Ukraine-Hilfe als Selbst-Hilfe der EU

Das jüngste Ukraine-Paket der EU ist vor allem ein Plan, um die EU zu transformieren. Mit immer mehr gemeinsamen Schulden will man einen „Hamilton“-Moment erreichen: der Moment, in dem aus einem Staatenbund ein Bundesstaat wird.

IMAGO / NurPhoto
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán beim Visegrád-Treffen in Kattowitz am 30. Juni 2021.

Gemeinsame Schulden darf die EU eigentlich nicht aufnehmen. Mitgliedsländer dürfen im Prinzip nicht für die Schulden anderer Mitgliedsländer haften. Genau deswegen gab es erregte Debatten, als dieses Prinzip 2020 erstmals missachtet wurde, um einen Covid-Wiederaufbaufonds zu schaffen. Es ging um 750 Milliarden Euro, und wurde insbesondere von der deutschen Politik als „einmalige Ausnahme“ verkauft.

Kaum jemand glaubte es. Die EU durchbricht selten alte Regeln als „einmalige Ausnahme“. Es sind meist Tests, um danach neue, allgemeine und permanente Regeln aufzustellen. Nur entschlossener Widerstand gleich zu Beginn hilft dagegen – wie bei der Flüchtlingsquote 2015/16. Auch da war eine „einmalige“ Regelung nur als Vorläufer gedacht für allgemein verbindliche, permanente Flüchtlingsquoten. Nun legt die EU die nächste Schuldenaufnahme vor: 18 Milliarden Euro, um der Ukraine zu helfen. Aus der „einmaligen“ wird damit eine „zweimalige“ Ausnahme.

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Wenn der Plan durchgeht. Ungarn blockiert. Himmel, der böse Orbán blockiert dringend erforderliche Hilfen für die Ukraine, hieß es nun allenthalben. Stimmt nicht: Ungarn blockiert nur das Prinzip einer erneuten gemeinsamen Schuldenaufnahme. Es ist gerne bereit, der Ukraine bilateral finanziell Hilfe zu leisten. Das wäre dann wohl Gegenstand von Verhandlungen zwischen Kiew und Budapest. Die Ungarn-Politik der Ukraine bestand bislang vor allem darin, Orbán laut zu beschimpfen. Das würde sich vermutlich ändern müssen, wenn man ungarisches Geld will.

Die Ukraine bekommt schon jetzt erhebliche materielle Hilfen, sowohl aus EU-Töpfen als auch bilateral von EU-Mitgliedern. Pikant dabei ist, dass es der EU dazu gar nicht bedarf: Jedem Land steht es frei, voranzupreschen und selbst zu helfen. Außer Polen tut es aber niemand.

Der Verdacht liegt nahe, dass die EU-Führung, und politische Kräfte in der EU, die einen europäischen Föderalstaat wollen, jeden Vorwand nutzen, um immer mehr gemeinsame Schulden und nach Möglichkeit gemeinsame Steuern anzustreben. Ich wage die Prognose, dass die EU in den nächsten Jahren entweder bereits eine solche Strukturreform beschließen oder aber noch mehr Krisen „finden“ wird, um weitere gemeinsame Schulden zu rechtfertigen. Schon jetzt wird über eine dritte gemeinsame Kreditaufnahme diskutiert, um die (teilweise selbst verursachten) Kosten der Energiekrise abzufedern.

Covid-Krise, Energiekrise, Ukraine-Krise: Aus der „einmaligen Ausnahme“ würde so in kürzster Frist eine Dreier-Serie.

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Insbesondere Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron fordert seit längerem eine „Fiskalreform“ der EU. Das bedeutet vor allem, dass die Bürger der Nationalstaaten immer mehr Geld nicht ans eigene Finanzamt, sondern an die EU abführen sollen, ob direkt (Steuern) oder indirekt (gemeinsame Schuldenaufnahme). Eine aktuelle IMF-Studie empfiehlt das ebenfalls dringend.

