Lars Klingbeil und das virtuelle „Sieg Heil“ von Borna, Görlitz und Hildburghausen

In Berlin sprach nun auch Lars Klingbeil von „lauten Sieg-Heil-Rufen“, unter denen in Borna und anderswo an Silvester gefeiert und randaliert worden sei. Dabei ist die Existenz dieser Rufe alles andere als gesichert, wie eine TE-Recherche ergab. Den SPD-Vorsitzenden kümmert es nicht. Hauptsache, die Gefahr kommt von „rechts außen“.

IMAGO / Chris Emil Janßen
SPD-Parteivorsitzender Lars Klingbeil, Berlin, 9. Januar 2023
Für Lars Klingbeil steht fest, wo die größten Gefahren der Demokratie lauern. Sicher nicht in Berlin, das mustergültig von seiner Parteifreundin Franziska Giffey besprochen wird. Wohl aber in Sachsen und Thüringen, wo an Silvester unter „lauten Sieg-Heil-Rufen“ randaliert worden sei. Das behauptete Klingbeil nun auf einer Pressekonferenz – woanders als in Berlin – entgegen der Sachlage und ohne Rückfrage bei den örtlichen Behörden. Davon ist angesichts des faktenbefreiten Vortrags des Parteivorsitzenden auszugehen. Einige Zeitungsmeldungen wird er sich eilig zusammensuchen lassen haben, um daraus dann eine Gegengeschichte zur Migrantengewalt in deutschen Großstädten zu stricken – und dabei ein paar Städte in Sachsen und Thüringen an den Pranger zu stellen.

Dabei hatte TE schon am Montag durch eigene Recherchen und eine Anfrage bei der Polizeidirektion Leipzig erfahren, dass die Einordnung der Bornaer Silvestervorfälle als rechtsextrem ziemlich an den Haaren herbeigezogen ist. Es handelte sich um Randalen mittleren Ausmaßes – zumal im Vergleich mit Brennpunkten wie Neukölln. Die „Verdachtsmomente“, die auf eine rechte Ausrichtung hindeuten sollen, sind in Borna ziemlich schütter. Als Tatverdächtige wurden laut Presseberichten zwei 19-jährige Deutsche festgestellt, was eher auf jugendlichen Übermut hindeutet.

In Berlin wiederholte es Klingbeil mantra-artig: „Die größte Gefahr für die Demokratie kommt von rechts außen.“ Ob es dabei um Brasilien oder Borna in Sachsen geht, ist eigentlich gleichgültig. Die Verhältnisse werden schon irgendwie vergleichbar sein, jedenfalls aus SPD-Perspektive. Mit Brasilien und dem „Putsch“ der Bolsonaro-Anhänger fing Klingbeil an, als er am Montag zu aktuellen Themen Stellung nahm, neben ihm die Berliner Regierende Bürgermeisterin.

Von ihrem einstigen Förderer, der Neukölln-Legende Heinz Buschkowsky (auch noch SPD), wird Franziska Giffey allerdings nicht mehr ganz für voll genommen – vor allem wegen ihrer hinhaltenden Antwort auf die Berliner Silvesternacht. Und auch auf dieses aktuelle Thema musste der SPD-Vorsitzende zu sprechen kommen, wenn auch widerwillig. Wer will schon von mehr als 3.000 erfolgreichen (plus ebenso vielen abgebrochenen) Notrufen reden in einer Stadt, die nun seit Jahrzehnten von Sozialdemokraten mitregiert wird? Parteifreundin Giffey hatte angeblich genau die richtigen Worte dazu gefunden – im Nachhinein. Für die Frontstadt Berlin hält Klingbeil einen Mittelweg für geeignet: „lösungsorientierte Antworten“, irgendwo zwischen harter und ausgestreckter Hand für die Täter, die zu großen Teilen aus islamisch geprägten Ländern stammten – auch wenn die Berliner Polizei ihre Zählweise inzwischen verändern musste, wobei ihr zwei Drittel der Tatverdächtigen abhandenkamen.

