Nicht nur die Rolle der SPD gegenüber Russland muss aufgearbeitet werden

Wenn jetzt CDU-Politiker die Russlandpolitik der SPD verurteilen, darf nicht die Rolle der Merkel-CDU in den vergangenen 16 Jahren unterschlagen werden. Die gesamte politische Klasse Deutschlands hat versagt.

IMAGO / Xinhua
Wladimir Putin und Angela Merkel bei ihrem Treffen in Meseberg am 18. August 2018

Fakt ist, Russland hat einen Krieg begonnen, mordet, vergewaltigt und zerstört in der Ukraine. Männer, Frauen, Kinder sterben oder werden an Leib und Seele verletzt. Dafür trägt Russlands Regierung allein die Verantwortung. Dass ich Wladimir Putin, der 1989 als KGB-Agent in Dresden saß, immer abgelehnt habe, belegen alle meine Texte. Ich hielt und halte es für verhängnisvoll, dass er an die Spitze des russischen Staates gelangte. Die Schmierenkomödie der Rochade zwischen ihm und Dimitrij Medwedjew als Präsident und Ministerpräsident führte allen vor Augen, dass Putin die Demokratie verachtet. Die Illusionen der SPD über einen Wandel durch Annäherung habe ich nie geteilt. Schröders Wort vom „lupenreinen Demokraten“ bedeutete schon zur Stunde, als es geäußert wurde, einen tiefen Fall der einstmals stolzen Partei. Putins Wort von der „gelenkten Demokratie“ klang schon damals in meinen Ohren nach der gehängten Demokratie. 

Gerade mit Blick auf die Tyrannei in Russland hatte der Sozialdemokrat August Bebel 1913 geäußert, dass er, wenn es gegen die russische Despotie ginge, selbst noch die Schrotflinte in die Hand nehmen würde. An August Bebel erinnerte sich weder Gerhard Schröder, noch Frank-Walter Steinmeier – und Manuela Schwesig dachte stattdessen vielleicht an russisches Konfekt und schwelgte in seeligen Kindheitserinnerungen –, als sie sich allzu tief mit Putin einließen. Eine Aufarbeitung der Russland-Politik der SPD, der personellen Verbindungen, des Grades der Einflussnahme der Russen auf deutsche Innenpolitik, der wirtschaftlichen und auch finanziellen Verquickungen hat dringend zu erfolgen. Sie ist weitgehender als man bisher ahnte. Doch eine wissenschaftliche Aufarbeitung ist kategorial etwas vollkommen anderes als die Pressekampagnen gegen die SPD, die sich in Framing und simplen Verurteilungen gefallen. 

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Aufarbeitung bedeutet präzise und belegbar zu klären, was wann unter welchen Voraussetzungen wie durch wen geschehen oder veranlasst worden ist. Es geht darum zu ermitteln, was wirklich stattgefunden hat unter Einordnung in die historischen Kontexte. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es Ende der 1990er Jahre nicht ein zunächst richtiger Versuch war, Russland näher an Europa zu holen, schließlich hatte Michail Gorbatschow zehn Jahre zuvor vom gemeinsamen Haus Europa gesprochen und dafür gesorgt, dass die russischen Panzer 1989 nicht wie 1953, wie 1956, wie 1968 eingegriffen haben, als die Völker Mittelosteuropas gegen ihre kommunistischen Herrscher aufstanden. Wann aber hätte man erkennen können und müssen, dass die Strategie falsch ist? Dass man sich sozusagen auf einer Rutschbahn befindet? Genauer gefragt: Wann hätte jedem klar sein müssen, dass Russland der Schritt vom Imperium zum modernen Nationalstaat misslingen würde? 

Notwendige Aufarbeitung wird dann zum Hohn, zu einer neuen Legende, wenn sie von CDU-Politikern, die mit den Fingern auf die SPD zeigen, gefordert wird. Denn drei Finger zeigen dabei auf sie selbst zurück. Was die Russland-Politik betraf, befand sich die Union nämlich im wahrsten Sinne des Wortes mit der SPD in einer Koalition. Wenn sie nun „Haltet den Dieb“ ruft, erweist sich das als Posse, denn die Union der Merkel-Jahre war ein Profiteur der Russland-Politik der Sozialdemokraten.

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Das Russland-Netz des Sigmar Gabriel
Merkels Vernichtung der Energiesicherheit Deutschlands, Energiewende genannt, benötigte das russische Erdgas. Man könnte sogar unter diesem Aspekt sagen, russisches Erdgas hat zu Merkels-Wahlsiegen beigetragen. Ohne russisches Erdgas wäre bereits früher die Irrationalität der Energiewende zu Tage getreten. Auch daher erklärt sich Merkels desaströse Russland-Politik. Nicht Gerhard Schröder, sondern Angela Merkel trug in den letzten 16 Jahren Regierungsverantwortung. Und zur Wahrheit gehört auch, dass die Kanzlerin aus der CDU die ideologischen Projekte der Grünen umsetzte, wenn man beispielsweise an den Atomausstieg denkt oder an die Verspargelung der Landschaft und an die Preisexplosion für Energie inklusive Benzin und Diesel. Einst hatten die Grünen 5 DM pro Liter Benzin gefordert, dieses Ziel konnten sie Dank Merkel und Dank der Union nun überbieten. Realisiert man, dass ausgerechnet die mitschuldigen Grünen sich nicht nur als moralisch höhere Wesen aus der Verantwortung schleichen, sondern auch noch das, was uns in die Abhängigkeit geführt hat, als Weg aus der Abhängigkeit einreden wollen – unter tatkräftiger Mithilfe der Medien –, dann weiß man, wie wichtig eine Aufarbeitung ist. Es geht eben nicht nur um die SPD, sondern um die gesamte politische Klasse in Deutschland, die vollkommen versagt hat. 

