Medien wollen Frontex-Chef Leggeri abschießen – weil er EU-Grenzen sichert

Stürzt Frontex-Chef Fabrice Leggeri doch noch über Grenzschutzfragen in der Ägäis? Angeblich gibt es neue Belege für Zurückweisungen an der griechisch-türkischen Grenze. Doch Leggeri kann kein Fehlverhalten der griechischen Küstenschützer erkennen.

IMAGO / Le Pictorium
Fabrice Leggeri
Noch scheint Frontex-Chef Fabrice Leggeri sicher im Sattel zu sitzen. Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten dürfte den „unterstützenden“ Frontex-Kurs in Griechenland oder auch Polen begrüßen. So ist es kein Wunder, dass man ihn in Brüssel „Fabrice Teflon“ nennen soll. Die Vorwürfe prallen an ihm ab, weil sie nicht von allen als Vorwürfe gesehen werden.

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Doch nun gibt es angeblich neues Beweismaterial für die Vorwürfe gegen Frontex-Chef Fabrice Leggeri. Laut Spiegel sind die Beweise Teil eines mehr als 200 Seiten umfassenden Berichts der EU-Behörde für Betrugsbekämpfung OLAF (Office Européen de Lutte Anti-Fraude). Darunter sind Fotos, die zeigen sollen, dass Leggeri selbst „schon früh eindeutige Beweise für die illegalen Pushbacks“ hatte. Andere sprechen in diesem Fall eher von Zurückweisungen an der EU-Außengrenze oder schlicht von der Verweigerung der Einreise. Es handelt sich um ein übliches Instrument, wenn von einer illegalen oder ungerechtfertigten Einreise ausgegangen werden kann. Schon vor Zeiten hat die griechische Regierung darauf aufmerksam gemacht, dass auch die EU-Seeaußengrenzenverordnung 656/2014 hier Handlungsmöglichkeiten eröffnet.

Es geht dabei fast immer um Vorfälle, die inzwischen fast zwei Jahre zurückliegen. Am 19. April 2020 soll sich ein solcher „Pushback“ ereignet haben. Auf sieben Schnappschüssen, die der Spiegel nun veröffentlichte, soll gar die „Anatomie“ eines solchen zu sehen sein: Ein Migrantenboot wurde demnach von einem Schiff der griechischen Küstenwache aufgegriffen und dann in Richtung Türkei abgeschleppt. Im Laufe dieses Vorgangs hätten die griechischen Küstenschützer die Migranten bei sich an Bord aufgenommen, um sie danach wieder in das Schlauchboot zu setzen. Es geht weiter Richtung Türkei, am Ende bleibt das Migrantenboot allein zurück, angeblich ohne funktionierenden Motor, wie das beobachtende Frontex-Flugzeug gemeldet haben soll.

Leggeri soll diesen Vorgang, der auf dem Bildausdruck als „sensitive“ beschrieben wird, rasch an sich gezogen haben. Im Gegensatz zu anderen Mitarbeitern stufte er das Ganze nicht als mögliche Verletzung garantierter Rechte ein. In der Folge musste sich auch die Frontex-Grundrechtsbeauftragte nicht mit dem möglichen Vorfall beschäftigen. „Bis heute bestreitet Leggeri, dass auf den Bildern Illegales zu sehen ist“, so der Spiegel. 

Erinnert werden muss daran, dass Frontex an EU-Grenzen nicht als Grenzbehörde auftreten kann, sondern nur als dienstleistende Agentur, die nationale Grenzpolizeien unterstützt. Noch scheint das Innere dieser Agentur, deren Nutzen vielen Beobachtern durchaus unklar ist, in diesen Fragen fest gemauert: Subalterne Mitarbeiter bemerken, dass die Frontex-Leitung die Grenzpolitik von Mitgliedsstaaten wie Griechenland und „mögliche Unregelmäßigkeiten“ darin decke.

