Wie grüne Transformationspolitiker Kaderpolitik betreiben

In der Graichen-Affäre geht es nicht nur um privaten Klüngel, sondern vor allem darum, die Dena zur Hilfstruppe Habecks zu machen. Das war sie bisher nicht – zum großen Ärger der Sonnenblumen-Partei. Der Machtkampf geht zurück bis ins Jahr 2014.

IMAGO / photothek

Um seinen Freund und Staatssekretär Patrick Graichen gegen Rücktrittsforderungen zu verteidigen, setzt Wirtschaftsminister Robert Habeck alles ein – auch Unterstellungen und schiefe Bilder. Im Tagesthemen-Interview beklagte der Vizekanzler kürzlich die „Härte und Böswilligkeit“ der Opposition bei diesem Thema, um dann sehr weit auszuholen: Wer die Verabschiedung Graichens aus dem Amt fordere, dem gehe es in Wirklichkeit darum, die „Dekarbonisierung“ Deutschlands zu verhindern. Vor dem Hintergrund dieser großen Aufgabe sei er „nicht bereit, Menschen zu opfern“ – so, als ob es sich bei der Versetzung eines Staatssekretärs in den Ruhestand – verbunden mit einem üppigen Ruhegeld – ernsthaft um ein Menschenopfer handeln würde.

Die Affäre um die Neubesetzung an der Spitze der Deutschen Energie-Agentur (Dena) durch den Graichen-Freund und seinen Trauzeugen Michael Schäfer stellt allerdings nur ein Detail in dem jahrelangen Versuch der Grünen und verschiedener Lobbyverbände dar, die halbstaatliche Agentur endlich ganz auf ihre Linie zu bringen. Der verbissene Kampf dauert seit mittlerweile neun Jahren an – und wäre schon erfolgreich zum Abschluss gekommen, wenn Schäfer, als neuer Dena-Chef berufen zum 15. Juni 2023, den Posten auch antreten könnte. Unter dem Druck der Opposition und sogar der anderen Ampel-Koalitionspartner muss sein Vertrag jetzt aufgelöst werden, das Auswahlverfahren beginnt noch einmal von vorn.

Wer in der Geschichte der Grünen und der Dena etwas weiter zurückschaut, entdeckt dort tatsächlich Beispiele von Härte und auch Polemik: allerdings von Seiten der damals noch oppositionellen Grünen.

Aber zunächst einmal: Warum wurde die Neubesetzung des Dena-Chefpostens überhaupt nötig? Der langjährige Chef der Agentur Andreas Kuhlmann, ein SPD-Mann, hätte gern weitergemacht. Das entschieden die Verantwortlichen an der Spitze des Wirtschaftsministeriums 2022 anders. Sie wollten an der Spitze der Agentur, deren Finanzierung sich vier Bundesministerien, die KfW und private Unternehmen teilen, ganz offensichtlich jemand sehen, der ihre Wirtschaftsumbau-Pläne bedingungslos unterstützt. Dazu fand sich Kuhlmann, Chef der Organisation seit 2015, nicht bereit.

Bei seiner Abschiedsrede meinte er, es sei aus seiner Sicht nicht entscheidend, „ob eine Wärmepumpe in Wanne-Eickel 2024 oder 2025 eingebaut wird“. Würde die Deutsche Energieagentur einfach nur eine Art Unterabteilung des Habeck-Ministeriums, so Kuhlmann, dann könnte man sie auch besser gleich auflösen: „Ohne eigene Haltung wäre die Dena ein Fähnchen im Wind.“ Genau darin – die Unterordnung der bisher noch hier und da eigenwilligen Agentur unter die Ministeriumsideologie – besteht aber ganz offensichtlich das Ziel Graichens und Habecks. Was den Kern dieser Ideologie ausmacht, sprach Graichen schon als Chef des Lobbyvereins „Agora Energiewende“ aus: „Es geht darum, unsere Wirtschafts- und Industriegesellschaft komplett umzubauen.“

