AfD Teil 1: Würde Sonntag gewählt …

… dann wäre die AfD mit 10,7 % erstmals drittstärkste Fraktion und – mit Sicht auf eine schwarz-rote Regierung – Oppositionsführer geworden. Das sagt weniger über die AfD aus als über die Politik im allgemeinen.

Die Grünen hätten bei 10,6 % Zustimmung knapp mit der AfD getauscht. Die PdL wäre mit 7,7 % kleinste Fraktion im Deutschen Bundestag. Von den  beiden Regierungsparteien hätte die Union deutliche Verluste hinnehmen müssen und wäre auf aktuell 37,2 % abgestürzt. Die SPD fiele mit 24,3 % auf ihren tiefsten Stand seit Februar 2010.

Die AfD ist die große Konkurrenz

Es führt an der Feststellung kein Weg vorbei: Die Alternative für Deutschland hat sich erst einmal als ernst zu nehmende Konkurrenz der etablierten Parteien festgesetzt. Wie also damit umgehen? Von Franz-Josef Strauß stammte die Aussage, rechts von der Union dürfe es keine Partei  geben.  Das scheint nun hinfälllig – derart hinfällig, dass Bauchdenker Sigmar Gabriel bereits die Überwachung der immer noch jungen Partei durch den Verfassungsschutz fordert. Anlass für dieses Ansinnen waren die Aussagen zweier Protagonisten der Partei, dass das illegale Eindringen in die Bundesrepublik notfalls auch mit Waffengewalt zu verhindern sein.

Unstrittig: Derartige Formulierungen zeugen nicht gerade von humaner Grundausrichtung und sind kaum durch das Polizeirecht abgesichert. Dennoch gilt: Selbstverständlich hat jeder Staat das Recht darüber zu entscheiden, wer in sein Hoheitsgebiet eingelassen wird und wer nicht. Selbstverständlich hat jeder Staat auch das Recht, sein Hoheitsgebiet notfalls mit Waffengewalt gegen unerwünschte, illegale Eindringlinge zu verteidigen. So stellte AfD-Vize Gauland – medial deutlich geschickter als seine Vorsitzende und sich selbst als künftiger Ersatz von Frauke Petry empfehlend  – klar:  Vorsätzlich dürfe nicht auf Menschen geschossen werden. Letztlich aber sind dieses nichts anderes als Scharmützel um Ungeschicklichkeiten, die dem politischen Gegner die Chance geben, die AfD weiter an den rechten Rand zu drücken.

Wo steht die AfD?

Apropos rechter Rand  – steht die AfD dort überhaupt? Ein Blick auf die noch junge Historie der Partei ist durchaus hilfreich, diese Frage zu beantworten. In der Langzeitprojektion ab April 2013 [siehe Bild im Anhang] sind durch Dreiecke und Trapeze jene Wechselwirkungen gekennzeichnet, die zwischen den Parteien sowie zwischen der AfD und der Nichtwählerschaft eine Rolle spielten – und die perfekt Aufschluss geben darüber, aus welchen Parteipräferenzen die AfD ihre Unterstützer rekrutiert.

Als die AfD im April 2013 erstmals in den Umfragen berücksichtigt wird, springt sie aus dem Stand auf 3,0 Prozent Zustimmung ohne dass dadurch bei den anderen Parteien relevante Veränderungen festzustellen sind. Die AfD hatte seinerzeit offensichtlich vorrangig Bürger angesprochen, die zu jenen nicht näher differenzierbaren „Nichtwählern“ gehörten. Damit hätte die AfD eine der Demokratie durchaus dienliche Aufgabe erfüllt gehabt, denn die Wahlverweigerung in einer demokratischen Abstimmung ist immer auch ein Misstrauensvotum gegen  das demokratische System an sich  – und der Anteil der Wahlverweigerer liegt in der Bundesrepublik Deutschland seit geraumer Zeit zwischen 30 und 40 Prozent der Wahlberechtigten.

Da jedoch auch Wahlverweigerer nicht aus dem Himmel fallen, kann der Blick auf die Vormonate jenes April 2013 ein wenig  Aufschluss geben darüber, welchem politischen Lager die AfD-Anhänger der ersten Stunde zuzuordnen waren.

Ein sozial-libertärer Start

Vor dem Einstieg der AfD in die Bundespolitik lag eine sieben-monatige Phase des Unions-Aufstiegs. Diese hatte im Juni 2012 gerade noch knapp 35 Prozent der Wahlwilligen hinter sich scharen können, sich dann jedoch bis Februar 2013 auf rund 43 Prozent gesteigert – ein Wert, den sie trotz AfD mit einem leichten Zwischentief im April 2014 bis Oktober 2015 halten konnte. Damit ist die Aussage korrekt, dass die AfD ursprünglich nicht in Konkurrenz zur Union getreten war.

