Financial Times: Wie eine Zeitung zum Opfer woker Denkverbote wird

Ein Leitfaden der Financial Times für „Diversität und Inklusion“ zeigt die ideologische Gefangennahme einer weiteren großen Tageszeitung. Im Namen von Gender-Ideologie und kleinen Gruppen und Minderheiten wird das kritische Denken ausgeschaltet, die Realität gar zum naiven Vorurteil erklärt.

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Ein Journalist muss seinen Quellen misstrauen, damit ihm seine Leser trauen können. Er muss annehmen, dass ihn die politischen und anderen Akteure an der Nase herumführen, betuppen und offen belügen werden, um den eigenen Vorteil zu wahren. Diese Ethik des Misstrauens fasst die BBC-Journalistin Catherine Walton in die zweifellos klassische Frage: „Warum belügt mich der Bastard?“ Aber gemäß einem „Leitfaden für Vielfalt und Einbeziehung“ der bislang angesehenen Financial Times soll es im neueren Journalismus nicht mehr um kritisches Nachfragen gehen, jedenfalls nicht mehr bei allen Interviewpartnern. Stattdessen kann es auch einfach mal darum gehen, „tolle schwarze Menschen zu bewundern“. Dagegen gehört der Glaube an eine objektive Realität (auch an die zwei Geschlechter) zu jenen Naivitäten, die gründlich ausgemerzt werden sollten.

-Dividing staff into ‘adversaries’ or ‘allies’

-Suggesting staff displaying ‘microaggressions’ should be swatted like mosquitos

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— James Esses (@JamesEsses) March 20, 2024

Das „Diversity and Inclusion Toolkit“ der FT ist irgendetwas zwischen philosophischem Traktat und Selbsthilfegruppe, ein neues Manifest der International Wokery, die sich so einer der größeren englischen Zeitungen bemächtigt hat. Die Financial Times folgt damit dem Weg von Blättern wie New York Times und Washington Post, die die Selbstvernichtung des kritischen Denkens im Zeichen der Wokeness vorgemacht haben. https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/aus-aller-welt/die-usa-auf-dem-weg-zu-einer-neuen-kultur/

Das „Toolkit“ der FT ist zunächst ein Sensibilitätstraining für die Mitarbeiter, das ihnen erklärt, wie sie mit Themen wie Gender oder Ethnizität umzugehen haben. Das mag den Umgang im Team angehen. Aber bei all dem können Folgen für die redaktionelle Arbeit nicht ausbleiben. James Esses ist ein Psychotherapeut, der seinen Uni-Lehrauftrag wegen einer Petition für einen anderen Umgang mit Transgender-Kindern verloren und seitdem eine gewisse Medienpräsenz entwickelt hat. Er bekam das Toolkit von einem Whistleblower zugespielt und schreibt darüber auf seinem Substack.

Esses hat so seine Zweifel, ob die neuen Regeln wirklich die Zukunft eines besseren Journalismus bei der Financial Times sind. So findet er, dass ein Umfeld, in dem „jeder sich zugehörig fühlt, ohne sich anpassen zu müssen“, auch etwas Negatives sein kann. Denn es gelten doch überall gewisse „gesetzliche und gesellschaftliche Regeln“, an die man sich auch halten müsse. Esses denkt sofort an einen Mann, der sich Zugang zu Damentoiletten verschaffen will. Das ist ein Fall, in dem sich ein Mann vielleicht der Regel anpassen sollte, dass er keine Damentoiletten betritt. Und tatsächlich beklagt der Leitfaden kurz darauf, dass es normalerweise nur Toiletten für zwei Geschlechter gibt.

Wie wir alle zu „Agenten des Wandels“ werden sollen

Als Autor des Toolkits tritt ein Diversity-Experte namens Yasir Mirza auf, der dieselbe Stelle (Head of Diversity & Inclusion) auch schon bei den BBC Studios einnahm. Bis 2015 berichtete er für den Guardian aus scheinbar benachteiligten Weltregionen wie Brasilien, Afrika und Indien, um die „lokale Bevölkerung an Ort und Stelle“ zu zeigen. https://www.theguardian.com/profile/yasir-mirza Inzwischen ist er zur britischen Football Association gewechselt. Aber der Mann bleibt seinem Fach treu, ist dort wiederum Direktor für Gleichstellung, Diversität und Eingliederung geworden. Für Mirza ist „Fortschritt“ nur denkbar, wenn wir alle „Verantwortung“ für Diversität und Inklusion übernehmen und dabei zu „Agenten des Wandels“ werden. Ein weiterer Satz voller unerklärter Voraussetzungen, die wir vorerst links liegen lassen.

Man darf angesichts der Gender- und Transgender-Thematik, die oft in den Vordergrund gestellt wird, nicht vergessen, dass es dabei genau so gut um Fragen der Hautfarbe, Ethnizität und Religion gehen kann. Auch sie können leicht nach dem Schema Minderheit und Mehrheit, „Diversität und Inklusion“ organisiert werden. Im Hintergrund steht der Unterdrückungstopos, nach dem eine Gruppe (die Mehrheit) die anderen (die Minderheiten) bisher unterdrückt hätte. Daraus soll dann auch die Lösung resultieren: Jede vermeintlich diskriminierte Gruppe muss demonstrativ gleichgestellt und demonstrativ, fast triumphal einbezogen werden. Was darüber abgeschafft wird, ist mitunter eine einheitliche Kultur.

