Der Fall Sami A. und kein Ende

Ein Land, in dem die Diskrepanz zwischen veröffentlichter und Öffentlicher Meinung wächst, bekommt ein Problem. Politik, der die Öffentliche Meinung egal ist, verliert den Anspruch auf die Bezeichnung „Demokratie“.

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In der Finanzkrise war von toxischen Papieren die Rede. Es gibt auch toxische Individuen. Und Islamisten gelten in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft als solche. Sie sind, neben den kontaminierenden (nicht religiös motivierten) Vertretern der Ursprungs-Gesellschaft, eine weitere Gruppe destabilisierender Zeitgenossen. Wenn nun ein als islamistischer Gefährder eingestufter Mann außer Landes gebracht wird, dann ist das schlicht und ergreifend eine Stärkung des Gemeinwesens. Es macht Ressourcen frei – personelle und monetäre. Und nebenbeigesagt: Es ist absolut zweitrangig, wie dieser Mensch in seiner Heimat behandelt wird. Sein ehemaliger Arbeitgeber (so er denn Leibwächter von Osama bin Laden war) hat auf die Befindlichkeiten der Opfer von 9/11 auch keine Rücksicht genommen.

Wie sagte Ahmad Mansour, der in seiner Jugend fast selbst radikaler Moslem geworden wäre, unlängst im „heute-journal“: „Ich will keinen Polizeistaat, aber einen, der in der Lage ist, sehr entschieden aufzutreten.“ Abermals verwies der Psychologe auf die Tatsache, dass die hierzulande praktizierte Rechtsstaatlichkeit von eben jenen toxischen Individuen als Schwäche interpretiert und ausgenutzt wird. Was muss eigentlich noch passieren, damit die Grünen das begreifen? Stattdessen werfen sie dem Innenminister von Nordrhein-Westfalen vor, mit seiner Auffassung den Rechtsstaat zu schwächen. Dieser hatte die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts von NRW kritisiert, dass Sami A. aus Tunesien zurückgeholt werden muss und auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung verwiesen. Man mag über die Berechtigung des Terminus‘ „gesunder Menschenverstand“ streiten – Herbert Reul hat ihn verbalisiert.

Der Sozialdemokrat Carlo Schmid hob bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes vor ziemlich genau 70 Jahren hervor, dass „auch ein Staatsfragment“ eine Legislative brauche ebenso wie eine Exekutive und eine Gerichtsbarkeit. Aus dem Fragment ist ein veritabler Staat geworden. West- und Ostdeutschland bilden sogar wieder eine Einheit. Vielleicht aber sollte unsere Rechtsprechung in einigen Punkten ein paar Schritte auf das Rechtsempfinden zugehen.

Abraham Lincoln war überzeugt: „Die Öffentliche Meinung ist alles. Mit ihr gibt es keine Niederlage, ohne sie keinen Erfolg.“ Ein Land, in dem die Diskrepanz zwischen veröffentlichter und Öffentlicher Meinung wächst, bekommt ein Problem. Politik, der die Öffentliche Meinung egal ist, verliert den Anspruch auf die Bezeichnung „Demokratie“.


Martin Busch arbeitet seit über 20 Jahren als Redakteur und Moderator für die Hörfunkprogramme von Radio Bremen. Nach seinem Soziologie-, Politik- und Linguistik-Studium an der Universität Hamburg (Schwerpunkt Markensoziologie) promovierte er im Fach Kommunikationswissenschaften. Er ist Autor der Streitschrift “Deutschland, Deutschland ohne alles – warum Europas größte Wirtschaftsmacht ein sozialer Pflegefall ist“.

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Kommentare ( 76 )

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diggikid
5 Jahre her

„…damit die grünen das begreifen?“ Mit der frage liegt der autor falsch. Die grünen haben begriffen, wie man deutschland zerstören kann.

benali
5 Jahre her

Ein Staat ohne Grenzen, ist kein Staat. Ein Staat, in dem das Recht zur politischen Spielmasse geworden ist, ist nach Augustinus schon zu einer Räuberbande geworden. Ein Staat, der seine Bürger nicht mehr schützen will, hat keinen Anspruch mehr, dass ihm die Bürger noch folgen. Ein Staat, der seine Bürger verachtet, verdient keine Achtung.

