Erst die Stadt, dann die Partei

Die Wahl vom 12. Februar hat die Berliner Parteienlandschaft verändert. Vor allem aber zeigt sie, wie wenig das tonangebende „Großstadt-Milieu“ mit den Grundaufgaben einer großen Stadt zu tun hat.

IMAGO / Dirk Sattler

Von den vielen Ratschlägen, die nach der Wahl in Berlin zu hören sind, ist wohl der beste Rat, dass man sich etwas Zeit nehmen sollte, um zu verstehen, was durch diese Wahl anders geworden ist. Denn geändert hat sich nicht nur die Stimmenverteilung. Ganz offenbar haben die seit der Jahrtausendwende dominierenden Zukunftsvisionen für diese Stadt nicht mehr gezogen.

Wenn man die Stimmwanderung zur CDU, aber auch die gesunkene Wahlbeteiligung ernst nimmt, dann findet sich nur noch eine Minderheit der Bürger in diesen Visionen wieder. Insbesondere die Volkspartei SPD, die bisher das Gesamtprojekt einer „sozialen und ökologischen Stadt“ zu verbürgen schien, verlor von den 26 Direktmandaten, die sie bei der (ungültigen) Wahl 2021 gewonnen hatte, sage und schreibe 22 (!). Die Grünen verloren nur drei ihrer bisher 23 Direktmandate, aber ihre absolute Stimmenzahl sank auch erheblich.

Wen repräsentiert das „grüne Zukunftsprojekt“?

Es gibt ein räumliches Phänomen, das die sinkende Bedeutung des rot-grünen Berlin zum Ausdruck bringt. Die grünen Mandate beschränken sich auf die Stadtmitte. In der Peripherie der Stadt, die den größten Teil der Wahlkreise und der Stadtfläche ausmacht, gewann die rot-grün-rote Koalition fast gar kein Mandat. Der neue politische Stadtplan Berlins zeigt eine „grüne Mitte“, die vom „schwarzen Umland“ durch eine scharfe Abrisskante getrennt ist. Hier endet abrupt der Einfluss der Stadtmitte. Das rot-grüne Lager, das immer suggeriert hat, es sei der alleinige Repräsentant der Zukunft Berlins, hat diesen Geltungsanspruch verspielt. Es ist eine „Großstadt-Koalition“ ohne große Stadt.

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Die Koalition aus SPD, Grünen und Linken repräsentiert immer weniger die gesamte Lebenswirklichkeit von Berlin und ihre Anforderungen an eine Stadtregierung. Je mehr sie sich auf die Stadtmitte zurückzieht, desto einseitiger wird sie: Sie wird dominiert von Trägern höherer Bildungstitel, von Besser-Wissenden und Besser-Verdienenden in relativ sicheren Positionen, von Sondermilieus mit dem Anspruch einer tonangebenden Leitkultur. Und diese gehobene „grüne Mitte“ fixiert sich nun im Raum. Sie reduziert sich auf einen privilegierten Sonderraum der Stadt – auf die Stadtmitte.

In diesem Sonderraum ist der Glaube stark, dass alle Entwicklungen einer großen Metropolregion ganz automatisch auf sie zulaufen. Doch in Wirklichkeit wird die Wahrnehmung der Berliner Realität immer einseitiger und das Herz immer enger. Das „grüne Zukunftsprojekt“ ist schon dabei, andere urbane Lebensformen eiskalt abzuwickeln. Doch sie täuscht sich. Die Folgen der Abwicklung sind viel zu verheerend, als dass sie unbemerkt über die Bühne gehen könnten. Die Bedeutung und Kraft der Peripherie ist viel zu groß, um dieser selbstgefälligen Mitte nachzugeben. Der Lebenswille der Peripherie meldet sich nun mit eigenen Ansprüchen an die Stadt.

Es geht um die Gesamtentwicklung der Stadt

Die Berlin-Wahl ist mehr als ein bloßes Stimmungsbild der Bürger. Hier hat sich nicht nur irgendeine vage „Angst“ oder „Wut“ geäußert. Nein, hier wurde ein Urteil über den Zustand der Stadt gesprochen. Dies Urteil bleibt bestehen und gilt für die ganze kommende Legislatur-Periode. Eine Parteienkoalition kann dies Urteil ignorieren, aber sie kann es nicht aus der Welt schaffen. Sie wird daran gemessen werden, ob es ihr gefällt oder nicht. Und auch den Medien wird es nicht gelingen, dies Urteil aus dem Gedächtnis der Berliner zu löschen.

