Der Fall Kahrs oder das ist keine Korruption

Mit gängigen Begriffen und Sichtweisen kann man deutsche Politik nicht mehr verstehen. Greift man auf surrealistische Maler zurück, wird das Bild klarer. Korruption ist dann keine Korruption mehr und Finsternis wird zu Licht, ganz ohne Strom. Der Fall Johannes Kahrs, Patricia Schlesinger und andere Täuschungen.

IMAGO/Norbert Schmidt

„Ceci n’est pas une pipe.“ – Dies ist keine Pfeife“ ist das berühmteste Bild des surrealistischen belgischen Malers René Magritte. Er wollte die Dinge verfremden, um zum Nachdenken anzuregen, zu provozieren. Kann man diese Pfeife stopfen? Soll er gefragt haben. Kann man nicht, also ist sie keine Pfeife. Der Anschein trügt.

Johannes Kahrs ist keine Pfeife

Nehmen wir das Beispiel Johannes Kahrs. Einer der mächtigsten SPD-Politiker – der Bundestagsabgeordnete und haushaltspoltische Sprecher seiner Fraktion Johannes Kahrs, der auch Mitglied im Verteidigungsausschuss gewesen ist – „verlässt mit sofortiger Wirkung den Bundestag“, meldete die FAZ am 5. Mai 2020. Er begründe, schreibt die Zeitung weiter, „seinen Schritt damit, dass er bei der Nominierung des Wehrbeauftragten nicht berücksichtigt wurde“. Weiteres wird nicht wirklich bekannt, aber Fragen war damals noch erlaubt.  

Kahrs stand im Zentrum der Hamburger SPD und dem damaligen Regierenden Bürgermeister Olaf Scholz sehr nahe. Es kam zu Untersuchungen hinsichtlich von Cum-Ex-Geschäften des Hamburger Bankhauses Warburg. 47 Millionen Euro fällige Steuern wurden 2016 auf dem raffinierten Weg einer Verjährung nicht bezahlt, nachdem der Bankchef sich mit Scholz traf, und der Steuerfall dann zum damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher wanderte. Der von Kahrs geführte SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte erhielt 2017 Wahlspenden von Warburg, berichtet damals das „Hamburger Abendblatt“. Insgesamt 45.500 Euro ließ die Bank direkt oder über Tochtergesellschaften der Partei zukommen, allein 38.000 Euro an den Kreisverband Hamburg-Mitte.

Nun will die „Bild“-Zeitung erfahren haben, dass bei einer Razzia im vergangenen Herbst in einem Bankschließfach von Kahrs 200.000 Euro in bar entdeckt worden seien. Der ungewöhnliche Fund ist laut dem Blatt für die Kölner Staatsanwaltschaft ein Indiz dafür, dass Kahrs das Geld möglicherweise als Gegenleistung erhalten habe – etwa als Dank dafür, dass Kahrs dabei half, die Warburg-Bank vor Steuerrückzahlungen in Millionenhöhe zu schützen? Ermittelt wird wegen des Anfangsverdachts der Begünstigung zur Steuerhinterziehung. Bekannt ist aber, dass Kahrs wegen der Bank etwa bei der BaFin vorstellig war. 

Und nun kommt René Magritte ins Spiel. Selbstverständlich gilt auch für Johannes Kahrs die Unschuldsvermutung. Es kann auch andere Gründe geben, solche Summen bar im Schließfach zu verwahren. Was wir sehen – ist nicht wahr, oder: „Ceci n’est pas une pipe.“

Johannes Kahrs ist nicht alleine

Auch die ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger ist keine Pfeife. Nach vielen seltsamen Vorgängen, die sie in den Verdacht der Korruption gerückt haben, trat sie vom Job der ARD-Vorsitzenden zurück. Ihren 300.000-Euro-Job aus dem Topf der Gebührenzahler beim RBB behält sie, nebst Dienstwagen und Fahrer und Beratungsverträgen für ihren Ehemann. Die ARD predigt uns weiterhin Wasser, und ihre Top-Funktionäre trinken Wein, hätte einst Heinrich Heine gespottet. Er lebte lange vor Magritte.

„Es ist gar keine Pfeife“ – solche nur so scheinenden Dinge gibt es viele im surrealen Deutschland. Wir haben keinen Strom, aber legen Kernkraftwerke still. Wenn Sie darin einen Widerspruch erkennen, sollten Sie bedenken: Ein Kernkraftwerk ist keine Pfeife und auch keine Stromerzeugungsmaschine, auch wenn es so aussieht. Denn kann man an diesem Kraftwerk ihren Kühlschrank anschließen? Sehen Sie. Eine Täuschung. Kein Kraftwerk.

Und wenn Ihr Geld weg ist?

In der ARD erklärt uns eine Kommentatorin der Tagesschau am Samstagabend: „Der Staat kann nicht immer nur geben. Er muss auch einmal nehmen“. Wenn Sie ihre Steuererklärung anschauen und feststellen, dass der Staat schon vor Mehrwertsteuer die Hälfte ihres Verdiensts wegfrisst: Bitte keine schlechte Laune, das ist kein „wegnehmen“. Ihre Pfeife ist nur Einbildung. Wenn Ihr Geld weg ist, ist es weder weggenommen noch eine Pfeife. Und so geht es weiter.

