Die Sechziger Jahre schienen trotz Kaltem Krieg eine Zeit des „alles ist möglich“ zu sein. Die Frauen befreiten sich von den Fesseln männlicher Dominanz und warfen gemeinsam mit den von Oswald Kolle inspirierten Männern ihre Kleider über Bord, in deutschen Kinos juckte mangels tiefgreifender Stoffe die Lederhose, APO und Willy Brandt versprachen „mehr Demokratie“ und eine Überwindung des Muffs von tausend Jahren, der angeblich unter den Talaren versteckt war.

Trotz aller Krisen, die auch damals existierten – der bereits erwähnte Kalte Krieg zwischen Sowjetrussland und den USA befand sich auf höchstem Niveau und zeugte Metastasen in Vietnam, Angola und anderswo – schien es eine Zeit des allgemeinen Aufbruchs der Menschheit zu sein. In dieser Zeit wirkten die Veröffentlichungen des Club of Rome mit ihren Horrorszenarien und Negativ-Prognosen wie ein Schlag ins Gesicht all der Träumer von einer paradiesischen Zukunft, in der die Medizin die Krankheiten besiegt und die Menschheit endlich gelernt hatte, ihre Konflikte friedlich zu lösen.

In einer Zeit, in der Utopisten von menschlichen Kolonien auf Mond und Mars träumten und erwarteten, dass Dank Automatisierung und Roboterisierung der Mensch der Zukunft nur noch seiner Freizeit frönen würde, in der er selbstverständlich nicht vor den Volksverblödungsangeboten der TV-Sender dahinvegetierte, sondern sich in den Fußstapfen der großen Denker und Dichter ständig geistig weiterentwickeln und ungeahnten philosophischen,  gesellschaftlichen und künstlerischen Leistungen würde hingeben können.

Die Ölpreiskrise

No doubt – wie wenig realistisch diese Träume waren, hätte eigentlich schon damals jedem halbwegs denkenden Menschen bewusst sein müssen. Doch wenn sie es waren, dann hüllte sich dieser in Schweigen, um nicht vom Mainstream der Euphorie von dem, was man heute als Shitstorm bezeichnet, hinweggefegt zu werden. In diese Zeit fielen die Veröffentlichungen des Club of Rome wie ein Tiefschlag. Die mitdenkende Weltgesellschaft schrie einmal schmerzhaft auf, sortierte das Getroffene neu – und machte weiter wie zuvor.

Dann kam 1973 der erste Ölpreisschock. Erstmals in der jüngeren Geschichte ließen „die Araber“ anlässlich eines Überraschungsangriffs Ägyptens und Syriens gegen Israel ihre gut geschmierten Muskeln spielen und damit das zähflüssige, schwarze Blut in den Adern der westlichen Industrienationen gefrieren. Die Träume der Sechziger platzten – was allerdings nur wenigen bewusst wurde, denn irgendwie rettete sich jeder in seine private Oase der Glückseligkeit, träumte weiter von einer glücklichen Zukunft, nur dass diese zunehmend weniger technisch, sondern immer grüner und scheinbar naturverbundener wurde.

Dennoch: Als 1994 Bill Clinton den Deutschen in Berlin sein „Alles ist möglich“ zurief, schien dieses vielen aus der Flower-Power-Generation der späten Sechziger, die gemeinsam mit Grateful Death den Tod überwunden und mit Jim Morrison die Türen zu neuen Ebenen der Erkenntnis geöffnet hatten, wie eine späte Reminiszenz an eine untergegangene, verlorene Welt.

Der Club of Rome kapituliert

Dieser Tage gelang es dem Club of Rome unerwartet doch, wie einst in die Schlagzeilen der Medien vorzudringen. Ähnlich wie 45 Jahre zuvor provozierten die Braintanker nun in eine Zeit, in der die Glückseligkeit ersetzt worden ist durch die Konfrontation mit dem, was der Club dereinst prophezeit hatte. Und erklärt damit gleichzeitig ungesagt seine Kapitulation vor der Welt in dem Bewusstsein, dass die Menschheit nicht zu retten sein wird, weil sie nicht gerettet werden will.

