Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 62: Unterfrequenz

Wer zu spät kommt, wird zum Glück nicht immer vom Leben bestraft. Es kann einfach nur an seinem Wecker gelegen haben. Schuld ist eine Unterfrequenz.

Bild Bettina Hagen

Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

U wie

Unterfrequenz, die

Als Unterfrequenz wird die negative Abweichung der Netzfrequenz vom Sollwert 50 Hertz bezeichnet. Generatoren mit einem Polpaar erreichen dann die Drehzahl von 3.000 Umdrehungen pro Minute nicht, sondern bleiben ein paar Umdrehungen drunter. Das Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch ist nicht gestört, aber auf niedrigerem Niveau. Die Qualität des Stroms ist schlechter. Die Annahme, die Last sei einfach zu hoch oder die Erzeugung zu gering, ist aber nicht korrekt, weil dann der Frequenzabfall bis zum Zusammenbruch des Systems die Folge wäre.

In den vergangenen Januar- und Februarwochen verblieb die Netzfrequenz dauerhaft unter dem 50-Hertz-Sollwert. Üblicherweise werden solche Zeiten kompensiert durch eine folgende temporäre Fahrweise mit einem Sollwert größer als 50 Hertz, um die netzgesteuerten Uhren wieder exakt einzustellen. Dies gelang in den vergangenen Wochen offenbar nicht, so dass sich eine Zeitabweichung dieser Uhren ergab:


Quelle: Netzfrequenzmessung.de

Fast 350 Sekunden Verzug seit dem 3. Januar, das gab es in dieser Höhe seit mindestens 2011 nicht mehr. Wie ist also die länger andauernde Unterfrequenz der letzten Wochen zu erklären? Die wintergemäße Kälte aus dem Osten trifft uns nicht jedes Jahr, ist aber weder ungewöhnlich noch extrem. Die entsprechende Netzlast ließ fast alles laufen, was einen Generator hat. 1.600 Megawatt aus der Netzreserve sind durch deutsche Netzbetreiber aufgerufen worden.

Große Lastflüsse ergaben sich in Deutschland von Nordost (Netzgebiet 50Hertz) nach Südwest über die Netzgebiete von Tennet und TransnetBW. Dabei bewährte sich die Südostkuppelleitung (auch Thüringer Strombrücke genannt) von Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt nach Redwitz in Bayern. Sie kostete 300 Millionen Euro, nach Angaben von 50Hertz wurden durch sie in den knapp drei Betriebsjahren bereits 302 Millionen Euro Redispatchkosten vermieden. Dies all jenen zur Kenntnis, die den Netzausbau für überzogen halten, wie beispielsweise das DIW.

Da sich die Kälte bis nach Westeuropa ausdehnte, entstand in Frankreich eine große Lastsenke, bedingt durch viele Stromheizungen, mediterrane Gebäudedämmung, verschneite Solarpanele und eine schlechte Arbeitsverfügbarkeit der Kernkraftwerke. Von installierten 63.000 Megawatt konnten nur 51.000 abgerufen werden, was auch die Inbetriebnahme alter Ölkraftwerke und vor allem hohe Importe erforderte. Im öffentlichen Raum wurde teilweise die Beleuchtung abgeschaltet.

Auch Italien, ganzjährig Nettoimporteur von Strom, zieht den Strom nach Süden.
Die Erneuerbaren lieferten mal mehr, mal weniger. Der Januar war ein guter Windmonat, auch wenn mehrfach Minima von weniger als 1.000 Megawatt auftraten (bei 56.000 Megawatt installierter Leitung). Im Februar betrug das Minimum sogar nur 237 Megawatt. Für die Versorgung nicht zu gebrauchen, nur als ergänzende Einspeisung.

Warum gelang es bisher trotz offensichtlicher Bemühungen nicht, die Netzzeit aufzuholen? Swissgrid, der Schweizer Netzbetreiber, spricht von einem Verbundnetzpartner, welcher Probleme mit der Fahrplantreue habe. Das Problem sei bekannt und werde durch Zusammenarbeit aller Verbundnetzbetreiber gelöst. Wer der „untreue“ Verbundnetzpartner ist, wird nicht gesagt, aber der Blick nach Frankreich ist vermutlich nicht abwegig. Dennoch kann es andere Einflüsse geben, zum Beispiel optimierte Fahrweise durch die Netzbetreiber. Sagt die Wetterprognose baldigen Wind voraus, verzichtet man unter Umständen auf teure Regelleistung und nimmt eher temporär die Unterfrequenz in Kauf. Das ist aber nicht nachweisbar.