In der Demokratie geht es im Kern darum, dass die Bürger Steuern zahlen und Volksvertreter wählen, die dann entscheiden, was mit dem Geld geschehen soll. Wenn immer mehr Geld über die EU verteilt wird statt über nationale Regierungen, bedeutet das immer weniger nationale Souveränität und immer weniger Bürgerwillen in der Politik.

In der Fachliteratur ist es als „Hamilton-Moment“ bekannt – der Augenblick, als die USA sich von einer Förderation in einen Föderalstaat verwandelten, weil sie sich zu gemeinsamen Schulden bekannten. Den USA ist es wohl bekommen? Ob es für die Europäer gut wäre, ist seit längerem Gegenstand heftiger Debatten.

Es ist jedenfalls das, wogegen Ungarn sich wehrt. Nicht gegen mehr Hilfe für die Ukraine. Ungarn will Ungarn bleiben, nicht eine Verwaltungsprovinz in einem europäischen Superstaat werden.

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Kommentare ( 10 )

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GeWe
1 Jahr her

Der Autor erwähnt das “Hamilton-Moment” als die USA sich angeblich von einer Förderation in einen Föderalstaat verwandelten, weil sie sich zu gemeinsamen Schulden bekannten. Es ist aber eher ein abschreckendes Beispiel. Hamilton meinte, dass die Vergemeinschaftung der Schulden „Zement“ für den neuen amerikanischen Staat sei. Da irrte er jedoch. Da nun Gläubiger und Schuldner davon ausgingen, dass man auch in Zukunft die Schulden der Einzelstaaten vergemeinschaften und nach Washington schieben würde, wurden in wachsendem Umfang Kredite aufgenommen und zur Finanzierung von Investitionen verwendet. Überall wurden Straßen, Brücken, Kanäle und öffentliche Gebäude errichtet. Der Bauboom führte jedoch zu einer Bonanza-Stimmung, die insbesondere… Mehr

Petra Horn
1 Jahr her

Früher fand ich die Benennung EUdSSR übertrieben, unpassend und wenig geistreich. Aber genau dahin geht es. Die Gesellschaft wird systematisch zerstört. Geld wird völlig unsinnig rausgehauen für die Klimahysterie, für illegale Migranten, für alles mit Corona wie Spritzdosen, Tests,Lockdowns, Zahlungen an Krankenhäuser usw., für Ukrainer und den Krieg dort. Für die Deutschen und andere, die schon länger hier leben und so dumm sind zu arbeiten und Steuern zu zahlen, bleibt nichts. Das ist GEWOLLT. Wir werden in eine Katastrophe gesteuert und direkt in die Enteignung und den totalen Überwachungsstaat. Wer stellt sich dem entgegen? Hat die „globale Elite“ wirklich alle… Mehr

Reinhard Schroeter
1 Jahr her

Die Ukraine respektive deren Führung, lässt seit Jahren nichts unversucht, die Beziehungen zum Nachbarland Ungarn zu belasten. Ein Selensky, vor dessen Untadeligkeit man in Buntland angehalten ist, den Kopf zu neigen, hat sich vor der letzten Parlamentswahl in Budapest, also in April 21, dreist und unverschämt in den dortigen Wahlkampf, natürlich gegen Orbàn und seine FIDESZ -Partei , eingemischt. Im sogenannten Karpatenunterland, bis zum Schandfrieden von Trianon 1918 ein Teil Ungarns, leben heute noch ca. 300.000 ethische Ungarn, deren kulturelle Eigenständigkeit ständiges Ziel von Angriffen aus Kiew ist. Zuletzt wurde mit einem Sprachgesetz versucht, den Gebrauch der ungarischen Muttersprache im… Mehr

Tacitus
1 Jahr her

Das ist ein richtig schwieriges Thema!
Ich denke schon, dass die EU, sofern sie sich als schlagkräftige Staatengemeinschaft verstehen will, (solidarisch) gemeinsame Aktionen und Budgets benötigt.
Ich bin aber ebenso überzeugt, dass die EU kein Moloch sein darf. Was wir heute, z.B. bei der EU-Kommission, sehen, ist entsetzlich: eine demokratisch nicht legitimierte ‚Einheit‘ steuert das ‚Wohl und Wehe‘, triftt Entscheidungen und schließt Verträge (z.B. mit Impfstoff-Herstellern).
Insofern verstehe ich, dass sich z.B. Ungarn verwehrt, wenn es um die undifferenzierte Ukraine-Politik der EU geht. Das sollten alle Mitgliedstaaten ebenso tun.

