Soziale Ungleichheit: Die Mär von der wachsenden „Lohnschere“

Das Narrativ von der wachsenden Lohnungleichheit hält sich hartnäckig. Dabei belegen die Zahlen des Statistischen Bundesamts seit 2014 das Gegenteil. Linke sollten sich fragen, ob die Nivellierung zwischen Gering- und Besserverdienern tatsächlich sozialen und wirtschaftlichen Segen bringt.

Alle vier Jahre findet in Deutschland eine Verdienststrukturerhebung statt, eine große Unternehmensbefragung mit Daten von rund 60.000 Betrieben, die regelmäßig vom Statistischen Bundesamt ausgewertet wird. Die jetzt veröffentlichten und aktuellsten Daten beziehen sich auf das Jahr 2018. Die Ergebnisse räumen mit einer politischen Erzählung auf, die vor allem in linken und grünen Kreisen seit vielen Jahren Konjunktur hat. Dort wird mit penetranter Impertinenz behauptet, dass sich die Lohnunterschiede zwischen Niedrig- und Besserverdienern ständig vergrößerten.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Doch die amtlichen Zahlen geben dieses Narrativ nicht her, im Gegenteil. Während im Jahr 2014 ein Besserverdiener das 3,48-Fache des Niedrigverdieners als Lohn erhielt, sank dieses Verhältnis 2018 auf das 3,27-Fache. Besonders ausgeprägt war dieser Angleichungsprozess in Ostdeutschland. Dort sanken die entsprechenden Vergleichswerte von 3,31 im Jahr 2014 auf nur noch 2,8. Zu den Besserverdienern zählen die Arbeitnehmer, die in der Lohnverteilung gerade am Schwellenwert zum obersten Zehntel aller Arbeitnehmer stehen. Mit diesen Besserverdienern werden die Arbeitnehmer verglichen, die sich an der Obergrenze des niedrigstverdienenden Zehntels aller Arbeitnehmer bewegen. In konkreten Stundenlöhnen ausgedrückt, lauten die Vergleichszahlen bezogen auf Gesamtdeutschland: Ein Besserverdiener kam 2018 auf 31,76 Euro Stundenlohn. Das war im Vergleich zum Zahlenwert der Erhebung von 2014 ein prozentualer Zuwachs von 9,4 Prozent. Ein Niedrigverdiener kam dagegen auf 9,71 Euro Stundenlohn, 16,4 Prozent mehr als vier Jahre zuvor.

Dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns einen entscheidenden Einfluss auf diese Entwicklung hatte, ist nicht von der Hand zu weisen. Der Anteil der Beschäftigten, die weniger als 10 Euro je Stunde verdienen, sank von 7,6 Millionen Arbeitnehmern im Jahr 2014 auf 4,4 Millionen im Jahr 2018. Besonders ausgeprägt war dieser Rückgang in Ostdeutschland. Dort sank die Quote der Beschäftigten mit Stundenlöhnen von weniger als 10 Euro von 35 Prozent im Jahr 2014 auf 18 Prozent im Jahr 2018. Der gesetzliche Mindestlohn startete im Jahr 2015 mit 8,50 Euro je Stunde. Zum Zeitpunkt der Erhebung im Jahr 2018 lag er bei 8,84 Euro. Heute liegt er bei 9,35 Euro in der Stunde und steigt bis auf 10,45 Euro im Jahr 2022.

Bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohn warnten Arbeitgeberverbände und eine Reihe von Ökonomen vor steigender Arbeitslosigkeit durch Löhne, die über der Produktivität von gering qualifizierten Arbeitnehmern liegen. Die Sorge vor steigender Arbeitslosigkeit war zwar im vergangenen Jahrzehnt unbegründet, weil das deutsche Beschäftigungswunder immer mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integrierte. Dass die Befürchtungen der Wirtschaft aber nicht wirklich unbegründet sind, belegt eine Betrachtung der Monats- und Jahreslöhne. Im Gegensatz zu den Stundenlöhnen schlägt sich dort die Verbesserung kaum nieder. Denn die höheren Stundenlöhne wurden erkauft durch geringere Arbeitszeiten.