Migrationsminister Mitarakis: Türkische Falschmeldungen zu oft als Tatsachen hingenommen

Die griechische Regierung hat erst kürzlich wieder versichert, dass sie die EU-Außengrenzen verteidige, dabei aber stets das internationale Recht und die Charta der Grundrechte respektiere. Als Antwort auf neue Ergebnisse eines internationalen Rechercheteams rund um den Spiegel veröffentlichte das Migrationsministerium Videoaufnahmen, die türkische Küstenschutzschiffe zeigen, die Migrantenboote ungehindert weiterfahren lassen, anstatt sie abzufangen. Dabei schrecken die türkischen Schiffe auch nicht vor gefährlichen Manövern zurück, die sich direkt gegen die griechische Küstenwache richten. Sirenen kommen zum Einsatz, wie wenn die Türken sagen wollten: Die Migrantenboote sind nun in eurer Verantwortung. Die Aufnahmen stammen sämtlich aus dem Jahr 2020, was offen lässt, ob sich das Verhalten der türkischen Küstenwache seitdem verbessert hat.

Zuvor hatten der Spiegel und andere Medien wie der britische Guardian einen neuen Recherchebericht veröffentlicht, nach dem griechische Küstenschützer zwei afrikanische Migranten ins Meer geworfen haben sollen. Das war im vergangenen September. Angeblich ginge es der Regierung darum, nicht zu viele der Rettungsflöße zu bestellen, weil das Rückschlüsse auf die eigenen Praktiken zuließe. Zum anderen hätte sie schlichtweg sparen wollen. Die griechische Presse griff die Vorwürfe zum größten Teil nicht auf. Die Meldung bleibt harter, aber unbewiesener Tobak.

Schutz der EU-Seegrenzen
NGO-Anwälte wollen Frontex-Chef Leggeri vor Gericht bringen
Migrationsminister Notis Mitarakis bedauerte, dass „türkische Propaganda und Falschmeldungen über illegale Migration so häufig und fälschlich als Tatsachen hingenommen werden“. Er wies weiter darauf hin, dass die Türkei sich nicht im Krieg befinde und laut der Abmachung mit der EU von 2016 dazu verpflichtet sei, illegale Abfahrten zu verhindern oder zumindest die illegalen Migranten zurückzunehmen, was seit dem Jahr 2020 nicht mehr geschehen ist. In den vergangenen sieben Jahren habe Griechenland eine Million Migranten beherbergt, was mehr als zehn Prozent der eigenen Bevölkerung entspreche – auch wenn die meisten Migranten freilich nicht in Griechenland bleiben wollen.

Daneben fordert Mitarakis, auch dies einer seiner stehenden Vorschläge, mehr Hilfe von den übrigen EU-Staaten bei der Verteilung der Migranten. Oder sollte man diese Forderung eher als subtile Botschaft an deutsche Politiker verstehen? Nach dem Motto: Entweder wir schützen die EU-Außengrenzen oder ihr nehmt die Migranten auf, die wir in den Schengenraum hineinlassen.

Entscheidet sich Leggeris Schicksal vor Gericht – oder in Berlin?

Das Schicksal Leggeris könnte sich irgendwann auch vor Gericht klären. Denn die Klage der Nichtregierungsorganisation „Front-Lex“ gegen den Frontex-Chef ist noch immer anhängig. Darin geht es um den Fall des Syrers Alaa Hamoudi, den griechische Grenzschützer am 29. April 2020 vor Samos auf dem Meer ausgesetzt haben sollen, während auch in diesem Fall ein Frontex-Flugzeug über ihnen flog.

Omer Shatz, Jurist und Mehrfach-NGO-Gründer, glaubt, dass ein Gericht Leggeri verurteilen werde, nachdem das EU-Antibetrugsamt OLAF ihn – gemäß Gerüchten – für schuldig befunden habe. Der OLAF-Bericht ist allerdings so geheim, dass ihn noch nicht einmal die mit Frontex befassten EU-Parlamentarier einsehen konnten. Am Ende könnte eine Verurteilung Leggeris an dem alten EU-Leiden Intransparenz scheitern. Der Bericht ist nur in speziell gesicherten Leseräumen einsehbar. Leggeri selbst will ihn noch nicht gelesen haben.

