Großbritanniens neue Freiheit macht den EU-Bürokraten Angst

Die EU will in den anstehenden Verhandlungen mit Boris Johnson vor allem eines beweisen: Ein EU-Austritt lohnt nicht! Das kann sich als Irrtum erweisen.

Alberto Pezzali/NurPhoto via Getty Images

Verräterisch ist die Sprache, die der ehemalige deutsche Spitzenkandidat der europäischen Konservativen, Manfred Weber, vergangene Woche in einem Interview mit der WELT gewählt hat: „Wenn der Brexit gefühlt zum Erfolg wird, dann ist das der Anfang vom Ende der EU.“ Genau diese Strategie scheint aber nicht nur der als Möchtegern-Kommissionspräsident gescheiterte CSU-Mann verfolgen zu wollen. Auch die Tonlage, die der französische EU-Verhandlungsführer Michel Barnier anschlägt, weist in diese Richtung. Es liege in der Hand des Vereinigten Königreichs, ob es sich auch künftig weitgehend an die EU-Regeln halten wolle oder nicht. Davon wird seiner Meinung nach das Ausmaß des Freihandels mit Großbritannien abhängen. Auch Ursula von der Leyen ließ sich kämpferisch vernehmen und will die Interessen der EU bis zum Letzten verteidigen.

Die EU-Bürokraten wollen also an den Briten ein Exempel statuieren, um zu belegen, dass ein Ausstieg aus ihrem supranationalen Konstrukt scheitern muss? Nachahmer sollen abgeschreckt werden? Das klingt wie das Pfeifen im Wald. In Brüssel geht die Sorge um, dass sich die Mitgliedstaaten unter dem Druck ihrer Bevölkerung immer deutlicher von den europäischen Zentralstaats-Ansprüchen zu befreien suchen, die in Wahrheit hinter der jahrzehntelangen „Ever closer union“ steckten. Doch die Nationalstaaten und ihre Bürger sind noch immer in der EU der eigentliche Souverän. Die europäischen Eliten verfügen nur über eine geliehene Teilmacht. Und selbst dieser scheinen sie sich alles andere als sicher zu sein, wenn sie jetzt so kleinkariert auf die neue britische Freiheit vor der europäischen Haustür reagieren.

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Dass Boris Johnson nach seinem Wahlsieg, der ihm innenpolitisch bis zum Jahr 2024 eine solide Mehrheit beschert hat, die neue britische Souveränität auskosten will, kann ihm niemand verdenken: „Wir werden die volle souveräne Kontrolle über unsere Grenzen, die Zuwanderung, die Regeln des Wettbewerbs, der Staatshilfen und des öffentlichen Beschaffungswesens wiederherstellen“, betonte er am Montag in Richtung Brüssel. Damit positioniert sich Johnson sehr klar gegen die Bedingungen, die man dort als Gegenleistung für den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit dem Vereinigten Königreich erwartet.

Auch wenn im Jahr 2018 53 Prozent der britischen Importe und 45 Prozent der britischen Exporte über EU-Außengrenzen abgewickelt wurden, lässt sich aus dieser Tatsache allein kein uneingeschränktes europäisches Erpressungspotential gegenüber dem UK ablesen. Denn wirtschaftliche Prozesse sind dynamisch. Was den Briten schadet, hinterlässt auch in der EU Bremsspuren. Außerdem hat die EU einiges zu verlieren, wenn sie die Briten gnadenlos in die Ecke drängt und dadurch etwa die britische Kooperationsbereitschaft auf dem Gebiet der Verteidigungs- und Außenpolitik verliert oder auch in der Forschung. Die neue Souveränität, die Großbritannien ohne das EU-Zwangskorsett selbstbewusst für sich in Anspruch nehmen wird, birgt für das Land auch Chancen. Das gilt nicht nur für den Finanzplatz London, sondern auch für die britische Volkswirtschaft im Ganzen.

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Kommentare ( 45 )

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conferio
4 Jahre her

Handel wird durch die WTO möglich, das kann England fördern…und wo ist das Problem dann? Steuervorteile…Steuerparadies…die Möglichkeiten sind grenzenlos im Sinne des Wortes. Und die EU wird in die Röhre gucken…und das Licht am ende wird das feuer sein, in dem der Euro verbrennt

Peter Gramm
4 Jahre her

die EU ist ein bürokratisches Monster welches nur seinen Günstlingen Vorteile bringt. Dies mit Zähnen und Klauen zu verteidigen ist oberstes Ziel dieses krebsgeschwürartig wuchernden Bürokratenapparats. Leute wie früher Brock oder heute v.d.Leyen sind dafür ein untrügliches Zeichen.