In der Corona-Rezession, die ja ganz stark auch in den Dienstleistungsberufen (Gastronomie, Handel etc.) zuschlägt, wird sich jetzt erst recht zeigen, dass auf Dauer keine Löhne zu bezahlen sind, die über der Produktivität der Mitarbeiter liegen. Nicht nur mit geringeren Arbeitszeiten werden die Betriebe in der Krise reagieren, sondern auch mit Entlassungen, die für den Zeitraum der jüngsten Verdiensterhebungsstruktur überhaupt keine Rolle spielten. Dass Grüne, Linke und SPD ohne Rücksicht auf Verluste aber weiter an ihrem Narrativ stricken, belegt stellvertretend die Reaktion der Grünen Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, die nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts in einer Pressemitteilung umgehend einen Anstieg des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro verlangte: „Der Mindestlohn wirkt, aber muss stärker steigen.“

Der Zusammenhang von Produktivität und Lohnhöhe wird konsequent ausgeblendet. Das wird sich erst recht in den kommenden Jahren rächen, in denen die ökonomischen Wachstumsraten real stagnieren dürften. Linke sollten sich aber auch fragen, ob die Nivellierung zwischen Gering- und Besserverdienern tatsächlich sozialen und wirtschaftlichen Segen bringt. Wenn Besserverdiener im Osten gerade mal das 2,8-Fache von Geringverdienern an Einkommen erzielen, dann hält sich der erforderliche Leistungsanreiz, ohne den eine funktionierende Gesellschaft nicht auskommt, doch sehr in Grenzen. Das gleiche gilt übrigens auch für die Ausgestaltung sozialer Transferleistungen. Je höher diese ausfallen, umso schwieriger wird für Geringqualifizierte der selbstverdiente Ausstieg aus dem Hartz IV-Bezug. Und für Besserverdiener wird es umgekehrt immer teurer, diesen Sozialstaat mit Abgaben und Steuern finanzieren zu helfen. Wer die Leistungsbereitschaft unten wie oben unterminiert, wird aber keinen Wohlstand mehr ernten.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 34 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

34 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
hekauf
3 Jahre her

Ausschnitt aus meiner über 1000 Schreiben nach Armutsdebatten. Nach jeder Lohnrunde in Prozent geht die Einkommensschere weiter auseinander. Da ändern auch die Zahlen des statistischen Lügenamtes nichts. Wenn man 70 Jahre alle Einkommen immer in Prozent erhöht entsteht ein Schneeballsystem bei der die „Armen“ immer ärmer und die „Reichen“ immer reicher werden müssen. Jede prozentuale Erhöhung ist immer eine Umverteilung von unten nach oben. Das hat etwas mit Mathematik zu tun. Mit einem Sockelbetrag für die Inflationsrate, schon seit 70 Jahren, hätten wir diese Probleme nicht und kein „Reicher“ würde verhungern. Die Inflationsrate wird bei kleinen Einkommen nie ausgeglichen. Hier… Mehr

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  hekauf

Erstaunlich ist, wie manche hier losgeifern bei der Vorstellung, dass jemand anderes ähnlich gut verdienen könnte wie sie selber. LOL Da werden schon mal nüchterne Fakten, auf die ja sonst soviel Wert gelegt wird, etwa, wenn man die Irrationalität der Linken und Grünen geißelt, ignoriert. Denn: „Ich bin ja hier der Leistungsträger, ich konstruiere Kartoffelschäler und Fliegenklatschen!“ 😀 😀 😀 😀 Leute, seht es mal nicht so verbissen. Es ist nunmal die Realität: Eine Gesellschaft, in denen manche so viel verdienen, dass sie Kugelschreiber zum Stückpreis eines Kleinwagens kaufen müssen, um ihr überschüssiges Geld loszuwerden, während andere trotz Vollzeitjob noch… Mehr

Deutscher
3 Jahre her

Soziale Ungerechtigkeit schwächt den Zusammenhalt des Volkes. Ein Volk, das nicht zusammenhält, ist wehrlos gegenüber politischer Willkür und schutzlos gegen Überfremdung.

Wer das nicht verstanden hat, hat auch nicht verstanden, warum Deutschland 2020 wurde, was es ist.

Fundamentiert
3 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Was Mieten und Immobilien-preise angeht, die sind im Osten deutlich niedriger als im Westen, dass können Sie auch recht schnell überprüfen, einfach mal bei Immobilienscout24 vergleichbare Städte vergleichen. Da gab es in den letzten 5 Jahren eine deutlich wachsende Schere zu Ungunsten der alten Bundesländer, was aber vor allem an der Zahl der aufgenommenen und zu versorgenden Sozialmigranten und somit gestiegener Nachfrage liegt.

