Während im Sahel Putsche, Islamisten und Russland-Söldner ganze Staaten zerlegen, bleibt Benin nach einem kurzlebigen Putschversuch erstaunlich stabil: loyale Armee, wachsender Wohlstand, kaum Auswanderung. Ein afrikanisches Gegenmodell – das hierzulande kaum jemand kennt.
IMAGO
Mein erster Botschafterposten war im westafrikanischen Benin, früher Dahomey. Deshalb war ich am Sonntag (7.12.25) umso mehr irritiert, als sowohl afrikanische als auch später deutsche Medien von einer Gruppe rebellischer Soldaten berichteten, die in Cotonou den staatlichen Fernsehsender besetzt und die Absetzung des gewählten Staatspräsidenten Patrice Talon (erstmalige Wahl im Jahr 2016, Wiederwahl im Jahr 2021) verkündet haben sollen. Doch nach zwölf Stunden hatte das reguläre Militär die Aufständischen unter Kontrolle gebracht. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Putschversuch fasste die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas den Beschluss zur Entsendung einer militärischen Interventionsstreitmacht, primär aus dem angrenzenden Nigeria, um die Wiederherstellung der Ordnung zu gewährleisten.
Auch wenn 75 % der Militärputsche in Afrika stattfinden, wie vor einigen Tagen noch in Guinea-Bissau, war dieser Putsch nicht vorhersehbar. Benin wird als Vorreiter der frühen Neunzigerjahre-Demokratiebewegung im Westafrika angesehen. Zu dieser Zeit kam es zu einem friedlichen Übergang von einem Einparteien- zu einem Mehrparteiensystem.
Seither wurde die Situation als verhältnismäßig friedlich angesehen. Es war unvorhersehbar, da eine mögliche Unzufriedenheit in der Armee und in der Bevölkerung in Benin mit den Ursachen der Staatsstreiche in Mali, Guinea, Tschad, Sudan, Burkina Faso (2 ×), Niger und Gabun seit 2020 nicht vergleichbar ist.
In Benin sind die meisten Menschen Christen. Viele Beniner bekennen sich zu einer großen Religion, praktizieren aber auch Voodoo-Rituale. Es gibt eine hohe religiöse Toleranz und Koexistenz. Islamismus – außer teilweise im Norden – und Russland haben dort keine Bedeutung. Hinter dem Destabilisierungsversuch wird in Benin Thomas Boni Yayi (73) vermutet, der von 2006 bis 2016 das Land regierte.
Präsident Patrice Talon und Thomas Boni Yayi wurden von politischen Verbündeten zu Rivalen. Im Jahr 2012 musste der Geschäftsmann Talon, auch bekannt als „Baumwollkönig“, vor der Anklage wegen eines versuchten Giftmordanschlags nach Frankreich fliehen, weil Yayi ihn beschuldigte. In dem Land sind solche Anschuldigungen nicht selten. Talon überstand das nicht nur (die Anklage wurde fallengelassen), er beerbte den Präsidenten.
Möglicher Hintergrund des Putschversuches: In Benin finden im April 2026 Präsidentschaftswahlen statt. Präsident Talon wird dabei nicht erneut antreten. Anders als in vielen anderen afrikanischen Staaten hat er nicht die Verfassung zu seinen Gunsten ändern lassen, um weiter im Amt zu bleiben.
Die erneute Kandidatur des Ex-Präsidenten Thomas Boni Yayi scheiterte nach einer Verfassungsgerichtsentscheidung an fehlenden Unterstützungsunterschriften. Die Bereitschaft dieses Berufspolitikers, Niederlagen bei juristischen Entscheidungen hinzunehmen, scheint nicht weit entwickelt zu sein.
Die regierende Partei nominierte den derzeitigen Wirtschafts- und Finanzminister Romuald Wadagni (49). Er gilt als Spitzenkraft (Harvard Business School und CEO von Deloitte in Frankreich und im Kongo) und er könnte die erfolgreiche Politik von Patrice Talon (67), der das Land nach unternehmerischen Prinzipien und ambitionierten Zielvorgaben – nach dem Vorbild von Ruanda – führt, fortsetzen.
