Der Wahl-Schwindel von Berlin: Kann man diesem Senat noch vertrauen?

Was man in den Akten zur Berliner Wahl lesen kann, macht fassungslos. Wenn alle Grundsätze so leichtfertig übergangen werden, wie soll man da den Wahlen noch vertrauen können? Die Verschleierung der Vorgänge beginnt bereits in den Protokollen zur Wahl.

Die Sicherheit der Wahl war einmal ein Heiligtum. Entsprechend penibel ist ihre Durchführung gesetzlich geregelt – denn das Wichtigste bei einer demokratischen Wahl ist, dass jeder Wähler wie Nichtwähler auf ihre unbedingte Korrektheit vertrauen kann. Nur so ist die Legitimität des Parlaments sichergestellt. Um die Transparenz bei den Vorgängen zu gewährleisten, sieht das Gesetz eine strenge Protokollierungspflicht vor – und der Bezirkswahlleiter hat in Berlin dafür zu sorgen, dass die Wahlniederschriften am Ende vollständig vorliegen und alle offenen Fragen darin beantwortet wurden.

Jeder Vorfall, jeder Beschlussfall muss einzeln protokolliert, die Entscheidung vom ganzen Wahlvorstand unterschrieben werden. Die Protokollvorlagen, die die Wahllokale nutzen, sind dabei so umfassend und detailliert, wie es überhaupt nur sein kann. Jede Kleinigkeit soll hier eigentlich vermerkt werden. Sollte. Eigentlich.

Wühlen im Datensumpf – jedes zweite Protokoll fehlerhaft

Es entsteht so eine schier unendliche Menge an Daten, 40.000 Seiten Akten, handschriftlich bei der Wahl 2021. Sie liegen nicht digitalisiert vor. Schon das wirft ein Licht auf die Verwaltung in Berlin – und ohne Digitalisierung ist auch die Nachprüfung erschwert; wie praktisch für den, der vertuschen will. Die  zu digitalisieren und damit auswertbar zu machen, erfordert Hunderte Arbeitsstunden.

Genau das hat TE getan – und stellt diese Daten vollständig der Öffentlichkeit zur Verfügung, um den Prozess der Aufklärung der Unregelmäßigkeiten maximal zu beschleunigen. Aus rechtlichen Gründen müssen wir dafür zuvor die Zustimmung einholen. Mehr dazu, wie Sie die Unterlagen von uns bekommen können, erfahren Sie unter diesem Text.

So weit, so schön. Viele Daten, aber dafür auch maximale Transparenz, die Vertrauen schafft. Doch diesmal ist genau das Gegenteil der Fall: Die Protokollierung der Wahl selbst ist so schlampig und unvollständig, dass sie vor allem einen weiteren Beweis für die Unhaltbarkeit der Durchführung dieser Wahl darstellt.

TE-Recherchen zeigen, dass im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf jedes zweite Protokoll fehlerhaft ist – ausgerechnet in dem Bezirk, in dem mit die meisten Unregelmäßigkeiten entstanden sind, sodass der Bundeswahlleiter hier eine Wiederholung der Wahl fordert. Ausgerechnet hier fehlen an entscheidenden Stellen Zahlen. Aus den Protokollen wird nach TE-Recherchen klar, dass die Wahllokale im Bezirk mindestens 20 Stunden lang geschlossen wurden, dass rund zwei Drittel der Wahllokale verspätet schlossen. Auch das ist gegen die Wahlordnung: Der Wahlgang endet um 18.00 Uhr. Nicht in Berlin Charolottenburg-Wilmersdorf. Mindestens 1.000 Stimmen wurden ungültig, weil falsche Wahlzettel ausgegeben wurden. Potenziell sind es aber viel mehr – denn mehrheitlich wurde lediglich vermerkt, dass falsche Wahlzettel ausgegeben wurden, aber nicht, wie viele Wähler das betraf.

Genau diese Zahl ist aber relevant. Denn aus ihr leitet sich ab, ob die Wahlpannen mandatsrelevant sind oder nicht – und damit am Ende auch, ob die Wahl gültig sein kann. Hier wurde von vornherein eine Nebelwolke aufgebaut. Das Ziel offenbar: Eine Quantifizierung der einzelnen Pannen unmöglich zu machen – und genau mit diesem Argument eine Wiederholung dann abzuschmettern.

