DER SPIEGEL Nr. 11: Halbmondfinsternis

Neben der informativen Titelgeschichte bietet der SPIEGEL in der Ausgabe 11 gleich eine Reihe Berichte, Interviews und Essays, die Denkanregungen geben.

Die Kapriolen Erdoğans führen zu einer Vertiefung der Kluft zwischen Türken und Deutschen. Den Terminus „Spaltung“ in Bezug auf die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei halte ich für gefährlich.

Import von Konflikten statt Integration

Derzeit leben drei Millionen Türken in der Bundesrepublik und bilden damit eine Minderheit, der Erdoğan mit seinen haltlosen Beschuldigungen und Nazi-Vergleichen enorm schadet. Der Streit kann nur dazu führen, dass Zweifel an der Loyalität dieser Mitbürger gesät und verstärkt werden. Warum die Anwürfe aus Istanbul und Ankara zwar dazu angetan sind, dass sich die Treuesten aller Treuen noch näher um Erdoğan scharen, der türkischen „Gemeinde“ in Deutschland, die alles andere als homogen ist, auch wenn die von Erdoğan kontrollierten Medien das gerne anders darstellen möchten, erbitterte Auseinandersetzungen drohen, die im schlimmsten Fall auch gewaltsam in der Öffentlichkeit ausgetragen werden, zeichnen die Titelgeschichten „Im Schattenreich“ und „Das Endspiel“ nach. Es ist eine informative Story; das Beklemmende daran: Es ist offensichtlich, dass die Integration doch nicht geklappt hat, wenn gutausgebildete, sprachgewandte Türken der 3. Generation sich ihrem vermeintlichen Heimatland Deutschland abwenden und Straßenschlachten türkischer Gruppen zu befürchten sind. Wenn Deutschland die türkischen Konflikte importiert ist die Integration am Ende; und so bilanziert der CDU-Politiker Norbert Röttgen, dass die doppelte Staatsangehörigkeit sich nicht bewährt hat. Man spürt beim SPIEGEL das Unbehagen daran, dass die bislang so sichere Haltung in Flüchtlings- und Einwanderungspolitik angesichts der Fakten in´s Wanken gerät.

Ist das Referendum erfolgreich, dann übersteigt Erdoğans Machtfülle sogar die des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk. Das Amt des Ministerpräsidenten wäre abgeschafft. In der neuen Verfassungskonstellation könnte er künftig nach Belieben in alle Schalthebel des Staates eingreifen, etwa 12 von 15 Verfassungsrichtern selbst einsetzen, Rektorenstellen der Universitäten ernennen, und sollten Parlamentarier zu sehr auf Willkür hinweisen oder seine Vorhaben nicht unterstützen, das Parlament auflösen. Vorgehen und Konsequenzen erinnern doch fatal an das Ermächtigungsgesetz, dessen Annahme im März 1933 in Deutschland in die politische, verfassungs- und völkerrechtliche, humanistische und kulturelle Katastrophe führte. Erdoğan spielt geschickt die gesamte Klaviatur totalitärer Führersysteme. Die Auseinandersetzungen um die Wahlkampfauftritte sind provokant kalkuliert. Gleich welche Reaktion Deutschland und andere Staaten – an diesem Wochenende die Niederlande –zeigen würden, der Mächtige vom Bosporus würde sie immer zu seinem Vorteil zu nutzen wissen, anklagend oder triumphierend. Alles ist inszeniert, jegliche Reaktion wird instrumentalisiert.

Merkel bei Trump

Der SPIEGEL klärt uns Leser in „Operation Proseminar“ darüber auf, was Angela Merkel für ihr erstes Treffen mit Donald Trump in petto hat. Man mag ja in der Redaktion gut informiert sein. Dass das Kanzleramt Trump bereits vor dem Meeting via Spiegel alles erklärt, was wie zu klären ist, ist dann doch ziemlich unwahrscheinlich. Und hier stimmt die Welt noch: Trump ist der Blödmann, dem Merkel schon die Welt erklären wird. Man ahnt mehr, als dass man es weiß: Das könnte schiefgehen.