Zu diesem Ziel passte der vorgesehene Nachfolger auf dem Dena-Chefposten bestens. Michael Schäfer kommt anders als seine beiden Vorgänger nicht von der technisch-naturwissenschaftlichen Seite. Der 50-jährige Verwaltungswissenschaftler verfügt dafür über eine lupenreine grüne Netzwerk-Biografie. In der Vergangenheit gehörte er zur Geschäftsleitung des Naturschutzbund Deutschland (NABU), war Direktor beim WWF Deutschland, und – hier schließt sich der Kreis zu Graichen – Projektleiter Industriepolitik bei der Agora Energiewende, jener Denkfabrik also, die unter Leitung des heutigen Staatssekretärs Konzepte zur Gesellschaftstransformation bis ins Detail ausarbeitete. Außerdem gehörte Schäfer zehn Jahre der Grünen-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses an, vier Jahre davon als Fraktionsvize. Selbst dann, wenn es sich bei Schäfer also nicht um Graichens Trauzeugen gehandelt hätte, wäre die Besetzung ein Filz-Vorgang gewesen, in dem der frühere Agora-Chef einen seiner damaligen Agora-Mitarbeiter auf einen Spitzenposten hievt.

Unfreiwillig komisch wurde es, als Graichen am Mittwoch bei seiner Befragung vor dem Wirtschaftsausschuss des Bundestages versicherte, er habe seinen Freund Schäfer ja eigentlich gar nicht zum Chef der Dena machen, sondern ihn nur von der Bewerbung nicht „ausschließen“ wollen.

Mit wesentlich härterem Einsatz kämpften die Grünen und diverse Lobbyorganisationen gegen Kuhlmanns Vorgänger Stephan Kohler, der die Dena von 2006 bis 2014 führte. Auch er schied unfreiwillig aus dem Amt. Der Sozialdemokrat Kohler verfügte auch über gute Parteikontakte, die ins Persönliche reichten. Mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verband ihn eine Freundschaft; Kohlers Frau leitete zeitweise Gabriels Ministerbüro. Die Grünen und ihre Verbündeten wollten den Dena-Chef allerdings nicht deswegen von seinem Posten entfernen, sondern aus inhaltlichen Gründen.

Der studierte Maschinenbauer weckte bei ihnen schon deshalb Misstrauen, weil er zu Beginn seiner Karriere in der Atomindustrie arbeitete. Außerdem widersprach er einfach zu oft ihren Energie-Umbauplänen. Kohler kritisierte mehrfach öffentlich den exzessiven Windkraft-Ausbau: Der sei nicht sinnvoll, solange die notwendige Erweiterung der Stromnetze nicht hinterherkomme. Schwer verärgert reagierte die Partei auch auf seine Forderung nach 2011, einige der damals sieben abgeschalteten Kernkraftwerke nicht abzureißen, sondern in Reserve zu halten. Kohler, hieß es damals, sei in Wirklichkeit ein Gegner der Energiewende. Tatsächlich wies er auf Widersprüche hin und kritisierte illusionäre Annahmen, auch, was die Kosten des Umbau-Unternehmens betraf.

Als der Bundesrechnungshof 2014 die Gehaltshöhe Kohlers und anderer Dena-Mitarbeiter kritisierte, gab es den passenden Stoff für eine politisch-mediale Kampagne gegen ihn. Tatsächlich fiel seine Bezahlung mit jährlich 184.000 Euro und Zulagen großzügig aus. Allerdings – und dieses Detail ließen seine Kritiker damals weg – hatte er damit auch seine Altersvorsorge zu finanzieren. Und verglichen mit den 137.000 Euro, die Außenministerin Annalena Baerbock sich 2022 allein für ihr Makeup aus dem Steuertopf erstatten ließ, nimmt sich das Salär Kohlers auch nicht exorbitant hoch aus.

