Der italienische Kriegssoziologe Alessandro Orsini zerlegt mit kühler Präzision westliches Wunschdenken im Ukrainekrieg. Der ist nicht zu gewinnen, aber jederzeit eskalierbar. Wo Merz, Macron und Co. martialische Signale senden, von Medien noch verstärkt, erinnert Orsini daran, dass Moral keine Strategie ersetzt.
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Alessandro Orsinis Thinktank, oder besser Observatorium und Website, für „Internazionale Sicherheit“, titelte schon öfter, beziehungsweise, ließ den Direktor schon oft selbst, vom „Krieg ohne Sieger“ öffentlich reden.
Alessandro Orsini ist auch außerhalb Italiens längst bekannt, doch in Deutschland und im Dunstkreis von Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, ignoriert man ihn geflissentlich.
Denn mit Orsinis unbequemer Wahrheit, über Europas größten Konflikt, können sie einfach nicht umgehn. Übrigens auch in der Heimat Italien nicht immer. Dennoch ist der schüchtern wirkende, aber eloquente Professor Orsini, in Italien sehr populär, weil sein Team der Wissenschaftler und Rechercheure mit Fakten aufwarten.
Alessandro Orsini gehört zu den Stimmen, die selten beruhigen, aber oft den Blick schärfen. Der Professor für Kriegssoziologie an der LUISS-Universität in Rom, Gründer des Observatoriums *Sicurezza Internazionale* und einer der markantesten italienischen Experten für Terrorismus und geopolitische Sicherheit, hält auch im jüngsten Interview an seiner Grundthese fest: Der Krieg gegen Russland sei – politisch, strategisch und militärisch – nicht zu gewinnen.
Orsini argumentiert ohne Pathos, dafür mit einer Kälte, die viele als unangenehm empfinden. In seinen Augen befindet sich der Westen, in einer Art selbst erzeugten Nebel: Man klammere sich an die Vorstellung, dass Entschlossenheit und Waffenlieferungen ausreichen könnten, um einen militärischen Sieg über Moskau herbeizuführen. Doch die Realität, sagt Orsini, folge anderen Gesetzen – denen der Machtbalance, der geopolitischen Tiefe und der strategischen Geduld.
Seine Warnungen ordnen sich ein in ein Bild, das ihm seit Jahren anhaftet: Orsini soll bereits 2018 – als Gast im italienischen Senat – auf eine kommende Eskalation hingewiesen haben. Ob diese Rede exakt so dokumentiert ist oder nicht, bleibt unklar. Doch der Kern seiner damaligen Analyse zieht sich wie ein roter Faden durch seine heutige Haltung: „Dieser Krieg ist nicht militärisch zu entscheiden.“
Einen zentralen Punkt des Interviews bildet seine Kritik an der medialen Wahrnehmung militärischer Aussagen, besonders im Fall des italienischen NATO-Kommandanten Giuseppe Cavo Dragone. Als dieser in einem militärischen Kontext betonte, man müsse Russland nicht nur konventionell, sondern „auch digital bekämpfen“, wurde seine Aussage in Teilen der Presse sofort als Aufforderung zu einem offenen „Angriffskrieg“ interpretiert. Orsini hält dies für einen gravierenden Fehlschluss: Die Äußerung sei im Rahmen moderner hybrider Kriegsführung zu verstehen – Cyberangriffe, elektronische Aufklärung, Informationsoperationen.
Doch Orsini bleibt dabei: Diese mediale Verzerrung sei kein Zufall. Sie passe zu einer politischen Stimmungslage, in der einige Akteure in NATO-Staaten und Teilen der EU – namentlich erwähnt er auch Stimmen wie Merz, Macron, Starmer und möglicherweise Meloni – bewusst psychologische Signale setzen. Härte zeigen, Abschreckung überdehnen, Entschlossenheit simulieren. All das wirke nach innen wie nach außen.
Und selbstverständlich, so Orsini, nehme Russland diese Töne aufmerksam wahr – und ziehe daraus seine eigenen Schlussfolgerungen. Jede rhetorische Verschärfung, ob gewollt oder missverständlich, bilde den Resonanzraum für weitere Eskalationen. Die Kommunikation selbst werde zur Waffe, zur Strategie, zur Gefahr.
Dabei bleibt Orsini kein Fatalist. Er ist ein Analytiker, der darauf beharrt, dass man Kriege nur dann beenden kann, wenn man aufhört, sie moralisch zu verklären. Der Westen, so seine These, müsse sich von der Idee lösen, dass moralische Überlegenheit automatisch zu militärischem Erfolg führe. Realismus, Diplomatie, Verhandlungen – das seien keine Zeichen von Schwäche, sondern die einzigen Instrumente, die langfristig Stabilität ermöglichen könnten.
Während manche Orsini als unbequemen Mahner schätzen, werfen ihm andere übertriebene Schwarzmalerei vor. Doch unabhängig vom politischen Lager steht eine Erkenntnis im Raum: Die Mechanismen dieses Krieges lassen sich nicht mit Wunschdenken überlisten.
Orsini zwingt seine Zuhörer dazu, das Unangenehme zu sehen: Dass Erruptionen der Rhetorik, mediale Übertreibungen und strategische Signale von West wie Ost sich gegenseitig verstärken – und die Spirale der Eskalation weiter drehen. Und dass ein Konflikt dieser Größe nicht dadurch endet, dass man ihn lautstark gewinnt, sondern dadurch, dass man ihn klug entschärft.

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