Als kalte Progression bezeichnet man eine Art schleichende Steuererhöhung, wenn eine Gehaltserhöhung durch die Inflation aufgefressen wird, aber dennoch zu einer höheren Besteuerung führt. Trotzdem darf der Staat diese steigende Besteuerung nicht einfach abbauen, sagt beispielsweise Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Das würde ärmeren Familien nicht helfen und deshalb sollen die mittleren Familien weiter bluten, bis sie auch arm sind. Vielleicht ist Frau Paus doch eine Pfeife?

Übrigens hat die Lufthansa nach kurzem Streik einem Tarifvertrag zugestimmt mit 19 Prozent Lohnsteigerung. Phantastisch, aber auch nur eine kleine Pfeife. Nach Abzug der Inflation sind es nur etwa 10 Prozent und nach Berücksichtigung der Inflation ist das viele Mehr kaum mehr in der Tasche. „Dies ist keine Pfeife“ gilt also auch beim Einkommen, und die Inflation, so erklären es uns EZB, Zeitungen und einige Wirtschaftswissenschaftler pausenlos und übereinstimmend, ist auch keine Pfeife.

So lebt eben Deutschland in der besten aller Welten. Das Land hat Strom, aber kein Licht, weil dieses ausgeschaltet werden muss, leider. Magritte hat auch das gemalt: eine nächtliche Stadt mit hellem Firmament. Oder war es umgekehrt? Auch das wäre in Deutschland möglich. Sollten Sie sich auf der Straße begegnen und Antworten auf die Frage einfordern: „Ceci n’est pas une pipe?“, empfiehlt sich Vorsicht. Auf die Straße gehen nur Querdenker und „Delegitimierer“. Gegen solche Elemente geht die Staatsgewalt mit Schlagstöcken vor. 

Die sind garantiert keine Pfeife.

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Kommentare ( 93 )

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Edmund Burke
1 Jahr her

Während für das gemeine in der produktiven Wirtschaft arbeitende Volk nicht nur die Energiepreise und Steuern immer höher werden, scheint man in Politik und anderen zwangsfinanzierten Institutionen wie die Made im Speck zu leben. Da wacht ein SPD Bundestagsabgeordneter mal eben mit 220,00 EUR auf seinem Konto auf, ein Heer von unbegabten TV-Intendanten verdient weit sechsstellige Summen und eine Intendantin leiht den Dienstwagen mit Massagesitzen auch mal gerne dem Gatten. Und die Grünen genehmigen mal eben hunderttausenden Ukrainern bedingungsloses Grundeinkommen, während deutsche Rentner nicht wissen, wie sie über diesen Winter kommen sollen.

Brigittchen
1 Jahr her

Man kann hinschauen, wo man will. Unsere gesamte führende Politik ist korrupt. Da gibt es inzwischen keine Ausnahme mehr.
Und das schöne daran ist, je korrupter, umso Sicherer sitzen sie auf ihrem Posten. Großem Dank gilt hier auch vor Allem unseren „treuen“ Richtern, die das gleiche Parteibuch besitzen.

FionaMUC
1 Jahr her

Sehr schöner Tichy! Und ansonsten: Es ist einfach ein vollkommen dekadenter Staat, in dem sich die Pfeifen breitgemacht und überall bis nach ganz oben durchgeschafft haben. Beim NDR hab ichs mal erlebt, dass ein Mann für den Hamburger Bürgermeister kandidierte, aber es nicht schaffte. Seine Frau, die immer über die Benachteiligung der Frauen schimpfte, SPD alle natürlich, wurde dann Wellenchefin Kultur auch mit Dienstauto, obwohl sie von Kultur keine Ahnung hatte, also eine echte Pfeife war. Und dieser Dekadenz-Staat muss weg, braucht einen Reset. Sehr beunruhigend nur, dass man nicht weiß, wie das gehen wird und wie unangenehm es sein… Mehr

mediainfo
1 Jahr her

Schlesinger hat sich so verhalten, weil es das ist, was sie seit Jahrzehnten im ÖRR gesehen und selber gemacht hat. Ich bin sicher, ohne jedes Unrechtsbewusstsein und ohne jede Furcht vor Aufdeckung. Das ist natürlich kein Plädoyer für Frau Schlesinger.

Vor dem Hintergrund, dass Menschen hierzulande für geringste Fehlhandlungen (das berühmte belegte Brötchen) ihren Arbeitsplatz verlieren, ist das für mich nicht akzeptabel, dass Schlesinger sich „grosszügig“ zurückzieht, sich noch als Opfer darstellt, und womöglich noch eine „Abfindung“ kassieren wird. Die angemessene Maßnahme aus meiner Sicht ist die fristlose Entlassung..

ExternerBlick
1 Jahr her

Bei uns in der Schweiz wird gesagt:

„Jetzt schlägt die Stunde echter und guter Investigativ-Journalisten in Deutschland.“

Gibt es davon einige bei Ihnen?