Die Bierkiste als Staatsarchiv

Der bizarr leichtfertige Umgang mit den Grundsätzen der Wahl zeigt sich bei der Durchsicht der Akten schon optisch. Die Akten vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zum Beispiel waren nicht wie üblich in Ordnern abgeheftet, sondern werden lose und unsortiert in einer Bierkiste gelagert.

Die Kreuzberger Bierkiste

Die Protokoll-Fehler – Fass ohne Boden

Ein Großteil der Protokolle sind ganz offensichtlich unsauber geführt. Einige sind etwa gar nicht unterschrieben – ein klarer Widerspruch zum Gesetz.

In anderen Protokollen fehlt selbst die Tabelle mit den Ergebnissen zur Bundestagswahl. Kann man die tatsächlich mal soeben vergessen? Damit fehlt aber eben die Information über den Hergang der Auszählung.

Ständig wird in den Protokollen auf Anlagen verwiesen, die nicht existieren. Und es kommt ebenfalls zu groben Abweichungen zwischen Stimmzetteln in der Urne und abgestrichenen Personen im Wahlregister. Eigentlich unmöglich.

31 Stimmen mehr in der Urne als Menschen, die gewählt haben? Ursache unbekannt.

Oft werden auch in den Ergebnistabellen entweder Zahlen dreimal durchgestrichen oder mit Tipp-Ex entfernt. Die Spalten werden vertauscht – durch simple Schreibfehler tauchen dann auch schonmal 300 Stimmen zu viel auf, die ihren Weg zwar nicht ins Endergebnis finden, im Protokoll aber dennoch nicht korrigiert werden.

Wenn Fehler auftraten, gab man sich allergrößte Mühe, eine Aufklärung unmöglich zu machen. Oftmals heißt es zwar, dass falsche Wahlzettel ausgegeben wurden – aber nicht, wie viele. Die Zahl der so entstandenen Unregelmäßigkeiten wird so nicht ersichtlich. Die Folgen für die Mandatsverteilung? Unklar.

Regelmäßig ist dann die Rede davon, dass Wahllokale teils bis zu einer Stunde länger als 19:00 Uhr geöffnet sind. Das ist ein Novum – und widerspricht eindeutig dem Wahlgesetz. Schließlich sind bis dahin nicht nur Prognosen, sondern auch schon die ersten Hochrechnungen da – eine taktische Veränderung der Wahlentscheidung wird so förmlich erzwungen.

Die Protokolle haben gleich mehrere Felder, in denen so etwas Einmaliges erklärt werden müsste. Doch dort findet sich immer wieder nur der Hinweis: keine besonderen Vorkommnisse.

Wahllokal 45 Minuten zu lang geöffnet – ganz ohne besondere Vorkommnisse?

Wenn protokolliert wird, dass das Wahllokal wegen Stimmzetteln geschlossen wurde, wird nur in den seltensten Fällen vermerkt, wie lange. Dabei kann nur die genaue Zeitspanne eine Überprüfung ermöglichen – mit ihr kann man hochrechnen, wie viele Wähler hier durchschnittlich beim Wahlgang behindert wurden.

Den ehrenamtlichen Wahlhelfern kann man so flächendeckend an der Stelle keinen Vorwurf machen – aber, dass es nicht einmal vermocht wurde, die Probleme überhaupt nur zu protokollieren, zeigt das Ausmaß des Chaos. Ein Chaos, in dem die Wahlhelfer allein gelassen wurden – protokolliert ist, wie die Wahlvorstände mit zunehmender Verzweiflung versuchen, die Wahlämter überhaupt nur zu erreichen. Berichtet wird von „unfassbarer Unhöflichkeit“ im Umgang. Dieses Protokoll zeigt die Verzweiflung der ehrenamtlich tätigen Wahlhelfer – und die Ignoranz des Wahlamtes.

„Unfassbar unhöflich“ sei das Bezirksamt im Umgang

Es wäre die Aufgabe der Bezirkswahlleiter gewesen, die Lücken in den Protokollen im Nachhinein zu schließen – auch darauf wurde aber verzichtet. Das zeigt ein völliges Desinteresse gegenüber der Wahl als solcher – Schlampigkeit als Staatsverständnis.

