Damit sich keiner bloßgestellt fühlt: Pariser Museen schaffen römische Ziffern ab

Pariser Museen wie der Louvre haben die römischen Ziffern zur Kennzeichnung von Jahrhunderten, das Musée Carnavalet hat sie auch bei den Herrschernamen abgeschafft. Dass dies eine „egalitaristische Katastrophe“ und ein kultureller Rückschritt ist, befürchtet eine Literaturwissenschaftlerin im Causeur.

Im französischen Magazin „Causeur“ beklagt die Literaturwissenschaftlerin Corinne Berger, dass Pariser Museen die römischen Ziffern bei ihren Ausstellungsexponaten abgeschafft haben: „Seit vier Jahren schreibt der Louvre die Jahrhunderte mit arabischen Ziffern [obwohl die lateinische Schreibweise im Französischen die gängige ist], hält aber noch am traditionellen Namen der Könige und Königinnen fest“, während das Pariser Stadtmuseum Carnavalet soeben beschlossen hat, die römischen Zahlen bei den geschriebenen Namen der Monarchen zu beseitigen: „Louis XIV. wird damit – durch die Gnade der löschenden Moderne – zu Louis 14“. Wie der Sänger und Anarchist Léo Ferré meinte, verlören „das XVII. Jahrhundert und Ludwig XIV. ihren Glanz und ihre Feierlichkeit, wenn sie zum 17. Jahrhundert und zu Ludwig 14. werden“.

Billig-Humanismus, der tiefes Misstrauen offenbart

All dies könne belanglos erscheinen, kommentiert Berger, „sagt aber viel darüber aus, was wir geworden sind“. Nach Aussage von Noémie Giard, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Musée Carnavalet, gehe es bei der Abschaffung der römischen Zahlen um einen „universalen Zugang“ zum Museum, um keinen Besucher auszuschließen, auch nicht Ausländer oder Menschen „mit einem psychischen Handicap“. Dies bedeute also, stellt Berger fest, dass jedermann auch „verstehen“ müsse, was auf den Beschriftungen der Ausstellungsobjekte zu lesen ist.

Ein derartiges Anliegen könnte lobenswert und nobel erscheinen, „doch wie immer offenbart dieser billige Humanismus ein tiefes Misstrauen: Ohne es zu sagen, zielt diese Vereinfachung in Wirklichkeit auf die ‚neuen Publikumsgruppen‘ ab, also auf diejenigen, die man in die Museen locken möchte, nämlich auf die jungen Generationen und das einfache Volk“. „Und was glaube man in den aufgeklärten Schichten?“, fragt Berger. Dass „diese Publikumsgruppen ins Museum kommen werden, wenn man sich auf ihren geistigen Horizont begebe, wenn man die Sprache spreche, die sie verstehen können“. Doch, so meint sie, man werde damit nicht mehr Besucher erreichen: „Anstatt sie für fähig zu halten, etwas zu lernen, was sie nicht oder nicht gut kennen, und sich mit dieser Schreibweise aus alten Zeiten vertraut zu machen, entscheidet man sich dafür, die Hürde abzuschaffen“. Wenn man sich daran machte, „alles zu beseitigen, was die Leute vielleicht nicht verstehen, müsste man ebenfalls sofort die Gemäldesammlungen an den Museumswänden abnehmen, weil sie voller biblischer und historischer Bezüge sind“.

Man fürchte also, so Berger weiter, dass sich jemand, der etwas nicht weiß, nicht wohlfühlen könnte, „man hat Angst, den Ungebildeten zu diskriminieren, den Unwissenden zu stigmatisieren“. Die gleiche „demagogische Vorgehensweise“ führe etliche Verleger dazu, die Klassiker der Jugendliteratur umzuschreiben, deren Lektüre zunächst erschwert sei „durch Sätze mit mehr als zwei Zeilen, durch seltene Wörter und Verben im passé simple!“. Dahinter stehe stets die gleiche Logik: „das Hindernis zu beseitigen, anstatt Wege aufzuzeigen, es durch Wissenserweiterung zu überwinden. Alle diese Förderer der Unkultur ignorieren, dass es eine intellektuelle Neugier, einen Genuss an der Überwindung von Schwierigkeiten geben könne und man sich selbst überschreiten können möchte. Die römischen Ziffern lesen zu lernen, bedeutet für ein Kind, die Befriedigung zu haben, ein Geheimnis zu lüften, das ihm eine Welt eröffnet“.

