Abstieg nach Ausschreibung

Der deutsche Staatsapparat funktioniert im Kleinen wie ein Uhrwerk und wird es weiter tun – wie wir aus der Geschichte wissen bis 5 nach 12. Selbst Ereignisse historischen Ausmaßes erschüttern Ministerien und Behörden kaum. Die Folgen werden gravierend sein.

IMAGO / Future Image
Kohlekraftwerk Niederaußem in Bergheim: Das Kohleausstiegsgesetz und der Stilllegungspfad sieht die Abschaltung des letzten Blocks in Niederaußem zum 31. Dezember 2038 vor

Obwohl sich der Mangel an stark steigenden Preisen zeigt, bleibt das Ziel der „Emissionssenkung um jeden Preis“ erhalten. Für die vermeintliche Weltrettung riskiert man den eigenen Kollaps. Am Ende wird wieder niemand verantwortlich sein. Warum eigentlich nicht?

Die Zäsur des russischen Einmarsches in die Ukraine am 24. Februar erschütterte die Welt, nicht jedoch den deutschen Beamtenapparat. Die inzwischen seit März von einem Grünen geführte Bundesnetzagentur versieht ihren Dienst nach bestehender Gesetzeslage und ist offenbar außerstande, auf gravierende äußere Bedingungen eine Reaktion zu zeigen.

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Die extremen Energie-Preissteigerungen der vergangenen Wochen schiebt man regierungsseitig auf die globale Entwicklung und den Krieg, die Wirkungen der deutschen Abschaltpolitik hingegen werden bewusst ignoriert. Zum Jahresende 2021 gingen Kern- und Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 8.960 Megawatt dauerhaft vom Netz, das sind über zehn Prozent der erforderlichen gesicherten Maximallast. Entsprechend den Marktmechanismen sorgt verringertes Angebot bei gleicher oder wachsender Nachfrage für steigende Preise. Der Strom-Börsenpreis hat sich seit 2020 etwa verzehnfacht. Was jedem Unternehmer und auch Haushaltskunden ein Frösteln über den Rücken jagt, lässt die Beamten unberührt. Es ändert auch nichts an der einseitig CO2-zentrierten Politik.

Offenbar hält man Änderungen am Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) für unnötig. In diesem sind die terminierten Abschaltungen der Braunkohlekraftwerke festgeschrieben sowie das Verfahren zu Ausschreibungen für die Stilllegungen der Steinkohlekraftwerke. Maßgebend ist dabei der Reduzierungspfad der CO2-Emissionen, sodass zum 1. März 2022 in der nunmehr fünften Runde diesmal reichlich 1.200 Megawatt Steinkohle-Kraftwerksleistung zum Höchstpreis von 107.000 Euro pro Megawatt zur Stilllegung ausgeschrieben wurden. Es dürften ausreichend Bewerbungen eingehen, denn die Unternehmen werden die Wirtschaftlichkeit und politische Zukunft ihrer Kraftwerke trotz stark gestiegener Strompreise unter dem Wirken inzwischen straff grüner Führungskader in Ministerien und Behörden eher kritisch sehen.

Die Steuerzahler müssen also viel Geld für die Stilllegung von Kohlekraftwerken ausgeben, in deren Folge die Strompreise weiter steigen werden, denn die entfallende Leistung muss zum großen Teil durch Gaskraftwerke ersetzt werden. Dies ist an folgendem Chart zu erkennen:

Energy-charts.info

Die Netzlast (schwarze Linie) schwankt entsprechend dem Bedarf über die Tage der Woche. Kernkraftwerke (rot), Braun- und Steinkohlekraftwerke (hell- und dunkelbraune Flächen) sichern vor allem die Grundlast ab. Die Gaskraftwerke (ockerfarbene Fläche) decken vor allem die Regelleistung ab und kompensieren die Schwankungen der Solareinspeisung (gelb). Reduziert man die Kernkraft- und Kohlestromeinspeisung, muss der Gasanteil steigen. Deutlich ist zu erkennen, wie die Gaskraftwerke die Leistung vor Sonnenauf- und nach Sonnenuntergang hoch fahren, perspektivisch werden sie auch mehr die Grundlast abdecken müssen.