Es gibt den guten Grundsatz „Erst das Land und dann die Partei“. Er sollte auch so verstanden werden, dass der Wähler kein bloßer „Parteigänger“ ist. Vielmehr hat er beim Wahlakt eine gewisse Idee des Landes – hier: der Stadt – vor Augen, die seinen Erfahrungen und Interessen entspricht. „Interesse“ muss nicht nur den eigenen Geldbeutel bedeuten; es enthält immer auch eine Idee des Ganzen der Stadt. Und ein Urteil über ihre Entwicklung in den letzten Jahren, bisweilen in den letzten Jahrzehnten. Dies Urteil ist in der Berlin-Wahl verheerend ausgefallen. Am Tag nach der Wahl stand in der Berliner Zeitung ein bemerkenswerter Leitartikel von Moritz Eichhorn unter dem Titel „Der Anfang vom Ende“. Dort konnte man also am 13. Februar 2023 lesen:

„… auch wenn es keinen Wechsel gibt, ist diese Wahl doch der Beginn des Endes von Rot-Grün-Rot. Denn die Probleme beim Bauen, Wohnen, im Verkehr, bei der Bildung und der Sicherheit, deretwegen die Regierungsparteien abgestraft wurden, werden nicht kleiner. Ganz im Gegenteil: Es wird schlimmer werden. Es wird auch mit Enteignungen weniger Wohnraum geben, die Verkehrssituation wird dank Straßensperrungen chaotischer werden, die Sicherheitslage wird sich nicht bessern. Noch immer stand kein einziger Sylvester-Randalierer vor Gericht, geschweige denn, dass einer verurteilt wurde. Die Regierungsparteien haben kein Rezept gegen den Bildungs-Gau, den knappen Wohnraum und die Gewalt. Es sind ja gerade die Entscheidungen aus 20 Jahren SPD, Grünen und Linken, die uns genau dorthin geführt haben, wo wir uns jetzt befinden.“

„Die Stadt muss funktionieren“

Das ist ein bemerkenswerter Kommentar, besonders, wenn man bedenkt, dass die Berliner Zeitung keineswegs als „rechtes Blatt“ gelten kann. Überhaupt tut man sich schwer, das Bürgervotum nach einem parteipolitischen Links-Rechts-Schema zu verorten. Die Tatsache, dass die CDU erhebliche Stimmgewinne zu verzeichnen hat, liegt nicht an einer bestimmten Parteisicht, zu der andere Parteien nicht fähig wären. Eher hat die CDU mit ihrem Leitmotiv „Die Stadt muss funktionieren“ einen elementaren konstruktiven Anspruch erhoben, und die Stadt zum sachlichen Maßstab der Politik gemacht. Der Satz mag wie eine Selbstverständlichkeit klingen, aber so ist die Lage in Berlin eben nicht – und in etlichen anderen Großstädten auch nicht. Damit hat die CDU einen Nerv der Berliner getroffen. Auch vieler Berliner, die die CDU nicht wählen wollten und eventuell auch aus Verdruss und Resignation der Wahl fernblieben. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg betrug die Wahlbeteiligung nur 50 Prozent.

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Aber der Satz „Die Stadt soll funktionieren“ trifft die verschiedensten und teilweise schon langjährigen Erfahrungen der Berliner: Man will nicht auf endlosen Warteschleifen verwiesen werden, wenn man im zuständigen Amt dringend einen Termin zur Ausweis-Verlängerung, zur Anmeldung eines Fahrzeugs oder zum Heiraten braucht. Wenn man eine neue Wohnung braucht, will man nicht vom Zufall, von der Zugehörigkeit zu bestimmten Klientelgruppen oder von „Beziehungen“ abhängen. Man will nicht hilflos in irgendeiner Straßenblockade festsitzen oder im Notfall um das rechtzeitige Eintreffen von Notarzt oder Feuerwehr bangen müssen. Man will nicht vor Gewalt im öffentlichen Nahverkehr oder in Parks Angst haben müssen, und bei Anbruch der Dunkelheit von vielen öffentlichen Orten praktisch ausgeschlossen sein.

