Taliban geben UN-Hilfe an Kämpfer weiter – dem Land droht der Bankenkollaps

Auch nach dem Abzug der Alliierten fließt westliches Geld nach Afghanistan. Entgegen populären Behauptungen kommen die Gelder nicht dem afghanischen Volk zugute. Einen Großteil verwenden die Taliban für ihre Truppen und Kämpfe im Norden. Dem Bankensystem droht der Zusammenbruch.

IMAGO / Xinhua
Deborah Lyons, Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Afghanistan, berichtet über die Lage in Afghanistan, UN-Hauptquartier in New York, 26. Januar 2022

Auch neun Monate nach der Machtergreifung durch die Taliban fließen enorme Hilfsgelder in das Land, die auf immer neuen Geberkonferenzen auf Vorschlag der Vereinten Nationen vereinbart werden. Auch Deutschland hat schon im letzten Jahr 600 Millionen Euro bereitgestellt und sich im März nun zu weiteren 200 Millionen Euro bereit erklärt. Das sagte Annalena Baerbock nach der jüngsten virtuellen UN-Geberkonferenz für Afghanistan Ende März. Dieses Geld sollte nicht in die Hände der Regierung fallen, sondern direkt an unabhängige Hilfsorganisationen fließen, so Baerbock.

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Aber gibt es überhaupt so etwas wie ein unabhängiges, bürgerliches Leben und Wirtschaften in der Taliban-Diktatur? Macht es einen Unterschied für Frauen und Mädchen, ob die unterdrückerische Politik direkt von den Taliban oder zwangsweise von westlichen NGOs umgesetzt wird? Im letzten Jahr hatte das Auswärtige Amt 600 Millionen Euro bereitgestellt, erst als „reine Nothilfe“ (Heiko Maas), dann für humanitäre Zwecke.

Besonders gelungen war zugegeben die Überschrift im Tagesspiegel vom 13. September: „Maas bietet Taliban Geld für Afghanistan an“. Als Gegengabe erhoffte sich der SPD-Außenminister eine pluralistische Regierung in Afghanistan, die allerdings nie kam.

Die von der UNO ausgerichtete virtuelle Geberkonferenz für Afghanistan endete mit Zusagen von insgesamt 2,2 Milliarden Euro. Eigentlich hatten die Vereinten Nationen 4,4 Milliarden Euro gefordert – und damit den höchsten Betrag, der je für ein Land gefordert wurde, wie die Zeit mit Rückgriff auf Agenturmeldungen bemerkte. Und ja, in Afghanistan sind Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Die Machtübernahme der Taliban war für manche ein rauer Übergang, auch wenn sie in vielen Regionen das Ende der Kämpfe bedeutete.

Das Leben des Volkes wird so nicht verbessert

Nun zeigen Recherchen der deutschen Ausgabe von Business Insider, dass ein großer Teil des Geldes trotz aller Vorsichtsmaßnahmen in den Händen der Taliban landet und von den islamischen Gotteskämpfern zur Versorgung ihrer Truppen benutzt wird. Zugleich entgleite den Taliban die Wirtschaft des Landes. Hochrangige Mitarbeiter verschiedener Banken berichten von einem drohenden Zusammenbruch des Bankensystems. Die Einlagen der Afghanen sind ohnehin seit der Machtübernahme der Taliban Geschichte, als das Handels- und Bankensystem des Landes eingefroren wurde. Angeblich können die Banken nur geringe Beträge auf wöchentlicher Basis auszahlen. Die Gehälter der Angestellten wurden um bis zu 50 Prozent gekürzt, zwei Drittel der Filialen geschlossen.

Die letzte Lieferung von Bargeldpaketen soll 32 Millionen US-Dollar umfasst haben, so Business Insider. Eigentlich sollten diese Mittel – so der mantraartig wiederholte fromme Wunsch der westlichen Geldgeber – sozialen Zwecken, Frauen und Kindern zugutekommen oder die Gehälter der Mitarbeiter internationaler Institutionen (darunter die UN) decken. Insgesamt sind so bereits mehr als 800 Millionen Dollar an das Land geflossen, wie ein Taliban-Vertreter kürzlich der Presse mitteilte.