IJ
4 Jahre her

In der Rücksau ist es Irrsinn, was aus der EU, die einmal als Freiheitsprojekt und als Gegenentwurf zum totalitären Ostblock unter sowjetischer Herrschaft gestart ist, mittlerweile geworden ist: Genau zu dem totalitären Monstrum, das einmal durch mehr Freiheit für die Bürger und Nationen bekämpft werden sollte.

Nibelung
4 Jahre her

Sollte Großbritanien ein Erfolgsmodell mit Hilfe des Commonwealts und den USA werden, dann können sie in Brüssel sicher sein, daß viele den Standort wechseln, denn Erfolg macht geil und den Rest der Hungerleider kann dann Deutschland finanzieren und so geht auch Politik, mit Hurra in den Untergang, wenn man die Bevölkerung nicht hinter sich hat und meint nach Gutsherrenart diesem künstlichen Gebilde vorstehen zu können und Albanien und Mazedonien sind ja wirklich ein toller Ersatz für die Briten, ein Großteil der Kapitals und der Menschenmasse geht und wird durch drittklassige ersetzt, das ist wirklich vorausschauend und was hat man eigentlich… Mehr

Der Andere
4 Jahre her

Nur mal so zur Info!
USA Steuer erst über 18000$ Jahreseinkommen, Großbritannien ebenso 18000.
Deutschland?
Wo ist es nochmal sozial gerecht?
Fragt doch mal die Griechen. vor der EU und jetzt. Rente, Lebenarbeitszeit?
ich hatte mal naiv angenommen, heute arbeitet jeder 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich, das war mal ein Ziel für Vollbeschäftigung. Aber dann kamen 1998 Fischer und Schröder und dimmten das Licht in D……

Silverager
4 Jahre her

Ich sage schon seit langem: je mehr CO2-Steuer der deutsche Finanzminister kassiert, desto eher ist unser Planet gerettet.
Jetzt kommt hinzu: je mehr Fleischzusatzsteuer unser Finanzminister kassiert, desto höher die landwirtschaftlichen Einkommen.
Und die inzwischen völlig verblödete Mehrheit der Bevölkerung glaubt buchstäblich alles, was man ihr vorsetzt.

country boy
4 Jahre her

AKK hat offensichtlich Angst vor Neuwahlen. Angst vor Wahlen? Aber sonst spielen sie die Oberdemokraten.

Wilhelm Cuno
4 Jahre her

Manfred Weber liegt falsch. Wenn der Brexit ein Erfolg wird, kann die EU daraus lernen. Dann können sich beide wieder annähern. Es geht nicht um das Ende der EU, sondern um das Ende von Sozialismus und Dirigismus IN der EU.

CIVIS
4 Jahre her

Der BREXIT wird aller Wahrscheinlichkeit nach eines der größten Erfolgsmodelle nach dem 2. Weltkrieg, …wirtschaftlich, kulturell, finanziell, unabhängigkeitsmäßig, u.s.w.

Der Erfolglose folgt dem Erfolgreichen; das gilt auch für EU-Länder. Und jetzt gehen den anderen Ländern der EU auch noch die Narrative und Fakes aus, mit denen sie GB immer beworfen haben.

Ein erfolgreiches GB wäre das letzte, was die EU gebrauchen würde und höchstwahrscheinlich auch der Anfang vom Ende der EU, …zumindest in der jetzigen Form.

Woll´n wir mal sehen, wer hier wem was vorschreibt und diktiert ! Ich freue mich drauf !

twent80
4 Jahre her

In Großbritannien gibt es die Geschlossenheit nicht wie der Autor hier vermittelt. Schottland will in die EU bleiben und fordert ein neues Referendum. Nordirland will auch in der EU bleiben, weil der Lebensstandard sinken wird, denn die Republik Irland hat sich zu einem Wirtschaftswunderland entwickelt u. kommt die EU-Grenze auf der Insel, wird es Nordirland hart treffen.
Hat der Autor vergessen, dass selbst Norwegen und die Schweiz die Bedingungen der EU akzeptieren, um weiterhin am EU Binnenmarkt teilzunehmen? Oder das England gerade wegen seiner Wirtschaft vor 50 Jahren darum gebettelt hat, in die EU einzutreten, weil sie Pleite waren? **

Umkehr
4 Jahre her
Antworten an  twent80

Sie verwechseln etwas: Geschlossenheit gibt es nur in einer Diktatur! Da gibt es nur eine Meinung. In einer Demokratie gibt es die „Mehrheit“ und die ist eindeutig und gibt Boris Johnson und den Conservativen die entsprechende Legitimation und den notwendigen Handlungsspielraum. Und mit ihrer offensichtlichen Schwarzmalerei was die Zukunft von UK angeht können sie wirklich niemanden mehr schrecken.