Der stellvertretende Leiter des Corriere della Sera, Massimo Gramellini, habe, laut Berger, „bestens begriffen, was bei der (wenn auch nur teilweisen) Abschaffung der römischen Ziffern am Werk ist: Er sieht darin ‚die perfekte Synthese der derzeit laufenden kulturellen Katastrophe‘. Zunächst „lehrt man die Dinge nicht mehr und dann beseitigt man sie, damit sich jene, die sie nicht kennen, nicht schlecht fühlen“.

Auslöschen, „was uns verbindet“

Corinne Berger schlussfolgert: „Die römischen Ziffern in den Museen und dann in den Büchern zu ersetzen, bedeutet, das auszulöschen, was uns verbindet. Ein Mensch ohne Vergangenheit, der nichts mehr weiß und der nichts mehr zu überliefern hat und der auf die bloße Funktionalität des Augenblicks reduziert wird – dies zeigt uns das programmierte Verschwinden der römischen Ziffern. Die Zeichen zu beseitigen, bedeutet, die Dinge abzuschaffen: Orwell, Klemperer und die Anhänger der ‚cancel culture‘ wissen das, die beiden erstgenannten, um uns vor dem Unternehmen der totalitären Auslöschung zu bewahren, die anderen, um uns daran zu gewöhnen und darin verloren zu gehen“.

Wir seien „Erben und Verwahrer“, schließt Berger, „doch die Moderne ist versessen darauf, uns davon zu lösen. Und die Zeit es nicht weit, in der die jungen Leute in den Inschriften der Kirchen und der Denkmäler nur noch die Hieroglyphen einer verschwundenen Zivilisation erkennen werden“.


Dieser Artikel erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

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Kommentare ( 106 )

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Helmuth Herterich
2 Jahre her

Hallo Leute,
Als Friedrich der Große durch ein Plakat öffentlich karikiert wurde, sagte er nur »Tiefer hängen!«
Lasst doch mal die Kirche im Dorf. Ich finde, dass die Umstellung der römischen Ziffern Gott sei Dank noch nicht der Untergang des Abendlandes ist.
Ich halte mich für einigermaßen gebildet, habe aber auch jedesmal Schwierigkeiten bei Jahreszahlen wie MCMXLVI (mein Geburtsjahr) oder Divisionen der Deutschen Wehrmacht auf die Schnelle „Klartext“ zu lesen.
Also wie heißt es bei Jim Knopf und Lukas dem Lokomativ-Führer?
König Alfons, der Viertel-vor-Zwölfte.

daldner
2 Jahre her

Demnächst wird das Essen mit Messer und Gabel für rassistisch erklärt, weil es in Europa erfunden wurde.(siehe Norbert Elias)… und man darf seine Erbsensuppe nur noch mit der Hand löffeln, damit sich Inkas, Eskimos und Pygmäen nicht benachteiligt fühlen. Der kulturelleNiveaulimbo geht sicher noch viel tiefer….Am Ende passt man locker durch den Türschlitz hindurch… und schämt sich immer noch ganz doll.

Ananda
2 Jahre her

Und was ist mit den Millionen an (importierten) Analphabeten??? Weg mit der Schrift. Schließlich wollen wir ja niemanden „ausschließen“.
Viel zu kurz gedacht. Weg mit der Bildung, weg mit der Geschichte, weg mit der Kultur, weg mit der Leistung, weg mit Allem außer dem tiefsten Steinzeitniveau.

Bummi
2 Jahre her

Gibt es denn schon eine gendergerechte Form für den Sonnenkönig? Vielleicht Louis*in 14?

H. Priess
2 Jahre her

Vielleicht geht es mir nur allein so, aber ich finde die römischen Ziffern einfach ästhetischer. Ich bin ein wenig Uhrenfetischist und finde Uhren, egal in welcher Form, mit römischen Ziffern einfach schöner. Gut, mit viel höheren Zahlen hab ich dann auch meine Probleme ab L muß ich schon länger überlegen, meine Schulzeit ist doch schon XLV Jahre her. Lernen die Kinder in der Schule das überhaupt noch oder nur beim Abitur? Schönschreiben habe ich in der Grundschule gehasst, aber mich Jahre später Hobbymäßig mit Kalligraphie beschäftigt. Mit viel Geduld und mit den richtigen Redisfedern konnte ich schöne Briefe schreiben. In… Mehr

Inga
2 Jahre her
Antworten an  H. Priess

Wie recht Sie haben mit jedem Wort!

