Der Tabubruch: Merkel delegiert nationale Budgetrechte an die EU

Die wiederbelebte deutsch-französische Achse, als „Corona-Solidaritätsakt“ gefeiert, bricht mit dem letzten Tabu: Die EU darf sich künftig verschulden.

Kaum zwei Wochen, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zu den EZB-Anleihekäufen ein Stoppsignal in Richtung EuGH gesandt hat, der immer ungenierter Freibriefe für die Selbstermächtigung der europäischen Institutionen erteilt, haben die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident gemeinsam eine Corona-Solidaritätsaktion über 500 Milliarden Euro verabredet, die nichts anderes als den Bruch mit dem rechtlich kodifizierten Verschuldungsverbot der EU bedeutet. Bisher spielte die EZB mit ihrer ultralockeren Geldpolitik, mit Nullzinsen und gigantischen Anleihekäufen, den Retter der letzten Instanz, um die Hochschuldnerländer im „Club Med“ der EU über Wasser zu halten. Diesen Umgehungstatbestand hält der EuGH für legitim, obwohl er alle Merkmale einer der EZB vertraglich verbotenen Monetarisierung von Staatsschulden aufweist. Selbst das BVerfG sieht noch keinen Anlass, dieses Verdikt auszusprechen und folgt an diesem Punkt – mit Einschränkungen zwar – dem höchsten europäischen Gericht.

Künftig soll also die EU-Kommission für den Haushalt der EU Kredite aufnehmen können. Wegen des Triple A-Ratings der EU, die sie vor allem der erstklassigen Bonität der Nordländer, allen voran Deutschlands, verdankt, werden die Zinsen für diese EU-Anleihen niedrig sein. Nichts anderes war immer das Ziel der Schuldnerländer, durch gemeinsame Euro-Bonds dauerhaft in den Genuss niedrigerer Zinsen zu kommen, weil sie sich die Risikoaufschläge auf ihre eigenen Staatspapiere damit ersparen können. Angesichts der brutalen Folgen der Corona-Pandemie in Italien und Spanien ist zwar Hilfe durchaus geboten. Aber wie diese Hilfe jetzt organisiert werden soll, wenn es nach Merkel und Macron geht, ist schon fast infam. Denn die Mittel sollen, als EU-Projekte aus dem EU-Haushalt vermarktet, in die Corona-Krisenländer fließen – als verlorene Zuschüsse. Wer das Finanzgebaren und die löchrigen Kontrollmechanismen der europäischen Haushaltspolitik kennt, wird diese Konstruktion als Einladung zum Missbrauch und als nichts anderes als die indirekte Haushaltsfinanzierung des Hochschuldnerlandes Italien einstufen. Refinanziert werden soll die deutsch-französische Konstruktion über eine längere Zeitachse durch Zuführungen aus den nationalen Budgets an den europäischen Haushalt.

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Der deutsche Haushaltsgesetzgeber, der Bundestag, wird also künftig für die – bisher aus guten Gründen verbotene – EU-Kreditaufnahme jährlich höhere Zuführungen nach Brüssel bewilligen müssen, damit vor allem südeuropäische Mitgliedstaaten dreistellige Milliarden-Transfers erhalten können. Nimmt man den heutigen Finanzierungsanteil Deutschlands am EU-Haushalt zum Maßstab, dann wird die Bundesrepublik mehr als ein Fünftel des 500 Milliarden-Pakets schultern müssen. Da infolge des Austritts Großbritanniens aus der EU der deutsche Finanzierungsanteil ohnehin steigt, wird sich die Summe unter Garantie erhöhen. Aus der Corona-Krisenhilfe, wie sie Merkel und Macron konzipiert haben, wird damit ein dauerhafter zusätzlicher Transfermechanismus von Nord- nach Südeuropa geschaffen. Was sich bisher vorwiegend in den Target-Salden der EZB niederschlug, der permanente Vermögenstransfer in den „Club Med“, wird jetzt um einen zusätzlichen und mit größter Wahrscheinlichkeit dauerhaften Transferpfad erweitert. Alle angeblichen Krisenausnahmetatbestände, die auf europäischer Ebene im vergangenen Jahrzehnt geschaffen wurden, sind zu Dauerläufern geworden. Das gilt für die expansive Geldpolitik der EZB, aber auch für die permanente Missachtung des Fiskalpakts. In Europa wird die Ausnahme zur Regel, der Rechtsbruch zur lässlichen Sünde.

