Coronavirus – Die Welt zwischen Hoffen und Bangen

Es gibt noch Desinfektionsmittel. Doch während die deutsche Panik wächst, sieht es in Italien und dem Iran noch weniger gut aus. Jens Spahn bereitet auf Einschränkungen und »Fokussierungen« vor. Eine Risikoanalyse der Bundesregierung von 2012 zeigt, was damit gemeint sein könnte. Meine persönliche Corona-Chronik.

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Am Mittwoch ging ich in eine Apotheke. Mein gewohnheitsmäßig vorgehaltener Ibuprofen- und Aspirin-Vorrat war aufgebraucht. Ich fragte also, ob sie ACC da hätten. Aber ja, ein Griff nach hinten ins Regal reichte. »Haben Sie auch Ibuprofen da?«, war meine nächste Frage. »Ja, wir sind eine Apotheke«, kam es zurück. »Also wenn wir jetzt kein Ibuprofen mehr da hätten, könnten wir ja auch gleich zu machen.« Auf diese launige Auskunft der bekannten Berliner Schnauze hin kam man doch gleich etwas mehr ins Gespräch. Ich ließ – eigentlich im Scherz – einfließen, dass ich ja nun nicht nach Desinfektionsmittel fragen wollte. Doch, o Wunder, auch das gab es noch in kleinen Flaschen. Ich nahm also auch noch ein Fläschchen der »viroziden« Flüssigkeit mit. Für den Notfall, man weiß ja nie, wo man es vielleicht brauchen kann.

Es scheinen anstrengende Tage in der Lankwitzer Apotheke zu sein. Vor allem ältere Kunden, so die freundliche Pharmazeutin, seien besorgt. Die Nachrichten, dass das neue Virus – genau wie die Grippe – vor allem ältere und geschwächte Patienten besonders träfe, zeigen Wirkung. Aber auch Jüngere sind nicht gefeit vor Anflügen von Panik, wie mein Fall zeigt. Aber keine Sorge, noch geht es.

Beim Robert-Koch-Institut (RKI) kommt man derweilen nicht mehr mit dem Zählen der neuen Fälle nach, wie die Bild-Zeitung berichtete. Die »sehr dynamische Situation« lässt die bundesweit vom RKI zusammengefassten Zahlen mittlerweile schon bei Veröffentlichung veraltet sein. So gab es von Mittwoch auf Donnerstag wohl etwa 150 Neuinfektionen, insgesamt also mehr als 400 Infizierte in Deutschland, davon allein 230 in Nordrhein-Westfalen. Seit Mittwoch sind dort 55 Fälle hinzugekommen.

METZGERS ORDNUNGSRUF 10-2020
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Am selben Mittwoch gab Gesundheitsminister Jens Spahn eine Regierungserklärung zum Thema im Bundestag und zitierte gleich eingangs die Zahlen vom letzten Tag (240 Infektionen in Deutschland). Sei’s drum, Spahn will ja sagen, was er weiß, aber auch, was er nicht weiß. Jedenfalls nimmt er die Krankheit ernst. Ja, es sei eine Pandemie. Seit dem Ausbruch der Krankheit im Januar habe die Bundesregierung »alle Kräfte mobilisiert, um zu verhindern, dass das Coronavirus nach Deutschland kommt«. Nun, das Ziel wäre schon mal verfehlt. Natürlich, so Spahn weiter, seien noch nicht alle Abläufe eingespielt, woran man aber derzeit »mit großer Kraft und Dringlichkeit« arbeite. So dauert es ihm derzeit noch zu lange, bis Verdachtsfälle getestet werden. Im Berliner Tagesspiegel hat man Berichte von einer Familie lesen können, die wegen des bloßen Verdachts auf eine Infektion in häuslicher Quarantäne festsitzt, bislang aber nicht getestet wurde. Doch auf das Verlassen der häuslichen Quarantäne stehen 450.000 Euro Strafe.

Alltagseinschränkungen und ein »fokussiertes« Gesundheitssystem

»Es wird immer wieder darum gehen«, sagt Spahn, »die richtige Balance zu finden, zwischen einerseits notwendigen Einschränkungen zur Eindämmung des Virus und andererseits unserem Alltag, der weitergeht.« Genau, nur mancher Alltag geht gerade eben nicht voran.

