Eklat um Xis Vorgänger: Ex-Staatschef Hu wird vom Podium geführt

Noch bis zum 23. Oktober läuft das parteipolitische Hochamt des Alleinherrschers der Volksrepublik China. Dabei will sich der Chef der Kommunistischen Partei faktisch auf Lebenszeit bestätigen lassen – eine Absicht, die jetzt offenbar zu einem Eklat führte.

IMAGO / ITAR-TASS
Chinas ehemaliger Präsident Hu Jintao wird vom Podium geführt, Peking, China, 22. September 2022

Man mag sich fragen, warum das konsensdemokratische Modell der Einparteienherrschaft in der Volksrepublik China trotz der allumfassenden Macht der Partei immer noch auf absolute Einstimmigkeit angewiesen ist – wie auch immer: Am Sonnabend kam es zu einem Vorgang, der seinesgleichen sucht.

Xi Jinping wollte den 2.300 Delegierten seines Celebration-Day die Tagesordnungspunkte der entsprechenden Verfassungsänderung aufrufen lassen. Die ausgesuchten Marionetten des Systems sollten dem großen Führer eine Allmacht zukommen lassen, die bislang nur der Massenmörder Mao Zedong innehatte. Doch offenbar hatte es im Vorfeld Probleme gegeben.

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Traditionell saß neben dem künftigen Präsidenten auf Lebenszeit sein Vorgänger und früherer Gönner Hu Jintao. Der heute 79-Jährige war von 2002 bis 2013 Staatspräsident und Vorsitzender der KPCh. Seine politische Karriere verdankte der Sohn eines in der Kulturrevolution gedemütigten Teehändlers vor allem dem Reformer Deng Xiaoping. Wenn auch Hus Regentschaft keinen Zweifel am Alleinherrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei ließ und er 1989 als dortiger Parteisekretär Unruhen in Tibet brutal niederschlagen ließ, galt Hu als jemand, der den politischen Ausgleich sucht – und als jemand, der im Gefolge Dengs die absolute Herrschaft einer einzelnen Person strikt ablehnt. Es soll daher im Vorfeld des Parteitages zu Diskrepanzen zwischen dem ehemaligen und dem jetzigen Parteichef gekommen sein.

Hu, der traditionell auf dem Podium des Politbüros aus Saalsicht unmittelbar rechts neben seinem Nachfolger saß, soll sich geweigert haben, für die entsprechende Abschaffung der bisherigen Begrenzung des Präsidentenpostens auf zwei Amtszeiten zu stimmen. Ob mit dieser Weigerung auch die Ablehnung der von Xi geforderten „neuen Ära“ der „Vier Bewusstseinsbereiche“ (Si ge yishi) einherging, wird nicht zu ergründen sein. Der Eklat war dennoch nicht zu übersehen.

Der Mann wird aus dem Saal geführt

Unmittelbar vor den Abstimmungen gingen auf den alten Herrn zwei Saalordner zu, die ihn am rechten Arm ergriffen und vom Stuhl zogen. Nun hinter Xi stehend, redete Hu noch auf seinen mit stoischer Miene unbeteiligt wirkenden Nachfolger ein – doch es half nichts. Umrahmt von den beiden Ordnern wurde der Elder Statesman aus der Halle des Volkes geführt – deutlich sichtbar nicht nur für die Delegierten, sondern auch für die offenbar etwas zu früh auf die Zuschauertribüne gelassenen Medienvertreter. Die hielten den Vorgang fest und verbreiteten ihn, bevor die chinesische Zensur dieses verhindern konnten.

Nur in den staatlichen Medien der VRC war von dem Vorgang nichts zu sehen – lediglich der leere Platz neben dem künftigen Präsidenten auf Lebenszeit, der nun all seine Vorschläge mit einstimmiger Mehrheit verabschieden ließ.

Nun wird gerätselt: Wollte Xi nur eine ihm unangenehme Gegenstimme loswerden – oder sollte gar der öffentliche Abtransport symbolisch den radikalen Schnitt mit der bisherigen Geschichte der KPCh aufzeigen?

Alleinherrscher von Maos Gnaden

Xi jedenfalls hat sich mit dem Parteitag nicht nur die nunmehr tatsächliche unbegrenzte Macht gesichert – er hat sich mit den Konzepten der Bewusstseinbereiche auch das Instrumentarium in die Hand gegeben, die Volksrepublik nach ausschließlich seinen Vorstellungen zu gestalten. Im Mittelpunkt steht dabei die Unterstützung der Parteiführung, das strikte Einhalten der Parteilinie sowie die Loyalität und politische Integrität gegenüber dem Staats- und Parteichef.

Der gebrechlich wirkende Hu Jintao war offenbar vor allem in der Frage der Loyalität nicht Xi gerecht. So präsentierte der rote Diktator lieber eine symbolische Leerstelle neben sich als einen einsamen Finger, der als Mahnung des letzten Überlebenden der Ahnenreihe an der falschen Stelle zum Himmel zeigte.