Entscheidend könnte werden, wie das deutsche Innenministerium mit den Vorwürfen umgeht. Horst Seehofer wurde in diesen Dingen kein Skandalisierungseifer nachgesagt. Bei seiner Nachfolgerin Nancy Faeser könnte das anders sein. Wird sie inmitten ihres immerwährenden Kampfes „gegen rechts“ Zeit finden, um am Austausch der Frontex-Führung mitzuwirken? Immerhin könnte sie so einen weiteren Nadelstich gegen die Sicherung der EU-Außengrenzen setzen, so wie sie es gleich nach Amtsantritt mit Forderungen nach einer NGO-Aufsicht über den polnischen Grenzschutz getan hatte. Und die SPD hatte schon vor der Bundestagswahl einen „personellen Neuanfang“ bei Frontex versprochen oder sich gewünscht. Man muss annehmen, dass auch mit diesem Wahlkampfwunsch der Agenturchef Leggeri gemeint war.


Hinweis in eigener Sache: Gegen TE führt die Seenotrettungsorganisation „Mare Liberum“ eine Reihe von Presserechtsprozessen. TE soll blockiert werden bei unseren Recherchen über die Vorgänge an der Küste Griechenlands. Es soll uns verunmöglicht werden, über die höchst zweifelhafte Rolle der beteiligten NGOs zu berichten. So dürfen wir nach derzeitigem Prozessstand nicht mehr über griechische Polizeiberichte informieren. Berichte aus griechischen Zeitungen dürfen in Deutschland nicht veröffentlicht werden. TE wird diese Prozesse mit Entschiedenheit weiterführen. Bei den dafür notwendigen Geldmitteln werden wir von unseren Lesern unterstützt. Dafür danken wir und versichern: Diese NGOs werden uns nicht stoppen.

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Kommentare ( 2 )

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Ralf Poehling
2 Jahre her

Frontex muss zu einem echten europäischen Grenzschutz werden, der staatlichen und unmissverständlichen, eindeutigen(!) Gesetzen zum Grenzschutz folgt. Einen Grenzschutz über eine „Agentur“ oder genauer, über eine NGO regeln zu wollen, ist absurd. Denn wer diese NGO dann finanziert, der kann die Ausrichtung und Wirkungsweise dieses Grenzschutzes am geltenden Recht vorbei ganz einfach ändern. Die EU ist derzeit kein Bundesstaat. Die EU ist eine Firma deren Geldgeber andauernd „on the fly“ die Regeln ändern, in dem sie Geld umschichten und umverteilen. Mit rechtsstaatlichen Methoden hat das nichts zu tun. Bei den Punkten Staatskunde und Rechtsstaat fällt die EU knallhart durch. Sie… Mehr

MeHere
2 Jahre her

Entweder wir einigen uns darauf, dass die Instanzen wie Frontex ihre Arbeit machen dürfen und diese nach besten Wissen und Gewissen erledigen und im Zweifel die Kontrollorgane aktiviert werden, bzw. Gerichte die Fälle untersuchen, oder wir richten uns nach dem ideologisch gefärbten Geschrei von Medien und NGOs, welche sich ja bekanntlich bereits bis ins Kanzleramt als STAAT im STAATE vorgearbeitet haben. Den weitgehend durch Parteien kontrollierten Medien und Volksempfängern ist ebenfalls keine grundsätzliche Objektivität und Redlichkeit zu unterstellen – hier gilt es SOFORT Abhilfe zu schaffen, um auch Kritik aus dieser Ecke auf den Prüfstand zu stellen – kurz: Reduzierung… Mehr