Wenn es um Europa geht, dann setzt auch bei einer Reihe von Kommentatoren der Verstand aus. Als Heribert Prantl, ein wortgewaltiger und von mir durchaus geschätzter Journalist der Süddeutschen Zeitung, die Karlsruher Verfassungsrichter als „Staatsgefährder“ einstufte, weil sie den seiner Meinung nach existierenden EU-Staat mit ihrem aktuellen Urteil gefährden, begann ich an der juristischen Kompetenz des ehemaligen Richters zu zweifeln. Wenn der Spiegel dem BVerfG ein „Attentat auf Europa“ vorwirft, dann hat die Redaktion offensichtlich nicht begriffen, dass der eigentliche Souverän in Europa noch immer die Bürgerinnen und Bürger der 27 Mitgliedstaaten sind, die ihre nationalen Parlamente in geheimer und gleicher Wahl wählen, was für das Europa-Parlament mitnichten gilt. Alle Macht, die Brüssel hat, ist durch Entscheidungen der Nationalstaaten delegiert. Das wollen zwar in Brüssel viele nicht mehr akzeptieren, die sich – flankiert vom EuGH – zunehmend eine Kompetenz-Kompetenz anmaßen. 

Diesen gefährlichen Weg befeuern in der Finanz- und Haushaltspolitik Angela Merkel und Emmanuel Macron mit ihrem aktuellen Vorstoß, den das kritiklose deutsche Medien-Juste Milieu begeistert feiert. Dass deutsche Europapolitiker in diesen kritiklosen europhilen Chor einstimmen, ist kein Wunder. Aber dass der sozialdemokratische Bundesfinanzminister und die Grüne und Linke Bundestagsopposition dieser Preisgabe der deutschen Budgethoheit applaudieren, macht nur noch fassungslos. Auch die Haushaltspolitiker der Union verhalten sich bereits so, dass der Kanzlerin aus ihren Reihen kaum Widerstand droht. Als Bundesbürger muss man jetzt inständig darauf hoffen, dass dieses Berlin-/Paris-Paket am Widerstand der Niederlande,  Österreichs, Schwedens und Dänemarks scheitert. Das erforderliche Einstimmigkeitsprinzip für diese weitreichende Weichenstellung gibt dem einzelnen Mitgliedstaat eine „teure“ Vetomacht. Ob es den Opponenten aus den genannten vier Ländern unter Federführung des österreichischen Kanzlers ums Grundsätzliche geht oder doch nur darum, sich ein Veto mit zusätzlichen Milliarden aus dem EU-Topf abkaufen zu lassen, wird schon die nahe Zukunft zeigen. Käuflich zeigten sich schon viele EU-Staaten, solange Deutschland als Finanzier bereitstand.

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Kommentare ( 41 )

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Hoffnungslos
3 Jahre her

Bei den Transfersummen, um die es geht, knallen im Süden bei der Mafia und ähnlichen Organisationen die Sektkorken! Wie will man von Brüssel aus kontrollieren, wohin diese Milliarden Euro fließen? Das Ganze ist ein riesigen Schub für die Korruption. Wie dumm kann man eigentlich sein?

Ursula Schneider
3 Jahre her

Genau so ist es! Das jüngste Urteil des BVerfG, das dem EuGH widersprach, könnte auf lange Zeit das letzte gewesen sein, das deutsche Interessen und die Souveränität des Landes im Blick behielt. Schon wird von RRG der Verfassungsschutz angefeindet, weil er „rechten Terror und den Einsatz für Klimagerechtigkeit als Extreme gleichsetzt“. Das Ziel heiligt alle Mittel, was das Ende des Rechtsstaat bedeutet und grünes Licht für eine linke Ökodiktatur.

Werner Brunner
3 Jahre her

Wieso revoltiert die Bevölkerung nicht ?