Statt wie früher die globale Vernetzung in den Mittelpunkt zu stellen, präsentieren zwei der „Cluberer“ einen Forderungskatalog an die Industriegesellschaft, der zwar für Aufsehen sorgt, aber nicht zu heilen in der Lage sein wird. Sie verteilen Ratschläge an die Reichen und übersehen die Armen, die im globalen Gefüge ansetzen, eben jene Reichen zu überrollen und sich ohne Rücksicht auf Verluste das zu holen, was sie als ihnen zustehend begreifen.

13 leicht realisierbare Maßnahmen

So möchten die beiden Welterklärer Jørgen Randers und Graeme Maxton – der erste angeblich „Zukunftsforscher“ und doch nur statistik-verliebter Prognostiker, der zweite Ökonom – dass Frauen, die auf eigene Kinder verzichten, mit ihrem fünfzigsten Lebensjahr durch eine Nicht-Vermehrungsprämie in Höhe von 80.000 $ belohnt werden mögen. Auch solle das Rentenalter auf 70 Jahre angehoben werden, während gleichzeitig gefordert wird, dass statt 90 % der Bevölkerung jeweils 30.000 $ Jahreseinkommen generieren, doch besser bei 100 % jeder sich mit 27.000 $ begnügen möge. Damit davon nur das Überlebensnotwendige verbleibt, sollen die Steuern schrittweise erhöht und Erbschaftssteuern auf 100 % zur vollständigen Besitzübernahme des Abgelebten durch die Gesellschaft ausgebaut werden.

Zusätzlich gibt es ein paar Ökobons für die grüne Klientel zum Thema CO2-Emmission und dann noch etwas für die Gemeinde der CETA- und TTIP-Gegner, wenn die Forderung nach einer freiwilligen Beschränkung des Außenhandels aufgestellt wird.

Von „13 leicht realisierbaren Maßnahmen“ schreiben die beiden Autoren und erbringen damit nicht nur den Beweis, dass der Club of Rome seine intellektuellen Grenzen schon vor Jahrzehnten erreicht hatte, sondern dass die westeuropäische Denkmisere mittlerweile bis tief in die Fundamente der Wissenschaft Einzug gehalten hat.

Zwar saugen die beiden Herren noch ein wenig von dem, was Meadows und andere vor vielen Jahrzehnten niederschrieben – doch der Output, den sie daraus ziehen, grenzt an die Lächerlichkeit. Denn sie entwickeln ein paar mehr oder weniger gefällige Thesen für die absterbende Welt der Hochkultur – und blenden jene Grundproblematik, die in den frühen Siebzigern so heftig am menschlichen Selbstbewusstsein rüttelte, geschickt aus.

Das Problem liegt zwischen den Lenden

Darf man Tacheles reden? Darf man sagen, wo das eigentliche Problem der Menschheit liegt? Darf man sagen, dass dieses Menschheitsproblem nicht mit 13 Punkten einer Selbstbeschränkung der Industrienationen zu lösen sein wird? Darf man sagen, wohin die Situation führen wird, führen muss? Nein, eigentlich darf man es nicht. Denn wenn man dieses tut, dann konterkariert  man alle ethischen und religiösen Vorstellungen ebenso wie die Inhalte jener fest verschlossenen Kästen politischer Weltanschauungen, die sich in den Köpfen der Menschen wie Monumente der Unabdingbarkeit eingenistet haben.

1981 hatte ich mich im Rahmen meines Studiums mit den Untersuchungen des Club of Rome beschäftigt. Was ich damals schrieb, war zwangsläufig nicht minder „unerhört“ wie das, was der Club of Rome der Menschheit vorgehalten hatte. Ich erinnere mich noch gut an den Professor, dem ich damals gegenüber saß, um meinen Text zu verteidigen. Und ich spüre noch heute die innere Zerrissenheit dieses Herren, der sich selbst uneingeschränkt dem linken Flügel der Dozentenschaft zurechnete – und der ständig schwankte zwischen seiner ideologischen Festlegung, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, und der dann doch vorhandenen wissenschaftlichen Bereitschaft, das Undenkbare zu denken. Tatsächlich geschah damals nicht das von mir erwartete. Statt meinen Text als „faschistisch“ und „inhuman“ in der Luft zu zerreißen, bestätigte er die logische Konsequenz der auf Meadows aufbauenden Überlegungen.