Die Strategie der Regierung sei es, »die Ausbreitung von Corona innerhalb Deutschlands und in den betroffenen Regionen zu verlangsamen und einzudämmen«. Dabei komme es leider zu »Einschränkungen des Alltags, weil öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Kitas zeitweise geschlossen bleiben oder weil Großveranstaltungen, etwa mit internationalem Publikum, von den zuständigen Behörden abgesagt werden«. Schon wieder Einschränkungen: Die Internationale Tourismus-Börse in Berlin, Hannover-Messe und die Leipziger Buchmesse sind nur Beispiele. So weit, so bekannt.

Dann aber taucht Spahn einen Moment aus dem Morast der Realitäten auf und wirft einen Blick in das Universum der ungehobenen Potentiale. Eine »mögliche nächste Stufe« könne folgendermaßen aussehen: »Unser Fokus wird dann darauf liegen, unsere Kapazitäten auf Patienten zu konzentrieren, bei denen schwerere Krankheitsverläufe auftreten. Die Abläufe in den Kliniken und Praxen werden dann entsprechend angepasst und die Kräfte im Gesundheitswesen auf die akute Lage fokussiert.« Das hört sich doch sehr gut an: konzentriert und fokussiert, so sollten Ärzte und Pfleger doch immer arbeiten.

Gemeint ist aber, dass diese »konzentrierten« Pfleger dann an anderen weniger »fokussierten« Stellen fehlen werden. Das aber sagt uns Jens Spahn hier nur durch die Blume. Zum Beispiel so: »Die große Mehrheit der Infizierten mit gar keinen oder leichten Symptomen wird dann gebeten, sich zu Hause auszukurieren. Noch sind wir nicht an diesem Punkt.« Der letzte Satz klingt einigermaßen streng, dagegen hat »auszukurieren« ja wirklich etwas sehr Gemütliches an sich: Bei einer Tasse Tee und Wadenwickeln wird man die Sache schon durchstehen. Darum geht es also. Man rennt ja auch nicht gleich mit jedem Schnupfen zum Arzt. »Fest steht: Der Höhepunkt der Ausbreitung ist noch nicht erreicht.« Auch eine tröstliche Botschaft.

Eine Risikoanalyse von 2012

Wie weit der Höhepunkt noch in der Zukunft liegen mag, dazu mag auch eine Risikoanalyse der Bundesregierung Einblicke gewähren, die 2012 dem Bundestag und den Bürgern präsentiert wurde. Darin wurde neben einem anderen Katastrophenszenario (»extremes Schmelzhochwasser aus dem Mittelgebirge«) auch eine Pandemie durch einen modifiziertes SARS-Virus durchgespielt. In der offiziellen Dokumentation hieß es damals: »Ein aktuelles Beispiel für einen neu auftretenden Erreger ist ein Coronavirus (›novel Coronavirus‹), welches nicht eng mit SARS-CoV verwandt ist. Dieses Virus wurde seit Sommer 2012 bei sechs Patienten nachgewiesen, von denen zwei verstorben sind.« Außerdem sei ein Patient damals in Deutschland behandelt worden und konnte später »als geheilt entlassen werden«. Der Schreibende kann sich nicht an so etwas erinnern, vielleicht blieb diese Information auch etwas unbekannter (hier ist keine Verschwörungstheorie gemeint).

Im Gegensatz zum älteren SARS-Coronavirus von 2002/2003 war dieser real existierende »novel Coronavirus« von 2012 nur in geringem Ausmaß von Mensch zu Mensch übertragbar. Für die Risikoanalyse der Bundesregierung änderte man diese Viruseigenschaft natürlich zu »stark ansteckend« und nahm eine Rate von drei Weitergaben pro Patient an, die sich mit einem guten Anti-Epidemie-Management auf etwa die Hälfte reduzieren lassen sollte. Dabei ging die Risikoanalyse von 2012 davon aus, dass es keine speziell geeigneten Medikamente gegen das Virus gäbe, es also bei einer symptomatischen Behandlung bliebe. Das ist heute auch so. Den Impfstoff erwartete man damals allerdings erst nach drei Jahren. Dieser Erwartungshorizont hat sich immerhin inzwischen auf ein Jahr oder noch weniger verkürzt. In den USA beginnen bereits Tests an einem Impfstoff. Deutsche Forscher hoffen in Jahresfrist auf einen Abschluss ihrer Bemühungen.

Als hauptsächliches Verbreitungsgebiet des hypothetischen neuen Virus wurden 2012 Asien, Nordamerika und Europa angenommen. In Deutschland modellierte man zwei Cluster: eine Messestadt in Norddeutschland und eine Universitätsstadt in Süddeutschland. Die Verbreitung wäre dann aber bald flächendeckend in ganz Deutschland erfolgt, »analog zur Bevölkerungsdichte«. Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Epidemie sind neben der Einhaltung der Hygiene-Empfehlungen die »Quarantäne für Kontaktpersonen von Infizierten« oder »andere Absonderungsmaßnahmen wie die Behandlung von hochinfektiösen Patienten in Isolierstationen«, außerdem »Schulschließungen und Absagen von Großveranstaltungen«.