Hoffnungslos
3 Jahre her

Und wieder folgt die Mehrheit der Deutschen ihrer „Führung“. Der Schaden, nicht nur für Deutschland, wird immens sein. Es ist wirklich an der Zeit, dass sich kluge, verantwortungsbewußte Menschen wieder der Politik in unserem Land zuwenden und sich einklinken. So kann es nicht weitergehen!

MarkusF
3 Jahre her

Merkel ist eine fortwährende Katastrophe für unser Land. Die Deutschen mussten unter Merkel bereits heftige Wohlstandsverluste realisieren, z.B. Rente mit 68 während andere Europäer mit 60 und früher in Rente gehen oder sehr geringes Privatvermögen. Das Ganze mit Tendenz zum wesentlich schlimmeren, auch von Merkel verursacht.
Das die CDU immer noch loyal zu Merkel steht und damit das Desaster erst ermöglichte hat diese Partei bis ins Mark diskreditiert. Die CDU ist keinen Deut besser als die inzwischen offen linksextremistisch auftretenden Parteien von Grünen, Linken bis SPD.

CIVIS
3 Jahre her

Der Tabubruch: >Merkel delegiert nationale Budgetrechte an die EU. Die EU darf sich künftig verschulden. <

Mal ganz ehrlich: …Hat irgend jemand etwas anderes von dieser Frau erwartet ?

Amerikaner
3 Jahre her

Eine demokratisch fast nicht legitimierte supra-nationale Organisationseinheit, die von Bürokraten beherrscht wird und einzig nach politischen Gesichtspunkten agiert, die von akutem Größenwahn befallen und chronischer Intransparenz gezeichnet ist, kann endlich Schulden machen, die andere zahlen müssen. Meine Güte, was kann da schon schiefgehen?

Cethegus
3 Jahre her

Vor hundert Jahren stand das deutsche Volk nahezu einstimmig gegen Versailles und die Reparationen. Heute zuckt das Volk nur mit den Schultern, wenn die eigenen(!) Politiker ähnliche Geldmengen in alle Welt verschleudern.

Es gibt wohl keinen Wahnsinn mehr, den dieses Volk nicht völlig gleichgültig hinnehmen würde. Es wird wirklich mal wieder Zeit für einen reinigenden Zusammenbruch, anders lernt hier wohl niemand mehr etwas!!!

Hoffnungslos
3 Jahre her
Antworten an  Cethegus

Vor hundert Jahren hungerten Tausende Menschen in Deutschland. Heute überlegen viele, wo und wie sie ihren Urlaub verbringen. Wer soll da ernsthaft revoltieren? Der Zusammenbruch der Wirtschaft wird von vielen noch gar nicht gesehen. Und die Beamtenschaft sitzt ja sowieso in einem anderen, scheinbar abgesicherten Boot. „Geld kommt vom Konto und Strom aus der Steckdose“, so sieht es für viele Menschen noch aus. Noch….

Karl Napf
3 Jahre her

Es gibt Kraefte in Deutschland die uns in eine EU ’nudgen‘ wollen, die einem Nationalstaat gleichkommt.

Hoert sich ein wenig nach Verschwoerungstheorie an, ist aber gelebte Verschwoerungspraxis.

Nur weil die, die das wollen ’nur unser Bestes‘ im Sinne haben, muss das noch lange nicht richtig sein.

Unser Bestes ist fuer Italien unser Geld.
Fuer die deutschen Kraefte ist unser Bestes ein Deutschland ohne Ego.

Ralf Poehling
3 Jahre her

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die EU nun absichtlich mit Vollgas in den roten Bereich gedreht wird, damit sie auseinanderfliegt. Man eint Europa nicht über Geld!!! Die Wirtschaftsleistung der EU Mitgliedsländer ist von Nord nach Süd so unterschiedlich, dass der Süden zwangsweise dauerhaft zum Hartz IV Empfänger wird, der vom Norden finanziert werden muss. Was ALG II Empfänger üblicherweise vom Jobcenter halten, ist bekannt. Nämlich das selbe, wie Südeuropa von Deutschland. Oder Süditalien von Norditalien. Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist geografisch und damit kulturell bedingt und wird sich deshalb niemals ändern. Wer meint, er könne… Mehr