Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 60: Fahrrad-Charger

Deutschland ist nicht gerade als Hochburg des kundenfreundlichen Service bekannt. Ein Berliner Start-Up will das ändern.

© Benjamin Pritzkuleit/Chargery

Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge. 

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Fahrrad-Charger, die

Der Umstieg auf die Elektromobilität stellt besondere Anforderungen. Mal auf dem Nachhauseweg schnell an die Tanke, das geht so nicht. Es sei denn, man verbindet den Einkauf von Antriebsenergie mit einem ausgedehnten urbanen Abendprogramm, was aber im Wiederholungsfall gegenüber daheim ausharrenden Lebenspartnern erklärungsbedürftig ist und generell die Freizeitgestaltung einengt.

Schon immer haben neue Technologien auch Marktlücken geöffnet. Findige junge Leute gründen dann Firmen – heute Startups genannt – , um in eine Lücke zu springen und mit Innovationen ein Geschäft zu machen. Üblicherweise, so der in den Qualitätsmedien verbreitete Eindruck, gründen IT-affine Nerds die Startups, um dann Computerspiele zu kreieren, Apps zum Auffinden freier Parkplätze zu programmieren oder ähnliche oft auch sinnvolle elektronische Helfer an potenzielle Kunden zu bringen. Ob die Gründer davon leben können, entscheidet der Markt und nicht alles, was funktioniert und durchaus sinnvoll ist, wird auch gebraucht und nachgefragt.

Eine besondere Idee haben drei Gründer umgesetzt, sie soll der Verbreitung der  Elektromobilität helfen. Ihre Firma „chargery“ bringt den Strom zum E-Fahrzeug. Und zwar mit einem Fahrrad, samt Anhänger. Dieser ist 150 Kilogramm schwer und e-getrieben, um dem Pedalisten nicht zum Schwerstarbeiter zu machen. In diesen 150 Kilogramm sind dann 24 Kilowattstunden Strom sauber gestapelt, was nach einem etwa vierstündigen Ladevorgang in einer Berliner Nebenstraße für 160 Kilometer Fahrt reichen sollte.

Im Hänger ist – natürlich – Ökostrom. Standort der kleinen Firma ist Berlin-Mitte. Das nächstgelegene Kraftwerk ist das (Gas-)Heizkraftwerk Mitte an der Spree. Dem Kirchhoffschen Gesetz folgend, dürften alle Verbraucher in Mitte zum allergrößten Teil von diesem Heizkraftwerk mit Strom versorgt werden. Steht es in lastschwachen Zeiten still, kommt der Strom aus anderen Berliner Kraftwerken oder aus Brandenburger Braunkohle mit Windanteilen. Vertragspartner der „Chargery“ ist Lichtblick, die dann buchen, aber kein eigenes Sauberstromnetz betreiben. Na gut, wenn es dem Gewissen hilft. Bahnkunden mit Bahncard fahren ja auch mit 100 Prozent Ökostrom, während der Nachbar ohne Bahncard . . . na ja.

Zwei große Kunden haben die radelnden Batterietransporter schon, es sind Carsharingfirmen. Für sie ein denkbares Modell, denn die vielen Kurzzeitkunden dürften sich wenig Gedanken um das Nachladen machen und das Gerät halt dort abstellen, wo sie wollen und nicht ladesäulenoptimiert.

Zu Preisen und Kosten ist noch nichts zu erfahren, die Privatkundenbelieferung soll erst 2019 starten. Ein billiges Vergnügen dürfte es nicht werden, den elektrischen Tankwart kommen zu lassen. Die Investitionskosten für die e-betriebenen Hänger, der Mindestlohn für die Pedalritter, der Zeitaufwand und der Ladestrom dürfte sich bezogen auf die geladene Kilowattstunde solide aufsummieren.

Generell helfen die Gründer, den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag zu erfüllen. Dort ist  im „Citylogistikkonzept“ erwähnt, dass die Letztverteilung von Waren mit Lastenfahrrädern geschehen soll. Auch andere Erfinder, von Medien gern als „progressive Kräfte“ bezeichnet, setzen auf den chinesischen Weg mit Pedal und Kette. Die „last mile delivery“ sowie die „returns“ sollen mit Lösungen wie der Tretbox gesichert werden. Diese Kombination aus Cityhubs (abnehmbare Container) und elektrischen Lastenrädern ist hochskalierbar und umweltfreundlich. Eine andere Variante sieht die Lieferung an örtliche Geschäfte vor, von wo dann die Fahrradkuriere ausschwärmen.