Jedenfalls gibt es aber gemäß diesem „Toolkit“ Identitäten, die „in die kulturelle Norm“ integriert werden, die normal werden sollen. Nichts leichter als das, würde man denken: Leben wir nicht längst in einer Gesellschaft, die ziemlich viel Pluralität anerkennt und erträgt? Aber hier setzen eben die Neuen Woken an und behaupten, dass das noch nicht vollständig der Fall wäre. Es geht aber um mehr, um eine totale Machtumkehr, wie sich im folgenden zeigen wird.

Gesucht werden: Kollaborateure, Komplizen, Mitverschwörer

Dabei ist das Thema Gender-Identitäten vielleicht nur deshalb so wahnsinnig beliebt bei den Wokerati, weil es quasi jeden betreffen kann. Es gibt keine äußeren Anzeichen einer abweichenden Geschlechtsidentität. Man kann unendliche Gedankenschleifen dazu absolvieren, ohne jemals bei irgendetwas Konkretem anzukommen. Bösartig könnte man sagen: Jedem kann das Thema eingeredet werden.

Nach der Gender-Identität sollen die Journalisten der Financial Times denn auch sehr sorgfältig fragen, im Team wohl ebenso wie bei der Recherche, natürlich auch danach, ob diese Identität seit der Geburt gewechselt wurde. Und das könnte ja noch als genaues Berichten durchgehen. Aber die folgenden Abschnitte zeigen, dass es mit objektiver Darstellung dabei nicht getan ist. Gefragt sind vielmehr „Verbündete“ (allies). Und hier muss zunächst klar gestellt werden, wer die Hosen anhat bei der Definition eines solchen Bunds: „Man kann sich nicht als Verbündeter bezeichnen, ohne dass die vorgesehenen Nutznießer einen als solchen anerkennen.“ Der Wert eines Verbündeten wird von den beabsichtigten Nutznießern bestimmt, nicht von der Person selbst. Man kennt das aus der Diskussion um die Befindlichkeiten der Schwarzen in den USA.

Die Sprache des Kits wird aber noch merkwürdiger: Die FT-Mitarbeiter sollen nämlich zu „Kollaborateuren, Komplizen, Mitverschwörern“ der angeblich unterdrückten Gruppen oder Personen werden. Um wirklich zu den „Erwachten“ zu zählen, sollen die Journalisten der Financial Times die falschen Einstellungen der Unerweckten bekämpfen. Auf Deutsch spricht man hier von Haltung im Journalismus. Eine Art allgemeiner Kriegszustand soll offenbar eintreten, begleitet von dunklen Machenschaften und Konspirationen – alles als Ergebnis des „Erwachtseins“, der woken Grundeinstellung. Das macht diese Bewegung mit anderen vergleichbar, die irgendwann auch wirklich in den bewaffneten Kampf führten.

Geschlechtsvorstellungen willkürlich auf Genitalien übertragen

Man darf, so zeigt ein Diagramm, gerne vom passiven Verbündeten, der sich selbst in der Materie gebildet hat, zum aktiven Alliierten werden, der das falsche Verhalten anderer unterbricht, andere erzieht und schließlich eine „organisierte Reaktion“ aufbaut. Die Gegner gehören dagegen zu zwei Kategorien: Sie sind entweder passiv und zeigen keine Reaktion auf Aufrufe zum „Wohlverhalten“, oder sie wehren sich aktiv dagegen und betätigen sich weiter im „negativen Verhalten“. Beide Gruppen gilt es zu bekämpfen.

Aber zugleich wird Mitarbeitern, die sich einer „objektiven Realität“ verpflichtet fühlen, eine verzerrte Weltsicht und „Naivität“ vorgeworfen – das ist der sogenannte „naivety bias“. Auch die Vorstellung von zwei biologischen Geschlechtern wird offenbar als „naiv“ abgetan. Denn Menschen hätten „willkürliche Geschlechtsvorstellungen auf die Genitalien übertragen“. „Penisse werden als männliche Geschlechtsmarker“ nur „angesehen“.

Schlechte „Naivität“ scheint es aber auch in anderen Fragen zu geben. Wie die bekannte US-amerikanische Diversity-Beraterin und Buchautorin Vernā Myers (mit einem sehr diversen Querstrich über dem a) in einem beigegebenen Video erklärt, erschießen Weiße zwar nicht durchgehend Schwarze auf der Straße: „Aber die gleichen Stereotypen und Vorurteile, die diese Art von Vorfällen ausgelöst haben, sind in uns.“ („Wir“, das scheinen die gebildeten Weißen zu sein, zu denen die schwarze Myers wohl hauptsächlich spricht.)