Während die Berliner ständig von allen möglichen wohlklingenden, außergewöhnlichen und aufwendigen Projekten hören, müssen sie feststellen, dass in ihrer Stadt die elementarsten, alltäglichsten, schon seit einem Jahrhundert bestehenden Errungenschaften nicht mehr gewährleistet sind – und die zuständigen Politiker und Verwaltungsleiter achselzuckend daneben stehen. Vor diesem Hintergrund bekommt der Grundsatz „Erst die Stadt, dann die Partei“ seine besondere Sprengkraft. Er ist der Anspruch, der nach dieser Wahl sozusagen auf allen Mauern geschrieben steht.

Die Leistung der modernen Stadt-Maschine

Betrachtet man das Funktionieren und Nicht-Funktionieren der Großstadt näher, kommt man um eine Feststellung nicht herum: Es geht nicht darum, dass mehr Menschen mehr Bürger-Betreuung aufgeboten wird. Persönliche Ansprechpartner in den Behörden sind wichtig, aber in den meisten Fällen geht es um das Funktionieren von Sachen und sachlich-technischen Infrastrukturen. Eine moderne Großstadt ist eine ungeheure Anhäufung von solchen Infrastrukturen. Das unterscheidet sie auch von der mittelalterlichen Stadt.

Die Versorgung mit Energie muss ständig und ohne Unterbrechung gewährleistet sein, ein Ausfall, eine ständige Unzuverlässigkeit würde die Gesamtleistung der Stadt stark herabsetzen. Gleiches gilt für die Versorgung und Klärung von Wasser. Das Verkehrssystem muss für eine große Bevölkerung und ein relativ weites Einzugsgebiet Pünktlichkeit garantieren. Der Zeitverlust beim Zusammenarbeiten oder kulturellen Veranstaltungen wäre sonst immens. Feuerwehr und Rettungswagen brauchen eine flächendeckende Verteilung. Gleiches gilt für die Polizeikräfte und den Schutz vor Gewalt und Raub. Die Entsorgung und Wiederverwendung von Müll, die Pflege des öffentlichen Raums. Alles elementare, ständige und sachintensive Aufgaben, die oft wenig auffällig sind. Erst wenn sie unzuverlässig werden oder ganz ausfallen, wird ihre Bedeutung sichtbar.

Ihre „Produkte“ sind oft gar nicht so besonders und spektakulär. Es ist nicht eine einmalige Maximalleistung, die zählt, sondern ein gehobenes, breites Niveau, das ständig und flächendeckend – auch bei unterschiedlichen und wechselnden Umwelt-Bedingungen – aufrechterhalten werden kann. Als Maßstab der Infrastrukturen ist der „Output des Betriebs“ untauglich – man muss hier von „Tragfähigkeit der Plattform“ sprechen. Auch hier gibt es strikte Effizienzkriterien, auch hier gibt es eine Wertschöpfung, aber sie ist nicht die gleiche wie bei einem Produktionsbetrieb. Eine moderne Großstadt ist eine „Maschine“, aber nicht zum „Herstellen“ von Gütern, sondern zum Heben und Tragen einer Vielfalt von Betrieben, Einrichtungen und Haushalten ihrer Bürger.

Die Verdrängung der Fachleute aus der Führung der Stadt

Wenn man diesen Maßstab anlegt, und dann anschaut, welche Vorstellung von „Urbanität“ das Berlin-Bild der letzten Jahre und Jahrzehnte dominiert, wird eine riesige Lücke sichtbar: Die Infrastrukturen kommen in diesem Berlin-Bild eigentlich gar nicht vor. Ihre tragende und vermittelnde Rolle verschwindet in einem Modell, das in „das Soziale“ einerseits und „das Ökologische“ andererseits zerfällt. Man hört und liest immer, dass Berlin so „vielfältig“ sei. Und dann herrscht Schweigen – so, als ob sich die Vielfalt von selber tragen würde. Dass eine Stadt nur leben kann, wenn sie Mensch und Natur in einem Dritten zusammenbringt, das produktiv und tragfähig ist, und das eine dauerhaft gebaute Gestalt in Form von Infrastrukturen annehmen muss, haben die politisch-medial tonangebenden Milieus des heutigen Berlins völlig aus den Augen verloren. Sie zehren immer noch von den großen technischen Leistungen und Investitionen, die Berlin vor einem Jahrhundert erbracht hat. Aber sie sind heute weder willens noch in der Lage, dies Erbe zu erhalten und fortzuentwickeln.