Tichys Einblick Talk
Heinz Buschkowsky tief enttäuscht über Franziska Giffey
Kurz darauf kommt Klingbeil allerdings auf das zu sprechen, was anderen Gruppen im Lande noch zur Perfektion aus SPD-Sicht fehlt. So sei die Union in „wirrem Berlin-Bashing“ gefangen, stelle „absurde Anträge über Vornamen“. Und dann behauptet Klingbeil, dass die Konservativen im Land laut schwiegen, wenn es um Borna und zwei weitere Orte in Sachsen und Thüringen geht, wo „Rechtsextreme“ sich aufgemacht und „Sicherheitskräfte mit lauten Sieg-Heil-Rufen“ angegriffen hätten. Außer in Borna soll sich das etwa identische Geschehen auch in Görlitz und Hildburghausen zugetragen haben, so Klingbeil.

Doch das ist ein zu einfaches Rezept, das nur in der Berliner Blase trägt. Es ist eine geradezu skandalöse Art der Instrumentalisierung der Lebenswirklichkeit zu Parteizwecken, ohne doch überhaupt genau hingeschaut zu haben. Man nehme einen vereinzelten Zwischenfall in einer sächsischen oder thüringischen Stadt und skandalisiere ihn unter Verwendung des eingeschliffenen Vokabulars von „Rechtsextremismus“ bis hin zu „Sieg-Heil-Rufen“. Die Sozialdemokraten werden schon verstehen, was gemeint ist. Ganz egal, was wirklich passiert ist und unter welchen Umständen.

Die ausgestreckte Hand der SPD gilt nicht für jeden

Die einzigen Anhaltspunkte für rechtes Gedankengut, die der Leipziger Polizei bis jetzt vorliegen, sind zwei Online-Kommentare, von denen der eine von einer Wahlkampfhelferin des SPD-Oberbürgermeisters von Borna stammt und inzwischen wieder gelöscht wurde. Nur in diesem Kommentar war in einer Formulierung von gewissen „Idioten“ die Rede, die in der Silvesternacht nichts Besseres zu tun hätten, „als mit ‚Sieg…‘ und Knaller durch die Stadt zu marschieren“. Ob das Ganze jetzt oder irgendwann anders passiert war, ob es diese Sieg-Heil-Rufe nun real gegeben hat oder sie nur eine Vorstellung der Autorin sind, bleibt unklar.

Chaosstadt Berlin
Bei Sandra Maischberger: Franziska Giffey gibt Scheitern zu
Eigentlich ging es der Kommentatorin um mehr Kameraüberwachung, durch die man besser über solche Vorfälle informiert wäre. Eine sichere Quelle ist so etwas weder aus journalistischer noch aus polizeilicher Sicht – was einige Medien nicht davon abhielt, den anfänglichen T-online-Bericht aufzugreifen und weiterzuspinnen, bis nun eben Lars Klingbeil an der Reihe war. Auch die von einer anderen Nutzerin erwähnten Skimasken fügen dem Geschehen kaum etwas Handfestes hinzu und bleiben ebenfalls ungesichert. Es bleibt bei einer Ansammlung von vielleicht 200 Personen auf dem Bornaer Marktplatz, von denen derzeit zwei, vielleicht drei als tatverdächtig gelten.

Aus Görlitz und Hildburghausen gibt es bisher gar keine genaueren Berichte, die auf eine irgendwie „rechte“ Ausrichtung der dort auffällig gewordenen Personen hindeuten. Das saugt sich Klingbeil schlicht aus den Fingern. Auch hier wird er nirgends angerufen und die zusammenphantasierten „Informationen“ überprüft haben. Nichts stützt seine These, dass die größte Gefahr für die Demokratie in Borna, Görlitz oder Hildburghausen wohnt und von „rechts außen“ kommt.