Die nächsten Wochen werden es zeigen.

Niklas
1 Jahr her

De facto ist Korruption bei uns doch allgegenwärtig und wohlakzeptiert. Ob es nun um Wahlkampfspenden oder Beraterverträge geht. Keiner stört sich daran – ist halt so.

ExternerBlick
1 Jahr her
Antworten an  Niklas

„Warum stört sich keiner daran?“, wie Sie fragen.

Ein Erklärungsversuch:
Der „Fall Warburg“ hat eine Besonderheit:
Das Thema „Cum-Ex“ ist extrem kompliziert.

Es gilt für die breite Bevölkerung wohl:
„Was ich nicht genau weiß , macht mich nicht heiß.“

PS:
Wenige Journalisten scheinen in der Lage zu sein, dieses System der mehrfachen Rückerstattung von Kapitalerstragssteuer in einfachen Worten darstellen zu können.

Es bräuchte Wirtschaftsjournalisten, die komplizierte Steuerthemen so darstellen können, dass auch normale Menschen die Brisanz erkennen, was da vor sich gegangen ist.

Niklas
1 Jahr her
Antworten an  ExternerBlick

Der Cum-Ex-Skandal könnte simpler nicht sein: Eine Bank hat den Staat betrogen und war im Begriff, aufzufliegen. Statt sich das Geld wiederzuholen, half der Staatsapparat daraufhin aber nach Kräften mit, der Bank über die Ziellinie der Verjährungsfrist zu helfen. An der Spitze dieses Apparats damals: Olaf Scholz, der sich mit den kriminellen Bankstern sogar getroffen hatte und nun mauert, was den Inhalt der Gespräche anging. Und nun tauchen sechsstellige Beträge in Geldschließfächern von Scholz‘ engsten Gewährsleuten auf …

Kein Mensch muss verstehen, wie Cum-Ex konkret funktioniert hat. Die paar obenstehenden Zeilen reichen völlig aus.

Milton Friedman
1 Jahr her

Herr Tichy, ich bin etwas enttäuscht. Statt einem Seitenhieb auf Deutschland als Surrealität erwartete ich von „Dies ist keine Pfeiffe“ ein preemptives Entwaffnen des zu erwartenden Gegenarguments der SPD, dass Kahrs nur ein Einzelfall sei. Das eine Schwarze unter der Herde frommer Schäfchen. Kahrs ist genau das Gegenteil, der Archetyp SPD-Bonze: Mit Eltern aus Bremens Rotem Adel, nistet er sich ein in einem der aus SPD-Sicht sichersten Wahlbezirke Deutschlands: Hamburg-Mitte. Einer der schmuddeligsten Wahlkreise der Republik, er besteht hauptsächlich aus Industrieanlagen und den runtergekommensten Sozialbauten Hamburgs. Dazu komplett unorganisch zusammengewürfelt (engl. gerrymandering). Seit Bestehen stets SPD-Bonzen per „Direktmandat“ in den… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Milton Friedman
ExternerBlick
1 Jahr her
Antworten an  Milton Friedman

Milton, danke für Ihre Insider-Einblicke.
Der laut Ihrer Bezeichnung „rote Adel“ scheint aber sehr schlau zu sein und ganz intelligent zu argumentieren:

„Kahrs wollte die Negativzinsen für soviel Geld auf dem Konto vermeiden – deshalb die Einlage im Schliessfach.“

Ob diese Verteidigungs-Strategie der roten Intelligenz aufgehen wird?

Michael Grieme
1 Jahr her

Kahrs hat versucht, noch rechtzeitig aus dem Blickfeld der Justiz zu verschwinden. An seinen Reden im Bundestag konnte man erkennen, was für ein „feiner Kerl“ er in Wahrheit ist. Man wird sehen, ob er zur Verantwortung gezogen wird.

Manfred_Hbg
1 Jahr her

Zitat: „Der grüne Koalitionspartner müsste darauf achten, nicht selbst in,den Strudel des sozialdemokratischen Untergangs gezogen zu werden. Die Kooperation mit einer durch und durch korrupten Partei können sich die moralischen Saubermänner nicht leisten.“ > Mhh, egal ob es nun um „nur“ einige tausend Euro, um zig Millionen Euro oder um irgendwelchen sonstigen Vorteilnahmen geht: auch bei den grünen Wohlwollenden ist doch das gleiche aus Gier und Machtgelüsten bestehende Klientel anzutreffen. Wobei dies aber natürlich auch für die CDU und die SED-Linken gilt. Im Grunde kann man sie allesamt in einen großen Sack stecken und mit dem Knüppel drauf schlagen, man… Mehr

Neuropsychinski
1 Jahr her

Ja, ja Politiker. Alles Pfeifen, ganz offensichtlich und nicht nur scheinbar.
Passend dazu auch das folgende Zitat eines sehr bekannten Schriftstellers, der auch sehr direkt sein konnte. So kannte ich ihn bisher nicht.
„Ein Idiot ist ein Idiot.
Zwei Idioten sind zwei Idioten.
Zehntausend Idioten sind eine politische Partei.“
FRANZ KAFKA