Lesterkwelle
1 Jahr her

Es IST NICHTS anderes als die Umsetzung von Junckers Plan. Wir stellen etwas in den Raum, das sowieso niemand versteht…und machen weiter, bis es kein Zurueck mehr gibt.“ Wille Der Voelker? Uninteressant. Demokratie? Wir haben doch das EU-Scheinparlament! Und solange sich niemand widersetzt, laeufts auf die von vdL heiss ersehnten Vereinigten EU Staaten hinaus. Sieht man in Deutschlands Altparteien Widerstand gegen die perfide Zerstoerung der Demokratie?

Melusine
1 Jahr her

Da sind Leute ohne jede Skrupel zugange, ohne jeden Respekt vor demokratischen Strukturen, demokratischen Prozeduren, beschlossenen Verträgen und Abkommen. Je eher man denen das Handwerk legt, desto besser.
Orban ist ein Hoffnungsschimmer; Meloni könnte dazu kommen, Wer noch?
Und genügen die?
Man erinnert sich an den 14 juillet vor der Bastille.
Und denkt an Berlaymont.
Ist Träumen erlaubt?

GefanzerterAloholiker
1 Jahr her

Also das überrascht mich jetzt.
Wird aber zur Spaltung der EU führen. Die 3 Meere Fraktion (Osten, Süden plus Österreich) sind nur bedingt tauglich, um sich an Monsterzentralen zu ketten.

EinBuerger
1 Jahr her

Meine Einschätzung:
Ein Land wie Ungarn hat nur eine Chance sich zu behaupten, wenn es noch eine weitere Großmacht gibt, die sich in Europa engagiert. Russland fällt bis auf weiteres wohl aus. Bleibt noch China.
Theoretisch wäre noch eine nichtlinke USA denkbar, wenn die gegen die EU steht. Aber da sieht es auch nicht danach aus.
Ohne den Schutz einer Großmacht, kann sich Ungarn alleine nicht gegen den EU-Mainstream behaupten.

Melusine
1 Jahr her
Antworten an  EinBuerger

Eine Alternative zur Anlehnung an eine externe Welt(Gross)macht wäre ein Bündnis von EU-Mitgliedstaaten, die gleiche oder ähnliche Ziele (v.a. Einhegung der Brüsseler Zentrale) verfolgen. Gab es nach 2015 schon mit PL, CS, SL, AU, die Front gegen die Merkelsche „Verteilung“ der von D ins Land gelassenen angeblichen „Flüchtlinge“; doch solche Gruppierungen haben eine kurze Lebensdauer, während in Brüssel eine grosse Kontinuität herrscht.

rainer erich
1 Jahr her

Das, dieses Ziel, ist sowohl richtig beschrieben wie auch wenig ueberraschend. Allerdings sollte man das, was hier unter französischer Herrschaft geplant ist, nicht mit den USA gleich setzen. Sowohl die Voraussetzungen wie auch die Bedingungen und die geplante Ausgestaltung sind nicht einmal ansatzweise als Modell geeignet, von den noch verheerenderen Folgen fuer die Buerger des „Nordens“ ganz abgesehen. Und von einer Demokratie, wie sie in den USA durchaus noch!! angenommen werden kann, wenn auch extrem von den sogen Democrats unter Druck, brauchen wir dann nicht mehr zu reden. Das soll ein Gebilde sui generics werden, eine Art Imperium, genauer eine… Mehr