Deutlich wird so nur die tiefe Entfremdung zwischen der SPD und den Menschen in Borna und Hildburghausen, vielleicht in Sachsen und Thüringen überhaupt. Schade um den demokratischen Diskurs, auch um den Mittelweg. Die ausgestreckte Hand der SPD gilt eben nicht für jeden, scheint jedenfalls nicht allen deutschen Bürgern zu gelten.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 74 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

74 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
bfwied
1 Jahr her

Sozialisten haben dieselbe Hintergrundidee, egal ob Nationalsozialisten oder Global-etc.-Sozialisten. Sozialismus gründet sich auf Wegnahme, Verteilung, Diktatur, grundsätzlich.

bfwied
1 Jahr her

Das merkte ich vor 30 Jahren, als die Dummheit sich in der SPD durchzusetzen begann! Schmidt etc. waren weg, so war ein Vakuum vorhanden. Es war Zeit, denen den Rücken zu kehren.

bfwied
1 Jahr her

Heute ist ja alles relativ, man kann sein Geschlecht jedes Jahr wechseln, einen Mann mit Bart und Kindern, dem es gefällt, plötzlich eine Frau zu sein, muss man bei Strafandrohung mit Frau ansprechen – „Mal-so-mal-so“ wäre treffendere Ansprache -, warum sollte man nicht Alternative Wahrheiten erfinden, Merkel hat’s doch vorgemacht z. B. bez. der „Ausländerjagd“! Die Grünen behaupten als Alternative Wahrheit, mit Windspargel könnte man alle herkömml. Kraftwerke ersetzen – „Alles ausgerechnet“(!!) -, warum sollten die Rotgrünen nicht als Alternative Wahrheit evtl. vorhandene 2 oder 3 Nazi-Verehrer-Idioten zu einer ganzen gut bewaffneten Armee aufbauschen? Ist doch nur folgerichtig!

Dellson
1 Jahr her

Luther sagte: iss alles was gar ist, trink alles was klar ist und sag alles was wahr ist. Die SPD Spitze mit ihren Funktionären kommt einfach nicht mehr runter von ihrem Berg zu den Menschen. Und die eigentliche Partei SPD gibt es seit Jahren nicht mehr, sie wurde gekapert von einer Kaste an neureichen Übertragungsgeldempfängern, die den Namen SPD von ihren Eltern übernommen haben, die ihnen ein Leben im Wohlstand ermöglicht haben ohne eigenes Zutun. Und was nichts Wert ist, taugt nichts. Eine Änderung ist Lichtjahre entfernt nicht erkennbar. Schiller sagte dazu: sie fechten mit Erbitterung, mit Heimtücke, mit Verzweiflung,… Mehr

Martin Mueller
1 Jahr her

Die Union sollte endlich aufwachen! … RotRotgrün ersteht es mit Hilfe der MainstreamMedien sehr gut, jede Kritik am Fehlverhalten von Migranten mit der Nazikeule entgegenzutreten und Integrationsdefizite zu verharmlosen. Zudem alles, was nicht in links-grüne Weltbild passt verteufelt. Der Kampf gegen Rechts ist längst auch ein Kampf gegen alles Konservative…..

Die CDU und die CSU lassen am Gängelband des links-grünen Zeitgeistes so einfach zahnlos machen. Die Union braucht nicht nur eine eigene Agenda, sondern auch Rückgrat, um sich nicht moralisch erpressen zu lassen…

Astrid
1 Jahr her
Antworten an  Martin Mueller

Ich glaube Sie haben da etwas nicht richtig mitbekommen.Die Verhältnisse, die wir heute und zwar explizit mit der Migration haben, wurden von der CDU/CSU und SPD geschaffen und werden bis dato von der Ampel lediglich fortgeführt. Frau Merkel hat den Migrationspakt mit unterzeichnet. Was soll denn Ihrer Meinung nach bei einem Regierungswechsel bzw. bei einer starken CDU/CSU ander laufen? Von den Fehlern der sog. Energiewende möchte ich gar nicht erst anfangen. Somit spielt es überhaupt keine Rolle, ob die CDU, CSU, FDP, SPD, die Linke, die Grünen an der Regierung sind, es wird immer auf die gleiche Politik hinauslaufen. Es… Mehr

bfwied
1 Jahr her
Antworten an  Astrid

Sie haben recht, aber es ist keine Verschwörung, sondern nur ein Mitlaufen. Merkel und v. a. milliardenschwere NGO-Unterstützer haben diese Strömung initiiert. Wer Milliarden hat, kann 100 Mio. ausgeben für entsprechendes Framing in aufgekauften Medien. Und es gibt ja nicht nur einen mit der Geldmenge. Wer einmal die Hoheit über die Diskussion errungen hat, er erreicht dies durch eine konzertierte Daueraktion, mit Lautstärke, andauerndem Trommelfeuer, so dass die anderen kleinlaut werden, dann kann er ausgrenzen, lächerlich machen, verletzen. Genau dies geschieht auf jedem Feld, auch ganz übel in der Wissenschaft, deshalb gab es außer einigen Petitionen mit bis zu weit… Mehr

