Erlebnisbericht aus Kuba mit dem „9-Cent-Ticket“

Achijah Zorn hat in Kuba gelernt: In einer Marktwirtschaft regelt der Preis die Nachfrage. In der Planwirtschaft regelt man die Nachfrage, indem man das Angebot unattraktiver macht.

Februar 2020. Ich wohne bei einer befreundeten Familie in der Hafenstadt Santiago de Cuba. Meine armen kubanischen Freunde wollen mir etwas Gutes tun. „Morgen machen wir einen Tagesausflug. Da fahren wir in die Berge auf 1.000 Meter Höhe mit genialem Ausblick über den Osten Kubas. Das kostet im staatlichen Bus nur 9 Cent pro Person. Denn wir leben im Sozialismus. Da soll sich jeder diesen tollen Ausflug leisten können.“

Früher fuhr der Bus morgens um 8:00 Uhr los. Doch das gab Probleme. Zu viele Enttäuschte und Verletzte. Wegen des günstigen Preises war die hoffnungslose Schlacht um den Zutritt zu dem einen Bus einfach zu groß. Darum hat man die Abfahrtszeit auf 5:00 Uhr in die Nacht hinein verlegt.

Ich verstehe: In einer Marktwirtschaft regelt der Preis die Nachfrage. In der Planwirtschaft regelt man die Nachfrage, indem man das Angebot unattraktiver macht.

4:30 Uhr in der Früh. Am Busbahnhof ist bereits erstaunlich viel los. Der kleine und alte amerikanische Bus aus vorkommunistischer Zeit hat 20 Sitzplätze. Aber irgendwie kommen 70 Interessenten rein. Körper an Körper stehe ich im Gang bei tropischem Klima. „Natürliche Impfung“ gegen alle möglichen Viren inklusive. Kuba lebt sehr gesund. Jede Fahrt mit dem öffentlichen Bus stärkt das Immunsystem.

Die Fahrt dauert 1,5 Stunden über die Dörfer. An der einzigen Tür, die natürlich offen steht, hängt der Schaffner halb draußen. Er hat eindeutig den besten Stehplatz von uns allen. Sein Job ist es, an jeder Haltestelle nur so viele neue Fahrgäste reinzulassen, wie aussteigen. Das ist jedes Mal ein gemeinschaftsförderndes Kennenlernspiel: Finde den Weg durch aneinandergepresste Körper zur Tür.

Um mir die Fahrt etwas leichter zu machen, versuche ich mich durch staatskundliche Überlegungen abzulenken: 70 Mitfahrer à 18 Cent hin und zurück = 12,60 Euro Einnahmen. Nehmen wir mal an, der Bus braucht für die Hin- und Rückfahrt 40 Liter Diesel. Die werden vom sozialistischen Bruderland Venezuela für günstige 12,60 Euro geliefert. Unser aller Fahrtpreise decken also genau die subventionierten Spritkosten.

Und da fiel es mir wie Schuppen von den Haaren; ich hatte mitten auf dieser Busfahrt den Sozialismus verstanden:

Deshalb müssen so viele Busse in Kuba im Depot stehen bleiben. Weil bei diesen Preisen die staatliche Busgesellschaft schlicht und einfach kein Geld für die Instandhaltung und Reparaturen der Busse hat.

Deshalb müssen jeden Tag Massen an Menschen stundenlang auf den Bus warten, obwohl Kuba 2007 über 5.500 neue Busse von Youtong in China gekauft hatte.

Deshalb kommt die kubanische Tourismusbranche auf keinen richtig dynamischen grünen Zweig, weil alle touristischen „Übergewinne“ abgeschöpft werden, um die staatlichen Dumpingpreise in vielen anderen Bereichen quer zu subventionieren.

Deshalb hat es Kuba „geschafft“, seine Industrieproduktion von 1955 bis 1980 um 80 Prozent zu senken. Fidel Castro hatte dazu nur gesagt: „Wir haben es vielleicht nicht so mit dem Produzieren, aber kämpfen können wir gut.“

Versuchen nun Annalena Baerbock und Anton Hofreiter, dieses fidele Motto mit neuem Leben zu füllen: „Wir haben es vielleicht nicht so mit der Industrieproduktion in Deutschland, aber kämpfen lassen in der Ukraine können wir gut“?

