Apples dystopische Skibrille und unser ungesundes Verhältnis zur Technik

Vorwärts in eine helle Zukunft voller technologischer Möglichkeiten, oder doch Hals über Kopf in eine atomisierte Dystopie? Die Präsentation der neuen VR-Brille aus dem Hause Apple erweckte gemischte Reaktionen, doch viele der sich abzeichnenden Probleme sind bereits längst Realität.

Screenprint: apple.com

Lange bevor Apple primär durch die Benutzung von Gendersternchen und anderen politischen Korrektheiten auffiel, galt die Firma als Gradmesser für die wirtschaftlich erfolgreiche Implementierung neuer Technologien. Smartphones gab es bereits vor Apple, doch erst mit der gelungenen Verquickung von elegantem Design, leistungsstarker Technik und marketingtechnischen Heilsversprechungen läutete die US-Firma den Siegeszug der tragbaren Dopaminfabriken mit Telefonierfunktion ein.

Daher verwundert es nicht, dass die Welt gebannt darauf wartete, wie Apples Beitrag zum Thema Virtual-Reality (VR, virtuelle Realität), bzw. Augmented-Reality (AR, erweiterte Realität), wohl aussehen würde. Die Technologie führt zwar bereits seit Jahren ein hartnäckiges Nischendasein in der Spieleindustrie, der Sprung zum Massenprodukt, das womöglich andere etablierte Technologien ablösen könnte, gelang ihr aber bislang noch nicht. Mit der nunmehrigen Präsentation von Apples Beitrag zu dieser Nische, der Apple Vision Pro, gibt es erstmals ein Zeitfenster, ab wann die Frage der Massentauglichkeit gestellt werden muss. Diese hängt aber nicht nur von der – wahrscheinlich hohen – Qualität des Produkts ab und auch nicht von der Hürde des enorm hohen Preises, sondern von der Bereitschaft der Menschen, ihre innere Barriere bei der Nutzung der fast schon dystopisch anmutenden Skibrille zu überwinden.

— Apple (@Apple) June 5, 2023

Bislang existierten auf dem Markt zwei verschiedene Stoßrichtungen: VR-Brillen waren meist geschlossene Kästen, de facto kleine Monitore, die Nutzer sich vor ihre Augen schnallten. Diese eigneten sich vor allem für Spieler, die in Spielewelten und andere phantastische Räume eintauchen wollten. Die Geräte sahen sperrig aus, waren es meist auch, führten bei längerer Nutzung oftmals zu Schwindelgefühlen oder Übelkeit und waren daher nur wenig alltagstauglich. Eine Spielerei, sozusagen.

Demgegenüber steht seit einigen Jahren das Konzept der AR-Brillen, also der „erweiterten Realität“. Diese Brillen streben danach, Elemente der Computernutzung in die Wahrnehmung unserer Realität zu übertragen, indem sie bestimmte Bildschirme und Programme auf eine durchsichtige, normal anmutende (Betonung auf anmutende) Brille projizierten. Doch auch diesem Ansatz gelang bislang nicht der Sprung zur Massentauglichkeit, zu sperrig waren die technischen Entwürfe, zu limitiert die Einsatz- und Bedienmöglichkeiten.

Apple möchte diese beiden Felder nun miteinander verbinden und damit nach „desktop computing“ und „mobile computing“, das „spatial computing“ etablieren, also das Arbeiten am „räumlichen Computer“, der die Apple-typischen Glücksbringerapps direkt vor die Augen projizieren soll, während man gleichzeitig seine Umgebung wahrnehmen kann.

Apple trumpft dabei mit altbekannten Stärken auf. Die verarbeitete Technik übertrifft die der Konkurrenz bei weitem, das Design sieht – allen Unkenrufen zum Trotz – dem gegenwärtigen Stand der Technik entsprechend sehr gut aus und wahrscheinlich werden die verschiedenen Lifestyle-Spielereien bei Fans der Marke auf entsprechende Gegenliebe stoßen. Daran wird auch der enorm hohe Preis von 3.500$ nichts ändern. Apple-Produkte sind seit jeher Lifestyle-Produkte und werden dementsprechend auch ihre Klientel finden. Zumindest sollte man das meinen.