Anders sah dieses bei der großen Unionskonkurrenz SPD aus. Diese hatte von einem Höchststand im Juli 2012 von rund 32 Prozent bis zum April 2013 fast vier Prozentpunkte eingebüßt – was bei einer Ausgangsbasis von 32 Prozent immerhin einem Rückgang um 12,5 % entspricht.

Bereits Ende 2011 hatten die Grünen nach ihrem Fukushima-Höhenflug auf über 23 Prozent deutlich Federn lassen müssen. Zwar wendete sich ein Teil dieser Kurzzeit-Grün-Anhänger den damals auftretenden Piraten und in geringerem Maße der SPD und der Union zu, doch waren die Piraten-Anhänger ihrerseits bis April 2013 weitgehend im Meer der Nichtwählerschaft abgetaucht.

Alles dies macht deutlich, dass die Anhängerschaft der AfD in der Gründungsphase mehrheitlich bei Sozialdemokratie und von den Grünen enttäuschter Sponti-Klientel zu verorten waren. Maßgeblich durch die Euro-Kritik der damaligen AfD-Führung, die fast schon im Sinne eines Single-Isssue-Movement (Ein-Thema-Bewegung) agierte, kam es zwischen Oktober und Dezember 2013 zu einem Wechsel von früheren FDP-Anhängern zur AfD. Die AfD wurde – nachdem sie als eher libertär-soziales Experiment gestartet war, zu dem, was man unter wirtschaftsliberal und eurokritisch  verstand. Mit dem damals schon gelegentlich zu hörenden Vorwurf, die AfD sei eine „rechtspopulistische“ Partei, war weder die damalige Führung noch die Anhängerschaft korrekt beschrieben. Eher hätte man beide als bürgerlich-liberal im eigentlichen Sinne der Ablehnung von staatlicher Bevormundung korrekt beschreiben können. Damit auch sind Behauptungen, die AfD sei zu diesem Zeitpunkt „undemokratisch“ oder „radikal“ gewesen, in jeder Hinsicht aus der Luft gegriffen. Die Partei stand nicht nur uneingeschränkt auf dem Boden des Grundgesetzes – sie war auch bei Weitem nicht demokratiefeindlich wie beispielsweise Kreise der PdL-Anhängerschaft.

Die AfD als Partei des Bürgertums

Mit der Übernahme eines Teiles der FDP-Klientel hatte sich die AfD an die Fünf-Prozent-Marke herangearbeitet. Dennoch hätte es laut Umfragen bei Bundestagswahlen bis zum Juni 2014 nicht für eine Bundestagsfraktion gereicht.  Doch gelingt der jungen Partei bei der Wahl zum Europa-Parlament mit 7,1 Prozent (in Deutschland) ein Überraschungssieg. Diesem Erfolg vorausgegangen war bei den Unionsparteien zwischen Januar und Juni des Jahres ein deutlicher Einbruch um über vier Prozentpunkte. Der Erfolg der AfD bei den Europawahlen war damit maßgeblich durch frühere Unionsklientel ermöglicht worden.

Nach diesem Wahlerfolg setzte die AfD bis November 2014 zu einem Höhenflug an, bei dem sie mit 7,7 Prozent annähernd die Zustimmung der PdL (7,8 %) erreichte. In ihrer ursprünglichen Klientel fanden sich zu diesem Zeitpunkt enttäuschte frühere Anhänger aus Union, SPD und selbst Grünen. Nach dem EU-Wahlerfolg war es der Partei gelungen, rund einen weiteren Prozentpunkt aus der FDP-Klientel anzusprechen sowie annähernd zwei Prozentpunkte aus der Nichtwählerschaft zu mobilisieren, welche immer noch den Kernanteil der AfD-Anhängerschaft bildete.

Die AfD wird umgedreht

Nach dem Sommer 2014 treten nun jedoch die internen Flügelkämpfe der AfD immer deutlicher in den Vordergrund. Während die bürgerlich-liberalen Kräfte um Parteigründer Bernd Lucke an Bedeutung verlieren, wird der proletarisch-nationale Flügel um Alexander Gauland stärker.  Die Konsequenzen sind auf der Grafik deutlich abzulesen. Die ehedem von den Grünen gekommene AfD-Klientel verlässt die Partei bereits im November 2014 als erstes. Im Dezember 2014 und erneut zwischen Juli und September findet  die ursprünglich von der Union gewechselte Anhängerschaft den Weg zurück. Im Januar sowie zwischen April und Juli 2015 kehrt die frühere FDP-Anhängerschaft der AfD den Rücken und wendet sich ihrer ursprünglichen Parteipräferenz zu.

