Antje Schmelcher argumentiert in der FAS, dass nach dem Zweiten Weltkrieg nur der Zuzug von Millionen protestantischer deutscher Flüchtlinge aus den Ostgebieten dafür gesorgt hätte, das ein politischer deutscher Katholizismus, der in der Hitler-Diktatur ein Verfolgungsgrund gewesen sei, im Zuge der Flüchtlingswelle aus den deutschen Ostgebieten seine Schlagkraft verloren hätte. Sie irrt, sagt Alexander Wallasch.
Ganz sicher ist Antje Schmelcher, Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, keine Vordenkerin der AfD. Auch dann nicht, wenn die AfD Schmelchers Haltung in Sachen Familienpolitik wohlwollend zur Kenntnis nähme. Die Sächsische Zeitung weiß, dass sie „ihre Karriere für ihre drei Kinder auf Eis gelegt hat.“ Sie beklage „die mangelnde Anerkennung von Frauen, die sich dafür entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu betreuen und den Beruf zurückzustellen.“ Mehr noch, Schmelcher definiert „Mutterglück“ neu und „fordert von der Politik, mehr für Vollzeit-Mütter zu tun“.
Nun wollen wir der Kollegin nicht unterstellen, dass sie nur deshalb zum Thema Einwanderung alles andere als AfD-kompatibel sei, um ambivalent zu bleiben, also medial satisfaktionsfähig, wenn die dtv-Autorin jetzt in der Rubrik „Meinung“ der FAS kommentiert, wie man „das christliche Abendland um einen zivilisierten Islam“ erweitern könne, während zeitgleich in Stuttgart die AfD daran arbeitet, sich ins Parteiprogramm zu schreiben, das der Islam nicht zu Deutschland gehöre und Beatrix von Storch bei Maischberger auf einem politischen Islam besteht, den es in Deutschland zu bekämpfen gelte.
Schmechler behauptet also einen „zivilisierten Islam“, während für von Storch der Islam ausschlussfrei ein politischer ist. Mehr noch: In Sachen Einwanderung und Islam taugt die Haltung der Journalistin sogar als Feindbild für die Truppe um Frauke Petry und Alexander Gauland. Schmelcher argumentiert Islam-optimistisch in etwa, dass nach dem Zweiten Weltkrieg nur der Zuzug von Millionen protestantischer deutscher Flüchtlinge aus den Ostgebieten dafür gesorgt hätte, das ein politischer deutscher Katholizismus, der in der Hitler-Diktatur ein Verfolgungsgrund gewesen sei, im Zuge der Flüchtlingswelle aus den deutschen Ostgebieten seine Schlagkraft verloren hätte.
Nun könnte man denken, die politischen, die wirtschaftselitären und medialen Bemühungen des deutschen Wendeherbstes 2015, dieser so ideologisch überfrachtete Versuch den im Highspeed-Zeitraffer passierten Zuzug von über einer Million Einwanderern positiv zu deuten, sei spätestens dann verebbt, als die Mär von diesem Schattenheer bestausgebildeter Syrer in Ernüchterung und so klassenfeindliche Vorschläge aus dem Nahles-Ministerium umschlug wie jenem, hunderttausende Ein-Euro-Jobs als erste Integrationsmaßnahme für die vielen bildungsfernen Einwanderer zu organisieren.
Für Antje Schmelcher sind so profane Dinge wie Arbeit für alle, Arbeit für Asylanten, aber anscheinend nachgeordnet. Sie macht die Frage nach der Kompatibilität der Religionen zu ihrer Masterfrage. Ihren Optimismus basiert tatsächlich auf einem über 70-Jahre alten Gelingen der Integration deutscher Flüchtlinge aus den Ostgebieten, die damals allerdings noch gar nicht Integration genannte wurde. Und weil sie in ihrem Kommentar final eine Frage an ihre Leser richtet, soll sie hier nun eine Antwort bekommen. Ihre Frage, die gleichzeitig Fazit ihres Meinungsartikels, ist lautet:
„War der Kulturschock zwischen Protestanten und Katholiken nach Krieg und Vertreibung nicht ähnlich wie der zwischen Muslimen und einer weitgehend säkularen deutschen Öffentlichkeit heute?“
Sie möchte dann bei der Beantwortung noch helfen, wenn Sie weiter ausführt: „Wenn sich die Union (CDU/CSU) einem zivilisierten Islam öffnet, verlässt sie damit nicht das christliche Abendland, sie erweitert es.“ Aber beantworten wir ihre Frage zunächst kurz und bündig: Nein, die Herleitung einer Analogie zwischen der Eingliederung eines Viertels der Bevölkerung des ehemaligen Deutschen Reiches in das Gebieten der späteren DDR/BRD und der bevorstehenden Integration von Millionen Einwanderern aus vornehmlich islamisch geprägten Ländern ist grotesk. Mehr noch, schon der in Schmelchers Frage an ihre Leser behauptete Kulturschock zwischen deutschen „Protestanten und Katholiken nach Krieg und Vertreibung“ ist grundfalsch.