Selbst wenn diese Wahl aus rein formalen Gründen aufrechterhalten werden sollte – wer soll diesem Senat bei der Durchführung von Wahlen weiter vertrauen? Wer soll einem Wahlsystem vertrauen, dass auf Pannen mit Vertuschung und Nebel reagiert statt mit transparenter Aufarbeitung? Verschlampen, vertuschen, und vermurksen – und das beim Ur-Akt der Demokratie: der Wahl. Wie können Abgeordnetenhaus und Senat von Berlin hier noch Vertrauen verlangen?


Tichys Einblick macht die Wahlprotokolle öffentlich

Zur Aufklärung der Mängel bei der Bundestagswahl in Berlin und den Wahlen zu Abgeordnetenhaus und Bezirksverordnetenversammlungen geht das Magazin Tichys Einblick einen ungewöhnlichen Weg: Die Redaktion, die exklusiv über alle Protokolle aus den Wahllokalen verfügt, stellt das Material auch anderen Medien kostenlos für Recherchen zur Verfügung.

„Ein halbes Jahr nach der Wahl sind die Mängel und Fehler, die in Berlin offenbar flächendeckend vorgekommen sind, nicht aufgeklärt“, so TE-Herausgeber Roland Tichy. „Wir berichten seit einer Woche auf Basis der Protokolle über die Mängel. Aber mit Blick auf die über 40.000 Dokumente macht es Sinn, dass sich auch andere Medien mit diesem Material beschäftigen. Denn der korrekte Ablauf von Wahlen ist der Grundstein einer Demokratie. Und deshalb ist es so wichtig, dass die grotesken Fehler, die bei den Wahlen in Berlin vorgekommen sind, aufgeklärt werden.“

Redaktionen, die Interesse haben, die Protokolle der Wahllokale auszuwerten, können sich per Mail an die TE-Redaktion wenden: wahl-berlin@tichyseinblick.de. Nach einer Bestätigung erhalten die Redaktionen einen Link zum Download der Daten.

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Kommentare ( 91 )

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Niklot
1 Jahr her

Druck und Angst ersetzen Vertrauen. Schlimmer noch als Bananenrepublik. Schönen Gruß aus Kuba.

Holm Teichert
1 Jahr her

Vor der merkelschen Machtergreifung und der konsequenten Überführung Deutschlands in linksgrüne Ideologiesümpfe war es einmal gesetzlich vorgeschrieben, dass die Briefwahl nur in absoluten und begründeten Ausnahmefällen genehmigt werden darf. Regelmäßig wurden Anträge auf Briefwahlunterlagen abgelehnt, weil die Begründung nicht reichte, um über die Hürden zum Erhalt dieser Papiere zu überspringen. Lieber keine Stimme, als eine später gefälschte Stimme, war wohl der Vater des Gedankens. Die Brisanz der möglichen Wahlfälschungen durch wochenlang der öffentlichen Kontrolle entzogenen Briefwahlunterlagen war den Gesetzesmachern nämlich durchaus bewusst. Seit ungefähr 3 Wahlperioden kann man erstaunlicher Weise hingegen sogar beobachten, dass immer mehr Altparteien ganz unverhohlen Werbung… Mehr

Rolfo
1 Jahr her

Somit ist geklärt: Nebst Flughafen und Autozulassungen: Wahlen können sie auch nicht.
Berlin ist – soweit mir bekannt – weltweit die einzige Bundeshauptstadt, die jährlich wiederkehrend einen negativen Gesamtsaldo erwirtschaftet und mittels Arbeit anderer Bundesländer durchgefüttert werden muss.

Tysken
1 Jahr her

Der Begriff „Schwindel“ aus der Überschrift des Artikels verharmlost die Rechtsverstöße dramatisch. Hier sind andere, deutlichere und nicht verniedlichende Begriffe sicher nicht fehl am Platz.
Andererseits bestätigt sich hier zum x-ten Mal der Failed-State im Allgemeinen, denn ich gehe davon aus, daß solche Vorkommnisse mit Sicherheit nicht auf Berlin beschränkt sind.

