Frauen, die denken, dass sie denken

Bei der Europa-Universität in Flensburg hat man sich entschlossen, die Bronzestatue einer nackten Frau des Künstlers Fritz During zu entfernen, die dort 67 Jahre lang unbeanstandet gestanden hat. Warum das? „Warum steht dort keine denkende Frau?“, fragt Pressesprecherin Fischer. Wie sehen Frauen denn aus, die denken und forschen?

Die eher mädchenhafte Figur der „Primavera“ stehe für ein „überholtes Bild der Weiblichkeit und legt nahe, Weiblichkeit auf Fruchtbarkeit und Gebärfähigkeit zu reduzieren“, so die Gleichstellungsbeauftragte der Flensburger Universität, Martina Spirgatis. Einige Frauen hätten sich bei dem Anblick „unwohl“ gefühlt. Nun steht auf dem Podest ein regenbogenfarbenes Fragezeichen aus dem 3D-Drucker. Die 1,20 m große Figur ruht derweil auf dem Fensterbrett des Gebäudemanagers.

— Richard Meusers v.W. 🇺🇦 (@maternus) July 21, 2023

Was wäre das wohl für eine Welt, wenn man alles, was einer sensiblen Person Unwohlsein bereitet, aus ihrem Blick entfernen würde? Ich hätte da einen ziemlich großen Entfernungsbedarf, nicht zuletzt würde ich gerne auf den allfälligen Missbrauch der Regenbogenfarben verzichten.

Doch halt: darum geht es ja womöglich. Der regenbogenfarbengeschulte Blick nimmt die Entfernung der Kunstskulptur als ein Angebot an jene „Transfrauen“ wahr, die nunmal weder ein weibliches Becken haben noch gebärfähig sind. Offensichtlich wimmelt es an der Universität nur vor in dieser Form kränkbaren Personen.

Oder irre ich mich? Die Pressesprecherin Kathrin Fischer meint, die Statue befinde sich einfach nur am falschen Ort. In einer Universität – an einem Ort, an dem geforscht wird – stehe die Gestalt einer Frau, die auf ihre Körperlichkeit reduziert werde. „Warum steht dort keine denkende Frau?“, fragt Fischer. Schwebt ihr so etwas vor wie Rodins Denker, auch der nackt, aber mit der Faust vorm Mund? Nein, oder? Woran also erkennt man, dass eine Frau denkt? Und hindert sie ein gebärfähiges Becken daran? Wie sehen Frauen aus, die denken und forschen? Wie jene Damen, die einst als „Blaustrümpfe“ verlacht wurden, also als widernatürliche Personen, die ihre naturgegebenen weiblichen Eigenschaften für geistige Betätigung vernachlässigten?

Oder – halt! Hat man in Flensburg womöglich ein altes akademisches Ideal im Hinterkopf? Und das hieße in der Tat, dass die intellektuelle Betätigung im Vordergrund steht, dass nichts davon ablenken soll, vor allem keine fleischlichen Gelüste. Die wahre Akademikerin hat keinen Sex (auch keinen gleichgeschlechtlichen) und bekommt keine Kinder. Das ist das Ideal der Nonne, das Vorbild vielleicht: Hildegard von Bingen. Denn tatsächlich hatten nirgends sonst Frauen derart große intellektuelle und künstlerische Entfaltungsmöglichkeiten wie hinter Klostermauern. Nichts Weltliches lenkte sie davon ab. Vorbildlich!

Im Ernst: Die Diskussion über Gebärfähigkeit und Unwohlsein greift entschieden zu kurz. Das Problem ist nicht, dass Frauen auf ihre Körperlichkeit reduziert werden – ob durch eine Statue oder überhaupt. Das Problem könnte vielmehr sein, dass viele Frauen zwar studieren, aber am Akademischen sui generis wenig interessiert sind. Eine junge Frau weiß nach dem Abitur vielleicht noch nicht so recht, was sie will – was mit Menschen? Oder Medien? So ein Studium von diesem oder jenem vertreibt die Zeit und dient der einen oder anderen auch als Heiratsmarkt.

Sämtliche Studien aus Ländern, in denen Gleichberechtigung herrscht, zeigen, dass sich die meisten Frauen noch immer nicht für das entscheiden, was ihnen beständig nahegelegt wird: für ein naturwissenschaftliches oder technisch orientiertes Studium, das die höchsten Einkommen verspricht. Und selbst erfolgreiche Frauen brechen ihre hochbezahlte Karriere etwa als Anwältin ab, wenn sie entdecken, dass es noch anderes gibt. Ja, genau, das, was prominente Sozialdemokratinnen als „reaktionär“ empfinden: Ehe und Familie und Arbeit höchstens in Teilzeit. Das verdanken wir, tja, der „Gebärfähigkeit“. Nichts daran ist „überholt“, obwohl die Geburtenrate sinkt.
Doch vielleicht machen sich viele, nicht nur Frauen, Illusionen über das, was ein Unversitätsstudium bedeutet oder bedeuten könnte?

Es ist ja wirklich nicht sinnvoll, dass Frauen ein teures Studium absolvieren, um hernach vor allem Frau und Mutter zu sein. Überdies ist es ein Irrtum, dass ein bestandenes Abitur allein schon zum Studium befähigt. Die Zahl der Studenten ist mit 2 900 000 heute beinahe zehn Mal so hoch wie vor 50 Jahren. Dass eine akademische Ausbildung mehr gilt als die Berufsausbildung macht sich längst als Lehrlingsmangel bemerkbar. Und an den Universitäten herrscht kaum noch die klösterliche Strenge der geistigen Welt.

Vielleicht ist das die Schraube, an der man drehen sollte: macht die Universitäten endlich wieder zu Orten der intellektuellen Anstrengung. Das, liebe Flensburger Europa-Universität, wäre etwas wirklich Revolutionäres anstelle eurer rabiaten Kunstkritik: seid Akademia im emphatischen Sinn! Refugium intellektueller Persönlichkeiten, in strenger Klausur, weitab von allen Anfechtungen! Ein Eldorado der Blaustrümpfigkeit! Lasst nur jene rein, die genau das wollen: wissenschaftliche Hochleistung. Und stellt die schöne kleine Statue wieder hin – als Abschreckung.
Wissenschaft ist Askese. Dazu sind nicht alle in der Lage. Mal ehrlich: warum auch?

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