Die schöne neue Welt der Hochglanz-Dystopie

Denn obwohl die Präsentation der Apple Vision Pro manch Technikaffinen wohl mit offenem Mund staunend zurückließ, war die quantifizierbare Resonanz zunächst ernüchternd. Gemeint ist die Reaktion der Börse, denn während der Apple-Kurs noch vor der Präsentation auf Rekordhöhen anstieg, fiel die Aktie während der Vorstellung des neuen Geräts deutlich ab. Vorläufige Analysen erklären das vor allem über den hohen Preis, der Investoren an der Massenmarkttauglichkeit des Geräts zweifeln lässt. Doch das alleine mag als Erklärung vielleicht nicht genügen, denkt man an die Veröffentlichung des ersten iPhones zurück, das damals um den exorbitanten Preis von 600$ angeboten wurde. Mittlerweile jedoch sind Milliarden Menschen bereit nicht nur 600$, sondern bis zu 1.500$ für Telefone auszugeben, denn diese haben sich in vielerlei Hinsicht zum tragbaren Taschencomputer der Wahl entwickelt. Vergleicht man also die Apple Vision Pro Brille nicht mit einem Spielegadget, sondern mit einem tragbaren Computer, so erscheint der Preis zwar noch immer sehr hoch, im Vergleich zu anderen Handys, Tablets und Laptops von Apple aber nicht mehr wie von einem anderen Stern.

In einem Bericht des Manager Magazins über die Produktpräsentation der Apple Vision Pro wurden weise Worte geäußert, als festgestellt wurde, dass „selbst in Werbevisionen die Nutzerinnen und Nutzer eher traurig wirkten“. Der Financial Times zufolge soll es auch intern bei Apple Stimmen gegeben haben, die sich gegen die Veröffentlichung des Produkts aussprachen. Wie so oft wird hier moniert, die Technik wäre noch nicht so weit, die Brille wäre noch zu klobig und würde die Menschen zu sehr von der Außenwelt isolieren. Zugegeben, selbst die bemühten Versuche im Werbeclip eine natürliche Interaktion zwischen einem Brillenträger und einem Außenstehenden zu zeigen, räumen Zweifel darüber, ob dies die Form von Kommunikation ist, die wir als Menschen in Zukunft führen wollen, wahrlich nicht aus der Welt.

Man kann es drehen und wenden, wie man möchte: Bereits frühere VR-Brillen versprühten einen Hauch von „Matrix“, doch war die Technik viel zu ungelenk und unausgereift, um uns dauerhaft zu beunruhigen. Die Apple Vision Pro jedoch macht erstmals eine Technologie greifbar, die uns zwar im Sinne bester Science-Fiction schmackhaft gemacht wird, in der wir uns aber instinktiv eher an eine Dystopie a la „Black Mirror“ erinnert fühlen. Um dies zu erkennen, muss man auch kein Technikfeind sein. Selbst wer für technische Spielereien offen ist und dem einen oder anderen Feature mit Neugierde begegnet, wird im Hinterkopf unweigerlich die stechende Frage verspüren, wohin die Reise mit dieser Technik letztendlich gehen soll.

Denn eine Werbung, bei der eine Person alleine in einem klinisch anmutenden Wohnzimmer mit einer Brille vor den Augen sitzt, sich Videos seiner abwesenden Kinder ansieht und dabei melancholisch in die Leere lächelt, erweckt im Zuseher instinktiv Abscheu. Es erinnert an die depressive Stimmung eines „Blade Runner“, einer Zukunft, in der Menschen – ganz im Sinne von Yuval Noah Harari – sich mit digitalen Stimuli und Drogen über die Trostlosigkeit ihres atomisierten Daseins hinwegtäuschen. Lange Zeit schienen solche Szenarien düstere Zukunftsmusik zu sein, doch mit der Apple Vision Pro steht diese Zukunft nicht nur vor der Tür, sondern bereits mitten im Wohnzimmer.