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Das Gerede von der „Vielfalt“, von „arm, aber sexy“, von der „Fahrrad-Hauptstadt Berlin“, von einer ganz neuen „gendergerechten“ Sprache und vielen anderen „Projekten“ und „Studien“ zeigt eine fundamentale Verschiebung bei den gesellschaftlichen Milieus, die die Entwicklung Berlins prägen. Die praktische Wissenschaft und Ingenieurkunst haben ihren Einfluss weitgehend verloren. Gewiss sind sie noch da, die Fachleute, die in einem bestimmten Bereich ein präzises und erprobtes Fachwissen haben. Aber dies Fachwissen ist nun fundamental entwertet, indem eine „ganz neue“ Zukunft ausgerufen wird – von einer Führungsschicht, die in spekulativen und emotionalen „Erzählungen“ zu glänzen weiß und so die alten technischen Eliten, denen es um das Funktionieren der Stadt ging, entmachtet hat.

In einem Leitartikel, der gleichfalls in der Berliner Zeitung (14. Februar 2023) erschienen ist, spricht Harry Nutt von den „mittleren Ebenen der Kompetenz“ in der Berliner Stadtverwaltung, die „weitgehend entmündigt“ worden seien – was er der SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Wowereit ankreidet, aber nicht nur ihr. „Ein Wandel muss her“ steht über dem Leitartikel. Der Autor plädiert ganz offensichtlich für einen strukturellen Wandel in der Regierungsweise der Stadt, und nicht nur für einen parteipolitischen Wechsel.

Eine große Korrektur, die nur schrittweise durchzusetzen ist

In den letzten Jahrzehnten sind elementare Errungenschaften einer Großstadt und elementare Fähigkeiten zu ihrer Führung durch Politik und Verwaltung verloren gegangen. Die große Stadt Berlin ist dadurch kleiner geworden – sie hat sich sozial und räumlich verengt. Diese Entwicklung hat sich schon so weit verfestigt, dass sie nicht in einem großen „Ruck“ korrigiert werden kann, sondern nur in einem allmählichen Prozess, bei dem kleine Schritte und Verschiebungen wertvoll sind – wenn sie für die Bürger fühlbare Verbesserungen bringen und wenn sie ihnen Orientierungspunkte für die weitere Entwicklung der Gesamtstadt bieten. Der Grundsatz „Die Stadt soll funktionieren“ ist dafür schon hilfreich.

Mit Blick auf die gegenwärtige Selbstgefälligkeit der Stadtmitte gegenüber der großen Peripherie des Stadtgebiets ist auch der Grundsatz „Das ganze Berlin soll zählen“ wichtig. Die deutliche Verschiebung im Wählervotum in diesem Gebiet muss ernst genommen werden. Dies Votum ist nicht nur von lokalem Interesse, sondern muss in der Entwicklung der Gesamtstadt ihren Niederschlag finden. Dass Berlin für einen Großteil seiner Betriebe, Einrichtungen und Bürger eine „Stadt der langen Wege“ ist, muss in der Verwaltung und Planung der Stadt wieder zählen.

Das bedeutet auch, dass fachliche Kenntnisse und Lösungen der Probleme, vor denen die Bürger unmittelbar stehen, den Vorrang vor den theoretisch-spekulativen „Narrativen“ von einer ganz neuen „Stadt der Zukunft“ haben müssen. Auf dieser Sachebene kann auch eine Rehabilitierung der in der Berliner Zeitung angesprochenen „mittleren Ebenen der Kompetenz“ stattfinden. Und es kann, jenseits offizieller Partei-Koalitionen eine Zusammenarbeit für wirksame Maßnahmen stattfinden. Am Ende könnte das sogar dazu führen dass der Sender RBB einmal ganz andere Stadt-Fachleute zu Wort kommen lässt als die gegenwärtig tonangebenden „Experten“.