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Kommentare ( 17 )

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AM
1 Jahr her

Meine Frau, Ost-Asiatin, wennauch nicht aus China, saß sprachlos vor der Szene und konnte es nicht glauben. In ganz Ostasien herrscht ein normalerweise ergebenster Respekt vor den Älteren. Ein alter Mann kann schon mal einer jungen Frau in der U-Bahn eine runterhauen, wenn ihn ernsthaft was stört – niemand wird eingreifen. Unter diesem kulturellen Hintergrund ist der Vorgang gleichermaßen Tabubruch, öffentliche Hinrichtung und Warnung an alle anderen: Xi ist jetzt der starke Mann und jeder, der sich ihm in den Weg stellt, wird gnadenlos zur Seite geräumt. Es tut sich dort eine Diktatur auf, gegen die die eines Putin ein… Mehr

Joerg Baumann
1 Jahr her

Da sind wir in Deutschland schon einen Schritt weiter. Wohlwissend, dass die Deutschen vor Veränderungen zurückschrecken, hat man das wichtigste Amt, dass des Bundeskanzlers nicht auf zwei Amtszeiten begrenzt! Das Ergebnis fangen wir grade an auszubaden. 16 Jahre Politik die rein auf einer links-grünen Ideologie basiert, werden Deutschland weit zurück werfen. Beim Focus ist grade zu lesen, dass die Bundespolizei sich auf Blackouts vorbereitet. Natürlich nicht darauf die verantwortlichen Politiker festzusetzen, sondern darauf etwaige Aufstände verzweifelter Bürger niederzuschlagen. Wer sich allerdings mal etwas mit den möglichen Folgen solcher Blackouts beschäftigt, dem wird schnell klar, was passieren wird. Auch hier liefert… Mehr

Aljoschu
1 Jahr her

Es gibt Bilder, die sich wie Ikonen in das kollektive Unterbewusstsein einritzen und die uns in nächtlichen Albträumen heimsuchen. Ich erinnere an das Bild mit den Verbrechern Obama und Hilary in diesem beengten Kinoraum des Weißen Hauses, als man gemeinsam den Live-Aufnahmen der Hinrichtung Bin Ladens beiwohnte – an das Gesicht der Hexe Hilary, wie sie in einer Mischung von Schock, Triumph, Hass und Schadensglück dem Gemetzel auf der Leinwand folgt. Oder das Bild mit Merkel und dem dunkelhäutigen Hergelaufenen, der sein Selfie mit kindlich beglückter Kanzler*In aufnimmt. Und jetzt das Bild mit dem immer gleichbleibend stoisch dreinschauenden Schi, der… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Aljoschu
Hannibal ante portas
1 Jahr her

„…sondern auch für die offenbar etwas zu früh auf die Zuschauertribüne gelassenen Medienvertreter.“ Machen Sie Scherze? Glauben Sie ernsthaft, dass das eine Panne war? Nein, „man“ fühlt sich jetzt stark genug ganz allein und unumschränkt zu herrschen und möchte dies dem Ausland und natürlich nach innen allen Parteibonzen genauso „überzeugend“ demonstrieren. Erinnert mich an Saddams Machtübernahme Ende der siebziger Jahre in Bagdad. Da hat man gleich mehrere unliebsame „Parteifreunde“ vor laufender Kamera „aussortiert“.

Andreas Bitz
1 Jahr her

„Umgekehrt wird ein Schuh draus“: Bewusst vor den Augen der Weltöffentlichkeit hat XI ein Zeichen gesetzt. Ein zweites Zeichen: die Maskenkostümierung zeigt, Corona ist eine Demonstration der Herrschaft, der Allmacht, und die 1. Garde = Reihe ist gleicher als das niedere Volk.

Jatoh
1 Jahr her

Während meines gesamten Berufslebens habe ich mich gefragt, warum werfen so viele westliche Unternehmen ihr know how den Chinesen so extensiv über den Zaun.
Es kann nur die Aussicht auf Extraprofit gewesen sein.

Thorsten
1 Jahr her

Dies ist ein bleibender Schandfleck für Xi und wird selbst in China für lange Diskussionen sorgen.
Allegorisch gesehen: auf der einen Seite wird dann Xi solange wie Merkel reagieren, zum Anderen verhindert er das irgendwelche „Hampelmänner:innen“ das Land zugrund richtig.
Ebenso sind mit Putin und Biden auch in den anderen Weltmächte Leute an der Macht, die aus den Zeiten des kalten Krieges stammen.

RMPetersen
1 Jahr her

Mit 69 ist man nicht mehr so ganz taufrisch, und die Zukunft könnte kurz sein.
Wenn als Folge der idiotischen „Null-PCR-Positiv“-Politik die wirtschaftlichen Probleme eskalieren sollten, dazu die Lebensmittelimporte haken, könnte sein Stern sehr schnell erlöschen. Dann braucht die KPCh einen Schuldigen, um weiter herrschen zu können.

Ulrich B.
1 Jahr her

Es ist in aller Öffentlichkeit und letztlich vor den Augen aller Welt passiert. Jemand, der der vorherige Parteichef war und direkt neben Xi saß, wurde abgeführt. Das ist vor allem ein Signal an alle anderen, die dem Zusahen: niemand, nicht einmal unmittelbar neben Xi, ist sicher. Jeder, der Xi im Wege steht, wird weggeräumt, egal, wer er ist… Xi bestimmt alleine den Weg – andere Ansicht bedeutet: Feind und Illoyal. Und Loyalität wird nicht mehr über Treue zur Partei, sondern nur noch über Treue zu Xi bestimmt. Man darf das als logischen Abschluß einer Ein-Parteien-Herrschaft ansehen: nämlich die Machtergreifung eines… Mehr

Georg J
1 Jahr her

Man beachte das Foto: die Führungsriege ohne Maske, die dahinter mit Maske.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Georg J

Tja. Und unter 2.298 Delegierten vor aller Welt kein Gerechter.
Wenn man das, was da abgespult wird, als Westmensch, in Unkenntnis der Kultur in China, überhaupt einordnen kann.

Last edited 1 Jahr her by Kassandra