Doch genug meiner ketzerisch-kapitalistischen Gedankenabschweifungen. Wir nähern uns mit unserer fahrenden Sauna dem Ziel. In steilen Serpentinen quält sich der alte Bus den Berg hoch. Ich bin nicht aus Pappe; doch die Kurven mit dem Druck der aneinandergepressten Menschen gehen ganz schön auf die Knochen. Die Stimmung im Bus ist greizt. Was für ein dummer Populismus?! Wie kann das Volk nur so undankbar sein gegenüber solch einer staatsfürsorglichen Wohl-Fahrt?

Doch oben am Berg angekommen, ist alle schlechte Stimmung verflogen. Dazu trägt auch der reichlich fließende Alkohol bei. Während Waschpulver im Februar 2020 in Kuba ausverkauft war, waren die Regale beim Alkohol wie immer gefüllt.
Sicherlich weiß eine sozialistische Regierung, dass die Bevölkerung manche Staatsgeschenke und 9-Cent-Tickets nur mithilfe von bewusstseinsverändernden Hilfsmitteln so richtig genießen kann. Ist das nicht auch der Grund, warum die Ampelkoalition in Deutschland die Weichen in Richtung Legalisierung von Cannabis gestellt hat?

Heute bin ich dankbar für meine Reise in die „DDR-unter-Palmen“. Dort habe ich wichtige Lektionen gelernt. Dadurch kann ich die gegenwärtige Bundesrepublik viel besser verstehen. Wie sagte eine im Marxismus-Leninismus geschulte Physikerin: „Wir müssen lernen, alles vom Ende her zu denken.“

Hoch lebe die Revolution!
Hoch lebe Che Guevara!
Hoch lebe das 9-Euro-Ticket!
Hoch lebe das Opium für’s Volk!

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Kommentare ( 19 )

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Chris Groll
1 Jahr her

Als mein Mann und ich in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine Rundreise durch Venezuela gemacht haben, ging es diesem Land vergleichweise gut. Die Menschen waren nicht reich aber sie hatten sich einen kleinen Wolstand erarbeitet, und sie konnten gut leben. Die Menschen waren freundlich und fröhlich. Dann fielen sie auf die Versprechungen des Sozialisten Chavez herein, der allen Wohlstand/Reichtum versprach. Zuerst wurden die großen Unternehmen enteignet, dann die kleinen. Der Tourismus, eine sehr gute Einnahmequelle, brach ein. Danach hatte man in Venezuele Reichtum für einige wenige und Armut und Mangel für alle. Das ist der Sozialismus, der auch… Mehr

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Chris Groll

Tja. So ging es dahin mit Venezuela, über die Jahre. Ein tiefer wirtschaftlicher Fall trotz reicher Ölvorkommen:
Schrecklich zu sehen, wie schnell der endgültige Fall ins Nirwana am Ende vonstatten geht. Erholung nicht in Sicht – auch ganz ohne Multikulti und Corona.

Johann Thiel
1 Jahr her

Die Menschen mit der größten Lebenszufriedenheit (oder Selbstzufriedenheit) habe ich stets unter denen gefunden, die unter den schlechtesten Bedingungen leben. Wohlstand und Bildung zu erarbeiten macht den meisten wesentlich mehr Angst als der allgemeine Verlust derselben. Eines der Erfolgsrezepte des Kommunismus.

horrex
1 Jahr her
Antworten an  Johann Thiel

Wie Churchill schon formulierte: „Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die ungleiche Verteilung der Güter. Dem Sozialismus wohnt ein Tugend inne: Die gleichmässige Verteilung des Elends.“ Viele Menschen scheinen die Tugend des Elends vor zu ziehen. Weil der ihnen innen inne wohnende Neid (zumindest was Wahlen angeht) eine weit stärkere Triebfeder zu sein scheint als der Wunsch nach einem besseren Leben, als die Trägheit? Ich weiß es nicht. Was ich in meiner Lebensspanne allerdings sehe ist, dass a) der bei so Vielen in vielen Jahrzehnten unglaublich gewachsene Wohlstand den Neid hat mindestens(!) ebenso wachsen lassen wie den Wohlstand. Siehe den… Mehr

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  horrex

Dieweil du hast gehorcht der Stimme deines Weibes und hast gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen, verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden. 1.Mose 3:17-19 Die indoktrinierten Massen wissen gar nicht, was sie sich antun – denn es… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Kassandra
alter weisser Mann
1 Jahr her

Die Alternative für Kuba war und ist ja nicht, zu leben wie im Westen, sondern zu leben wie Lateinamerika. Da dürfte die Rechnung eher ausgeglichen sein hier etwas mehr Wohlstand, dort etwas breitere Bildung und Grundversorgung. Und über die Freiheit von Slumbewohnern … nun ja geschenkt.
Zumal, der Westen holt auf.