Wirft man einen Blick auf die deutschen Medien, entsteht der Eindruck, dass es auch nicht um Aufarbeitung geht, sondern darum, Scholz zu stürzen, um eine Jamaika-Koalition ins Amt zu schreiben, die als erstes ein totales Erdgas-Embargo erlassen wird. Dass der Versuch von Olaf Scholz, eine von deutschen Wirtschaftsinteressen bestimmte Politik gegenüber dem Aggressor Russland durchzuhalten, dadurch beendet werden soll, dass die Medien zwischen der falschen, fragwürdigen und in Teilen vielleicht auch justiziablen Russlandpolitik der Vergangenheit und Scholzens besonnenem Agieren in der Gegenwart eine Verbindung herstellen, ist nicht im deutschen Interesse. Es hat den Anschein, dass wir eine schlechte Regierung verlieren sollen, um eine noch schlechtere zu bekommen. 

Wieder einmal ist die Stimme der Vernunft leise. Wir sollen, wir wollen, wir müssen der Ukraine helfen. Russlands Aggression darf nicht von Erfolg gekrönt sein. Sie wäre es aber auch dann, wenn sich Deutschland wirtschaftlich und damit auch politisch und kulturell selbst zerstört. Zwischen der Hilfe für die Ukraine, der Notwendigkeit, Putin Grenzen aufzuzeigen, und einer erfolgreichen deutschen Wirtschaft als Grundlage unserer Gesellschaft und übrigens auch der Fähigkeit, den Ukrainern helfen zu können, hat die deutsche Regierungspolitik einen Spagat zu machen.

Eine generelle Aufarbeitung, die wirkliche alle Fakten und die Rolle aller verantwortlicher Politiker in allen politischen Parteien zur Kenntnis nimmt, ist daher vonnöten.

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Kommentare ( 68 )

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alter weisser Mann
2 Jahre her

Das Ganze ist auch ein Lehrstück über die Arbeit der Medien.
Zu viel unkritische Begleitung der Politik, die umschlägt in Kampagnen, sobald der Wind mal dreht und neue Idole begleitet werden oder ein neuer Blickwinkel dominiert. Bis zum nächsten Dreh.

Last edited 2 Jahre her by alter weisser Mann
Watzmann
2 Jahre her

Dieses Land ist schlicht und einfach nicht in der Lage eine stringente und Partei übergreifende Strategie resp. Staatsräson zu formulieren. Diesbezüglich sind UK und Frankreich Deutschland in jeder Hinsicht haushoch überlegen. Frau Merkels Regierungskunst bestand darin den jeweiligen Zeitgeist perfekt zu bedienen. Die einzige Strategie ihrer Politik, situativ zu entscheiden was „gut ankommt“. Die Union ließ sich diesen Prozess einer von Umfragen getriebenen Politik bis zur Selbstverzwergung bieten. Ohne Kompass wird man eben zu Getriebenen und sobald in Deutschland die Kassen leer sind, kann es in Europa noch deutlich ungemütlicher werden. Moralisieren und Realitätsverweigerung zwei Seiten einer Medaille. Ist eben… Mehr

GMNW
2 Jahre her

Die langen sechzehn Jahre unter der Dame mit der Richtlinienkompetenz -und das ist die ganz besondere Qualität- hat uns in diese Katastrophe schlafwandeln lassen!  Natürlich auch unter der Beteiligung der SPD, die den Außenminister stellen durfte. Jedoch haben weder Steinmeier noch Gabriel eine eigene, sozialdemokratisch geprägte russlandfreundliche Außenpolitik gemacht; die Richtlinienkompetenz macht politische Vorgaben, lenkt und steuert auch die Außenpolitik! Jetzt fängt die CDSU auch noch an, mit dem Feuer zu spielen und uns mit der Lieferung von Kampfpanzern und Artillerie mindestens an den Rand eines Kriegsteilnehmers bringt! Die CDU sollte besser in Klausur gehen und transparent die letzten sechzehn Jahre… Mehr

Konservativer2
2 Jahre her
Antworten an  GMNW

„…jetzt sollen es Leoparden sein!“ Der Spruch bezüglich des Lernens aus der Geschichte ist abgedroschen, aber hier teilweise richtig. Dies schreibe ich in dem Bewusstsein, dass man je nach eigener Interessenlage zwischen so gut wie jedem Ereignis aus Vergangenheit und Gegenwart einen Zusammenhang konstruieren kann – oder eben auch nicht.