Der Schrecken vor einer längst präsenten Zukunft

Apple hat dabei eines der größten Mankos bisheriger VR verstanden, dieses dabei aber verschlimmbessert. Die Augen sind der Spiegel der Seele des Menschen und wer die Augen verdeckt, oder die Augen auf etwas anderes richtet, der ist nicht wirklich zugegen. Dem entgegnet Apple mit mehr Digitalisierung, denn nicht nur nehmen Kameras die Außenwelt auf und projizieren diese auf den inneren Bildschirm, auch das Gesicht des Nutzers wird von Kameras erfasst und auf den Außenschirm projiziert. So sehen Außenstehende die Augen des Nutzers – und sehen sie doch auch wieder nicht, denn sie sehen nur ein digitales Abbild dieser Augen. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit der vollständigen Gesichtserfassung, die einen digitalen Avatar für die Nutzung in der Videotelefonie erstellt und damit die Grenze zwischen Realität und einem vollständig digitalisierten Leben noch mehr verschwimmen lässt. Im Zusammenhang mit der parallel stattfindenden Entwicklung der sogenannten Künstlichen Intelligenz könnte hiermit Pandoras datenschutzrechtliche Büchse geöffnet werden.

All diese Gefühle sind legitim und doch sind sie nur bedingt zielführend, denn es gibt nur wenig wirklich Neues, dass die Apple Vision Pro einführt. Abgesehen von einigen technischen Gimmicks und tatsächlichen Verbesserungen der Nutzererfahrung sind die meisten Funktionen rein von ihrer Funktionalität betrachtet ein alter Hut, oder mit anderen Worten: Nichts, was wir nicht bereits von unseren Handys und Computern kennen.

Darin liegt aber die Crux, denn während wir in der Apple Vision Pro die kommende Dystopie ankommen sehen, stecken wir als Nutzer bereits Tag für Tag in ihren Mechanismen fest. Die Apple Vision Pro mag uns das potenzielle Ausmaß der Entfremdung – im wahrsten Sinne des Wortes – deutlicher vor Augen führen, doch ist es letztlich nur ein kleiner Schritt von unseren ohnehin schon größtenteils digital geführten Leben hin zu einer vollständig digitalen Identität. Besteht wirklich ein qualitativer Unterschied darin, 12 Stunden am Tag auf einen Bildschirm auf unserem Schreibtisch, bzw. einen Bildschirm in unserer Hand zu starren, als wenn man den Bildschirm direkt vor den Augen montiert? Ich denke schon. Aber er ist weitaus kleiner, als wir es uns eingestehen möchten.

Die wirkliche Herausforderung im Umgang mit den sich – evolutionär gesehen – rasant entwickelnden Technologien besteht darin, diese tatsächlich nutzbringend und zielgerichtet und nicht bloß um ihrer selbst Willen einzusetzen. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich fast schon mit maßloser Begeisterung auf Neues stürzt, der Ausdruck des „neuen Spielzeugs“, das man hat, trifft die Sache schon ganz gut. Zur Natur gehört aber auch dazu, dass sich der Effekt der Neuheit abnutzt und sie langweilig wird. Es ist die Langeweile, in der Kreativität und folglich auch ein kreativer Umgang mit der Technik entstehen kann. Doch um diesen Punkt zu erreichen, muss der Kreislauf der ständigen Neuheit durchbrochen und Langeweile zugelassen werden. Nur dann werden wir den verantwortungsvollen Umgang mit modernen Technologien lernen, egal ob nun in der virtuellen Realität, am Handy oder am Computer.

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