In der Realität werden – zumindest in den USA – häufiger Weiße von Schwarzen erschossen als umgekehrt. Aber das ist ja wieder diese objektive Realität, an die nur naive Menschen glauben. Die Vorurteile stecken laut Myers tief in uns allen und müssen durch ein über das Ziel hinausschießendes Gegenverhalten ausgeglichen werden: Wir sollten „tolle schwarze Menschen bewundern“ – und unsere Großeltern (oder Eltern) am Küchentisch als bigotte Rassenfanatiker entlarven.

Wie Ungeziefer zu vertilgen: Mikroaggressionen

Zu ächten sind außerdem die sogenannten Mikroaggressionen. Dazu können auch freundliche Bemerkungen zählen, etwa wenn einer zu einem Schwarzen sagt, er sei „wortgewandt“. Aber dieses Beispiel zeigt nur, dass die Einführung der Identitätskultur dem Leistungsgedanken zuwiderläuft. Wenn ein Lob nicht mehr ein Lob ist, sondern eine rassistische Bemerkung durch die Hintertür, dann ist vermutlich jeder rationale Diskurs verloren. In solchen Momenten ist es dann für eine weiße Person „nützlich, Scham zu empfinden“, aber „ohne in Schuldgefühlen zu versinken“, sich am Ende noch überschwenglich zu entschuldigen. Denn das würde den Schwarzen weiter emotional belasten: Er müsste dann die weiße Person trösten.

Mikroaggressionen der genannten Art sind angeblich wie Moskito- oder Mückenstiche. Man erträgt einen oder zwei davon, aber am Ende gilt es die Plagegeister zu vertilgen. Dazu rät auch der Journalisten-Ratgeber in einem Zeichentrickfilm. Am Ende geht der gepiesackte Schwarze darin „in die Luft“, explodiert, „goes ballistic“ – das bedeutet, er greift zur Waffe und schießt die Schädlinge über den Haufen, da sie sonst „Krankheiten übertragen“ könnten. Und noch andere gepiesackte Minderheiten greifen hier mit zur Gewalt, um die Mücken oder Moskitos zu töten.

Eine Mikroaggression ist aber auch, über das ursprüngliche Geschlecht einer Transperson zu sprechen oder gar zu behaupten, sie habe noch ihr altes biologisches Geschlecht und sei nicht nicht-binär oder „trans“. „Falsches Gendern“ könne die „Sicherheit von Personen gefährden“. Ja, es kann sogar „beleidigend oder belästigend sein, die Pronomen einer Person zu erraten“. Missetäter in diesen Vergehen sollen sich besser bilden, heißt es in dem Ratgeber.

Kein Wort zu Frauenrechten, Genderkritik, Redefreiheit

Um den Einfluss dieser Leitsätze auf den Journalismus zu ermessen, ist ein Beispiel nützlich, über das in den vergangenen Wochen viel in Großbritannien geschrieben wurde: Scarlet Blake wurde in China als Junge geboren, kam später nach Großbritannien und lebte seit dem Alter von zwölf Jahren als Mädchen und später als Transfrau. 2021 wurde Blake zum Mörder eines spanischen Einwanderers. Daneben hat die Transfrau eine Katze getötet und diese Tat in einem Livestream übertragen. In den Presseartikeln war oft nur die Rede von einer „Frau“, wo es vielleicht nicht ganz unwichtig für den Fall war, dass Blake ein biologischer Mann ist: „Eine vom Tod besessene Frau […] wurde des Mordes an einem Mann für schuldig befunden.“ (BBC, 23. Februar 2024) Diese Streichung eines Teils der (naiven?) Realität haben viele Frauen beklagt.

James Esses bemerkt, dass es im ganzen „Toolkit“ keinen einzigen Abschnitt, nicht einmal eine Bemerkung über Frauenrechte gebe, daneben auch keinen Gedanken an genderkritische und geschlechterrealistische Einstellungen, ebenso keinen Gedanken an Meinungs- und Redefreiheit.

Die Financial Times, gegründet 1888, war einmal eine international tonangebende Wirtschaftszeitung, die allerdings schon mit dem Brexit so ihre Probleme hatte. Heute tut sie sich mit langen Erwägungen zu „Amerikas rassengetrenntem Bankensektor“ hervor und ist auch sonst in vielen Feldern scharf links abgebogen. Jüngst bot sie der Erfinderin der Gender-Theorie und Hamas-Apologetin Judith Butler ein Forum. Wenig interessiert zeigt sich die FT an der finanziellen Seite des gendermedizinischen Komplexes – nach diesem Sensibilitätstraining erstaunt einen das kaum noch. BBC-Journalistin Catherine Walton glaubt, dass eine ideologische Berichterstattung über das Thema Transgender das Vertrauen eines großen Teils der Leser erschüttern kann.

Doch in dem internen Sensibilitätstraining der Zeitung kommen daneben noch ganz andere, hochgradig politische Gehalte zum Vorschein, die von den Mitarbeitern aufgesogen und kritiklos übernommen werden sollen, namentlich die sogenannte „kritische Rassentheorie“, die natürlich weder kritisch noch eine Theorie ist, vielmehr den Opferstatus diverser Minderheiten zum Gesetz macht.

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