Für die Regelfähigkeit des Systems sind wir bereits heute auf unsere Nachbarn angewiesen. Die weißen Flächen unter der Bedarfslinie zeigen den Import. An Tagen wie dem 2., 3. und 4. März führt die nachmittags abnehmende Fotovoltaik-Leistung sofort zum Import, wenn nicht, wie an den anderen Tagen, genug Windleistung zur Verfügung steht. Über die Mittagsspitze hingegen wird, abgesehen von den Wintermonaten, fast immer zu niedrigen Preisen exportiert. Unsere Nachbarn werden die sogenannten Preisdifferenzgeschäfte gern mitmachen, solange ihr eigenes System nicht ins Schwanken gerät.

Verantwortung und Schuld

Mit jeder weiteren Abschaltung von Kern- und Kohlekraftwerken geben wir Regelfähigkeit auf und erhöhen den Bedarf an Erdgas. Dies ist in der angespannten internationalen Situation und hinsichtlich der Perspektive völlig kontraproduktiv. Allein der gesunde Menschenverstand würde gebieten, mit einem Moratorium weitere Abschaltungen auszusetzen. Die Diskussion um eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke (KKW) ist verebbt, nachdem Minister Habeck das Sicherheitsargument wieder hervorkramte.

Die absehbare Energiekrise wird nun durch die steuerfinanzierte Stilllegung weiterer Kraftwerke gemäß KVBG verschärft. Das hat mit gesundem Menschenverstand nichts mehr zu tun. An entscheidenden Stellen von Regierung und Behörden sitzen heute Öko-Lobbyisten, deren Ziel die Maximierung der Wind- und Solareinspeisung ist. Für diese muss sicher und möglichst mehr Geld generiert werden, was durch die enormen Strompreiserhöhungen am Markt schon gelungen ist.

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Die Stabilität und Resilienz des Gesamtsystems ist ihnen offenbar gleichgültig, auch wenn Minister Habeck den Begriff „Versorgungssicherheit“ kürzlich aussprach. Er handelt nicht in diesem Sinn. Die regierenden Aktivisten wollen „ambitionierte, ehrgeizige“ und auch „radikale“ Entscheidungen im Sinne ihrer Ziele treffen, die aber fatale Folgen haben werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich erneut die Frage des Tatbestandes der Politikerhaftung. Grob fahrlässiges oder sogar vorsätzlich falsches Handeln zum Nachteil des Landes und unter Verletzung des Amtseides sollte verfolgt werden können. Dabei wäre nicht nur die Kanzler- und Ministerebene, sondern auch die obere Beamtenschaft einzubeziehen.

Der deutsche Staatsapparat funktioniert wie ein Uhrwerk, das einer Zeitbombe. Ein Ergebnis politischer Wohlstandsverwahrlosung, das Erbe der fleißigen Generationen vor uns ist bald aufgebraucht.

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Kommentare ( 50 )

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Gabriele Kremmel
2 Jahre her

Der Mangel zeigt sich in den Preisen, und Gewinner sind die, die in Kohle investiert haben als sie durch das Schlechtreden und die Klimapaniker billig wurde. Wer war das gleich? Ach ja, dieselben, die die ganzen NGOs finanziert, die die Klimapanik erst richtig ins Rollen gebracht haben.

Schön erklärt in dem Video „Greta, Luisa und die Kohlespekulanten der Hochfinanz“ von Akademie Raddy

Last edited 2 Jahre her by Gabriele Kremmel
Ernst-Fr. Siebert
2 Jahre her

Manche sagen, es hängt alles mit allem zusammen und wir regen uns hier über Kleinkram auf. Ein Kollateralnutzen eben auf dem Weg zur uns alle glücklichmachenden Armut.