Peri
2 Jahre her
Antworten an  H. Priess

Die Frage nach der schulischen Vermittlung römischer Zahlen kann ich Ihnen zumindest anekdotisch beantworten: Meine Kinder haben in der Schule römische Zahlen – wenn mich die Erinnerung nicht täuscht – nicht weniger ausführlich gelernt als ich. (Außerdem haben Sie deutlich eher als ich etwas über das binäre und das hexadezimale Zahlensystem erfahren, was nicht minder relevant ist.) Dennoch werden Sie mangels Verwendungsdichte so schnell keine Meisterschaft im Dekodieren römischer Zahlen erreichen. Damit stehen sie sicherlich nicht allein, was in einem sich spiralförmig verstärkenden Prozess negative Auswirkungen auf die Verwendungsdichte haben dürfte. So sehen (und sahen schon immer) nun einmal die… Mehr

Metric
2 Jahre her

Mir gefällt diese Logik! Denn werden jetzt bestimmt auch Sternchenzeichen (*) in Hauptwörtern oder Kürzel wie LGBTIQ oder PoC wieder abgeschafft, weil diesen Quatsch ebenfalls niemand aus der neuen Zielgruppe versteht. Oder habe ich da etwa schon wieder was falsch verstanden???

daldner
2 Jahre her
Antworten an  Metric

Den Unterschied zwischen Kobalt und Kobold verstehen manche auch nicht… ist aber nicht so schlimm, solange das „Mindset“ stimmig ist und man über jede Peinlichkeit hinweggrinsen kann, solange man auf der „richtigen“ Seite steht.

daldner
2 Jahre her

Damit sich Analphabeten nicht benachteiligt fühlen, sollte man auf jegliche Beschriftung verzichten… und auf den Namen des Museums an der Fassade…und damit Blinde sich nicht benachteiligt fühlen, sollte man die Exponate verhüllen. Das käme auch denen entgegen, die sich durch die Darstellung nackter Körper provoziert fühlen oder ihrer Ehre verletzt. Kurz gesagt: das ideale Museum ist eines, das es nicht gibt. Das käme auch denen entgegen, die nicht in Museen gehen und sich deswegen benachteiligt fühlen, weil andere es gerne tun. Die Leiterin des Museums und alle anderen Mitarbeitenden nehmen das sicher gerne auf sich. Es ist ja für eine… Mehr

teanopos
2 Jahre her

Eine Kluge Frau.
Derartige Maßnahmen bezeugen vielmehr den aktuellen, geistigen Zustand sogenannter Eliten als den geistigen Zustand des Volkes.
Maßnahmen auf dem selben geistigen Minus Niveau wie Genderquatsch, Feminismus, Anti-Nation, Nazikeule, Straßennamen Verbannung, Bildungspolitik, etc. bzw. generell den von linken geprägten bzw. vereinnahmten Themen.
Es gibt immer weniger wozu man aufschauen könnte.
– „Wir“ sind alle gleich – wirkt.
Und „wir“ machen alles gleich.
Willkommen im Sozialismus.
Willkommen in Merkels Europa.

Last edited 2 Jahre her by teanopos
Peri
2 Jahre her

Warum so moderat? Selbstverständlich sind wie bis ins 19. Jhd. hinein weithin üblich lateinische Wörter lateinisch zu flektieren: „im universo“ und „des universi“. Und auch der nahezu vollständige Verzicht auf die griechische Schrift bei altgriechischen Namen und Entlehnungen spricht die Sprache des Kulturverfalls.

H.H.
2 Jahre her

So verdummt die Menschheit immer mehr. Und jetzt auch noch die sog. Kulturschaffenden (oder heißt es Kulturschaffendinnen?). Wenn ich einen jungen Menschen frage „wieso heißt der 9.Monat im Jahr September? der 10. Monat Oktober, der 11. November, der 12. Dezember?“ Dann gibt es nur „weiß-ich-nicht“ – Gesichter. Es sagt ihnen schon auch kein Lehrer, bitteschön der Grundschule !!!, dass bei den Römern das Jahr am 1. März begann. Das gute daran: Ich muß nicht befürchten, dass man auch die Monatsnamen auf den Müllhaufen wirft. Denn die Dummheit geht einher mit Gedankenlosigkeit.