Dies ist der Zeitpunkt, zu dem die AfD nach der Machtübernahme durch Gauland und Petry eigentlich auf dem besten Weg war, dem Abstieg zu folgen, den zuvor schon andere Protestparteien wie „Republikaner“, „ProDM“, „Schill-Partei“ und zuletzt die „Piraten“ gegangen waren. All diese Gruppierungen verschwanden nach kurzem Aufflackern und Irrlichtern wieder im Nichts

Doch dann geschieht etwas gänzlich Unerwartetes. Während die mittlerweile von einer liberal-bürgerlichen Alternative zum national-kleinbürgerlichen Protest gewandelte Partei sich auf dem Weg in das politische Nirwana befindet, machen sich rund um das Mittelmeer Hunderttausende entwurzelte Menschen auf den Weg, die Festung Europa zu stürmen. Statt diesen Zustrom aus Kriegsflüchtlingen, Wirtschaftsmigranten und Glücksrittern abzufangen und zu kanalisieren, erfolgt durch die Bundesregierung ein „Welcome“-Signal, das nicht nur einer Völkerwanderung ungeahnten Ausmaßes die Tore ins vermeintliche Paradies öffnet, sondern auch zur Wiederbelebungstherapie der dahinsiechenden AfD wird.

Wie Phönix aus der Asche

Ab Oktober 2015 steigt die gewandelte AfD zu bislang für die meisten Beobachter kaum vorstellbare Höhen auf. Und sie organisiert diesen Aufstieg nun fast ausschließlich aus der Klientel der Union. Stand die AfD Anfang September nur noch bei 3,7 Prozent Zustimmung, so legte sie seit Oktober Monat für Monat durchschnittlich fast zwei Prozentpunkte zu. Anfang Februar 2016 hatte sie 10,7 Prozent erreicht und damit die bislang stärkste Oppositionspartei der Grünen auf Platz 2 verwiesen.

Der plötzliche, raketenartige Aufstieg der gewandelten AfD ging jetzt fast ausschließlich zu Lasten der Union, die im gleichen Zeitraum, in dem die AfD von 3,7 auf 10,7 Prozent um sieben Prozentpunkte anstieg, von 43,3 auf 37,2 Prozent um gut sechs Prozentpunkte abstürzte. Während sich die letzten FDP-nahen AfD-Anhänger nunmehr abseilen, liefern SPD und PdL die verbleibenden fast zwei Prozentpunkte, die der AfD ihren gegenwärtigen Höhenflug ermöglichen.

Die AfD ist immer noch eine demokratische Partei

Die einstmals als Partei einer bürgerlichen Systemkritik gegründete AfD hat nunmehr ihren Wandel zum kleinbürgerlichen Sammelbecken vollzogen. Rechtsextremistisch – das sei jenen, die derzeit lauthals nach der Beobachtung durch den Verfassungsschutz rufen  – ist die AfD damit immer noch nicht.

Möglich, dass sie ein Klientel vertritt, welches die etablierten Parteien lieber dauerhaft in der Nichtwählerschaft oder als bedeutungslose Teilklientel des eigenen Wählerstammes angesiedelt sehen möchten – solange diese Klientel nicht zur Abschaffung der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik aufruft (und damit verfassungstreuer ist als manch Vertreter im Bundestag etablierter Parteien) und sich den Regeln unseres Wahlsystems unterwirft, ist die AfD selbst dann, wenn sie unreflektiert populäre Positionen des Kleinbürgertums vertritt, eine legitime demokratische Partei, mit der man sich politisch und argumentativ auseinander zu setzen hat – nicht über den Ruf nach Staatsanwalt und Verfassungsschutz.

Wie diese politische Auseinandersetzung aussehen kann und wer von der gegenwärtigen Situation den größten innenpolitischen Nutzen zieht, soll in einem zweiten Teil hinterfragt werden.

Anhang Grafik Langzeitprojektion (Ausschnitt)

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Legende: Die Linien mit jeweiligen Punkten zu den Monaten geben den jeweiligen Stand der Partei in der Wählergunst wieder. Union (blau), SPD (rot), B90/Grüne (grün), PdL-Die Linke (violett), FDP (gelb), Piraten (orange), AfD (grau).

Die Trapeze und Dreieck symbolisieren Umorientierungen von Wähler. Die schwarz umrandeten Felder bezeichnen Wanderungen aus der oder in die Nichtwählerschaft. Die farbigen Felder befinden sich in der jeweiligen Farbe der Herkunftspartei.

©PolitSeismoGraph/FoGEP

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