Die ostasiatisch anmutende Zukunftsvision, wonach tausende Fahrräder samt Hänger, Fahrrad-Rikschas, E-Bikes und Tandems Berliner Straßen verstopfen, dürfte dennoch nicht eintreten. Prinzipiell sollte zwar die nötige Anzahl radfahrender Billiglöhner bei der rekordverdächtig großen Zahl Berliner Schulabbrecher zu finden sein. Allerdings ist traditionell in der Logistik das Geld nur schwer zu verdienen, so dass die potenzielle Zielgruppe sich anderen Geschäftsbereichen zuwenden könnte, eventuell dem Kleinhandel mit Cannabis (der natürlich mit der Fahrradlogistik kompatibel, aber bedeutend einträglicher ist).

Die Universität in Berkeley (Kalifornien) forscht erfolgreich an Kleinstantrieben, die im Nanometerbereich arbeiten. Eine Amerikanerin und eine Französin erfinden die Gentechnik-Schere CRISPR, die völlig neue medizinische Horizonte eröffnet. Die Amerikaner lassen Raketenstufen nach dem Start wieder landen. Die Russen haben den Schnellen Brüter praxistauglich gemacht. In Deutschland fahren wir Batterien im Fahrrad-Anhänger zu Elektroautos.

Der Fortschritt hat viele Gesichter.

Fotos gibt es hier

Bilder: Benjamin Pritzkuleit/Chargery 

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Kommentare ( 43 )

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43 Comments
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Hans Diehl
6 Jahre her

Jetzt macht Euch mal nicht gleich in die Hosen, und lasst der Entwicklung ihren Lauf. Bei uns steht seit etwa einem Jahr ein ZOE von Renault als Zweitwagen auf dem Grundstück. Mit 300 Km Reichweite ist er angegeben, jetzt im Winter sind es noch etwa 250 bei angenehmer Heizung. Warum soll ein Pendler mit täglich 30 Km auf dem Heimweg an die Tanke, wie der Autor der Meinung ist.?? Wo er doch weiß, dass er das auch zu Hause machen kann. Ich bin noch in der glücklichen Lage, meine eigene Tankstelle in Form einer Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach zu… Mehr

DanAlexa
6 Jahre her
Antworten an  Hans Diehl

„Wo er doch weiß, dass er das auch zu Hause machen kann.“ Und wo? Meinen Sie, jeder hat in der heimischen Garage ganz selbstverständlich auch ne Ladestation?

Hans Diehl
6 Jahre her
Antworten an  DanAlexa

Ich bin zwar nicht der Techniker, dafür ist mein Sohn — Elektroingeneuer — zuständig, aber der hat im Kofferraum ein Adapterkabel, mit dem man an jeder Steckdose tanken kann.

Felix Schmidt
6 Jahre her

In einigen Jahren wird sich der E-Auto Wahn sichtlich abgekühlt haben, dann nämlich, wenn der ganze unpraktikable Irrsinn, die verlorene Zeit und die tatsächlich aufzuwendenden Ressourcen jedem klar geworden sind.
Wir gehen 2030 von einer E-Auto Quote von max. 20% aus und können uns nicht vorstellen, wie die erheblichen Nachteile gegenüber Verbrennern je zu lösen sein werden.

Ben Krüger
6 Jahre her

Generell dürfen wir nicht vergessen, dass mit einer immer größer werden Weltbevölkerung auch der Tierbestand größer wird, und der Bedarf an Anbauflächen steigt. Die Co2 – Belastung pro Rind ist ca. 1,5 mal höher, als bei einem PKW. Jeder gerodete Hektar Urwald wandelt auch kein Co2 mehr in O2 um. Ein paar Rikschakulis mit Akku werden die Co2 Belastung nicht beeinflussen. Im Übrigen versinken Inseln nicht im Meer weil der Meeresspiegel steigt, sondern aufgrund der Plattentektonik. Was auf der einen Seite versinkt, wird auf der anderen Seite aus dem Meer gehoben. Der ganze Co2 Rummel sind Fake News.