In der Modellüberlegung beginnt die Ausbreitung des Virus »im Februar in Asien«, allerdings wird dieses Ereignis »erst einige Wochen später in seiner Dimension/Bedeutung erkannt«. Im April wären dann erste Fälle in Deutschland aufgetreten. Die Ursache der Epidemie wird in Südostasien angenommen, wo »der bei Wildtieren vorkommende Erreger über Märkte auf den Menschen übertragen wurde«. Da die Tiere selbst nicht erkranken, sei nicht erkennbar gewesen, dass eine Infektionsgefahr bestand.

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Die Analyse geht des weiteren von mehreren Krankheitswellen unterschiedlicher Intensität aus. Mit Infektionen ist beginnend mit der Einschleppung des Virus bis zur Entwicklung eines Impfstoffs zu rechnen. Legt man eine Dauer von drei Jahren für die Entwicklung des Impfstoffs zu Grunde, dann ist zudem von Mutationen des ursprünglichen Virus auszugehen, die die Behandlung erneut erschweren. Auch infizierte Personen können dann nochmals erkranken. Pro Krankheitswelle ging man 2012 von 20 bis 30 Millionen Infizierten aus, bei einer Sterblichkeit von 10%.

Das Gesundheitssystem kippt

Irgendwann – so die Analysten von damals – werde ein Punkt erreicht, in dem das bis dahin funktionierende Gesundheitssystem kippt oder sich zumindest radikal umgestaltet: »Die enorme Anzahl Infizierter, deren Erkrankung so schwerwiegend ist, dass sie hospitalisiert sein sollten bzw. im Krankenhaus intensivmedizinische Betreuung benötigen würden, übersteigt die vorhandenen Kapazitäten um ein Vielfaches […]. Dies erfordert umfassende Sichtung (Triage) und Entscheidungen, wer noch in eine Klinik aufgenommen werden und dort behandelt werden kann und bei wem dies nicht mehr möglich ist. Als Konsequenz werden viele der Personen, die nicht behandelt werden können, versterben.«

Eine Fußnote klärt weiter auf: Bisher gebe es noch »keine Richtlinien, wie mit einem Massenanfall von Infizierten bei einer Pandemie umgegangen werden kann«. Diese Problematik erfordere »komplexe medizinische, aber auch ethische Überlegungen« und solle »möglichst nicht erst in einer besonderen Krisensituation betrachtet werden«. Hat man sich diese Gedanken nun bereits gemacht?

Die skizzierten Folgen für das Gesundheitssystem entsprechen etwa dem, was seit Ende Januar aus dem chinesischen Wuhan berichtet wurde: »Die personellen und materiellen Kapazitäten reichen nicht aus, um die gewohnte Versorgung aufrecht zu erhalten.« Einer »aktuellen Kapazität von 500.000 Krankenhausbetten« in Deutschland stünden im Fall der ersten Welle einer Pandemie »mehr als 4 Millionen Erkrankte gegenüber, die unter normalen Umständen im Krankenhaus behandelt werden müssten«. Der größere Teil der Erkrankten »kann somit nicht adäquat versorgt werden, so dass die Versorgung der meisten Betroffenen zu Hause erfolgen muss. Notlazarette werden eingerichtet«. Hinzu kommen die Personalausfälle durch Ansteckungen und die psychische Belastung. Es gibt Engpässe bei der Versorgung mit »Arzneimitteln, Medizinprodukten, persönlicher Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln«. Eine große Herausforderung stelle »auch die Beisetzung der Verstorbenen […] dar (Massenanfall an Leichen, Sorge vor Infektiosität)«.

Wie das italienische Beispiel zeigt, kann aber gerade die Knappheit des medizinischen Personals – wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr – verhältnismäßig rasch eintreten. In Norditalien sollen Ärzte und Pfleger bereits 12% aller Infizierten ausmachen. Aus Krankenhäusern war zudem schon früh Personalmangel berichtet worden, weil viele Mitarbeiter sich schlicht vor der Krankheit fürchteten.