Wie Kagame in Ruanda wird Talon als autoritär bezichtigt, weil er – nach dem Laissez-faire seines Vorgängers Boni Yayi – Staatsbedienstete entließ, die wiederholt zu spätkamen oder der Korruption bezichtigt wurden. Sein Modernisierungsprogramm mit strengen Ordnung- und Sauberkeitsvorgaben als Orientierung ähnelt der Politik in Ruanda. Wie Kagame macht er unerwartete Besuche in den Ministerien.
Benin hat positive Zeichen gesetzt und Fortschritte beim Aufbau von Land und Gesellschaft erreicht. Auswanderungswillige sind rar. Genau wie Botswana, Ruanda und Mauritius hat Benin dieses Problem nicht oder nur in geringem Maße. Wenn Beniner das Land verlassen, dann nur, um anderswo zu studieren, vorübergehend zu arbeiten, und dann wieder zurückzukehren. Als Vorbild kann der kleine Staat auch in anderer Hinsicht dienen: Als erstes Land Afrikas stellte man dort 2003 die Beschneidung von Frauen unter Strafe. Heute wird das archaische Ritual selbst in den entlegenen Dörfern nicht mehr praktiziert.
Humor und Gelassenheit
Ich habe in diesem armen Land (erfreulicherweise gibt es keine Bodenschätze, die in anderen Ländern für blutige Konflikte sorgen) wunderbare Menschen kennengelernt, z.B., Künstler, Journalisten, Wissenschaftler, Ärzte, Priester, Voodoo-Priester, Unternehmer, Bürgermeister auf dem Land. Die Beniner haben eine besondere Fähigkeit zur ironisch-distanzierten Selbstbetrachtung und Humor. Wenn sie etwa die Stadt Ganvie mit ihren Lagunen und schilfgedeckten Pfahlhütten als „Venedig Afrikas“ bezeichnen, geschieht das mit einem guten Schuss Ironie und mit einem Augenzwinkern. Humor und Gelassenheit sind vielleicht auch die Schlüssel zu dem vergleichsweise sehr friedlichen Zusammenleben der Ethnien in diesem kleinen Land.
Ich freue mich, wenn ich über zuversichtlich stimmende Entwicklungen in Afrika berichten kann– und nicht über Missstände, die zu neuen Migrantenströmen führen. Benin darf weiterhin – mit einer loyalen Armee – als gut funktionierende Demokratie auf unserem Nachbarkontinent gelten. Trotz stabilem gesamtwirtschaftlichem leichtem Wachstum seit Anfang der 1990er Jahre zählt Benin noch immer zu den armen Ländern der Welt. Das Land hängt von Einnahmen aus dem Hafen von Cotonou und Baumwollexporten ab. Der Trend ist in allen Schichten der Bevölkerung sichtbar.
Auch wenn es für viele zu langsam geht, ist Benin in vieler Hinsicht ein nachahmenswertes Beispiel dafür, wie sich Afrika aus der Misere befreien könnte. Es zeigt, dass es nicht auf die Größe eines Landes ankommt, sondern darauf, was man damit macht. Die Beniner sind stolz auf ihr Land. Auf Booten in Richtung Lampedusa wird man sie nicht finden. Wenn man denkt, dass diese Einschätzung zu positiv ist, möchte ich darauf hinweisen, dass sie auf dem Vergleich mit anderen afrikanischen Ländern basiert, die ich kenne.
17 Jahre war der deutsche Diplomat Volker Seitz auf Posten in verschiedenen Ländern Afrikas. Überall konnte er beobachten, wie wenig zielführend die praktizierte Entwicklungshilfe ist, wie wenig Hilfe zur Selbsthilfe sie bietet. Warum läuft sie ins Leere? Weil die korrupten Eliten und Regierungschefs ihre Macht missbrauchen und die reichlich fließenden Mittel verschwenden bzw. in ihre eigene Tasche stecken können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.
Volker Seitz plädiert dafür, den Aufbau eines kompetenten, unbestechlichen, den Interessen der Bevölkerung dienenden Staatsapparats zu unterstützen, statt eine Helferindustrie mit bürokratischen, intransparenten Strukturen aufrechtzuerhalten, an der die Falschen gut verdienen.
Volker Seitz ist Botschafter a. D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, im TE-Buchshop erhältlich >>>


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