Einfach sensationell finde ich den Beitrag „Revolution!“ von Julia Amalie Heyer über den Aufstieg von Emanuel Macron in Frankreich und die von ihm ins Leben gerufene neue Bewegung „En Marche!“ Endlich will mal einer das alte Lagerdenken überwinden. Für Macron gibt es kein rechts oder links, für ihn gibt es nur „Progressisme“. Seine enthusiastisch gestimmten Anhänger klopfen direkt bei den Bürgern an, um zu erfahren, wo der Schuh drückt. Man spürt: Hier da wird einer hochgeschrieben, der ins gute Weltbild paßt.

In dem Essay „Trumps fiktives Amerika“ zitiert Michael Werz den Zuwanderer Horace Kallen, der im Alter von fünf Jahren Jahren aus Schlesien nach Amerika gekommen war. 1915 beschrieb er die USA als ein Orchester, in der jede Migrantengruppe für ein Musikinstrument mit besonderer Klangfarbe und Tonalität stehe und deren Zusammenspiel ein harmonisches Ganzes ergebe. „In der Gesellschaft ist jede Gruppe ein natürliches Instrument, ihr Geist und ihre Kultur sind ihr Thema und ihre Melodie, und die Harmonie und die Dissonanzen und Missklänge bilden die Symphonie der Zivilisation“. Was für ein Bild!

Zu empfehlen ist das SPIEGEL-Gespräch von Bartholomäus Grill mit dem Träger des Geschwister-Scholl-Preises Achille Mbembe „Die Welt wird schwarz“. Der in Kamerun geborene und zurzeit in Südafrika forschende Philosoph und Historiker wirft einen kritischen Blick auf Europa, das ihm „wie ein wunderschönes Museum erscheint, das die Vergangenheit ausstellt und versucht, das Chaos der Gegenwart von sich fernzuhalten“. Zudem sei Europa gekränkt, weil es nicht mehr das Gravitationszentrum der Welt sei, ziehe sich auf sich selbst zurück und bedaure zugleich den Verlust seiner Hegemonie.

Obama bei Bertelsmann

Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und damit von Amts wegen Deutschlands oberster Arbeitsmarktexperte erklärt im Interview „Das Lernen lernen“ unter welchen Voraussetzungen er es für sinnvoll hält, das Arbeitslosengeld für Arbeitslose zu verlängern, wenn sie an einer Qualifizierung teilnehmen. So nützlich die Maßnahmen für die Betroffenen unter bestimmten Umständen sein mögen, so darf bei der Offensive des Kanzlerkandidaten Schulz eines nicht übersehen werden: Hinter dem Vorschlag verbergen sich Pläne von Arbeitsministerin Andrea Nahles, die Bundesagentur zu einem Qualifizierungsinstitut auszubauen. Allzu sehr ist in den zurückliegenden Jahren die SPD-nahe Weiterbildungsindustrie aus dem Markt gedrängt worden. Diesen schmerzhaften, aber notwendigen Prozess rückgängig zu machen, ist das eigentliche Anliegen hinter den Plänen. Weiterbildung gehört in die Unternehmen, dorthin, wo man den Bedarf am besten kennt und wo die Expertise vorhanden ist. Die unselige Verbandelung immer derselben Institutionen mit der Bundesagentur, die mit immer denselben Kursen am Arbeitsmarkt vorbei Arbeitslose in Endlosschleifen aus den Statistiken herausgehalten haben, darf nicht wieder aufleben. Hier wird Klientelpolitik vorbereitet, mit der die Betroffenen vertröstet werden und die Institute ihren Daseinszweck wiederbeleben können.

Der Beitrag „Vom Exit zum Exitus“ von Christoph Pauly und Christian Reiermann überzeugt mich davon, dass nach Brexit, Nexit, Frexit und Italexit der Euro sein leben aushaucht, die alte D-Mark wiedergeboren wird und die Deutschen anschließend „auf einem großen Sack Lire sitzen bleiben“.