Laut einem hochrangigen Mitarbeiter der afghanischen Zentralbank wird das Geld mit UN-Flügen nach Kabul gebracht und dann an die private Afghanistan International Bank (AIB) geliefert. Was dann mit dem Geld passiere, wisse man nicht. Niemand weiß, wie es ausgegeben wird. Das Leben des einfachen Volkes werde jedenfalls kaum durch die Zahlungen verbessert, so der Informant.

Taliban: Geld geht an Kämpfer im Norden – was kommt nach dem Zusammenbruch?

Ein weiterer Informant, nun aus Taliban-Kreisen, berichtet, dass der Großteil des Geldes für die Versorgungen von Kämpfern in verschiedenen aktuellen Konfliktherden innerhalb des Landes genutzt werde, etwa in den nördlichen Gebieten. Nur ein kleinerer Teil wird offenbar „als Zeichen des guten Willens“ an die notleidende Bevölkerung weitergegeben. Ein UN-Mitarbeiter bestritt diese Aussagen rundweg: „Das Geld kommt nicht bei den Taliban an.“

Der diplomatische Parallelkrieg
Die Vereinten Nationen sortieren sich neu – und machen sich überflüssig
Laut den Vereinten Nationen droht fast der gesamten Bevölkerung (97 Prozent) ein Leben in Armut. Dass das in dem kargen Land ohnehin der Normalfall sein dürfte, verschweigt diese Mitteilung. Aber das Sprengpotenzial kann keiner leugnen. Die Ackerfläche des Landes ist gering, ein Teil geht für Mohnfelder drauf, die Bevölkerung wächst derweil massiv an. Es ist im Interesse der westlichen Welt, vor allem Europas und darin vor allem des Asyllandes Deutschland, dass dieser Trend nicht anhält.

Man fragt sich, was ein Ende der Liquidität in einem Land wie Afghanistan, in dem viele auf Selbstversorgung angewiesen sind und ohnehin am Existenzminimum knapsen, überhaupt noch ausmacht. Für die Stadtbevölkerung hätte ein Finanzzusammenbruch sicher katastrophale Folgen. Unruhen wären zu erwarten, die sich vielleicht auch gegen die Taliban richten könnten. Andererseits könnten die Gotteskrieger ihr Regime auch und gerade durch solche Zustände festigen, ohne doch einen noch größeren Exodus ihrer Landsleute verhindern zu können oder zu wollen.

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Kommentare ( 37 )

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Donostia
1 Jahr her

Es ist im Interesse der westlichen Welt, vor allem Europas und darin vor allem des Asyllandes Deutschland, dass dieser Trend nicht anhält. Herr Nikolaidis warum soll die westliche Welt ein Interesse daran haben das dieser Trend nicht anhält und warum nur die westliche Welt. Den anderen darf es scheißegal sein? Mein Interesse ist, dass dorthin kein Steuergeld mehr geht und das die Grenzen Europas für diese Glücksritter dicht gemacht wird. Als der Westen abzog gab es da mehrere 100.000 vom Westen ausgebildete und bewaffnete Soldaten oder Polizisten die sofort die Waffen niedergelegt haben und das Land den Taliban übergeben haben.… Mehr

wackerd
1 Jahr her

Zu spät! Der Abzug der Amerikaner und die de facto-Anerkennung der Taliban hat Afghanistan den Rest gegeben. Natürlich musste unsere verblödete Regierung auch noch viel Geld hinterher schmeißen. Alles sinnlos. Die Taliban setzen das durch, was sie jahrelang gepredigt haben.

Mausi
1 Jahr her

Nein, sowas aber auch! Wer hätte das gedacht! Eine echte Überraschung. Läuft ja wie geschmiert/in „Palestina“.