»Immense Herausforderungen, die nicht bewältigt werden können«

Zuletzt erörtert die offizielle Analyse auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer dergestalt katastrophenartig verlaufenden Pandemie. So stieße die internationale Pharmaindustrie an die Grenzen ihrer Produktionskapazität. Personalausfälle in Landwirtschaft und verarbeitender Industrie führten zu Lebensmittelknappheit, vor allem für Privathaushalte. Hinzu kämen Ladenschließungen im Lebensmittelhandel wegen der vielen Sozialkontakte der Angestellten. In anderen Bereichen (Regierung, Justiz, Medien) müssten und könnten Personalengpässe durch Umstrukturierungen abgefedert werden. Auch der Finanzsektor könnte normal weiterarbeiten, doch das produzierende Gewerbe könnte »die Auswirkungen der Pandemie selbst bei guter Planung und Vorbereitung ggf. nicht mehr kompensieren«. Dies könnte sogar dazu führen, dass weltweit Produktionsketten zum Erliegen kommen. »Ausfälle im Bereich importierter Güter und Rohstoffe« könnten »auch in Deutschland zu spürbaren Engpässen und Kaskadeneffekten führen«.

Am stärksten betroffen sein werden das Notfall- und Rettungswesen einschließlich des Katastrophenschutzes sowie das Gesundheitssystem. In einer Zusammenfassung der Analyse heißt es: »Das Gesundheitssystem wird vor immense Herausforderungen gestellt, die nicht bewältigt werden können. Unter der Annahme, dass der Aufrechterhaltung der Funktion lebenswichtiger Infrastrukturen höchste Priorität eingeräumt wird und Schlüsselpositionen weiterhin besetzt bleiben, können in den anderen Infrastruktursektoren großflächige Versorgungsausfälle vermieden werden. Nachdem die erste Welle abklingt, folgen zwei weitere, schwächere Wellen, bis drei Jahre nach dem Auftreten der ersten Erkrankungen ein Impfstoff verfügbar ist. Das Besondere an diesem Ereignis ist, dass es erstens die gesamte Fläche Deutschlands und alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Ausmaß betrifft, und zweitens über einen sehr langen Zeitraum auftritt. Bei einem Auftreten einer derartigen Pandemie wäre über einen Zeitraum von drei Jahren mit drei voneinander getrennten Wellen mit immens hohen Opferzahlen und gravierenden Auswirkungen auf unterschiedliche Schutzgutbereiche zu rechnen.«

Italien – einen Schritt näher am Katastrophenfall

So weit ist es heute zwar noch nirgends gekommen. Doch was wir von China wissen, weist zum Teil in diese Richtung, zumal was die Überlastung des Gesundheitswesens, aber auch die Einschränkungen der produzierenden Industrie angeht. Doch auch in Italien sind schon einige der ›Vorhersagen‹ der Bundesregierung von einst eingetroffen. So sollen bis zum 15. März landesweit alle Schulen, Kindergärten und Universitäten geschlossen bleiben. Daneben sollen Sportveranstaltungen ohne Zuschauer stattfinden. Eine Sperrzone hat man seit geraumer Zeit in der norditalienischen Lombardei eingerichtet.

Inzwischen sind mehr als 3.000 Menschen im Land infiziert. Die meisten der Infizierten werden zwar wieder gesund, aber inzwischen sind auch 107 an den Folgen der Viruserkrankung gestorben. Premierminister Giuseppe Conte rief die Italiener zum gegenseitigen Abstandhalten auf. Auf Umarmungen und Handschläge zur Begrüßung sei zu verzichten, belebte Plätze seien zu meiden.

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Das Gesundheitssystem laufe Gefahr, überlastet zu werden. Eine gewisse Zahl von Kranken bedürfe einer intensiven Therapie: »Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass im Falle eines exponentiellen Wachstums nicht nur Italien, sondern kein Land der Welt eine solche Notfallsituation bewältigen kann.« Das betreffe sowohl die allgemeine Infrastruktur als auch Krankenbetten und das medizinische Personal. Die Zahl der Intensiv- und Subintensivstationen soll daher so bald als möglich um 50% bzw. 100% gesteigert werden.

In dem über Facebook verbreiteten Appell an seine Landsleute griff Conte auch zu disziplinierenden Durchhalteformeln: »Wir sind ein starkes Land. Ein Land, das nicht aufgibt. Wir sitzen alle im gleichen Boot, und wer am Steuer ist, muss nun den Kurs vorgeben. Wir müssen uns alle zusammen noch mehr anstrengen. Ganz Italien ist dazu aufgerufen, seinen Teil beizutragen.« Zuletzt spricht Conte auch die wirtschaftliche Dimension der Krankheit an, fordert budgetäre Flexibilität von der EU und kündigt umfangreiche öffentliche und private Investitionen sowie Steuererleichterungen an, wie sie schon im Fall der eingestürzten Morandi-Brücke in Genua gegriffen hätten.

