Spannungen mit der Türkei: Griechenland baut seine Grenzbefestigung aus

Seit Erdogan wieder auf Konfrontation setzt, drohen vermehrt hybride Operationen. Migrationsminister Mitarakis will den griechischen Stahlzaun am Evros erweitern. Auch die Küstenwache bleibt in Alarmbereitschaft. Athen hat allen Grund, bei seiner Politik der sicheren Grenzen zu bleiben. 

IMAGO / NurPhoto
Zaun an der griechisch-türkischen Grenze am Evros

Griechenland warnt vor einer neuen Instrumentalisierung der illegalen Migration durch die Türkei aufgrund verschiedener Konflikte, die das kleinasiatische Land mit den Nato-Partnern ausficht. Die Aufgriffe und Abweisungen von Migranten auf Festland und Inseln sind in den ersten vier Monaten im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Migrationsminister Notis Mitarakis (Nea Dimokratia, ND) sprach von einer Steigerung um 30 Prozent. Bis Ende April kamen demnach 3.900 Migranten illegal nach Griechenland. Dagegen seien im gesamten vergangenen Jahr 8.500 Menschen ohne gültige Reisepapiere eingereist. 

Daneben berichtete Bürgerschutzminister Takis Theodorikakos (einst Pasok, heute ebenfalls ND) von 40.000 verhinderten Einreisen im ersten Jahresdrittel 2022, der Migrationsdruck sei ständig da. Außerdem wurden in den vier Monaten von Januar bis April 150 Schleuser an griechischen Grenzen gefasst. Doch schon die parallel laufende Steigerung der illegalen Ankünfte an Evros und Ägäis lässt aufhorchen, verweist sie doch auf das geheime Zentrum beider Bewegungen, das in Ankara sitzen dürfte.

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Nun will die griechische Regierung die Landgrenze zur Türkei durchgängig mit einem Grenzzaun abriegeln und verweist auch auf heikle Äußerungen Erdogans, der jüngst davon sprach, dass er mit den „Feinden“ der Türkei entsprechend umgehen werde. Für Griechenland folgt daraus, dass man die eigenen Grenzen noch besser gegen „hybride“ Angriffe sichert. Das gilt auch für die Seegrenzen, wo Athen die Küstenwache mit neuen Schiffen aufgerüstet hat. Das derzeitige Verhalten der Türkei isoliere das Land im internationalen Umfeld, so Mitarakis gegenüber dem Fernsehsender Skai.

Geplant sind angeblich 80 weitere Kilometer der Grenzbefestigung. Wo immer man die Festlandgrenze zu Fuß überqueren kann, soll dann ein Zaun stehen. Und Athen würde auch gern EU-Mittel für den Bau einsetzen. Derzeit finden laut Politico Gespräche mit der Kommission statt, die die Migrationspolitik der Jahre bis 2027 zum Thema haben. Die Frage, ob EU-Mittel für den Barrierenbau an den Außengrenzen eingesetzt werden können, ist bekanntlich hochumstritten. Im Herbst hatte sich unter anderen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gegen einen EU-Zuschuss für Grenzbefestigungen in Polen und den baltischen Staaten ausgesprochen. Dagegen hatten zwölf Mitgliedsstaaten „physische Barrieren“ im „Interesse der gesamten EU“ gefordert.

Plastikboot auf dem Evros und Schüsse von der Gegenseite

Schon im Jahr 2011 war ein Gesuch der damaligen Regierung Papandreou um Mittel für einen EU-Grenzzaun abgewiesen worden, weil sich – so die damalige Innenkommissarin Cecilia Malmström (von den schwedischen Liberalerna) – die illegale Migration durch solche Maßnahmen nur verlagern würde. Nach dieser Logik dürfte man freilich keine einzige Tür zum eigenen Haus mit einem Schloss sichern: Die Einbrecher würden es ja doch durchs Fenster versuchen.

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Damals war von Griechenlands „schwindenden Mitteln“ die Rede. Doch Ende 2012 stellte Athen einen ersten, recht einfachen Zaun fertig, der sukzessive auf rund 15 Kilometer anwuchs. Die Regierung Mitsotakis hat bisher 25 Kilometer des neuen, fünf Meter hohen, mit Stahl und Beton verstärkten Zauntyps fertiggestellt. Die neuen 80 Kilometer werden weitere Lücken an der rund 200 Kilometer langen Landgrenze zur Türkei schließen, die meist durch den Evros-Strom gebildet wird.