Auch in Zukunft wird es solche Winter geben. Die jetzige Situation war angespannt, aber nicht dramatisch. Die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke, die angekündigten Stilllegungen von Fessenheim und Cattenom sowie das absehbare Ende von Tihange in Belgien dürften die Versorgungssituation in Mittel- und Westeuropa verschlechtern. Zusätzlich gehen deutsche Kohlekraftwerke zwangsweise in die Kaltreserve mit folgender Stilllegung. Die Bilanz wird eng, vor allem, solange die Suedlink-Trasse aus dem Norden noch nicht steht (beziehungsweise in der Erde liegt). In den deutschen Szenarien zur künftigen Stromversorgung sollte man Importe besser nicht einkalkulieren.

Hoffen wir, dass die geplanten Netzausbaumaßnahmen zügig vorangehen. Wer zu spät kommt, wird manchmal doch vom Leben bestraft.


Frank Hennig ist Diplomingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung mit langjähriger praktischer Erfahrung. Wie die Energiewende unser Land zu ruinieren droht, erfährt man in seinem Buch Dunkelflaute oder Warum Energie sich nicht wenden lässt. Erhältlich in unserem Shop:www.tichyseinblick.shop

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Kommentare ( 19 )

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Keinweltretter
6 Jahre her

Interessant, dass zuallererst wir Verbraucher das Nachgehen der Uhren bemerkten, dann die Meldungen auf alternativen Medien kamen und dann – mit diesmal „nur“ zweitägiger Verspätung die lapidare Erklärung des ÖR – Serbien und Kosovo zerren so am Netz? Muss ich das glauben? https://www.laenderdaten.de/energiewirtschaft/elektrische_energie/stromverbrauch.aspx
Daten von 2012 (in TWh): D: 540; F: 451; I: 303; …… Serbien: 26,9 !!! Das sind 5% des deutschen Stromverbrauchs, und das haut unser Netz runter???

Craig Morris (@PPchef)
6 Jahre her

Schade für den Autor, dass das Problem weder mit der Kälte noch mit der Energiewende zu tun hat, sondern mit Serbien und Kosovo: http://www.deutschlandfunk.de/nachgehende-uhren-streit-zwischen-serbien-und-kosovo-ist.2850.de.html?drn:news_id=858519

G.P.
6 Jahre her

Dieser Irrsinn hat sich ……… in die Gesellschaft gefressen. Gestern lief auf WDR Lokalzeit Aachen ein Beitrag über ein Projekt der RWTH bezüglich Netzumbau wegen „Energiewende“. Weil wir ja in Zukunft keine „grossen Kraftwerke“ mehr brauchen und den Strom „dezentral“ produzieren muss das Netz daran angepasst werden – damit wir immer genug Strom haben. Passend dazu erklärte dann eine junge, blonde Frau dass man an einer App arbeite um die Nachbarn zu vernetzen, so dass wenn ich waschen will, und der Nachbar gerade Strom übrig hat, ich diesen dann auch nutzen kann (Preis?). Ohne Sonne und Wind hat der Nachbar… Mehr

Wolfgang Brauns
6 Jahre her
Antworten an  G.P.

Und wenn dann auch noch der Autor nicht mehr zu wissen scheint, dass der Netzausbau erst wegen den ganzen undurchdachten Einspeise-Vorrangs-Grundsätzen notwendig geworden ist, dann werden eben 302 Milliarden auf der Gewinnseite gebucht.
Mit derartigem „Volkswirtschaft-Wissen“ scheint der „ganze Laden“ inzwischen betrieben zu werden.
Da wir es einem sogar noch bange, auch wenn man schon über siebzig ist.

Hans Diehl
6 Jahre her
Antworten an  Wolfgang Brauns

Und Sie scheinen nicht zu wissen, dass der Einspeisevorrang dezentral geschieht. Für wenn brauch man da mehr Netze. Zumindest in dem Umfang??

Genosse berndi
6 Jahre her

Da muss man eben einfach mehr Leute einsetzen, die bezahlt man mit einer neuen Steuer, auf Diesel oder so. Oder Atomstrom. Irgendwas, was nicht mit Luft und Liebe läuft eben. Dann wird das schon. Forschung ist doch was simples.

Robert Polis
6 Jahre her

Zu diesem Thema hat sich die FAZ an einer Satire versucht (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schwankungen-im-stromnetz-in-europa-gehen-uhren-nach-15481078.html): Schuld hat der Kosovo!

Ben Krüger
6 Jahre her

Das mit der Versorgungsunsicherheit wird sich noch regeln lassen. Spätestens wenn wir den Dieselmotor „überwunden“ haben, werden wir uns einfallen lassen müssen, wie wir den Diesel endlagern, oder damit halt unsere Notstromaggregate befeuern.

