Politiker verwechseln Ursache und Wirkung

Wir müssen miteinander im Gespräch bleiben. Auch deshalb sollten wir den Debattenbeitrag der linken Szene in Leipzig-Connewitz mit allem Respekt zur Kenntnis nehmen.

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Asylbewerber ruckzuck für Bundesverdienstkreuze vorschlagen und ausgerechnet eine Margot Käßmann denkt man sich als Bundespräsidentin – erstaunlich, dass sich Politiker überhaupt noch anmaßen zu behaupten, flankiert von fragwürdigen Studien, die Mitte der Gesellschaft würde sich aus bestimmten Gründen radikalisieren.

Natürlich verschärft sich der Ton. Aber die Gründe dafür liefern die Anzeigenden selbst. Und wer will es den Menschen verdenken? Noch mehr, wenn sich sogar, wie jüngst in der linken Hochburg Leipzig-Connewitz geschehen, die linksalternative Szene ehrlich und in erstaunlich offener Art und Weise eingesteht, dass ihre Willkommenskultur gescheitert ist. Das ist höchst bemerkenswert und darf überhaupt kein Grund sein für Häme von Rechts. Das muss man den linken Organisatoren der Leipziger Welcome-Politik hoch anrechnen, dass sie hier in einem offenen Brief Tacheles reden und die Debatte um das Scheitern der Welcome-Politik nicht nur suchen, sondern auf bemerkenswerte Weise neu anstoßen.

Viel mehr sollte man es diesen versteinerten Willkommens-Ideologen im politischen Amt übel nehmen. Denn der moralische Falldown nebst religiös verbrämten Lichtfantasien von einer besseren Welt von Deutschlands Gnaden ist zum schleichenden Gift in der Debatte geworden. Hier wurde die gesamtgesellschaftliche Aussöhnung nachhaltig kontaminiert. Die Deutschen haben zwar in drei Nachkriegsgenerationen ein erquickliches Zusammenleben entwickelt, das es jedem gestattet, seine individuellen Lebensvorstellungen auszuleben. Aber diese Freiheiten haben sich leider herumgesprochen. Leider, weil man anderswo nicht etwa lernt, nacheifert, verbessert und kopiert, sondern sich einfach auf den Weg nach Deutschland macht.

Innenpolitisch steigert man passend dazu die Drohszenarien. Die politischen Eliten in Deutschland mahnen an, dass sich auf der Straße und im Internet die Sprache verändert hätte, es gäbe immer mehr Hass-Sprech und rechtsradikaler Wortschatz wäre gesellschaftsfähig geworden. Verwechselt da jemand möglicherweise Ursache und Wirkung? Wenn nämlich beispielsweise in Schweden eine arglose Welcome-Rollstuhlfahrerin von einem Asylanten in ein Asylantenheim gelockt und dort von etlichen heraneilenden Landsleuten stundenlang gruppenvergewaltigt wird, dann darf man das auch in Deutschland in einer Art europäischer Wertesolidarität höchst persönlich nehmen. Dann darf man, wenn die Wut hochkocht, eine – wenn auch klammheimliche – Genugtuung darüber empfinden, dass diese zutiefst verstörten braven Schweden, nur mit äußerster Mühe polizeilich zurückgehalten werden konnten, ihren „Gästen“ mal den Scheitel gerade zu ziehen.

Abgelehnte und ausgewiesene Asylbewerber bespucken die Flagge ihres deutschen Gastlandes, wie dereinst die iranischen Jünger der Ajatollahs die Stars & Stripes der verhassten Ungläubigen. Das deutsche Bundesamt berichtet, das Mehrfachmeldungen von Asylbewerbern getätigt werden, alleine zum Zwecke der mehrfachen Leistungserschleichung. Ist doch halb so schlimm, deutsche Empfänger hätten das früher auch schon so getan? Na klar, aber das sind deutsche Bürger, die eben nicht irgendwo zwischen Kiel und Passau in äußerster Not Asyl beantragt hätten, weil der Hungertod naht oder ihnen Bomben aus US-amerikanischen oder russischen Produktionen auf die Köpfe zu fallen drohen.