Klaus Maver
6 Jahre her

Wenn man erst mit leerer Batterie im Stau steht, werden wir alle dankbar sein . Deutschland, dass Land der Erfinder. Die Weiterentwicklung wird der Esel-Charger sein.

Michael Sander
6 Jahre her
Antworten an  Klaus Maver

Sie greifen zu weit vor! Der Bedarf für einen weiterentwickelten Eselscharger müsste vom Verkehrsministerium erst einmal festgestellt werden. Das Wirtschaftsministerium würde dann die entsprechenden (Millionen)Förderprogramme für die Entwicklung dieses Gefährts auflegen. Dann müsste natürlich auch noch eine Risikoabwägung und eine rechtliche Bewertung folgen. Ich denke, dass das Projekt spätestens dann scheitern würde, da sich sicher herausstellen würde, dass das Tierwohl gefährdet wäre.Ihr Kommentar…

Wasdennun
6 Jahre her
Antworten an  Michael Sander

Und die Eseläpfel kann man leicht auffangen ( habe ich in den Karpaten gesehen) und in der kleinen Biogasanlage zuhause einsetzen.

Hans Diehl
6 Jahre her
Antworten an  Klaus Maver

Frage, wieso ist es angenehmer mit leerem Tank im Stau zu stehen ????

Berndi
6 Jahre her

Also in vier Stunden schleppt mich der ADAC auch an den nächsten Supercharger.

rubber duck
6 Jahre her

10% haben grün Gewählt… heute noch nichtsnützig aber morgen schon Akkustrampler.

Heal the world
Make it a better place
For you and for me
And the entire human race

Ruhrler
6 Jahre her

Ich find das prima, mit voller Kraft zurück ins Mittelalter. Dazu passt ja auch der Vorschlag einer Grünen statt Sammeltaxen oder Bussen doch Eselkarren einzusetzen, siehe hier:
https://www.focus.de/finanzen/news/konjunktur/weil-keine-busse-mehr-fahren-gruenen-politikerin-will-esel-taxis-einfuehren_id_8375556.html

dunkelstrasse48
6 Jahre her
Antworten an  Ruhrler

Ja klar, das schafft auch noch Arbeitsplätze für Äpfelsammler. Allerdings müssten die in der kommunalen Kreis-Bioabfall-Aufbereitungsanlage erst ordnungsgemäß desinfiziert und dekontaminiert werden vor der weiteren Verbreitung, wegen ausufernder Hygienevorschriften und Schutz vor Krankheitskeimen.

Eberhard
6 Jahre her

Nun, mit einer Hängerkupplung ließe sich das Teil hinter dem PKW mitführen.
Unglaublich was die Finanzierer sich so alles unterjubeln lassen.
Kann mich noch erinnern, in der DDR gab es für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben Pflichtenhefte. Sonst gabs nix.

Berndi
6 Jahre her
Antworten an  Eberhard

Und das Gewicht vom Anhänger reduziert dann die Laufzeit und die Katze beißt sich in den Schwanz. Wann wir wohl Windenergie mit Ventilatoren erzeugen?

rainer
6 Jahre her

Dieses start up in die „Höhle der Löwen“ geschickt – fünf mal ein „ich bin raus“. Halt nein, Maschmeyer steigt ein, aber nur um vor seiner ökobewegten Frau Veronica Ferres gut da zu stehen.

DanAlexa
6 Jahre her

Sie irren Herr Hennig, bei der Bahn fahren alle mit Ökostrom. An nahezu jedem Waggon pappt so ein Aufkleber.
Ich sehe das als fair play, denn immerhin liefert die Bahn damit auch gleich und sogar schriftlich den Grund für die zahlreichen Verspätungen wegen „technischer Störungen.“

Hans Diehl
6 Jahre her
Antworten an  DanAlexa

Und wo erkennen Sie daran, dass die Verspätungen an Stromausfällen liegen. ????

dunkelstrasse48
6 Jahre her
Antworten an  DanAlexa

Jetzt verstehe ich das endlich! Bin auf der Strecke München-Berlin zuletzt vier mal stehengeblieben im Nirgendwo. Das war so ein windarmer Tag.