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  Fundamentiert

Die Mieten sind im Osten billiger, weil die Wirtschaft dort schwächer ist.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Wieso gibt es dann so viele Völker mit viel größerer sozialer Ungleichheit, die viel patriotischer und nationalistischer sind als wir?
Andersrum wird ein wahrer Stiefel draus: Gleichmacherei schwächt den Zusammenhalt.

Deutscher
3 Jahre her

Sie fürchten um Ihren sozialen Vorsprung? Schon von Marx konnte man lernen, wie die privilegierte Arbeiterschaft die Schlechtergestellten verraten wird. „Teile und herrsche!“, nannte ein anderer kluger Mann das Prinzip.

Wissen Sie, keine Klasse kann alleine die Gesellschaft erhalten. Auch Ihre nicht, die, so nehme ich an, doch sicherlich die der selbsternannten Leistungsträger sein dürfte?

Manuel F.
3 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Wie ist denn ihre Definition von sozialer Ungerechtigkeit?
Offenbar konstatieren Sie ja Soziale Ungerechtigkeit für Deutschland? Ihnen ist also ein Faktor von etwas über 3 zwischen Spitzenverdienern und dem unteren Verdienstende bereits ein Dorn im Auge? Dann sagen Sie doch bitte gleich, dass Sie Sozialismus wollen! Wo derjenige, der bei McDoof die Patties wendet auch nur 30% weniger hat als der, der state-of-the-art KI Systeme entwickelt. Klar, so ein System können Sie haben, indem Sie den Top-Mann einfach einsperren und ausplündern. So wie in der DDR halt.

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  Manuel F.

Na, Sie legen ja so richtig los… 😉

Nun: Verdient z.B. ein Claus Kleber wirklich nur dreimal so viel wie der Bulettenwender bei McDonalds?

Wer wendet Ihre Bulette bei McDonalds, wenn nicht der Bulettenwender? Oder wollen Sie sie dort selber braten?

Onan der Barbar
3 Jahre her

Skandal im Sperrgebiet: 20-köpfige kongolesische Migrantenfamilien müssen mit deutlich weniger Geld auskommen als single DAX-Vorstände!

Sonny
3 Jahre her

Wer sich täglich abrackert, arbeiten geht, Ideen hat, nach den Wurzeln von Fehlern und Fehlentwicklungen sucht und diese dann offen benennt, der ist in Deutschland der Dumme. Die Abwertung von Fleiss, Engagement, Redlichkeit, Toleranz Andersdenkenden gegenüber, die Brandmarkung des Kadaverungehorsams, all das wird dazu führen, dass bei jedem die Einsicht wächst, dass arbeiten gehen sich nicht mehr lohnt und entsprechende Konsequenzen ziehen. Im Vertrauen auf die Regierung werden die Menschen dann auf das Taschengeld warten, welches ihnen vom Staat in bescheidenem Rahmen monatlich auf das Konto überwiesen wird und jammern, wie wenig man sich im Vergleich noch leisten kann. Voller… Mehr

elly
3 Jahre her

ist der gleiche Unfug , wie das „Gender Pay Gap“. Dabei wird regelmäßig und hartnäckig ignoriert, dass „Von wegen Teilzeitfalle: Die meisten Frauen, die nicht Vollzeit arbeiten, sind freiwillig in dieser Situation und damit sehr zufrieden. Das hat eine repräsentative, unveröffentlichte Umfrage des DELTA-Instituts für Sozial- und Ökologieforschung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ergeben, die dem SPIEGEL vorliegt.“ https://www.spiegel.de/karriere/teilzeit-die-meisten-frauen-in-teilzeit-jobs-sind-zufrieden-a-1243712.html In meiner Fa. hatte eine junge Personalerin einmal ein neues Gehaltssystem eingeführt. Dabei blieb die Arbeitserfahrung völlig unberücksichtigt. Berufsanfänger hatten das gleiche Gehalt, wie alte Hasen. Und da fragten sich viele der alten Hasen, auch ich, weshalb sie ihre Erfahrung einbringen sollten,… Mehr

