FAS: Wenn die Leute nicht so wollen wie ihre Vorbeter

Staunender Blick in das Leben der Somewheres, die so irgendwie, irgendwo und von irgendwas leben, das sich's nicht aussuchen können wie die flexiblen Anywheres, die ins jeweils weichere Nest hüpfen - aber eines nie gelernt haben: Solidarität und ja - Treue.

Wenn die Leute wieder nicht so wählen, wie es die Klugen vorbestimmt haben, klagen die Intellektuellen über Antiintellektualismus. Manche Zeitungen, die sich für kluge Köpfe bestimmt halten, versuchen der mit der falschen Wahl verbundenen Abwahl der Zeitung durch Anbiederung zu entgehen.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung etwa, indem sie auf dem Titel „Guten Muttertach“ wünscht. Schönen Tach auch, huch, wir berlinern heute so volkstümlich, was sind wir doch für Scherzkekse, nein aber auch, dieses Spiel mit den Dummen, hihihi.

Dabei ist die Zeitung ja gar nicht so dumm, wie sie sich gibt. Wenn sie von anderen abschreibt, ist es sogar hilfreich. Hilfreich ist eine Buchbesprechung des Briten David Goodhart. Er versucht den Frust der Intellektuellen über aus ihrer Sicht falsche Wahlergebnisse (Brexit, Trump, AfD, CSU) mit der Spaltung der Gesellschaft in die Gruppe der „Anywheres“ und der „Somewheres“ zu erfassen.

Die Anywheres sind eine Minderheit von 20 bis 25 Prozent, die den Ton in Politik, Medien und Gesellschaft angeben. Sie sind besser gebildet, verdienen mehr, sind beruflich in den modernen Berufen der Metropole London erfolgreich, sind global vernetzt. Sie haben damit eine „transportable Identität“. Sie schätzen Freiheit und Autonomie, pflegen sozialliberale Ansichten, seien aber blind gegenüber den eigenen Privilegien. „Sie fordern Meritokratie und soziale Mobilität, weil sie Gewinner der Spiels sind. … Sie haben die Wissensgesellschaft ausgerufen, die in Wahrheit nur ihnen nutzt, denn nicht jeder ist schlau“.

Die „Somewheres“ leben irgendwo, irgendwie von irgendwas, sie überleben durch die emotionale Nähe zum Wohnort, zur Verwurzelung. Sie können dem schnellen Wandel, der Massenmigration und der Globalisierung wenig abgewinnen, weil diese Faktoren ihr Leben eher verschlechtert haben. Trotzdem haben ihre Positionen lange als „Common Sense“ gegolten – bis die Anywheres die veröffentlichte Meinung zu beherrschen begannen. Die britischen Massenblätter haben sich von ihnen abgewandt. Der Sozialstaat, ihre originäre Schutzmacht, wird durch ethnische Zerklüftung zerstört. Großbritannien droht in ein noch fragmentierteres, hyperindividualistischeres und unfreundlicheres Land zu zerfallen, in dem sich verschiedene soziale und ethnische Gruppen in Parallelwelten zurückziehen, „während eine immer schrillere politische Klasse die Werte der Offenheit hinter hohen Zäunen zelebriert.“

Die Analogien zu Deutschland sind frappierend, wobei Deutschland als verspätete Nation mit der Globalisierung und Zuwanderung ein bis zwei Jahrzehnte nachhinkt: Die Deindustrialisierung wurde ja unter Maggie Thachter zum Programm und wird in Deutschland erst seit wenigen Jahren so massiv betrieben, wobei hier Umweltschutz und Klimawandel die Triebfedern der grünen „Anywheres“ sind. Der Rückbau des Sozialstaats für Rentner und Krankenversicherte, auf den die Somewheres aus dem Ruhrgebiet und dem Land so angewiesen sind, wird aktiv betrieben, während die sozialen Privilegen die Anywheres mit ihren bequemen Jobs in Ministerien, öffentlich-rechtlichem Rundfunk, höherem Beamtentum und öffentlichem Dienst gesichert werden – bis zum Todesröcheln des letzten Steuerzahlers. Auch BILD, früher bereit, für seine Leser somewhere und somehow zu kämpfen, ist seit 10 Jahren umgepolt und hat 2/3 seiner Auflage verloren. Was natürlich am Internet liegt, wie uns der Mann erklärt, der bei BILD Kai Dieckmann war. Merke: Wenn das Modell der Anywheres nicht funktioniert, sind eben immer die andern schuld.

Da sind wir dankbar für einen kleinen, aber jedes Wort lesenswerten Beitrag von Moritz Eichhorn, der sich die Wehrpflicht angetan hat, die ansonsten den Vertretern der Klasse der Anywheres schon lange mittels Attest erspart wurde. Er beschreibt diese verlorengegangene Gefühl der Kameradschaft, das auch Stuben-Feinde verbindet; die Solidarität der Geknechteten und Gefährdeten. Es ist ein staunender, ehrlicher Blick in die Lebenswirklichkeit der Somewheres, die unter anderen Bedingungen leben müssen so irgendwie, irgendwo und von irgendwas, das sie sich nicht aussuchen können wie die flexiblen Anywheres, die in´s jeweils weichere Nest hüpfen können – aber eines nie gelernt haben: Solidarität und ja – Treue.