Lehrer sind auch nur Menschen
1 Jahr her

da zahlt man doch seine deutschen Steuern gern, wenn man weiß, dass sie sooo gut angelegt sind… aber gnade einem, der in Deutschland die Steuern nicht rechtzeitig zahlt, oder der GEZ wenige 100 Euro „schuldet“…

Endlich Frei
1 Jahr her

„Taliban geben UN-Hilfe an Kämpfer weiter“
Was hat man anderes erwartet?
Schon im Nordirak sind Multimillionenbeträge, die aus Bundesmitteln an angebliche in Deutschland ansässige Hilfsorganisationen geflossen sind, jahrlang durchgereicht worden an die Verwandschaft im Nordirak, direkt an Terrororganisationen. Es wurde öffentlich nie an die große Glocke gehängt – ist den Politikern aber längst bekannt.

WeltbegaffenderRumReisender
1 Jahr her

…wann werden Gutmenschen endlich verstehen, dass es Menschen und Mentalitäten gibt, denen man – bei besten Willen – nicht helfen kann, weil sie intellektuell, sozialisierungs- und mentalitätsbedingt nicht fähig sind, Hilfe zur Selbsthilfe als solche zu erkennen und anzuwenden; sondern immer nur sagen werden „Gib, gib, ich bin arm und du/ihr bist/seid schuld“. Oder anders ausgedrueckt: Gebt ’nem Asozialen ’ne Villa, schaut einige Monate nach Schenkung den Zustand der Villa an – und wundert euch nicht, wenn diese vermüllt, die Waschbecken verdreckt, Essensreste in der Küche nach monatelangen Liegenlassen verschimmelt usw.

H.Zoellner
1 Jahr her

Wann fängt der Westen endlich an zu verstehen, wo der Hammer hängt? Immer wieder dieser Schwachsinn an solche Staaten Geld ohne Ende zu geben, dieses Gerede von Humanität. Warum konnten denn die Taliban nicht ausgeschaltet werden? Der Grund ist doch ganz einfach, diese vorsintflutlichen Terroristen sind tief in der Bevölkerung verwurzelt. Sie bekamen immer Hilfe.   Nein, klare Kante, keinen Cent mehr an diese Länder. Das Geld fließt eh nur in die Taschen der Taliban. Das Land, wie die Bevölkerung muss nun massiv unter Druck gesetzt werden, damit sie sehen, wen sie da mit den Taliban stützen und wie es… Mehr

H.Zoellner
1 Jahr her
Antworten an  H.Zoellner

Hallo Murkle
 
Hm, das stimmt ja auch nicht. Vor dem Westen war die Sowjetunion in Afghanistan, das war je genau nicht der Wertewesten, sondern der Kommunismus, die Truppen wurden auch bekämpft und konnten ebenfalls nichts erreichen.

Ede Kowalski
1 Jahr her

….eine pluralistische Regierung in Afghanistan, die allerdings nie kam…
Hat jemand der noch seine sieben Sinne beisammen hat je etwas anderes erwartet? Die naive Bildungsferne in der deutschen Politik wird allmählich zur Staatsbedrohung.

Last edited 1 Jahr her by Ede Kowalski
Auswanderer
1 Jahr her

Hamas II könnte man sagen. Keinen Cent an diese Typen! Saudi Arabien, Qatar und andere ausgesuchte muslimische Staaten können das doch übernehmen!

Michael M.
1 Jahr her

Afghanistan interessiert mich genauso so viel wie die Ukraine, nämlich überhaupt gar nicht. Sollen die sich doch weiter die Köpfe einschlagen, aber ganz sicher nicht mit unseren Steuergeldern, die von unseren Polit-Clowns offensichtlich hemmungslos in der ganzen Welt verteilt werden.
Hierzulande vergammeln die Schulen und die Infrastruktur und bei vielen Menschen reicht wohl bald die Rente bzw. ihr Verdienst nicht mehr zum Leben. Das ist ein Skandal ohnegleichen und macht mich so richtig wütend, schämt euch ihr sog. Volksvertreter!