Die damals oppositionellen Grünen schlugen jedenfalls mit der Härte auf Kohler ein, die sie heute im Umgang mit Graichen beklagen. Die damalige grüne Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn forderte sogar, „strafrechtlich“ gegen Kohler vorgehen. Höhn erklärte: „Er ist mit seinem überdimensionierten Gehalt der Hauptnutznießer der zu viel gezahlten Steuermittel“ – obwohl die Dena insgesamt 200.000 Euro an das Wirtschaftsministerium zurückzahlte.

Bemerkenswert war auch die Tonlage, in der etliche Medien den Dena-Chef attackierten. Im Tagesspiegel hieß es 2014 beispielsweise: „Für oder gegen die Energiewende? Stephan Kohler – wie eine Spinne im Netz“. Das Blatt warf ihm vor, er werde auch „von großen Konzernen“ bezahlt. Genau das war allerdings durch die Beteiligung von Unternehmen wie RWE an der Dena in deren Struktur angelegt. Die mediale Behandlung der Graichen-Affäre im Tagesspiegel unterscheidet sich deutlich von den Kommentaren damals. Heute erklärt ein Redakteur des Blattes die Kritik an Graichen, Schäfers Berufung und den familiären Verquickungen des Staatssekretärs kurzerhand zur „rechten Kampagne“.

Bei der Neubesetzung der Dena-Spitze kann sich Schäfer nicht wieder bewerben. Interessant dürfte an der Personalie die Frage sein, ob jetzt ein Fachmann zum Zug kommt, der die Dena inhaltlich auf Mindestdistanz zu Habeck und Graichen hält – oder einfach der nächste Kandidat aus dem grünen Personalreservoir. In der Bewerberrunde, aus der Schäfer erfolgreich hervorging, saßen jedenfalls, wie Graichen vor dem Wirtschaftsausschuss einräumte, noch mehrere andere seiner Duz-Freunde.

Da der Hauptvorwurf gegen Kohler 2014 lautete, er sei zu freizügig mit Steuergeld umgegangen, ist noch ein anderes Detail der Besetzungsaffäre von Interesse: Schäfer, schon per Vertrag zum neuen Chef der Dena bestellt, steht jetzt bei Vertragsauflösung eine Entschädigung zu, falls er nicht wider Erwarten von sich aus darauf verzichtet. Die Kompensation bekäme er dann, ohne einen einzigen Tag für die Energieagentur gearbeitet zu haben.

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Kommentare ( 12 )

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Boudicca
11 Monate her

In den letzten Tagen ist Häuptling Habecks wahrer Charakter durchgeblitzt. Er spricht mit gespaltener Zunge von der „Härte und Böswilligkeit“ der Opposition und stellt sich als Opfer dar. Er kann zwar angeblich mit Deutschland nichts anfangen, lebt aber sehr gut von den Zuwendungen aus deutschen Steuergeldern, deren Zahler er aber typisch unerbittlich mit deutscher Gründlichkeit für die grünen Bonzen, die die Hände auf der Energieversorgung haben, mit stalinistischem Methoden mit seinen Genossen Graichen & Co. angeblich für den Schutz des Klimas ausplündern und verarmen will. Die nützlichen Idioten von Merkels ehemaliger Klatschhasen-CDU, die bis jetzt in den Ämtern hocken, sollten… Mehr

Ho.mann
11 Monate her

Eine zum Himmel stinkende Transformationspolitik, die  zunehmend als  Erfüllungsgehilfe einer mafiaähnlich organisierten  Kriminalität herhalten muss, die zugleich auch noch Parteiinteressen befriedigen soll, wird durch ein derartiges Postengeschacher ergänzt und abgerundet. Chapeau!

Wilhelm Rommel
11 Monate her

„Härte und Böswilligkeit“ – Ach Annabert, mir kommen da glatt die Tränen vor lauter Rührung und Mitleid! Ich frage mich allerdings im ‚graichen‘ Atemzuge, von was wohl ein Verhalten zeugen mag, das Millionen ehrlicher Landsleute um ihre vier Wände und ihr mühsam Erspartes fürchten bzw. unschuldige Menschen vor lauter Zukunftsangst nachts nicht mehr schlafen lässt, Du scheinheiliger, empathiebefreiter Schliekenfänger!!!