Verbundenheit. Solche altmodische Unterschicht-Sachen halt. Braucht kein Mensch mehr unter den Globalisierten, reicht ja ein Jet-Ticket an den nächsten Staats-Trog. Eichhorns Beitrag zeigt, dass dieser Gesellschaft die verbindenden sozialen Institutionen verloren gegangen sind; dazu gehörten Wehrpflicht, Vereine, Kirche, menschennahe Parteien, der kleine Fußballclub (vor Ort, nicht Bonzen-Bayern oder Edel-Borussen) . Solidarität ist zur Worthülle verkommen (für Intellektuelle: zum Wieselwort). Willkommen in der Welt der Super-Individualisten mit Pensionsanspruch, die aus ihren Ghettos heraus die Grenzenlosigkeit predigen und die Entgrenzung für die praktizieren, die vor ihren festen Mauern unbehaust werden.

Guten Tach auch.

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Kommentare ( 53 )

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Abifiz
6 Jahre her

Ich stimme Ihnen zu: In der Tat die „neuen Bobos, untereinander verklumpten Gutmenschen/Baizuos, Kreativen und Medienritter, Drittmittelbeschaffer und Rechthaber, Gesinnungsmoralisten und Anywheres“ bilden zunehmend eine besserwisserische Feudal-Priesterschaft, fast einen neuen religiösen Orden mit höheren Weihen. Es ist erst kalt, wenn sie es verkünden; erst dann warm, wenn sie es offenbaren. Die realen Temperaturen waren gestern.
Sie sind die Regenmacher und Dauer-Aufgeklärten.

Die „Anderen“? Das sind halt die zechenpflichtigen Gimpel… Und die sollen auch brav mitsingen, wenn bei der Priesterschaft Gesang fällig.

Johann Thiel
6 Jahre her

Brav und angepaßt bis in die Wahlkabine.
Ja, Deutschland ist wirklich schön, schön blöd.

John
6 Jahre her

Herr Tichy, ich habe Ihren Artikel genossen.

Sabine Abbel
6 Jahre her

Ja, im DLF lief eine ähnliche Unterscheidung zwischen „Hypermoral“ und identitärer Moral. Die einen sind globalisierungsgeil, dabei gerne staatsnah angestellt und mit gesicherter Finanzierung, blicken zuversichtlich nach vorne, die anderen hängen einer „Identität“ nach, die sie sich im Rückblick konstruieren, die aber nur EInbildung sei.

So die Propaganda, hinter der man natürlich „Gut“ und „Böse“ erkennen kann und auch, wer was sein soll.

Die Wahrheit ist natürlich, dass sich eine Minderheit von „Anywheres“ auf Kosten der Mehrheit häuslich eingerichtet hat und immer abstrusere Begründungen braucht, um das zu rechtfertigen und nicht bereit ist für die angerichteten Katastrophen zu zahlen …

Hubert Paluch
6 Jahre her

Stimmt. Hyperindividualismus und Hypermobilität richten uns zugrunde.

Axel Graalfs
6 Jahre her

Bravo, Herr Tichy! Besser kann man die Doppelmoral und das Abgehobensein dieser „Anywheres“ nicht auf den Punkt bringen. „Anywhere but here“ möchte ich sagen. Diese Anywheres hinterlassen uns nicht nur die viel zitierten ethnischen und sozialen Parallelgesellschaften, sondern auch Parallelwelte, eine Gesellschaft ohne einigendes Band, ohne Klammer. Die politische Klasse und die so genannte geistige Elite dieses Landes haben größtenteils den Bezug zu den „common people“ verloren – und ganz nebenbei noch den „common sense“, um im Englischen zu bleiben. Diese Leute predigen Wasser und trinken Wein. Die ständige Abgrenzung zum vermeintlichen Pöbel da unten wird irgendwann in eine heftige… Mehr

Heinrich Ernst
6 Jahre her

Das kommt davon, wenn man Bildungsministerien und Unterrichtsmaterial ca 20 Jahre lang den rot-grünen überlässt. Sind ja bloß Kinder.

Heinz Stiller
6 Jahre her

Ich würde es nicht „somewheres“ und „anywheres“ nennen. Sondern „Verwurzelte“ und „Entwurzelte“, oder „Bodenständige“ und „Heimatlose“. Das ganze erinnert mich etwas an Albert Camus‘ ‚L’Etranger‘, wo der Mensch sich existentialistisch „ins Dasein geworfen“ fühlt – als vereinsamtes Individuum, ohne wirkliche innere Bindung. Unsere vergeisteswissenschaftlichen Eliten scheinen diese Weltsicht als eine Art erstrebenswertes Ideal propagieren zu wollen – so kalt, so vereinsamt, so fremd ein solches Dasein auch sein muss. Soziale Bindungen werden in diesem grenzenlosen individualistischen Selbst-Wahn nur noch als Fesseln wahrgenommen, nicht mehr als geistige Heimat. Folgerichtig wird Heimat – in jeder Beziehung – zum Schimpfwort; man verunglimpft sie… Mehr

AngelinaClooney
6 Jahre her

Danke für den Artikel Herr Tichy! Ihre „Somewhere“

Ghost
6 Jahre her

Ich persönlich beobachte eine zunehmende Segregation:: hier die Schlauen, die Globalisierungsgewinner, die Gewinner des bestehenden Systems (auch die mit Pensionsansprüchen), die Gutmenschen mit der moralischen Überlegenheit, die Lakaien der Systemlenker. Auf der anderen Seite die Dummen, Altmodischen, die der Entgrenzung und den Auflösungserscheinungen in den Gesellschaften des Westens skeptisch bis misstrauisch gegenüberstehen. Ich frage mich, ob hier die Keime eines lautlosen Bürgerkrieges gelegt werden. Die Fronten scheinen sich jedenfalls zu verhärten.