Sowohl Dringlichkeit als auch Perspektive sprechen dafür, dass die CDU konstruktiv eine Koalition für einen Wechsel in der Stadtregierung sucht. Allerdings sollte sie den Bürgern diese Koalition erklären: Sie ist eine Pflichtkoalition angesichts einer prekären Lage der Stadt, wo es darum geht, eine weitere Verwahrlosung der Stadt aufzuhalten und ein elementares Funktionieren der Stadt sicherzustellen. Die CDU sollte sich davor hüten, diese Koalition als großsprecherisch als „die Hauptstadt-Wende“ zu verkaufen. Wir stehen erst am Anfang einer realitäts-festen Großstadtpolitik. Eine neue Stadtregierung sollte den Bürgern mit ihren Organisationen und Institutionen Zeit geben, um nüchterner und offener über eine Neuorientierung nachzudenken.

Die Gefahr einer Zwei-Klassen-Demokratie

Aber es ist gut möglich, dass die Parteien der bisher regierenden Koalition – SPD, Grüne und Linkspartei – von ihrer rechnerischen Möglichkeit Gebrauch machen, diese Koalition gegen die nun stärkste Partei, die CDU, fortzusetzen. Dies Weiter-So wäre eine Demonstration der Selbstgewissheit. Sie glauben, die Veränderungen im Wählervotum ignorieren zu können. Sie glauben, eine höheres Wissen (und eine höhere Moral) zu repräsentieren. Sie leiten daraus das Recht ab, die Politik einfach unbeirrt durchzudrücken, unter der eine wachsende Zahl von Bürgern leidet und die sie ablehnt. Insbesondere würde dies Durchdrücken gegen die starke Ablehnung in den Wahlkreisen jenseits der Stadtmitte praktiziert.

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Dabei kommt es zu einer Argumentation, die aufhorchen lässt: Eine Koalition CDU-SPD oder CDU-Grüne sei unmöglich, so hört man, weil „die Partei-Basis“ von SPD und Grünen da nicht mitmachen würde. So, so. Eine „Partei-Basis“ wird also zum ausschlaggebenden Faktor, ob eine Koalition, die nach dem Ergebnis der allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen möglich wäre, möglich ist oder nicht. Die „Partei-Basis“ soll also eine Blockade-Macht haben. Muss man bei einer Koalition, an der die CDU beteiligt ist, in Berlin soziale Unruhen befürchten? Streiks und Straßenblockaden? Mehr Gewalt an Schulen? Der Begriff der „Partei-Basis“ ist ein doppelbödiger, betrügerischer Begriff. Die Worthälfte „Basis“ suggeriert irgendetwas etwas Bürgernahes und Demokratisches. Aber die Worthälfte „Partei“ verkoppelt dies Demokratische fest mit einer bestimmten Partei. Oder mit einer bestimmten Parteien-Koalition, die durch eine gemeinsame Parteien-Basis auf Dauer festgelegt ist.

Genau das könnte man in Berlin von einer rot-grün-roten Weiter-So-Koalition sagen, die sich darauf beruft, dass etwas Anderes mit der Partei-Basis nicht zu machen sei. So hätten wir einen verdeckten Hegemon der Stadtpolitik. Und wir hätten eine Zwei-Klassen-Demokratie, in der bestimmte Bürger (und bestimmte Wohnorte) mehr zählen als andere.

Doch wird dieser Kurs, in einer Zeit, in der große Anstrengungen nötig sind, um das elementare Funktionieren Berlins wiederherzustellen, nicht durchzuhalten sein. Bei einer nochmaligen Verlängerung ihrer Regierungszeit könnten sie ihr politisches Kapital in der Stadt wirklich verspielen. Die Grünen schert das nicht. Sie sind eiskalte Abwickler der Stadt, und vertreten nur Milieus, die von den harten Grundlagen des Großstadt-Betriebs keine Ahnung haben, und daher jedes Konsolidierungs-Programm offen oder versteckt torpedieren werden.