Ungebremste Epidemien in Iran, China, Südkorea

Im Iran soll die Krankheit sehr viel stärker wüten, als das autoritäre Regime der Mullahs einzugestehen bereit ist. Die offiziellen Zahlen geben also ebenso wie jene in China präsentierten Anlass zum permanenten Rätselraten. Offiziellen Angaben zufolge gibt es 107 Todesfälle und über 3.500 Infektionen im Land. Doch die Erkrankung zahlreicher Politiker – darunter die für Frauenfragen zuständige Vizepräsidentin und der stellvertretende Gesundheitsminister – wirft ein anderes Licht auf die dort herrschenden Zustände. Der Vorsitzende des Teheraner Gesundheitskomitees hatte – laut der New York Times – schon Ende Februar von 10.000 bis 15.000 Infizierten gesprochen. Nach eigenen Recherchen in den Krankenhäusern des Landes berichtete der persische Dienst der BBC von mindestens 210 Todesfällen, meist in Teheran und dem geistlichen Zentrum Qom. Dabei mangelt es vielerorts – wie in anderen Ländern der Region auch – an Labortests, um die Krankheit eindeutig festzustellen.

Doch auch die offiziellen Zahlen künden von der raschen Verbreitung des Virus. Die Rede ist von einer Zunahme der Infektionen um 60%, der Todesfälle um 30% in kurzer Zeit. Der unterschiedliche Anstieg der beiden Werte führt zu einer Normalisierung der Todesrate im Iran, die früher einmal bei etwa 10% lag und sich nun auf 3,4% einpendelt. Genau diesen Wert hat jüngst auch die Weltgesundheitsorganisation als weltweiten Durchschnitt herausgegeben. In den Iran war das Virus vermutlich direkt aus China eingeschleppt worden. Denn die beiden Länder unterhalten enge Wirtschaftsbeziehungen. Vermutlich vom Iran aus hat sich die Krankheit dann in die Golfstaaten und andere Nachbarstaaten verbreitet. Seltsamerweise noch nicht in die Türkei – aber auch da könnte es an Test-Kits mangeln.

Auch im Iran hat man alle Schulen und Universitäten bis zum persischen Neujahr am 21. März geschlossen. In Teheran und 22 weiteren Städten wurden fürs erste die Freitagsgebete abgesagt. Das gleiche gilt für sämtliche Kultur- und Sportveranstaltungen. Angeblich ist man darauf vorbereitet, rasch provisorische Krankenhäuser zu errichten, wenn notwendig. Demnach könnten rasch 2000 bis 3000 Betten benötigt werden, wenn man der Epidemie nicht Herr wird. Nun hat die Regierung auch vor der Verwendung von Banknoten und Münzen gewarnt, diese »könnten eine Gefahr sein«. Man desinfiziert nun öffentliche Verkehrsmittel, Straßen und Behördeneingänge und führt Fiebertests vor Einkaufspassagen durch.

Die BBC berichtet zudem von erstaunlichen Maßnahmen und Dingen: So sollen 54.000 negativ getestete Häftlinge zeitweilig gegen Kaution freigelassen worden sein, um die Ausbreitung in den Gefängnissen des Landes einzudämmen. In Qom haben zwei Männer an einem heiligen Schrein geleckt: der eine um seine Unbesorgtheit zu zeigen, der andere angeblich um andere Pilger vor den Viren zu schützen. Beide wurden festgenommen, ihnen drohen nun Gefängnisstrafen und Peitschenhiebe. Doch auch im Iran – wie schon in China – vermischt sich der Krankheitsausbruch mit der allgemeinen Unruhe über das diktatorische Regime.

Keine Entwarnung auch in China und Südkorea: Nach einem zeitweiligen Abfall der Infektionsrate in der Region Wuhan gab es am Mittwoch wieder einen leichten Anstieg bei den Neuinfektionen. 139 neue Diagnosen wurden gestellt. Insgesamt sollen mehr als 80.000 Menschen in China mit dem Virus infiziert sein. Knapp 3.000 Patienten sind angeblich durch Covid-19 gestorben. Dagegen wurden in Südkorea am Dienstag 600 neue Fälle gemeldet. Dort soll es jetzt über 6.000 Infizierte und bislang 35 Todesfälle geben. Die Regierung versucht mit maximaler Transparenz zu antworten – und durchleuchtet das Leben der Bürger förmlich.