Kulturschock Protestanten und Katholiken nach 1945?
Nein, hier sind nicht Hugenotten-artige wegen ihres Glaubens irgendwohin geflüchtet, hier wurden Deutsche nicht wegen ihres protestantischen Glaubens, sondern Deutsche wegen ihres Deutschseins aus ihren Ostgebieten nach West- und Mitteldeutschland vertrieben, um im abgetrennten Osten des Reiches Platz zu schaffen für beispielsweise eine ethnisch homogene polnische Besiedlung. Ein Bevölkerungsaustausch. Oder wie es 1991 ein von der bayrischen Regierung beauftragtes Rechtsgutachten der UN feststellte: Es handelte sich bei den Vertreibungen (hier explizit der Sudentendeutschen) um „Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die nicht verjährbar sind.“
Einen „Kulturschock“ zwischen deutsche Katholiken und Protestanten war ab 1945 ganz sicher nicht erste Ursache für Spannungen zwischen den deutschen Einheimischen und deutschen Vertriebenen. Vielmehr boten die religiösen Bezugsgrößen wenn, dann nur kurzfristig eine höhere Identifikationsmöglichkeit als die vielfältigen politischen und kulturellen Gemeinsamkeiten, bot das Deutschsein nach dem politischen Zusammenbruch der Hitler-Diktatur nur für den Moment keine Vielzahl gemeinsamer Nenner mehr an. Alleine Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Hunger, Kälte und die Ungewissheit um das Schicksal von Millionen Männern in Kriegsgefangenschaft waren jene bestimmenden Herausforderungen der ersten Jahre nach 1945, denen sich alles andere unterordnete.
Das Erstaunliche allenfalls: Zwar waren die Belastungen für die Deutschen damals auf beiden Seiten ungleich höher, als sie es heute für Deutsche und selbst noch für die Millionen eingewanderter Flüchtlinge aus Syrien usw. sein könnten, aber sie waren gleich verteilt. Gelitten, oft genug auch gehungert, wurde kollektiv. Der Wiederaufbau wurde zur Gemeinschaftsaufgabe aller. Satt wurde, Wohnung bekam, heizen konnte, wer mit anpackte. Wer das nicht tat oder konnte, lief Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Ein staatliches soziales Netz war noch lange nicht geknüpft. Die Idee einer Schicksalsgemeinschaft überdauerte also gewissermaßen die Nazi-Ideologie bis hin zum neuen Deutschen Wirtschaftswunder.
Der Blick aus dem Wohlstandstempel
Vergleichen wir dagegen die Bundesrepublik von 2015/16 mit Rest-Europa, finden wir ein Wirtschaftswunderland 2.0 vor. Zustande gekommen ganz ohne Zuzug von Millionen Gastarbeitern wie erst ab den 1960er Jahren. Zuzügler sind also keine potentiellen Garanten für wirtschaftlichen Aufschwung, im Gegenteil.
Religiöse Streitereien waren in der neuen Bundesrepublik neben dem zu überwindendem Elend der Nachkriegsjahre allenfalls Luxusauseinandersetzung und in Mitteldeutschland fanden sie überhaupt nicht statt. Natürlich war es noch bis in die 1970er Jahre ungewöhnlich bis schwierig, wenn ein Katholik beispielsweise eine Protestantin heiraten wollte. Allerdings waren Ehrenmorde unter Deutschen verschiedener christlicher Konfessionen unbekannt, selbst dann, wenn einer der Ehepartner um des lieben Friedens Willen konvertierte, blieb er von seinesgleichen so gut wie unbehelligt.
Wenn also Frau Schmelcher mit ihrem Kommentar in der FAS den Eindruck erwecken wollte, dass das Christentum zum Islam in etwa die Fallhöhe hätte, wie jener Konflikt zwischen Katholiken und Portestanten in Nachkriegsdeutschland, dann ist das a-historisch, dann klingt das für einen hysterischen AfDler möglicherweise wie Suizid, für die Debatten rund um Integration, Einwanderung ist das wenig hilfreich und erscheint mindestens blauäuig.
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