Ich könnte es mir jetzt leicht machen und schlicht die damals geschriebenen Zeilen zitieren. Denn auch nach nunmehr über 30 Jahren kann ich daran nichts im Kern Falsches erkennen.  Aber ich werde einen anderen Weg gehen, der einen kurzen Blick zurück zeigt und unverblümt in die Gegenwart führt. Wohl wissend, dass der Aufschrei, den ich damals von meinem Professor erwartet hatte, nun unmittelbar ertönen wird. Denn damals wie heute liegt das eigentliche Problem der Menschheit nicht in der ungleichen Verteilung von Reichtum und Gütern, nicht in Industrialisierung und Ausbeutung. Das alles sind bestenfalls Symptome – und sie könnten mit der ihnen innewohnenden Dynamik sogar in der Lage sein, die Menschheitskatastrophe abzuwenden, wenn man sich dieser bewusst würde und die Hebel des Denkens umlegte. Deshalb verstehe ich das, was nun folgt, auch nicht als Kritik – sondern als eine nüchterne Bestandsaufnahme in der festen Überzeugung, dass das, was an Schreckensszenarien angedeutet wird, unabdingbar sein kann. Denn das eigentliche Problem der Menschheit lässt sich nicht mit dem Kopf lösen, weil es an einer ganz anderen Stelle des Körpers verankert ist. Es befindet sich, um es unmissverständlich zu sagen, zwischen den Lenden.

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Kommentare ( 4 )

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4 Comments
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Schraubenberny
4 Jahre her

Somit ist alles gesagt. Die Mächtigen der Welt wissen um ihr Dilemma. Diesen gordischen Konten kann weder eine UN, EU noch Nationalstaaten lösen.Es wird auf Verteilungskämpfe ,Hungersnöte, Kriege, kurzum auf die Apokalypse hinausgehen. Es spielt letztlich auch keine Rolle,welche Menschenmassen die UN wohin auch immer ansiedeln wird. Die Menschen kommen mit und ohne Siedlungsprogramm dahin,wo es etwas zu holen gibt. Gefragt oder ungefragt spielt keine Rolle. Niemand kann der Apokalypse entkommen,alle sind dabei,die sogenannten „Eliten“ etwas später. Nordamerika wird sich länger halten können,allerdings nur solange die Waffen an den Grenzen sprechen. Australien ist weitab,sie haben eine kleine Chance. Die Landmasse… Mehr

treu
6 Jahre her

Wie schrieb ein kluger Mann: „Welche Möglichkeit hat eigentlich Ikarus, wenn seine Flügel schmelzen und er in die Tiefe hinabstürzt? Er kann die Augen schließen und so lange schreien, bis die See ihn verschlingt. Er kann aber auch die Augen geöffnet halten und die erhabene Aussicht genießen, solange sie sich bietet.“

B. Krawinkel
6 Jahre her

Ich muß bei Ihnen Abbitte leisten, Herr Spahn. Ich gebe zu, daß ich Ihre Beiträge wegen ihrer doch sehr stark polarisierenden Sichtweise bezüglich Rußland oder der AFD in letzter Zeit ignoriert habe. Das war mir einfach alles zu offensichtlich und polemisch. Sie haben für meinen Geschmack die Fakten dort beharrlich nach Ihrer persönlichen Einstellung gesammelt. Der Beitrag hier, den ich eigentlich nur zufällig im Nachhinein gefunden habe, weil Herr Goergen ihn zu einem Leserkommentar verlinkt hat, halte ich dagegen für einen der besten, den ich hier auf Tichys Seite gelesen habe. Sehr sachlich gehalten, fundiert und präzise argumentiert und von… Mehr

Harry James mit Armbrust
6 Jahre her

Es wird anders kommen 🙂

Denn, „Mutter Erde“ „wehrt“ sich auf ihre Art. Der tatsächlich existierende Klimawandel wird alle Statistiken durcheinander wirbeln. Die Menschengemachten Reaktionen auf den natürlichen Klimawandel werden für Blackouts beim Strom sorgen, eine Folge davon werden großflächige Aufstände sein, die in Bürgerkriegen enden können. Am Ende werden die gewaltbereiten Zuwanderer und ein paar wirkliche Denker übrig bleiben. Zurück auf Anfang. …