Denn noch immer werden Migranten auf der türkischen Seite des Evros in Plastikboote gesetzt und so in die EU eingeschleust, wie etwa die Wirtschaftszeitung Navtemporiki unlängst berichtet hat. Eine griechische Polizeimeldung aus dem April schildert den exemplarischen Fall: Gegen neun Uhr abends entdecken die Grenzpolizisten das Plastikboot in der Nähe des Dorfes Souflí und versuchen seine Überfahrt mit Taschenlampen und durch Rufe („Polizei – kehren Sie um!“) zu verhindern. Allein, im selben Moment sind Schüsse von der anderen Seite zu hören. Wer die Schüsse abgibt, bleibt wegen der einsetzenden Dämmerung unklar.

Die Grenzschützer suchen Deckung und geben ihrerseits Warnschüsse ab. Aber auch von gegenüber fallen weitere Schüsse. Das Boot setzt seinen Kurs fort. In der Nähe des Ufers gehen fünf der Insassen ins Wasser, der Rest fährt wieder zurück. Aber nur vier Migranten erreichen das Ufer, der Körper einer Frau bleibt leblos zurück. An ihrem Rücken entdeckte man später eine Schusswunde, verursacht von einem Kleinkaliber, das aus nächster Nähe, wenige Zentimeter vom Körper der Frau, abgefeuert wurde. Unklar bleibt, wer die Führer des Bootes genau waren. Eines sind sie aber mit Sicherheit: Menschenschlepper. Der Vorfall zeigt, wie skrupellos die Schleuser, oder wer sie sonst sind, vorgehen und wie wenig ihnen ein Menschenleben wert ist.

Ankünfte im April gegenüber dem ersten Quartal verdreifacht

Im Fernsehsender Skai sagte Mitarakis, der von Migranten aus der Türkei ausgeübte Druck steige derzeit leicht an, sei aber noch nicht mit Hochständen wie noch 2019 zu vergleichen, als 72.000 illegale Migranten nach Griechenland einreisten. Im Jahr 2015, als Alexis Tsipras gerade an die Macht gekommen war, waren sicher eine Million Migranten illegal nach Griechenland eingereist. Die meisten von ihnen blieben bekanntlich nicht lange. 

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Wenn die Dinge heute anders liegen, ist das offenbar vor allem dem griechischen Grenzschutz zu verdanken. Denn sonst wären die 40.000, die es laut dem zuständigen Minister versuchten, heute wohl im Land und damit letztlich in der Schengenzone angekommen. Bei dieser Zahl kann es sich nur um eine Schätzung aufgrund der Berichte von Grenzbeamten handeln. Bürgerschutzminister Theodorikakos spricht von 1.600 Vorfällen, mit denen „die Nachbarn unglückliche Menschen, illegale Migranten instrumentalisiert“ hätten. „Die Nachbarn“ – das sind im heutigen Griechisch die Türken.

Noch im ersten Quartal 2022 (bis zum 31. März) wurden laut Migrationsministerium nur 1.907 illegale Einreisen nach Griechenland über den Land- und Seeweg verzeichnet. Das bedeutet freilich auch, dass allein im April etwas 2.000 Menschen ohne gültige Papiere nach Griechenland strömten, also noch einmal so viele wie in den drei Monaten zuvor. Der griechische Frühling fühlt sich oft schon wie ein Sommer an, und höhere Temperaturen lassen die „Reiselust“ bekanntlich wachsen.

Griechenland schützt und entlastet sich – Deutschland trägt seine Lasten

Die griechische Regierung fährt derzeit die Ernte einer stringenten Asyl- und Migrationspolitik ein, die sie seit dem März 2020 fährt. Die Auslastung der Aufnahmezentren auf Inseln und Festland ging seit dem 31. Dezember 2019 um 70 Prozent zurück. Auf den Inseln sind derzeit nur um die 2.000 Migranten untergebracht. Das spräche für die neue Effizienz des griechischen Asylsystems, das zumindest in der Lage ist, die Inseln vor einer neuen Belagerung durch zehntausende Migranten zu bewahren. Wo einst bis zu sieben Prozent der Einwohner – zudem massiert auf einzelne Gemeinden – Asylbewerber waren, sind es nun weniger als ein Prozent.