Vielleicht sind vitale aktuelle Interessen der bessere Ratgeber. Leos in Charkow gehören bestimmt nicht dazu.

AmitO
2 Jahre her

Das klingt ja alles gut und richtig, ABER: Was nutzt eine wissenschaftl. Aufarbeitung wenn es keine Konsequenzen gibt?
Corona hat eindeutig gezeigt, dass Deutschland NICHTS aber auch GAR NICHTS aus der Geschichte gelernt hat.
Solange Politiker nicht persönlich zur Rechenschaft gezogen werden können, so lange ist die Aufarbeitung nur ein löblicher Tropfen auf den heißen Stein.
Insbesondere da es mir scheint, dass die meisten Politiker sowieso nicht im Sinne Deutschlands handeln.

Juergen P. Schneider
2 Jahre her

Man darf gespannt sein, wie die Merkel-Medien, die das unglückselige Handeln dieser verbohrten Kommunistin aus der Uckermark jahrelang als der Weisheit letzter Schluss bejubelt haben, sich bei der anstehenden Bewertung ihrer verbrecherischen Politik verhalten werden. Ich tippe darauf, dass man sagen wird, sie habe ja nur das Beste gewollt, nur habe die toxische Männlichkeit alles ins Gegenteil verkehrt. So oder so ähnlich werden sie die Ex-Kanzlerin mit ihren katastrophalen Fehlleistungen davonkommen lassen. Die realistischen Bewertungen von Merkels verantwortungsloser Politik wird natürlich das Ausland liefern. In Deutschland gab und gibt es ja keine regierungskritische Presse- und Medienlandschaft mehr. TE, achgut.com, reitschuster.de… Mehr

alter weisser Mann
2 Jahre her
Antworten an  Juergen P. Schneider

Die gestern noch Merkel bejubelt haben, bejubeln heute Baerbock.
Die sind schamlos genug, sich an gestern nicht zu erinnern und wenn, tja da haben sich eben die Umstände geändert.

GeWe
2 Jahre her

Herr Mai hätte noch anführen können, welche Handelsverträge durch die Sowjetunion bzw Russland in den letzten hundert Jahren zum Schaden Deutschlands geschlossen oder verletzt wurden.
Zum Kriegsbeginn:
Seit dem 12, Februar gab es groß angelegte Artillerieangriffe der ukrainischen Armee auf Donbas mit vielen Toten. Alles von der OSZE-Mission im Donbas protokolliert. Die einzige Partei, die sich nie an das Minsker Abkommen gehalten hat, war die Ukraine.

herman32
2 Jahre her

Der geneigte Beobachter wundert sich schon eine ganze Weile. Bis jetzt ist die Rechtsgrundlage, auf der die Einreise von Asylsuchenden im Herbst 2015 genehmigt wurde, nicht geklärt. Wann wird das rechtlich aufgearbeitet?

https://www.welt.de/politik/deutschland/article168900336/Gutachten-sieht-unklare-Rechtsgrundlage-fuer-Grenzoeffnung.html

Fieselsteinchen
2 Jahre her

Follow the money. Das gilt für alle BASF-CEO, die sog. Kirchenleute, die ohne jegliches Fachwissen in der Energiekommission herumsaßen und salbaderten, alle Politiker aller Parteien (außer AfD). So groß ist die Ideologie bei keinem der Beteiligten gewesen. Jedoch, solange nicht qualitativ gutes politisches Personal zur Verfügung steht und mit denselben Nichtskönnern und Selbstdarstellern weitergewurstelt wird, sind sämtliche Aufarbeitungsversuche und Untersuchungsausschüsse obsolet. Alle Beteiligten hängen irgendwie mit ihren “filthy fingers” mit im Topf. Das Wahlvolk wurde durch die Medien an die Kandare genommen. Die Medien wurden durch Staatsgelder zum Schweigen und Mitmachen animiert, alles ein einziger Misthaufen, gepflegt und gehegt von… Mehr

Gruger1
2 Jahre her

Volle Zustimmung diese Scheinheiligkeit und Doppelmoral ist nicht mehr tragbar. Wer sich Videos von freien Journalisten vor Ort ansieht kann von Augenzeugen jung oder alt erfahren was genau in der Ukraine abgeht. Journalisten verschwinden, Opposition wird verhaftet, Parteien, Radio Fernsehstationen verboten. Blogger werden erschossen oder fehlen einfach weil der SBU da war. Die Darstellung in den MSM ist so einseitig das es schon nicht mehr auszuhalten ist. Es gibt keine Rechtfertigung für Krieg aber objektive Berichterstattung wäre möglich und gibt es, leider nur freier Journalismus und nicht im Main Stream der plappert nur ukrainische und NATO Propaganda nach. Patrik Lancaster… Mehr

Oblongfitzoblong
2 Jahre her

Das Gasgeschäft mit Russland, bzw.Putin, war doch die Rettung der Energiewende, von deren Scheitern die Verantwortlichen selbstverständlich wussten.