Homer J. Simpson
1 Jahr her

Sehr schöne Anekdote zum Wochenende! Und so zutreffend! Ich versuche der neuen strom- und industrielosen Tristesse, die hier droht, zu entfliehen und habe mich zur kostenpflichtigen Greencard-Lotterie der USA angemeldet. Mal sehen. Ein Arbeitskollege ist mit einer Afrikanerin verheiratet und hat da unten Grund und ein Haus. Der plant den großen Durchbruch mit Erdbeer-Limes in Afria wenn hier die Lichter ausgehen. Vielleicht ist das ja auch eine Option. Den dann bald entvölkerten Kontinent zu übernehmen und auf Vordermann zu bringen…. Spannend Zukunft, wenn auch eigentlich unnötig. Aber es verläuft alles genauso, wie es Grüne und SPD im Wahlkampf versprochen haben.… Mehr

Deutscher
1 Jahr her

Nun, man darf eines nicht vergessen: Vor der Revolution ging es den meisten Kubanern noch schlechter. Ich bin aber sicher, dass wir nach Abschluss der grünen oder islamischen oder PoC-Revolution Kuba nicht mehr viel voraus haben werden. Womöglich werden wir uns dann nach einem deutschen Fidel Castro sehnen, der das Land aus den Klauen finsterer Mächte befreit.

Last edited 1 Jahr her by Deutscher
Fieselsteinchen
1 Jahr her

Wenn es schon nichts in der DDR gab, gab es auch immer Alkohol (und Süßigkeiten)! Ausreichend um die Tristesse zu ersaufen. Diese und weitere ureigensten sozialistischen Grunderfahrung des Nichtfunktionierens, Improvisierens, Dekonstruierens fehlen unseren Neulinken. Welche Freude, wenn sie ihre eigene Medizin verabreicht bekommen! Diese denkfaulen Deppen haben es nicht anders verdient.

Maunzz
1 Jahr her

Wer noch nicht begriffen hat, dass die grün-ökologische Ideologie auf einen Quasi-Sozialismus beruht, der muss das selbst wählen, selbst durchmachen. Schade ist, dass die früher gemachten Erfahrungen niemand mehr hören will. So als ob es die DDR nie gab. Andererseits, die DDR war ja nicht so schlimm wie die Nazizeit. Der chinesisch-sozialistische Weg scheint sehr erfolgreich zu sein, weil die immer noch – seit 1949 – existieren. Kuba ist nicht das Vorbild der weltklimarettenden Völkerrechtler.

Sabine Ehrke
1 Jahr her

Bravo verehrter Herr Zorn, genau das ist Sozialismus, dessen Gipfel Kommunismus heißt. Und wer kann das besser beurteilen als ein Ossi aus der SeltenEtwasDa Planwirtschaft der DDR.

Aletheia
1 Jahr her

Die marxistisch-leninistisch versierte Physikerin soll auch gesagt haben………
„Keine Euro-Bonds, solange ich lebe!
Aber wenn man genau hinschaut, sind die Anleihekäufe der EZB funktional-äquivalent, bzw. fast das Gleiche.
Apropos, falls das mit dem Cannabis nicht hinhauen wird, können wir immer noch einen nachhaltig-ganzheitlichen Schutzwall um unser wokes Paradies bauen, damit auch wirklich niemand abhauen kann!

Der Michel
1 Jahr her
Antworten an  Aletheia

„…einen nachhaltig-ganzheitlichen Schutzwall um unser wokes Paradies bauen, damit auch wirklich niemand abhauen kann!“

Mit der geplanten Staatsbürgerbesteuerung tut man da ja schon die ersten Schritte.

J. Braun
1 Jahr her

Eines müssen die Kubaner nicht: Heizen! Mal sehen, wie viele der Bundesbürger im nächsten Frühjahr noch vom Sozialismus à la Grüne träumen.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  J. Braun

Ob ein solcher Winter genügt, die durch Generationen aufgebaute funktionale und passgenau ineinander greifende Infrastruktur zu zerstören, wird dann auch offen vor uns liegen.
Herr Zorn – wie war Ihre Rückfahrt?

achijah
1 Jahr her
Antworten an  Kassandra

Deutlich entspannter, aber nur weil ich von der Hinfahrt wusste, was auf mich zukommen würde und wie lange das ganze dauert…