Sozia
11 Monate her

Würden diese Leute je ehrlich und fair spielen, wären sie vermutlich arbeitslos. Skrupellosigkeit und Prinzipienlosigkeit regiert unser Land, das haben wir nicht verdient. Wir haben das nicht verdient.

Klaus Kabel
11 Monate her

Die Grünen sind eine kriminelle, mafiöse Vereinigung, deren schändliches Treiben radikal aufgeklärt werden muss. Habeck ist ein Fall für den Staatsanwalt.

K.Behrens
11 Monate her

Sollte es tatsächlich möglich sein, die mafiösen Strukturen der weit verzweigten allerdings „vertrockneten Sonnenblumen“ offen zu legen? Da hätte der Bundesrechnungshof in Deutschland viel zu tun, geschweige denn Finanzbehörden? Die schaffen noch nicht mal die Überprüfung von „iranischen Restaurants“ am Winterhuder Weg in Hamburg, geschweige denn das sonstige „gastronomische Angebot“ im nahen Umfeld als reine „Geldwäsche“ ohne Gäste!

Heiner Mueller
11 Monate her

Wo Grün draufsteht, ist Sippenwirtschaft, Korruption und Verschwendung drin.

Helfen.heilen.80
11 Monate her

Der „Wählerauftrag“ beinhaltet üblicherweise, dass sich die gewählten Parteien innerhalb des Staatsapparates bewegen und arbeiten. Es sollte eigentlich genug kompetente wissenschaftliche Abteilungen, Dienste und Referate geben, und man sollte sich in die Formen einfügen können, in denen Generationen anderer Politiker auch schon gewirkt haben. Meines Wissens beinhaltet der Wählerauftrag keinen „blanko Freibrief“ zum beliebigen Um- und Anbau des Staatsapparates, Aktivierung alternativer externer Arbeitszirkel, oder zur Netzwerk-förmigen Übernahme verschiedener staatlicher Abteilungen, die aus gutem Grund getrennt voneinander arbeiten. Also: ist diese stürmende Übernahme im traditionellen Sinn vom Wählerauftrag abgedeckt, oder muss das Parlament über derartige Durchsetzungsversuche entscheiden? Ganz abgesehen von Graichen’s… Mehr

Last edited 11 Monate her by Helfen.heilen.80
Kassandra
11 Monate her

Sehr schön, die dargestellte Zeitlinie wie die Stellungnahmen bisheriger Verantwortlicher.
Ich kann mich gar nicht erinnern, dass man mich hinsichtlich der „Dekarbonisierung“ des Landes, die Graichen-Habeck anscheinend vehement voran treiben, gefragt hätte – wie ab 2015ff zur Migration der uns als „Fachkräfte“ verkauften ebenso.
Lindner soll übrigens mehr Milliarden Steuergeld brauchen. Wobei jetzt erst Mai und das Jahr noch lang ist.

hansgunther
11 Monate her

Die grünen Kommunisten und Maoisten werden von den roten Scheindemokraten SPD seit Jahren hinreichend unterstützt, da auch bei Ihnen die Kommunisten und Maoisten fröhliche Urstände feiern. Margot II hat sie liebevoll umgarnt, damit die Grün/Rote Grütze sich über die „BRD“ ergießt. Die DDR ist tot es lebe der Sozialismus in all seinen Schattierungen. Jeden Morgen schickt Margot II Dankgebete gen den Roten Himmel auf das er nie mehr blau werden soll! Merz voller Ehrfurcht: „….mir fröstelt Margot II, ich will auch dahin, die Morgenröte ist unser gemeinsames Ziel, das grüne Proletariat nur die Steigbügelhalter“ Marx, Lenin, Mao, Merkel, Merz dafür… Mehr