Einzelne Herde in Israel, Griechenland, Mitteleuropa

Inzwischen erreicht die Krankheit auch das östliche Mitteleuropa: In Slowenien wurde ein Marokkaner, der über Italien eingereist war, positiv getestet und in einer Spezialklinik in Ljubljana isoliert. In Bosnien-Herzegowina wurde ein Mann, der in Italien arbeitet, mit leichtem Fieber ins Krankenhaus eingeliefert. In Ungarn wurden zwei iranische Studenten mit Covid-19 diagnostiziert und »ins Krankenhaus gebracht«, so Viktor Orbán.

Eine griechische Reisegruppe, die von einer Pilgerfahrt nach Ägypten und Israel wiederkehrte, hat die Zahl der Infektionen in Griechenland rasant erhöht. Nachdem ein 66-jähriger Pilger sich im Krankenhaus untersuchen ließ, wurden alle 21 Mitglieder der Gruppe positiv auf den neuen Coronavirus getestet. Davor waren die Infektionen im Land einstellig gewesen.

Unterdessen versucht Israel sich von dem europäischen Krankheitsausbruch abzuschotten. Auch Einreisende aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Österreich und der Schweiz müssen nun 14 Tage Quarantäne über sich ergehen lassen. Für Reisende aus China, Italien und Singapur galt diese Regelung schon länger. In Israel sind bisher nur 15 Menschen infiziert.

Neue Studien

Neue wissenschaftliche Studien geben indessen auch weiterhin zu denken. So könnte es zum einen, wie chinesische Forscher gefunden haben wollen, zwei Virus-Typen geben: einen aggressiveren L-Typ und einen sanfteren S-Typ, der zwar weniger ansteckend ist, aber auch länger ohne Symptome und also unerkannt bleibt. Dieser mildere S-Typ soll für die weltweite Verbreitung des Coronavirus eine größere Bedeutung haben, da man den L-Typ durch die entschiedenen Maßnahmen in Wuhan und Umgegend effektiv eindämmen konnte.

Der milde Typ soll sich schon seit Januar im US-amerikanischen Bundesstaat Washington ausgebreitet haben, ohne zunächst weiter erkannt worden zu sein, wie der amerikanische Virologe Trevor Bedford anhand von Genom-Analysen vermutet. Doch auch zum europäischen Epidemieverlauf hat Bedford neue Erkenntnisse gesammelt. Dabei kam der Forscher zum Schluss, dass der Infektionscluster um die bayerische Firma Webasto zu weiteren unerkannten Infektionen führte und damit letztlich am Ursprung der Krankheitsherde in Norditalien, Finnland, der Schweiz und sogar Mexiko stehen soll.

Milder Verlauf oder doch Drama?

Ein Berliner Biochemiker und Hersteller von Test-Kits für das neue Coronavirus glaubt jedenfalls nicht an die Theorie vom »mildem Verlauf«, zumindest nicht in China. 3.000 Todesfälle kommen ihm angesichts der Meldungen von überlasteten Krematorien zu wenig vor. Er geht vom Zehn- und Zwanzigfachen aus. In seinem Betrieb kommt er bereits jetzt an seine persönlichen Grenzen, kann aber zugleich auf eine Vervielfachung seines Jahresumsatzes hoffen. Fast täglich trudeln neue Bestellungen von Laboren, Behörden, Ministerien und Botschaften ein. Der Covid-19-Test kostet bei Landt dabei nur 2,50 Euro. Die offiziellen, dem Gesundheitssystem entstehenden Kosten von 300 Euro kann der Unternehmensgründer Olfert Landt daher nicht nachvollziehen.

Ihm selbst sei Geld egal. Stattdessen bewege ihn das »Drama« der Epidemie, wie er dem Tagesspiegel gesagt hat. Der WHO und an arme Länder liefert er zum halben Preis. In den Iran darf er es aber nicht – eine Ausnahmegenehmigung der Bundesregierung war nicht zu bekommen. Der Biochemiker rät zu einer gut ausgerüsteten Notfallapotheke. Seinen erwachsenen Kindern rät er von Club-Besuchen und ähnlichem ab: »Überall wo Menschen in zufälliger Zusammensetzung zusammen kommen, ist eine Ansteckungsgefahr gegeben.«

Dagegen glaubt der Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes, René Gottschalk, dass man die Infektionskette des Virus ohnehin nicht mehr unterbrechen kann. »Das ist bei der Vielzahl an Fällen nicht zu leisten«, sagte er am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa. Das sei aber auch »nicht weiter tragisch, weil die Erkrankung nicht schlimm« sei. »Jemanden 14 Tage zu kasernieren wegen einer Erkrankung, die verläuft wie ein Schnupfen, ist völlig unverhältnismäßig«, meint Gottschalk. Es gehe jetzt darum, die Öffentlichkeit zu informieren und eine Panik zu vermeiden.