Peter Gramm
6 Jahre her

Würde mich mal interessieren was die grünen Energiewendepolitiker dazu sagen. Bei denen findet die Energiewende zu Hause statt. Einmal kommt der Strom in der Küche aus der Steckdose, das andere mal im Wohnzimmer. Mehr Wende geht nicht.

Johonno
6 Jahre her

https://www.swissgrid.ch/swissgrid/de/home/current/news/_06_03_2018_01.html
„Die Abweichungen haben ihren Ursprung in der Kontrollzone Serbien, Mazedonien, Montenegro (dem so genannten SMM Regelblock), insbesondere in Kosovo und Serbien. In diesem Block wird zu wenig Energie ins Netz eingespeist.“

Also noch ist die Energiewende nicht Schuld daran.

Willi Stock
6 Jahre her
Antworten an  Johonno

Na, ohne Energiewende hätten wir die Senke im SMM- Regelblock locker gestopft, in Zeiten der Erneuerbaren war wohl die Abwägung zwischen sicherem Netzbetrieb und teurer Regelenergie zu Lasten der Netzfrequenz gefallen.

Das Problem hatte die alte DDR auch immer – halt Planwirtschaft

Annika
6 Jahre her
Antworten an  Willi Stock

Das Problem war doch nur, wer die >110 GWh bezahlt. Und solange sich die Netzfrequenz noch im Toleranzbereich befand wird halt gewartet bis der Verursacher den Schaden bezahlt.

Werner Geiselhart
6 Jahre her
Antworten an  Johonno

Es gab Zeiten (vor der Energiewemde) da war dem deutschen Stromnetz die Verhältnisse in Serbien vollkommen egal. Da liefen die Uhren noch genau und es brauchte keine milliardenteuren Südlinks.
Wie gesagt, vor der Eneriewende.

Kai Zwei
6 Jahre her
Antworten an  Werner Geiselhart

Die politischen Meinungsverschiedenheiten gegen die serbischen und kosovarischen Behörden haben zu den beobachteten Stromauswirkungen geführt. Wenn auf politischer Ebene keine Lösung gefunden werden kann, könnte ein Abweichungsrisiko bestehen bleiben.

https://www.entsoe.eu/news-events/announcements/announcements-archive/Pages/News/2018-03-06-press-release-continuing-frequency-deviation-in-the-continental-european-power-system.aspx

Annika
6 Jahre her
Antworten an  Werner Geiselhart

Im Verbundnetz ist überall die Frequenz gleich.
Da hilft wohl nur die unzuverlässige Staaten/Netzbetreiber vom europäischen Verbundnetz zu trennen.

Nicholas van Rijn
6 Jahre her
Antworten an  Johonno

Serbien hat in etwa eine gesamte installierte Leistung von 7000 MW, Deutschland rund 100.000 MW und in ganz Europa gibt es insgesamt etwa 1000 GW installierte Leistung. http://www.kraftwerkskarten.de/Laenderdiagramme-Leistung
Serbien (ohne Kosovo) macht also unter 1% der gesamten in Europa verfügbaren Kraftwerkskapazität aus und ist also Schuld am europaweiten Frequenzeinbruch? Ich bin kein Physiker, aber das erscheint mir unplausibel.

Don Didi
6 Jahre her
Antworten an  Johonno

Wenn man sich die Frequenzschwankungen ansieht, kann das nicht an einer linearen Mindereinspeisung liegen. Wie hier bereits erwähnt, ist der Anteil Serbiens auch marginal und somit kaum geeignet, größeren Einfluß zu nehmen. Wenn man weitere Quellen zu rate zieht, kommt man sehr schnell auf den unkalkulierbaren Zappelstrom der sogenannten Erneuerbaren.

Hans Diehl
6 Jahre her
Antworten an  Don Didi

Und was sind das für Quellen ????

Werner Geiselhart
6 Jahre her
Antworten an  Hans Diehl

Man benötigt keine Quellen. Die Realität ist, dass Deutschland infolge der Energiewende mit unberechenbaren Mengen an Zappelstrom nicht mehr in der Lage ist, eigenständig seine Stromversorgung zu gewährleisten. Man ist auf ein europäisches Verbundnetz angewiesen, um bei Flauten ohne Blackout durchzukommen. Angewiesen bedeutet Abhängigkeit von solchen Partnern wie den erwähnten. Hätten wir noch eine eigene zuverlässige Stromversorgung, könnten wir uns z.B. mit Phasenschiebern gegenüber Gefährdern abschotten. Geht leider nicht mehr.