Dinah Deckstein und Martin Hesse berichten in „Die Rache des Banksters“ davon, dass Georg Funke, Ex-Chef der Hypo Real Estate, und sein Ex-Finanzvorstand Markus Fett ihre Unschuld an der Finanzkrise und dem Milliardenloch bei ihrer Ex-Bank beteuern. Josef Ackermann, Ex-Finanzminister Peer Steinbrück und der Zusammenbruch von Lehman Brothers seien schuld gewesen. In wenigen Tagen beginnt der Prozess gegen Funke und Vorstandskollegen. Der Vorwurf: die Geschäftszahlen der Bank schöngerechnet zu haben.

Bertelsmann-Chef Thomas Rabe im SPIEGEL-Gespräch „Ich bin besorgt“ mit Markus Brauck, Klaus Brinkbäumer und Isabell Hülsen über seinen Vorschuss von über 60 Millionen Dollar an Barack und Michelle Obama für den Abdruck ihrer Biografien – er behauptet, es rechne sich. Da hätte man sich Nachfragen gewünscht: Wie sieht die Rechnung aus? Buchkalkulationen sind kein Buch mit 7 Siegeln.

Rafaela von Bredow gibt im Interview „Mehr, mehr, mehr“ mit der Psychologin Claudia Hammond interessante Einblicke in die menschliche Psyche. Ich lerne: Auch wer Milliarden hat, will immer noch mehr. Wenn man ihn frage, ob das gerecht sei, so habe er das mit Können und Glück verdient. Mit dem gleichen Argument, so Hammond, pochten Top-Manager auf ihre aberwitzigen Gehälter. Sie dächten, dass ihr enormer Bonus eigentlich nur bedeuten könne, dass sie enorm gut in ihrem Job wären.

Jörg Blech entführt uns mit Nanomaschinen und Minifähren in Blutbahnen. Das ist kein Science Fiction, kein Thriller made by Michael Crichton, sondern Forschungsrealität am Max-Planck-Institut in Stuttgart an der FU Berlin und am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. „Roboter im Blut“ beschreibt, wie Roboter in Nanogröße Medikamente in lebende Körper schleusen. Laut Spiegel haben Forscher der FU Berlin Hauskatzen mit Schilddrüsenüberfunktion, die keine Tabletten fressen, bereits mit Nanotransportern mit Medikamenten versorgt.

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Kommentare ( 7 )

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Silverager
7 Jahre her

Nun, als „Werbung“ würde ich das nicht gerade bezeichnen.

fein_geist
7 Jahre her

Sie liegen falsch Herr Körner,
so schlimm sieht es in den Hinterhöfen von Bukarest überhaupt nicht aus. *Ironie off

Detlef Ka.
7 Jahre her

Moin,Moin, die Welt wird nicht schwarz. Das offenbart doch nur …wanzdenken. Evolution hat den Rest der Menschheit, ausser Afrika, ins einundzwanzigste Jahrhundert getragen. Die kalten Regionen dieser Erde sind sicherlich Mehr-Land. Wünsche von Herrn Mbenbe können wir so nicht weiter verfolgen. Gleich vor dem Gesetz = ja, keine Sonderbehandlung für eine Rasse. Ausserdem kann die Familie Obama natürlich die Sklavenkarte noch mal spielen. 60 Millionen ($;€?) für den armen schwarzen Menschen der „miß“gebildet von Eliteuniversitäten der weissen gekommen ist. Glückwunsch tolles Marketing mr. Barack, das ist der Preis für ein geiles weisses Gefühl! (Zielgruppe) Nobelpreis für nix und das ganz… Mehr

Juergen Dachl
7 Jahre her

Die Luftballons der Multikulturalisten werden in den nächsten Jahren wie am laufenden Band platzen. Die Frage ist nur wieviel Schaden wir als Bürger durch die Kollateralschäden abkriegen.

AlfredE
7 Jahre her

Ich möchte da TE nicht vorgreifen.

NoName
7 Jahre her

Kurze Antwort: SPD

Fritz Goergen
7 Jahre her

TE muss gar nix. Wäre schön, Sie würden Ihre Unterstellung unterlassen.