Hingegen hat die Volkspartei SPD in Berlin tatsächlich ein großes politisches Kapital, das sie in einer Weiter-So-Koalition zu verspielen droht. Es ist ein historisches Kapital, das insbesondere auch beim Aufbau der Infrastrukturen des modernen Groß-Berlin erworben wurde. In einer erneuten rot-grün-roten Koalition droht der SPD eine kalte Abwicklung durch die Grünen. In einem von den Grünen bestimmten Klein-Berlin wird der SPD als Volkspartei der Boden unter den Füßen weggezogen. Und damit wird eine schwarz-grüne Zementierung der politischen Landschaft erzeugt, die der deutschen Hauptstadt nicht guttut.

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Kommentare ( 21 )

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Sonny
1 Jahr her

Nicht nur Berlin, ganz Deutschland gilt dem Rest der Welt als Beispiel, wie man Menschen in kurzer Zeit manipulieren und gefügig machen kann. Denn wären die Menschen anders, wäre hier so manche Wahl der letzten zwanzig Jahre anders ausgegangen. Die spd hat den grünen dazu verholfen, sich aus dem Terroristen- und Spinnermilieu nach vorne zu graben und dies ganz gewiss nicht wegen ihrer Kompetenzen – denn wo nichts ist, kann auch nichts zum Vorschein kommen. Besonders in Berlin war das einfach. Berlin ist groß und mit Sicherheit schwer zu regieren und mit Überblick, gesundem Menschenverstand und Sachkenntnis auszustatten. Da Berlin… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Sonny
Berlindiesel
1 Jahr her

Dem Beitrag von Gerd Held ist eigentlich nicht viel hinzuzufügen, doch an einer Stelle ist Widerspruch angebracht, nämlich an seiner Sichtweise auf die SPD und deren sog. „Parteibasis“.   Mag sein, dass Gerd Held zu jenen Alterskohorten gehört, die noch von der SPD eines Herbert Wehner oder Helmut Schmidt, oder eben von den SPD-Bürgermeistern der Westberliner Zeit geprägt sind, in dem, mit was sie die SPD assoziieren. Doch dem sei entgegnet, dass die SPD in Berlin schon lange das äußere linke Ende der SPD repräsentiert. Der Übergang von einer proletarisch-kleinbürgerlich geprägten Volkspartei zum heutigen Typus einer Interessenvertretung von Staatsdienern, akademischen… Mehr

usalloch
1 Jahr her

„In der Peripherie der Stadt, die den größten Teil der Wahlkreise und der Stadtfläche ausmacht, gewann die rot-grün-rote Koalition fast gar kein Mandat.“
Das war immer so. Und die paar Poltiker die in der Peripherie ihr Wigwam aufgeschlagen haben zählen nicht. Und nach wie vor ist es so: „Menschen sind grob in drei Kategorien zu unterteilen: Die Wenigen, die dafür sorgen, dass etwas geschieht, die Vielen, die zuschauen, wie etwas geschieht und die überwältigende Mehrheit, die keine Ahnung hat, was überhaupt geschieht.“

Bernd Blau
1 Jahr her

Herr Held, glauben Sie ernsthaft, ein CDU-Bürgermeister in Berlin werde bei dem Zustand der Partei eine ernsthaft andere Politik machen (können)? Zu erwarten ist, dass die CDU der SPD oder den Grünen praktisch jeden Wunsch erfüllen wird, nur mal wieder Senatoren- und Staatssekretärssessel zu bekommen. Im übrigen hat die CDU im Berlin diesmal stark von der Demenz der Wähler profitiert, die in dieser failed City nur auf einen Regierungswechsel geschielt haben. An allen Problemen in diesem Land trägt aber die CDU grosse Mitschuld, ob fehlgeleitete Massenmigration Kulturfremder, daraus resultierender Sicherheitsprobleme (was dieser Partei über die Silvesterkrawalle in Neukölln unverdient jetzt… Mehr

Hans E.
1 Jahr her

Die Grünen sind nirgendwo, nicht in Berlin, nicht auf dem Dorf regierungsfähig. Sie können maximal Fragen formulieren, ansonsten machen sie alles kaputt. Gewollt wegen Ideologie oder ungewollt wegen Inkompetenz.
Die gefährlichste Partei ist aber m.E. die CDU (für Berlin mag es anders sein, ich kenne sie nicht), weil sie jeden Irrsinn der Grünen noch übertreffen will und mittlerweile die gleichen Nichtskönner für die politischen Ämter rekrutiert hat.