Welches ausländische Staatsoberhaupt, welcher ausländische Regierungschef wird die Kanzlerin oder irgendeinen Vertreter dieser Regierung noch ernst nehmen? Nur noch gegen reichlich Bezahlung…

ch
5 Jahre her

Jeder trägt für SEINE geladenen Gäste die Verantwortung und steht mit seinem gesamten Vermögen persönlich für sämtliche Risiken ein.

spindoctor
5 Jahre her

Wie hiess es noch bei Nick Knatterton?
Ich kombiniere:
„Gerichtsentscheidungen halten sich nicht an geltendes Recht.“

Marie-Jeanne Decourroux
5 Jahre her

Fundamentalismus ist kein Privileg von Religionen. Es gibt auch einen Rechtsfundalismus: eine Verabsolutierung des Rechts zu einer Art letztinstanzlicher Gottheit. Aber Rechtsnormen und Paragraphen sind menschengemacht. Gesetze sind unvollkommen und enthalten, wie jede Norm, stets auch ein Element von Dummheit – von Apperzeptionsverweigerung dessen, was jeden Fall einzigartig macht. Wie dieser Tage den Fall Sami A. Die Weisheit »Summum ius summa iniuria« bringt solches zum Ausdruck. Auf die Spitze getrieben – wie in diesem Fall – wird Recht zu Unrecht. Einige Juristen scheinen dies vergessen zu haben. Wie auch das Idolatrieverbot: »Du sollst keine anderen Gottheiten neben mir haben.« Auch… Mehr

Delion Delos
5 Jahre her

Ich gehe davon aus, dass es genau dieser § mit seinen Absätzen 2, 4 und 5 war, der Gegenstand des Gerichtsverfahrens war. Und genau HIER hat dann ein Richter offenbar festgestellt, dass die persönliche Verfolgung, der Sami A. in seiner Heimat nach einer Abschiebung dorthin angeblich ausgesetzt sein würde (Folter etc.), also dass diese persönliche Verfolgung SCHWERER wiegt als das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts. Das bedeutet, dass die Möglichkeit der legalen Aufenthaltsbeendigung durchaus gegeben war, dass aber der RICHTER anders entschied. Richter sind in der Tat und zu Recht unabhängig. Das heißt aber nicht, dass man so… Mehr

baroso11
5 Jahre her

Natürlich wird Sami A. in Tunesien nicht gefoltert.
Wenn es nur darum ginge, hätte das Urteil in 2.Instanz aufgehoben werden können.
Hier hat das OVG-Münster beleidigt aufgestampft und uns gezeigt, dass man ein Gericht
nicht zu kritisieren hat, egal welcher Unfug da verzapft wurde.
Dieses Urteil mag ja noch auf eine unverständliche Art rechtsstaatlich sein;
im Namen des Volkes ist es gewiss nicht.

linda levante
5 Jahre her

30 Minuten Das Wichtigste in der Berichterstattung über Sami A., steht zwischen den Zeilen der bunten Blätter und wurde nicht angesprochen. Warum will Sami A. nach Deutschland zurück? Sein Anwalt in Tunis und seine Anwälte in Deutschland, setzen alles daran, den Fundamentalisten zurück nach Deutschland zu bringen. Er will also in ein Land zurück, dass ihn abgeschoben hat, in dem ihm eine Gefängnisstrafe droht, und die Hälfte der Bevölkerung nicht Willkommen heißt. Erklären kann man das nur, wenn man die Mentalität und den Charakter der Muslime kennt und die Ziele, Islamisierung und Kalifat, ernst nimmt. Moslems gehen über Leichen, auch… Mehr

Waehler 21
5 Jahre her

Was ist nun ? Kein Minister hat das Recht einer Anordnung eines Gerichtes zu widerzuhandeln. Allerdings hat er das getan ? Der Eilrechtschutz kennt Anträge mit und ohne aufschiebende Wirkung der behördlichen Maßnahme. Der Gesetzgeber hat bewußt dieses Differenzierung – also mit und ohne aufschiebender Wirkung – ins Gesetz geschrieben . Dank unklarer Berichterstattung ist nicht klar , ob die Behörde bewußt gegen das Recht verstoßen hat oder nicht. Zumindest hätte der Richter , in Anbetracht des knappen Zeitfensters ja mal den Telefonhörer in die Hand nehmen können !,, Sami A wäre nicht der erste Asylant gewesen der aus dem… Mehr

Maskenball
5 Jahre her
Antworten an  Waehler 21

Dazu war er wohl zu feige.

Ingolf Paercher
5 Jahre her

Wir haben zwei Arten von Rechtsstaatlichkeit: Wenn eine einheimische Rentnerin aus wirtschaftlicher Not Waren im Wert von 70 € zusammenklaut, wird sie existentiell vernichtet, wenn ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling der Vergewaltigung verdächtig ist, kommt er nach Feststellung der Personalien sofort wieder auf freien Fuß.