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  elly

Nun, Ihre Erfahrung mit Ihrer Firma ist nicht eine Erfahrung mit Lohngerechtigkeit, sondern eine mit Neoliberalismus: Es geht um nichts anderes als Lohnkosten zu senken und damit den Profit zu steigern. Oder glauben Sie wirklich, dass es der Firma um soziale Gerechtigkeit geht? Die Strategie dabei ist simpel: Man kürzt nur bei denen die Löhne, die auf dem Arbeitsmarkt einen schlechteren Stand haben, denn die sind in stärkerem Maße vom Unternehmen abhängig: Bei den Älteren. So kann man den Jungen weniger zahlen, weil sie ja noch unerfahren sind und den Alten, weil sie nicht kündigen werden. Ist doch ganz logisch.… Mehr

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  elly

Die junge Frau hat eben nur gelernt, wie man einen volkseigenen Betrieb „richtig“ führt. Von Ideologie versteht sie viel, von Ökonomie gar nichts.

Deutscher
3 Jahre her

Und das hat Sie bei Mc Kinsey gelernt? Erstaunlich!

Regenpfeifer
3 Jahre her

„dann hält sich der erforderliche Leistungsanreiz doch sehr in Grenzen“ -Eben. Ich (Steuerklasse, Gutverdiener = 42% Einkommenssteuer + Soli) hatte da schon anno 2007 die Nase davon voll und bis ausgewandert: Etwas besseres als die DDR2.0 findet sich überall! Ausschlaggebend war damals, wie rotzfrech mir mein zuständiger Finanzbeamter eine selbstbezahlte Weiterbildung i.H.v. €6000 zur Mitarbeiterführung nicht als Werbekosten anerkannt hat: „Sie sind promovierter Naturwissenschaftler. Da ist ein Managerkurs keine Weiterbildung.“ -Das war’s dann für mich. Jetzt hat Papa Staat halt ~€40’000 Lohnsteuereinnahmen weniger im Jahr.

Fundamentiert
3 Jahre her

Konsens ist das der Mittelstand schrumpft. Seit längerem wird das Thema „Lohngerechtigkeit“ aber auch nicht mehr wirklich stark von R-R-G vertreten, die würden das am liebsten nicht mal thematisieren wollen weil SPD und inoffiziell die Grünen ja mit verantwortlich sind für diese Entwicklung. In den 90ern war es zuletzt gerade noch möglich das ein Steinmetz Neubau, Auto, mehrere Kinder und HAUSfrau tragen konnte. Heute werden bereits die Ziele kleiner gesteckt, weil jeder weiß das es nicht reichen wird. Im Bundestag sehe ich nur die AfD die zu solchen Entwicklungen Stellung bezieht ohne einen Neid schüren zu wollen, sondern mit dem… Mehr

Winni
3 Jahre her

Lieber Metzger, wo war eigentlich früher ihr Verstand, als Sie und ihre früheren Genossen uns erklärt haben, daß Atomkraftwerke teuflischen ursprungs wären, das Ozonloch uns alle umbringen und es bald keine Wälder mehr geben werde.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  Winni

Naja, an der Sache mit den überflüssigen Wäldern arbeiten die Genossen ja wirklich fleißig. Bei uns gibts stattdessen Windmühlen, in Südostasien Palmölplantagen.

8flieger8
3 Jahre her

So viele Zahlen! Sagen wir es einfach: Die Linken haben keine Ahnung von der Lebenswelt der kleinen Leute und richten das Land schon länger zugrunde! Deswegen ist das Land jetzt schon so schlecht dran. Und die Leute haben nichts von der Politik. Punkt.

Peter Gramm
3 Jahre her

Statistiken zu bemühen ist eine Lieblingsbeschäftigung von Politikern. Damit kan jeder seine Ansichten unter Beweis stellen. Bringt nur niemanden weiter. Bsp. Eiswasser und kochendes Wasser ergibt eine Wohlfühltmeperatur. Was die Statistik nicht sagt dass Derjenige der mit einem Bein im einen Kübel und mit dem anderne Bein im anderen Kübel stand ein verbranntes Bein und ein erfrorenes Bein hat. Anderes Beispiel – die Stadt Heilbronn in Baden-Württemberg hat das höchste Durchschnittseinkommen statistisch gesehen. Grund – dort wohnt der Eigentümer von Lidl (Multimillardär). So viel zu den von Ihnen bemühten Statistiken. Was allerdings sehr viel Sinn machen würde wäre die Anpassung… Mehr