Welche der beiden Möglichkeiten gilt für Sie? Wählen Sie selbst. Es ist wohl eine Frage des Temperaments.

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Kommentare ( 59 )

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Alexis de Tocqueville
4 Jahre her

Eine Schnupfenapokalypse. Eine Klimaapokalypse. Und überall Nazis, Klimaleugner, Coranaleugner.
Schlimme Zeiten.
Gottseidank droht uns wenigstens von den Millionen muselmanischer Migranten keine Gefahr.
Wir schaffen das.

Contenance
4 Jahre her

Das eigentlich irritierende ist der Umstand, dass das Testkit nur 2,50 € kostet, aber 300€ berechnet werden.

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  Contenance

Irritierend? Wenn ich jetzt Testkits und Masken auf Lager hätte, was glauben Sie, was die auf E-bay kosten würden? Genau das, was irgendein Idiot zu zahlen bereit wäre.

Montesquieu
4 Jahre her

Wer glaubt, dass Unvernunft und Realtätsabgewandtheit ein Privileg der Nichtlinken sei, der möge die illustren Artikel und Kommentare zum Thema Corona-Apokalypse in solchen Hoffnungsträgermedien wie hier lesen.
Ernüchternd, aber nicht überraschend.
Frei jedweder Kompetenz projeziert ein jeder das, was er gefühlt weiß auf die Vorgänge.
Da treffen sich AfD und LINKE…..misfits state Deutschland….bis zum bitteren Ende…es ist….

R.J.
4 Jahre her
Antworten an  Montesquieu

Schauen Sie, es ist eine unübersichtliche Situation, aber es gibt reihenweise wissenschaftliche Arbeiten (lesen Sie dieselben?), die nicht unbedingt Gutes erwarten lassen. In Anbetracht der Hypernieten allerorten ist der Bürger darauf angewiesen, die Sache selbst zu eruieren. Das kann man ganz vernünftig und undramatisch, um beispielsweise abzuschätzen, welche Belastungen unter welchen Annahmen auf das Gesundheitssystem zukommen, und da sieht man, dass selbst optimistische Szenarien leicht in Grenzbereiche führen (siehe z.B. meinen Kommentar unten). Wer anderer Meinung ist, sollte konkret kritisieren und einen sachlichen Beitrag leisten, wie die Autoren von TE und viele Kommentatoren. Überlegenes Räsonieren ohne konkrete Potenz ist im… Mehr

epigone
4 Jahre her

@ Sonnenschein Außer abqualifizierenden Wertungen enthält ihre Antwort leider keine Substanz. Wären sie fachkundig oder im Wissenschaftsbetrieb verankert wüssten sie, dass die einzigen belastbaren epidemiologischen Daten sowie die einzigen bereits hinreichend quantitativ ausreichend verifizierten Behandlungskonzepte aus China stammen. Weil man dort hinreichend Pat.-Gut und Forschungsresourcen zur Verfügung hat. Machen sie sich doch einfach mal die Mühe, und reproduzieren sie nicht ihre Vorurteile über andere Staaten, sondern lesen sie, was das CDC der USA, das RKI in Deutschland und die WHO in Genf dazu auf ihren Seiten veröffentlicht haben. Oder wenn sie ganz weltoffen sind: Lesen sie auch was auf der… Mehr

Sonnenschein
4 Jahre her
Antworten an  epigone

Und ich wette lang und kurzfristig nicht auf Kommunisten. Eine abqualifizierte Bemerkung wäre gewesen, wenn ich geschrieben hätte *bei Ihnen ist der Nutzername Programm*. Ausreichend, verifizierte Behandlungskonzepte, so, so. Dass die Roten das immer so sehen ist mir schon klar. Und weil ich (nach Ihrer Aussage) so provinziell bin, habe ich mich vor den roten Socken niederzuknien und brav abzunicken?! Nö.

epigone
4 Jahre her

Mal etwas zynisch nachgefragt: Wo sind eigentlich Greta und Neubauer / FFF & XR???