Allerdings bedeutet Effizienz hier auch, dass die Menschen schneller aufs Festland gelangen. Doch auch im ganzen Land sind inzwischen weniger als 25.000 Migranten vom Staat untergebracht. Vor einem Jahr waren es noch mehr als 55.000. Dass er das als Erfolg ansieht, sagt Mitarakis ganz offen: „Generell verlassen in den vergangenen zweieinhalb Jahren mehr Migranten unser Land, als neu hinzukommen. Die Inseln erleben eine Entlastung.“

Neuvorlage Sekundärmigration
Die Frage der Sekundärmigranten aus Griechenland entzweit die Bundesregierung
Spiegelbildlich ist in gewisser Hinsicht die deutsche Situation: Seit einem guten Jahr klagt das Bundesinnenministerium nun schon über Sekundärmigranten aus Griechenland, die trotz eines erhaltenen Schutztitels nach Deutschland reisen und ein zweites Mal Asyl beantragt haben. Inzwischen sitzen so mehr als 40.000 in Deutschland, ohne ein Recht auch nur auf ein Asylverfahren zu haben. Sie werden aber auch nicht abgeschoben – Nancy Faeser sei Dank, die heute äußerst nervös auf Kritik an ihren Staatssekretärsposten reagierte. Man weiß also, wo der griechische Hinterausgang hinführt, auch wenn die konservative Regierung die Vordertür besser geschlossen hält als andere vor ihr. Griechenland schützt und entlastet sich – Deutschland trägt seine Lasten still und ratlos.

Theodorikakos will den „unbesiegten Schutzschild“ an den Grenzen weiter stärken

Zuletzt soll auch die Ausweitung der sicheren Herkunfts- und Transitstaaten in erheblichem Maße zu Rückführungen aus Griechenland geführt haben, wobei Zahlen hier fehlen. Daneben konnte der massivere Einsatz der Küstenwache seit März 2020 die Zahl der Todesopfer in der Ägäis stark drücken. 111 sind es laut dem Athener Ministerium.

Ob und wie viele illegale Migranten sich daneben durch die griechischen Linien am Evros durchschmuggeln, um ihren Weg auf der Balkanroute fortzusetzen, bleibt naturgemäß unklar. Genauso gut könnten die Balkanmigranten allerdings über Bulgarien oder, neuerdings, die Ukraine in die EU drängen. Jedenfalls kann der erweiterte und verstärkte Grenzzaun am Evros in dieser Sache nur nützen, zumal die Grenzschützer und unmittelbaren Anwohner weiter hochgradig motiviert sind.

Die griechische Polizei bilde „in ausgezeichneter Zusammenarbeit mit den Streitkräften und in absoluter Einigkeit mit den Bürgern am Evros einen machtvollen Schutzschild“ für die griechischen Grenzen, die auch EU-Außengrenzen seien. Diesen „unbesiegten Schutzschild“ der eigenen Grenzen werde man weiter stärken. „Wir verteidigen die Grundsätze des internationalen Rechts, wir verteidigen die Werte unserer Zivilisation, wir verteidigen wirksam die territoriale Unverletzlichkeit unseres Vaterlandes“, sagte Theodorikakos mit angemessener Breite der Argumentation. Zwischen diese drei Punkte – Recht, Werte, Vaterland – passt bei den griechischen Konservativen kein Blatt Papier.

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Kommentare ( 4 )

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Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Auch wenn es schmerzt : die Türkei muss endlich aus der NATO raus. Leider.

Danke, Griechenland, für Herz und Verstand in Zeiten, in denen beides bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft abhanden gekommen ist.

Innere Unruhe
1 Jahr her

Wenn Migranten, die hier ankommen, so gute Menschen sind, die Hilfe verdienen, was hindert sie daran, diese Hilfe an der Grenez mit dem Pass zu beantragen? Und dort zu bleiben, wo ihnen zuerst geholfen wird?
Danke Griechenland.
Muslimische Migranten sollen bei den Glaubensbrüdern Schutz suchen. Uma ist groß und großzügig.

alter weisser Mann
1 Jahr her

So Grenzbefestigungen sind schonmal gut an der Stelle. Falls der Sultan wieder Stress machen will.

Susanne H.
1 Jahr her

Nato Partner: ziemlich beste Freunde! Wenn Mitglieder welche aus Berechnung einer Gruppe beitreten, ihre eigentlichen Intentionen aufzeigen, sollte die Gruppe das zu würdigen wissen.