Tichys Einblick
Zwischen Kulturkampf und Kulturrevolution

Nach Schloss-Spruch und Kreuz wollen die Grünen jetzt Preußen canceln

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz soll den Hinweis auf Preußen verlieren. Das ist offenbar ein Vorhaben der Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Stiftungspräsident Hermann Parzinger unterstützte die Änderung. Ein weiteres Kapitel in einem Land zwischen Kulturkampf und Kulturrevolution.

IMAGO / Future Image

„Klug und fleißig – gibt es nicht; klug und faul – bin ich selbst; dumm und faul – für Repräsentationszwecke geeignet; dumm und fleißig – davor bewahre uns Gott!“ So geht eines in vielen Facetten, doch dem Sinngehalt nach überliefertes Bonmot, das dem politischen Wendehals Charles-Maurice de Talleyrand zugeschrieben wird. Ob nun ein historischer Aphorismus oder nicht: Die Beobachtung, dass Dummheit und Faulheit in der Politik verbreitet, aber weniger schädlicher sind als Dummheit und Fleiß, ist alt.

Auch wenn das Zitat nicht vom Großmeister des politischen Intrigenspiels stammt („Beim Eifer sind immer drei Viertel Dummheit“), so kommt man nicht umhin, sich einen Talleyrand als Kommentator an der Seite der Ampel-Regierung zu wünschen. Eifer – oder heute: Ideologie – und Dummheit waren für den kaltblütigen wie intelligenten Franzosen mehr oder minder dasselbe. Und von Eifer und mangelnder Klugheit besitzt die amtierende Koalition reichliche Vorräte.

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Kommen wir unvermutet zu Claudia Roth. Die neue Kulturstaatsministerin hatte erst Ende Oktober für Furore gesorgt, weil sie den christlichen Spruch auf dem Berliner Stadtschloss („Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“) verhüllen oder zumindest verbergen wollte.

Am 4. November dann verschwand auf wundersam-protokollarische Weise das Kreuz aus dem Münsteraner Rathaus, wo der G7-Gipfel tagte. Angeblich hat das Auswärtige Amt diesen fraglichen Vorstoß ohne Wissen Annalena Baerbocks durchgeführt. Baerbock jedenfalls stritt am Abend, nachdem es einen größeren Medieneklat über die Kreuzentfernung als gedacht gegeben hatte, jeden Vorwurf ab, sie hätte mit dem Bildersturm etwas zu tun gehabt. Wenn die Außenministerin das wüsste – kommt da einem schlagartig in den Sinn!

Keine Woche ist vergangen, da reiht sich der nächste Vorstoß an den identitätspolitischen Kampf, der dreistellige Geschlechterzahlen als positive Bereicherung sieht, aber die eigene historische und kulturelle Vergangenheit als minderwertigen und zu extinguierenden Störfaktor. Kurz zurückgedacht: Bei der Planung des Wiederaufbaus zum Berliner Stadtschloss hatte sich zuerst niemand am Kreuz auf der Kuppel oder den aus zwei Briefstellen des Neuen Testaments zusammengefügten Spruch erregt. Vielmehr hatte man befürchtet, dass ein Symbol des elenden preußischen Militarismus wiedererstehen würde.

Preußen – ein gutes Stichwort. Die heißen Kämpfe um das Thema haben in der kulturpolitischen Debatte nachgelassen. Verschweigen ist die Devise. Das Jubiläum zur Reichsgründung 1871 beging man öffentlich eher als Bußstunde denn als Fest der ersten Einheit der (klein)deutschen Nation. Man muss die nicht-existente Feier mit der Party vergleichen, mit der Italien 2011 sein 150. Jubiläum gefeiert hat. Aber Pomp&Circumstances sind entweder der britischen Monarchie vorbehalten oder stehen sowieso im faschistischen Vorzeichen. Auch das ist eine Form von Kulturpolitik.

Doch so ganz ist auch dieses Kapitel deutscher Geschichte nicht ausgetilgt – und deshalb sieht man vonseiten der Kulturstaatsminister Verbesserungsbedarf. Die FAZ hat berichtet, dass der Name „Preußen“ aus dem Namen der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ verschwinden soll. Die 1957 durch ein Bundesgesetz gegründete, traditionsreiche Stiftung hat zur Aufgabe, die Kulturgüter des ehemaligen Landes Preußen zu bewahren und zu pflegen.

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Sie gilt nicht nur als eine der größten Stiftungen Deutschlands, sondern weltweit – angesichts der mehrere Jahrhunderte zurückreichenden Geschichte Preußens und der Bedeutung der europäischen Großmacht und späteren Einigungskraft des Deutschen Reiches auch kein Wunder. Dass nun ausgerechnet das eigentliche Objekt aus dem Namen der Stiftung verschwinden soll, ist nicht nur paradox. Wenn die Auslöschung Preußens aus dem eigenen Stiftungsnamen keine Cancel Culture ist – was dann?

Zwar ist eine Reform der Stiftung bereits seit Monika Grütters (CDU) im Jahr 2020 im Gespräch – inklusive einer Umbenennung. So konkret wie jetzt ist der Plan aber offenbar noch nicht geworden. Der Stiftungspräsident Hermann Parzinger sagte gegenüber der B. Z.: „Unsere historischen Wurzeln sind uns wichtig und dennoch kann man die Frage stellen, wie eine der weltweit größten Kultureinrichtungen mit ihren zahlreichen internationalen Verflechtungen und Aufgaben dies in ihrem Namen besser sichtbar machen könnte.“

Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt, hätte aber auch einfacher sein können: Unsere eigene Geschichte ist uns wichtig, wir wollen uns nur nicht daran erinnern, wer sie gemacht hat und was sie eigentlich ist. Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Humboldt Forums, wird offenbar seine Unabhängigkeit verlieren. Das Forum soll Teil der Preußen-Stiftung werden, die dann nicht mehr Preußen-Stiftung heißt. Ein Sprecher wollte sich der B. Z. gegenüber nicht zu dem Vorgang äußern. Roth berate derzeit mit den Bundesländern die Reformvorschläge, schreibt die Zeitung.

Da kommt ein weiteres Bonmot von Talleyrand in den Sinn: „Die wichtigste Kunst des Politikers besteht darin, neue Bezeichnungen für alte Einrichtungen zu finden, deren alte Bezeichnungen in der Öffentlichkeit anstößig geworden sind.“ Talleyrand meinte damit vor allem die Umbenennungen nach Revolutionen. Braucht es noch einen Beleg, dass eine Kulturrevolution derzeit im vollen Gange ist?

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