Die müssten doch COVID-19 begrüßen, klingt nach einem Sendboten des Himmels, der den bösen Klimaschädling „Mensch“ bestraft. So verlangen ja explizit Genossen von Fräulein Neubauer und XR, man möge Geburten im Westen einstellen, da der Mensch der eigentliche Schädling sei. Was käme da dem Klima gelegener, als wenn der Mensch mal kräftig reduziert würde?

Oder sind die nur zu feige auszusprechen, was sie bis vor wenigen Wochen noch ganz abstrakt für wünschenswert erklärten?!

WGroeer
4 Jahre her

2. Versuch Es geht auch anders! https://www.tagesspiegel.de/wissen/coronavirus-erfolgreich-bekaempft-wie-taiwan-den-covid-19-ausbruch-verhinderte-und-die-who-davon-nichts-wissen-will/25613942.html mit Kommentar aus Taiwan: „keine einzige Schule oder Universität oder sonstige öffentliche Einrichtung wurde bisher geschlossen“ Das ist so nicht ganz richtig. Zwar wurden keine Schulen oder Universitäten im laufenden Betrieb geschlossen, allerdings wurden die Winterferien/Semesterferien um 2 Wochen verlängert. Der eigentliche Schulbeginn wurde vom 11.2. auf den 25.2. verschoben. Die Sommerferien werden dieses Jahr entsprechend 2 Wochen kürzer sein. Für viele Berufstätige war diese Maßnahme nicht ganz einfach zu stemmen, da zur Kinderbetreuung zwar Sonderurlaub vom Arbeitgeber gewährt werden musste, dieser aber nicht bezahlt wurde. Zur Zeit gibt es für Schulen und… Mehr

Leon
4 Jahre her

Das Virus scheint so ansteckend zu sein, dass man es nicht durch Quarantänen ernsthaft eindämmen kann, außer man riskiert den totalen Zusammenbruch der Weltwirtschaft. Zudem ist der Verlauf zumindest bei uns in Deutschland bislang so harmlos, dass es nicht der Rede wert ist. Vielleicht liegt es ja daran, dass wir bislang nur den ungefährlicheren Typ abbekommen haben. Das schlimmste ist derzeit die Panik, gerade auch der Politiker und Medien. Die getroffenen Maßnahmen sind völlig inkohärent. Man schließt Schulen, lässt aber den ÖPNV, die geheiligte Kuh der Grünen, weiter fahren. Hier in München steht man in der S- und U-Bahn nach… Mehr

Babylon
4 Jahre her
Antworten an  Leon

Man kennt Bilder aus China, Japan aber auch aus Südkorea und Italien, wo sich Menschen in der Öffentlichkeit nur mit Mund-und Nasenschutz bewegen und zwar alle Menschen und nicht nur einige. Wie uns erzählt wird, sind einfache Masken ohne spezielle Filtereinrichtungen angeblich nicht geeignet Viren abzuhalten wohl aber Viren etwa bei Husten zu verbreiten, wenn man selber Virenträger ist. Träger von Schutzmasken in der Öffentlichkeit sind in Deutschland nicht zu sehen, wohl auch deshalb weil sie vom Markt verschwunden und nicht erhältlich sind. Das Robert Koch Institut macht diesen Umstand nicht zum Thema, obwohl alle anderen Aspekte zum Coronavirus in… Mehr

Waehler 21
4 Jahre her

Interessant ist, dass unser Außenminister tonnenweise Schutzausrüstung nach China transportieren ließ, die wir jetzt nicht haben. Danke. Ich gehe aber davon aus, dass für unsere Funktionäre noch gesorgt ist.
Gut auch das für Millionen Euro Jodtabletten bevorratet wurden und dies medienwirksam unter die Leute gebracht wurde, wohl um die Atomphobie noch anzuheizen.
Schutzkleidung gegen Grippe? Wer konnte denn damit rechnen?!
ICH FORDERE! Berater für die Berater!

misa
4 Jahre her
Antworten an  Waehler 21

Interessant wäre , woher der Außenminister die Schutzausrüstungen bezogen hat. Der Markt war ja leergefegt. Im übrigen hat er noch am 02.03. den Iran mit Schutzausrüstungen beglückt.

AngelinaClooney
4 Jahre her

Solange ich mich gesund fühle gehe ich zur Arbeit. Sollte ich Erkältungssymptome haben, bleibe ich Zuhause. Das Aufsuchen des Hausarztes wegen der AU wird jedoch problematisch sein. Ins volle hustende Wartezimmer gehen? Nimmt mich der Hausarzt überhaupt an?

Politkaetzchen
4 Jahre her

Diese Corona Panik zu befeuern ist langsam Greta Niveau.