Neu-Karthago

Ein moderner Stadtstaat mit Rechtsstaatlichkeit und Produktionsstätten von Weltmarken wäre eine nachhaltige Investitition - wirtschaftlich und sozial, gesellschaftlich und kulturell.

Hong-Kong

„Ist unsere Staatenwelt noch zeitgemäß?“ Fragt Georges Bindschedler im Dossier der April-Ausgabe des Schweizer Monats. Gibt es taugliche Alternativen schon heute oder erst morgen?

Neu-Hongkong schlägt Pieter Cleppe vom Brüssel-Büro des Think Tanks Open Europe vor. Das habe ich für ein realisierbares Projekt auch schon ein paar mal vorgeschlagen. Cleppe erinnert daran:

„Was war Hongkong, wenn nicht eine Stadt, die von westlichen Politikern regiert und von Flüchtlingen aus dem maoistischen China bevölkert wurde? Den Briten war es in weitaus schwierigeren Zeiten als den unseren möglich, Millionen von Menschen auf der Flucht einen sicheren Hafen zu bieten. Weshalb sollte es also der entwickelten Welt insgesamt – nicht allein den westlichen Ländern – nicht möglich sein, jedem Flüchtling das Wertvollste zu geben, was die entwickelte Welt ihm bieten kann: Schutz durch Rechtsstaatlichkeit? Denn das war es, was den USA, Kanada, Europa, Japan und Teilen von Ost- und Südostasien ihren Reichtum beschert hat.“

„Städte, die von Beamten regiert werden, die aus Ländern mit hoher Rechtsstaatlichkeit stammen“, die als Großstadtregion von einem Staat gepachtet werden wie Hongkong auf 99 Jahre. An die UN oder die EU als Träger glaube ich nicht, es würde nicht nur ewig brauchen, bis es zustande kommt, sondern dann im geübten Bürokratismus absaufen. Aber das politische Patronat für ein solches Megaprojekt können beide übernehmen – ohne sich einzumischen. Nur dann wird es was.

Unique Selling Position: Rechtsstaatlichkeit

Cleppe erinnert daran, dass der ägyptische Businessman und zehntreichste Mann Afrikas, Naguib Sawiris, angeboten hatte, eine Insel vor Griechenland oder Italien zu kaufen und darauf Migranten anzusiedeln. Athen und Rom waren nicht interessiert. Mehrere Initiativen sind nicht weit genug, die künstliche Inseln anlegen wollen für Startup Cities, wenn kein Staat einen Sinn für ihre Vorschläge hat, für die sie kein Geld wollen, sondern es selbst aufbringen wollen. „Würden Firmen in solche Städte investieren?, beantwortet Cleppe: „Wenn sie sich zwischen Standorten wie Äthiopien oder Pakistan und einem Land mit hoher Rechtsstaatlichkeit entscheiden müssen, könnten Unternehmen wie Ikea, Nestlé, Coca-Cola oder Apple ihre Produktion durchaus in letzere verlegen.“

Grenzen zu Brücken
Europa-City: ein Singapur in Nordafrika und ein Hongkong in der Ägäis
Schaue ich auf die Landkarte, fällt das Auge auf Tunesien als funktionierendsten Staat in der Maghreb-Region. Dort lag einst ein damals unglaublich weit entwickeltes Karthago, das die Römer als ernsthafte Konkurrenz vernichteten. Ein Karthago, das mit unserem Geschichtsbild, das die Römer bestimmten, wenig zu tun hatte. Warum sollte Tunesien die Chance nicht ergreifen und einen Megadeal von Pacht für 99 Jahre nicht machen? Warum sollte die NATO ihr Image nicht aufpolieren und die Sicherheit von Neu-Karthago garantieren? Und warum sollten die Kernländer der EU einem solchen Zukunftsprojekt nicht als Taufpaten zur Verfügung stehen?

Wenn die Maßgeblichen in der EU wollten, könnte sie selbst Geld locker machen. Cleppe: „Im Zeitraum von 2014-2020 wandern mehr als 270 Milliarden Euros in die Taschen von Agrarlandbesitzern, darunter auch die Königin von England. Führt man sich vor Augen, wie sehr die Landwirtschaftspolitik der EU den Entwicklungsländern geschadet hat, wäre es keine schlechte Idee, hier den Rotstift anzusetzen.“ Und: Ein moderner Stadtstaat, in dem die Herrschaft des Rechts garantiert wird, würde in die ganze Mittlemeer-Region ausstrahlen: Das ist die radikale Alternative zum IS.

Eine Allianz der Willigen und Weitsichtigen kann ein neues Karthago nach dem Muster Hongkong errichten. Diese Allianz könnten Weltunternehmen sein, die ihre berechtigt egoistischen wirtschaftlichen Interessen mit dem wohlüberlegten sozialen und kulturellen Ziel vereinen, dass Welthandel in einer befriedeten Welt besser gedeiht als in einer voller Kriege und Konflikten.

Eine Sonderwirtschaftszone, ein Freihafen – also ein Gebilde, wo wirtschaftliche und gesellschaftliche, kulturelle und soziale Innovation keine Tonnen von in Jahrzehnten angesammelten und sich gegenseitig lähmenden Regulierungen bewältigen müsste. Ist das nicht wirklich eine Alternative zu dem missgeleiteten Projekt der Verwahrung von Migranten in Heimen zur Vorbereitung auf das Leben in geschützten Werkstätten paternalistischer Verwaltungen, die oft selbst an geschützt Werkstätten erinnern? In Neu-Karthago könnten viele Migranten bei ihrer Sprache bleiben, das Business-Englisch lernen sie im Job. Bei einer Arbeit, die sie und ihre Familien ernährt. Und einer Infrastruktur, die Lehrer und Schulen für ihre Kinder hat.

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Kommentare ( 2 )

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Fundamentiert
5 Jahre her

Ein sehr guter Vorschlag von Fritz Georgen, wieso wurde derartiges nie im Bundestag/Brüssel diskutiert? Oder will man eigentlich gar nicht wirklich helfen, sondern uns lediglich destabilisieren?

Udo Kemmerling
5 Jahre her

Neu-Karthago ist eine Stadt in Spanien und heißt heute Cartagena. Das von Römern überlieferte Bild der Karthager war schon immer als Propaganda bekannt. Die wissenschaftlich untermauerten Erkenntnisse lassen aber auch so kein allzu gutes Bild übrig. Der Söldneraufstand von 241 bis 237 v.Chr. sowie das Wechselspiel zwischen Hanno dem Großen und Hannibal zeigt die eklatanten Schwächen der karthagischen Herrschafts- und Gesellschaftsform auf. Bürokratie, Söldner und Großunternehmer in Herrscherposition. Dagegen war Rom wesentlich eher interessiert, ein Nationalstaat zu werden (mit allen der Antike geschuldeten Abstrichen), auch wenn dies sicherlich erst lange nach den punischen Kriegen gelang. Es gäbe hier sehr viel… Mehr