Der Person
1 Jahr her

„Was gegen Entwicklungshilfe spricht 1. Entwicklungshilfe wurde als Ersatz für privates Kapital missbraucht und erlaubte es Regierungen, Wirtschaftskrisen zu überstehen, ohne Reformen vornehmen zu müssen. 4. Sie begünstigt Korruption.  5. Sie schafft ausgedehnte Bürokratien und zentralisierte Planwirtschaften. Staatliche Unternehmen werden finanziert, die private Unternehmen auskonkurrieren. 8. Sie ermöglicht monströse Projekte, die die Umwelt zerstören und menschliche Tragödien anrichten. 9. Sie schwächt die Eigeninitiative und Kreativität der Bürger, indem sie sie von Regierungsprojekten abhängig macht.  10. Das unproduktive Entwicklungshilfebusiness absorbiert zahlreiche potentielle Unternehmer und Intellektuelle und bildet sie lediglich zu Angestellten und Verwaltern von Entwicklungshilfeprojekten aus. 12. Die Regierungen der Empfängerländer sind kaum auf Steuern angewiesen… Mehr

RauerMan
1 Jahr her

Eine Analyse der Berlin-Wahl und deren Folgen bei einem „Weiter so“ , welche den Namen verdient.
Danke TE für diese Sach-und zeitaufwendige Darstellung.
Es wird überdeutlich, daß es heutzutage weniger um Partei/en, als um die Lösung von Sachfragen geht.
Diese Erkenntnisse werden leider immer erst dann sichtbar, wenn die Probleme nicht mehr mit den hergebrachten parteipolitisch-ideologischen Ansichten gelöst werden können.
Das bedeutet aber auch, daß den Parteien nahestehende Medien sich dieser Auffassung anschließen und mit Propaganda der falschen Art aufhören.

Biskaborn
1 Jahr her

Bemerkenswerter Artikel mit dem ganz ohne Zweifel richtigen Fazit. Nur wird sich eben in Berlin nichts ändern. Berlin Mitte wird weiterhin den Rest der Stadt beherrschen. Minderheiten haben nicht nur in Berlin die Mehrheit voll im Griff. Ganz einfach weil die Mehrheit längst aufgegeben hat, siehe auch Wahlbeteiligung. Außerdem, bitte von dieser CDU keine neue Politik für die Stadt erwarten. Die sind dort nicht anders oder besser als im Rest des Landes. Selbst wenn, was unwahrscheinlich ist, die CDU den Regierenden Bürgermeister stellen sollte, ziehen die Grünen im Hintergrund die Fäden und bestimmen die Politik.

Diogenes
1 Jahr her

Gut beschriebener Ist-Zustand, eigentlich überwiegend des gesamten Deutschlands, zumindest der erweiterten städtischen „Brennpunkte“. Die Zustände erinnern an den bekannten alten Film von 1960, „Die Zeitmaschine“ nach dem gleichnamigen Roman von H. G. Wells. Beschreibt die Koexistenz zwischen den an der Sonne lebenden dekadenten, aber gleichgeschalteten „Eleus“ und den unten lebenden „Morlocks“ die in Finsternis herumwerkeln und sich ab und zu einen von den Eleus holen und auffressen – ein „gesellschaftlich“ anerkannter Vorgang gegen den niemand aufbegehrt, weil institutionalisiert. Wir leben jetzt und heute eine gelungene Verknüpfung der verwirklichten dystopischen Hellsichten von H.G.Wells und George Orwell „1984“. „Denn die einen sind… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Diogenes
Iso
1 Jahr her

Was für Berlin im Kleinen gilt, trifft inzwischen auf den ganzen Westen, bis an die amerikanische Pazifikküste zu. Ging es in der Wirtschaftswunderzeit noch aufwärts, mehrte sich der Wohlstand auch bei der Mittelschicht, so ist davon heute nichts mehr übrig. In einer Großstadt wie Berlin merkt man es am deutlichsten, dass es kein Ort der Freiheit mehr ist, sondern politisch kopflastig, multikulturell und dysfunktional. Ein Kind aufzuziehen ist teuer, eine Wohnung kaufen unbezahlbar, das eigene Auto den Ökos ein Dorn im Auge und dementsprechend sieht es in der ganzen Stadt aus, deren Entwicklung dem Land vielleicht um 10 – 20… Mehr