KoelnerJeck
1 Jahr her

Man könnte noch die Eugenik (Transhumanismus) hinzufügen, den Wahn von einem besseren Menschen.

„Wir wollen nicht die Menschen verbessern – wir wollen bessere Menschen. Die Hartnäckigkeit der eugenischen Verführung“
https://cato-magazin.de/wurzeln-der-eugenik

Gerhard Radnitzky ist super! Leider gibt es das Buch nur noch im Antiquariat.

Old-Man
1 Jahr her

Es ist müßig sich über Verbale Auswüchse dieses komischen Vogels Klingbeil zu äußern, aber leider nötig. Wer nichts zu bieten hat, der erfindet halt etwas. Was aber wohl keine Erfindung ist, weil geschichtlich fest geschrieben, das ist der „Hass“ auf alles „Rechte“ durch solch armselige, Geschichtsvergessene Typen ala Klingbeil. Der wahre Grund des immer währenden „Kampfes“ gegen „Rechts“ durch die Roten kann aber wohl nur darin begründet sein, das 1922/23 in Bayern die Ausweisung eines gewissen Adolf Hitler durch die SPD verhindert wurde. Was wäre uns und der Welt erspart geblieben, hätten die Roten nicht damals schon ein Faibel für… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Old-Man
Del. Delos
1 Jahr her

Wir TE-Leser sind uns ja offenbar alle einig, dass man Leute wie Klingbeil nicht ernst nehmen darf.
Leider sehen das aber die SPD-Wähler, von denen es immer noch viel zu viele gibt, ganz anders und deshalb ist die SPD eine gefährliche Partei, da sie die Demokratie hintertreibt und einen Faschismus anstrebt und Klingbeil muss man deshalb doch ernst nehmen.
Ich hatte ja schon öfter mal vorgeschlagen, dass wir/die Redaktion so eine Art „Parteien-Vergleich“ vornehmen: verschiedene Punkte der jeweiligen Parteiprogramme werden miteinander verglichen und analysiert, d.h. auch auf ihre Demokratietauglichkeit geprüft. Leider wurde das bisher nie aufgegriffen, schade.

Kassandra
1 Jahr her

„Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt: Die Wahrheit steht von alleine aufrecht.“ Thomas Jefferson

HPK
1 Jahr her

Wer solche Aussagen wie auch Herr Klingbeil „raushaut“ kann nicht für voll genommen werden. Das ist nicht nur eine Regieanweisung an alle linken Randalierer zukünftig bewusst mit Naziparolen von ihren eigenen Gewalttaten abzulenken, um den Verdacht auf Unbeteiligte abzuwälzen, sondern auch für politisch unmotivierte, hirnlose Krawallrabauken.
Mit der Eingruppierung der Straftäter in „Deutsche“ und „Ausländer“ wird die dritte große Gruppe, „Deutsche mit Migrationshintergrund“ bewusst nicht benannt, denn das Versagen der Integrationspolitik darf nicht sichtbar gemacht werden.

Last edited 1 Jahr her by HPK
Wolfram_von_Wolkenkuckucksheim
1 Jahr her
Antworten an  HPK

Vor allem ist das kurios, weil ja der Begriff „Mensch mit Migrationshintergrund“ vor 20 Jahren erfunden worden ist, um wirklich alle zu erfassen, die kulturell eben keine Deutsche, denn es gab ja schon damals viele Türkischstämmige, die sich schwer taten in der Schule, aber die deutsche Staatsbürgerschaft hatten. Denn Bildungskarriere und mangelnde Integration hängt ja nicht von der Staatsbürgerschaft ab, sondern wie man kulturell verwurzelt ist.