Lotus
2 Jahre her

Die Regierung, insbesondere die Grünen und die mit ihnen unentwirrbar verflochtenen Weltenrettungs-NGOs sind scheinbar zu einem All-in entschlossen. Wenn der großflächige Blackout kommen sollte, wäre das das nächste einschneidende Ereignis, mit dem bis jetzt kaum jemand in Deutschland wirklich rechnet. Neudeutsch: ein Gamechanger. Die entscheidende Frage wird dann sein, ob es dem politisch-medialen Komplex anschließend gelingt, den unsanft geweckten Deutschen Sündenböcke zu präsentieren. Putin, Klimaleugner, Energiewende-Kritiker, Bürger, die gegen Windmühlen klagten, unentschlossene Provinzpolitiker, usw. Kurz: Würde ein Umdenken stattfinden, würde der Wähler die Linksgrünen und ihre Handlanger aus ihren komfortablen Ämtern jagen? Ich in da nicht sicher.

Georg J
2 Jahre her

Es gilt der Grundsatz:

  • eine strategische Fehlentscheidung kann durch noch so exzellentes operatives Agieren nicht kompensiert werden.
  • eine operative Fehlentscheidung kann durch noch so exzellentes taktisches Agieren nicht kompensiert werden.

Für Deutschland gilt: seit vielen Jahren werden strategische Fehlentscheidungen getroffen, die operative und taktische Ebene „strampelt“ sich ab, um diese stragischen Fehlentscheidungen zu kompensieren, aber es gelingt nicht mehr. Aus und vorbei. Wir haben leider nur noch Blender und Nichtwissende an der Spitze unseres Staates. Der Fisch stinkt vom Kopf zuerst.

Last edited 2 Jahre her by Georg J
Thomas S62
2 Jahre her

„Allein der gesunde Menschenverstand würde gebieten…“
Genau das ist doch das Problem. Wer von unseren Politdarstellern hat denn einen gesunden Menschenverstand?

alter weisser Mann
2 Jahre her

Die Weltretter werden auf dem Flächendiagramm nur sehen wollen, was sie sehen wollen, sich über die gelben Tupfen freuen und danach in Verkennung der Problematik etwas von „Probleme mit Grundlast gibts doch gar nicht, die Residuallast ist das Problem“ erzählen.

Joerg.F
2 Jahre her

Die Teuerung, die Verknappung, das Chaos, alles das passiert nicht ausversehen, es ist gewollt. Es ist Krieg der Regierenden gegen das eigene Volk und in einem Krieg sollen Menschen, Wirtschaft, Infrastruktur und Identität eines Landes zerstört werden. Wenn man das weiß dann macht mit einem Mal alles Sinn. Hier läuft nichts schief sondern alles nach Plan.

Last edited 2 Jahre her by Joerg.F
Boris G
2 Jahre her

Genauso irre hat das ZK der SED die DDR-Wirtschaft an die Wand gefahren. Und während zweier Weltkriege hat die deutsche „Elite“ zweimal bewiesen, mit welcher Hartnäckigkeit sie hoffnungslose Projekte bis zum bitteren Ende durchhalten kann.

89-erlebt
2 Jahre her

Niemand hat die Absicht, die Verantwortlichen für die Sprengung der Kühltürme des AKW Phillipsburg, der Ruine Moorburg und der AKW Grohnde und Brockdorf zu benennen. Klar, die wollen ja vom Michel alsbald wieder gewählt werden.

taliscas
2 Jahre her

„Grob fahrlässiges oder sogar vorsätzlich falsches Handeln zum Nachteil des Landes und unter Verletzung des Amtseides sollte verfolgt werden können. Dabei wäre nicht nur die Kanzler- und Ministerebene, sondern auch die obere Beamtenschaft einzubeziehen.“
Vor allen anderen: Merkel