Nun wollen wir mal modern denken und feststellen: Man darf durchaus linksliberales Denken und Leben in Deutschland attraktiver finden als das Leben diverser dumpfer rechter Existenzen, als das Dasein der Ewiggestrigen mit Stammtisch, Quetschkommodenmusik, stumpfer Ausgrenzung und gehäuft vorkommender Bildungsferne. Links sein heißt im Idealfalle heute auch, die eigene Kultur immer wieder abzugleichen mit anderen Kulturen, heißt neugierig zu bleiben, heißt auch global zu denken, so sehr man sich – Beispiel TTIP – der Globalisierung selbst entgegenzustellen scheint. Nein, eine offene Gesellschaft ist ja nichts Schlechtes per se. Dann nicht, wenn sie auf kultureller Auslese, auf der Evolution hin zu einer wehrhaften und individuellen Hochkultur basiert. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Der Wille zur fortwährenden Weiterentwicklung muss einhergehen mit jenem zur Konsolidierung favorisierter Werte. Nur so kann es doch funktionieren. Nur so kann man Offenheit und eine begrenzte Einladungskultur erfolgreich zelebrieren.

Nun ist aber leider bei den guten, bei den nachdenklichen und offenherzigen Linksmenschen etwas empfindlich aus dem Gleichgewicht geraten, aus der Verankerung gesprungen. Man spürt es an ihrer ansteigenden Bissigkeit, am zunehmenden Totalverlust irgendeiner wenigstens nachvollziehbaren Dialektik und an den nun immer unsinnigeren Forderungen, Ideen und Visionen von einer Abwicklung dieses Deutschlands, wie wir es bisher gekannt haben. Stur und verbissen bleibt man auf Kollisionskurs, als ließe sich der nahende Eisberg einfach wegträumen.

Nehmen wir uns noch die Zeit für eine notwendige Erinnerung, für Katrin Göring-Eckardt, die so fatal falsch gelegen hatte, als sie im links euphorisierten Welcome-Taumel einer Spaltung der Gesellschaft auf ideologischer Basis Vorschub leistete:

„Dieses Land wird sich verändern. Und es wird sich ziemlich drastisch verändern. Und es wird ein schwerer Weg sein, aber dann glaube ich, können wir wirklich ein besseres Land sein. Und daran zu arbeiten, das mit Begeisterung zu machen, die Leute mitzunehmen, auch die, die Angst haben (..) das ist eigentlich die historische Chance in der wir sind. Das ist wahrscheinlich sogar noch mehr als die deutsche Einheit, was wir da erreichen können. Was die Kanzlerin gemacht hat, ist eine große Idee davon, was es heißt, dieses Land neu zu denken. (…) Die Arbeitgeber scharren längst mit den Füßen und sagen: Wir brauchen diese Leute. (..)“

Ach, wir erleben es ja täglich: Wenn Intelligenz und Bildung in so einem ideologisch engmaschigen Rahmen auf traditionell beackerten Boden fällt, kann nichts Vernünftiges mehr zustande kommen, dann passiert wenig für weniger Gebildete. Denn auch das sollte ja Aufgabe unseres Bildungssystems sein: jene Deutsche, die nicht von dieser Wohltat profitieren, mit abzuholen, anstatt sie in Konkurrenz zu stellen zu einer unkontrollierten Masseneinwanderung in die sozialen Systeme.

Wer hier auf Staatskosten studiert, der muss in Zukunft verstärkt immateriell zur Kasse gebeten werden, der darf vor allem eines nicht: die, die ihn mit ihrer Hände Arbeit dorthin finanziert haben, zu verhöhnen, wo er sich ohne Existenzsorgen Gedanken machen kann über das Schicksal der anderen, über das Gemeinwohl und über die Fortentwicklung der deutschen Gesellschaft zum Positiven hin. Wir müssen miteinander im Gespräch bleiben. Auch deshalb sollten wir den eingangs erwähnen Debattenbeitrag der linken Szene in Leipzig-Connewitz mit allem Respekt zur Kenntnis nehmen. Das „Conne Island Plenum“ erklärte am 7. Oktober 2016:

„Uns zur Problemlage so explizit zu äußern, fällt uns schwer, da wir nicht in die rassistische Kerbe von AfD und CDU/CSU schlagen wollen. Die Situation ist jedoch derart angespannt und belastend für viele Betroffene und auch für die Betreiber_innen des Conne Islands, dass ein verbales Umschiffen des Sachverhalts nicht mehr zweckdienlich scheint. Wir halten eine Thematisierung der Problematik innerhalb der Linken für längst überfällig und wollen dem Rechtspopulismus nicht die Deutungshoheit in dieser Debatte überlassen.“

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