Last edited 1 Jahr her by Tysken
Holm Teichert
1 Jahr her
Antworten an  Tysken

2017 wurde in ausgesuchten Wahllokalen in NRW Überprüfungen angeordnet. Jedes, wirklich jedes überprüfte Wahllokal, wies eklatante Unstimmigkeiten auf, die nicht erklärt werden konnten.
Ab und zu waren die Unstimmigkeiten zu Ungunsten der CDU, noch weniger der FDP, niemals aber zu Ungunsten von SPD, Linke und Grüne. Immer aber, ausnahmslos jedes überprüfte Wahllokal ergab aber Unstimmigkeiten zu Ungunsten der AfD.
Trotz dieser schockierenden Ergebnisse beschloss der Landeswahlleiter, dass die Ergebnisse nicht so gravierend seien, und man von einer Überprüfung weiterer Wahllokale absah.
Soviel zu solchen nicht auf Berlin beschränkte Unregelmäßigkeiten.

bani
1 Jahr her

Wahlen ändern nichts, wir haben ein Kartell von Parteien mit analogem Programm. Wozu wählen, ist doch wie in der DDR.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  bani

Den Ausweg, den es gibt, will man nicht nutzen. Der erste Satz bei wiki lautet: „Die Alternative für Deutschland ist eine rechtspopulistische und rechtsextreme politische Partei.“
Wer liest den Artikel dann tatsächlich weiter bzw. sucht sich das Parteiprogramm? Dass Schüler darauf getrimmt werden, das für wahr zu nehmen, stimmt zudem bedenklich!

Markus Gerle
1 Jahr her

Die Vorfälle in Berlin sind so unfassbar, dass ich eigentlich eine Nachwahl im kompletten Berlin für erforderlich halte. Besonders stört mich, dass viele Wähler aufgrund des failed states Berlin auch das Vertrauen in Wahlen in anderen Orten verlieren könnten. Ich halte es daher für eine Pflicht, dass der verantwortliche Berliner Senat sich bei der Gesamtbevölkerung entschuldigt und geschlossen zurück tritt. Ich war selbst auch schon Wahlhelfer und habe so erleben können, dass korrekte Wahlen durchaus möglich sind. In meinem Wahllokal gab es nur einmal einen protokollierten Vorfall. Eine Dame, die den Stimmzettel erhalten und auch schon als Wählerin abgehakt war,… Mehr

Till Kinzel
1 Jahr her

Auf die im Titel enthaltene Frage kann es nur eine Antwort geben: Nein.

hoho
1 Jahr her

„Die Folgen für die Mandatsverteilung?“ – da ist dieser Unfug wieder. Ich verstehe natürlich, dass es weder eine absolute Legitimität noch es eine absolute Genauigkeit bei Aufzählung gibt. Es ist auch zu verstehen, dass ein unzufriedener Kunde sollte nicht in der Lage sein, den ganzen Vorgang ad absurdum führen, in dem man nach einem kleinem Formfehler ganze Wahl in der ganzen Republik wiederholt. Das aber wird missbraucht wenn mehrere Wahllokale nicht genau kontrolliert haben, wer wählen durfte und auch nicht genug Stimmzettel hatten usw. Wenn das in ganzem Land passiert muss man die Wahl wiederholen – nicht um ein anderes… Mehr

Enigma
1 Jahr her

Wenn Wahlen etwas ändern würden wären sie verboten. Aber ich wähl trotzdem weiterhin AfD um zumindest den Manipulationsaufwand der „Demokratiemacher“ zu erhöhen.

RageAgainstTheReigning
1 Jahr her

„…Der Wahl-Schwindel von Berlin: Kann man diesem Senat noch vertrauen?“ Das ist Sarkasmus! Deutschland schafft sich (zunehmend) ab! Grundgesetz? Wird mit Füssen getreten! Bundesverfassungsgericht? Es war! mal auf Seiten der Bürger. Demokratie? Ist definitiv nicht das, was Steinmeier und Konsorten darunter verstehen! Mein Vertrauen in die Politik ist nicht mehr vorhanden. Sie belügen und betrügen uns und haben nur ein vorrangiges Ziel: Den Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen und ihre Macht zu mehren bzw. zu erhalten.