Faesers neue migrationspolitische Töne und die Debattenverweigerung der Grünen

Nancy Faeser favorisiert nun Asyl-Verfahren an den EU-Außengrenzen und spricht sogar von Rückführung. Doch die Grünen verweigern jede Migrationsdebatte, die über die Geldverteilung hinausgeht. Der Linke Bodo Ramelow ist konsequent und will pauschales Asyl für alle „nicht auffälligen“ Bewerber.

IMAGO / Marc Schüler
Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Die deutsche Politik begegnet der auf ihren nächsten Höhepunkt zusteuernden Migrationskrise weiterhin mit einer verstörenden Gelassenheit und Trägheit. Die Alarmrufe aus den Kommunen und Ländern, die mit den finanziellen Kosten und anderen negativen Folgen der Armutszuwanderung auf dem Wege des Asylantrags konfrontiert sind, bewirken nicht etwa entschiedenes Handeln, sondern nur ein verbales Echo. So auch jetzt vor dem nächsten „Migrationsgipfel“ am kommenden Mittwoch im Kanzleramt, da sich deutsche Politiker mit migrationspolitischen Forderungen und Vorschlägen zu Wort melden. Dass der Kanzler schweigt, überrascht schon längst niemanden mehr – manchmal könnte man fast vergessen, dass er über die Richtlinienkompetenz verfügt. Migration scheint ihn jedenfalls noch weniger zu interessieren als andere Themen.

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Dass das Thema wichtig und dringend ist, kann niemand bezweifeln. Die jüngsten Asylbewerberzahlen (im ersten Quartal 2023 laut Bamf 80.978 Erstanträge) und die längst zu einem Dauerton angeschwollenen Alarmrufe aus den Kommunen machen es deutlich. In der breiten Bevölkerung ist diese Brisanz und die Einsicht zur unbedingten Notwendigkeit einer eindämmenden Migrationspolitik seit eh und je viel ausgeprägter als in der politischen Klasse selbst. Eine große Mehrheit sieht laut aktueller Umfrage eher die Nachteile von Zuwanderung – und will weniger Migranten aufnehmen. Und eine große Mehrheit findet deswegen auch, dass die Politik sich zu wenig um Probleme infolge der Zuwanderung kümmere. Nur wenige schreiben den Parteien die nötige Kompetenz dafür zu. Der Eindruck ist durch die migrationspolitische Trägheit der Regierungen (der früheren wie der aktuellen) nur allzu begründet: Spätestens seit 2015 hat sich nicht nur das formale Asyl- und Migrationsrecht, sondern auch das einwanderungspolitische Reden – man erinnere sich etwa an Angela Merkels Versprechen einer nationalen Kraftanstrengung zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber – immer weiter von der Einwanderungswirklichkeit entfernt.

Insofern ist der heutige Vorschlag des Linke-Politikers und thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow eigentlich konsequent: Er will „nicht auffälligen“ Asylbewerbern nach drei Jahren pauschal Asyl gewähren. So könne man sich „die ganze Bürokratie und die Abschiebedebatten sparen“, verkündet er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Klingt wahnsinnig, ist aber immerhin ehrlich. De facto kann so gut wie jeder Zuwanderer, der es nach Deutschland schafft und das Wort „Asyl“ kennt, hier auch bleiben und soziale Unterstützung auf demselben Niveau wie einheimische Empfänger erwarten. Die Asyl-Verfahren entfalten kaum jemals eine andere faktische Wirkung als das Bleiben der Zuwanderer. Abgeschoben werden, wenn überhaupt, nur Straffällige.

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Deutschland wäre bei Umsetzung des Ramelow-Vorschlags das erste Einwanderungsland, das nicht nur real, sondern auch offiziell und eingestanden „No Borders“ und Sozialstaat kombiniert. Allerdings wäre dann das wichtigste Rechtfertigungsnarrativ des deutschen Asyl-Laissez-Faire noch offensichtlicher entwertet als ohnehin schon: Wenn jeder Zuwanderer ganz offen als „Schutzsuchender“ akzeptiert wird, ist eine moralische Inflation dieses Begriffs aber unvermeidlich. Womöglich ahnen die Grünen das, weswegen ihre Fraktionschefin Britta Haßelmann nur eine Verkürzung der Asylverfahren fordert.

Die Umfragen sowie die Kassenlage der Kommunen und Sozialversicherungen machen jedem halbwegs wirklichkeitsorientierten Politiker die mittelfristige Unhaltbarkeit solch einer Politik deutlich. Sie führt unweigerlich in letzter Konsequenz zum Kollaps des Sozialstaates und darauffolgenden sozialen Extremen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigte sich bisher ganz besonders wirklichkeitsresistent in dieser Frage, zumal sie auch die Rufe der Länder und Kommunen nach mehr Geld kühl zurückweist. In ihren jüngeren Aussagen kann man allerdings ein gewisses Eingeständnis der in jeder deutschen Gemeinde greifbaren Notwendigkeit der Begrenzung erkennen.

Sie plädiert nun für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen: „Jetzt verhandeln wir über Verfahren an den EU-Außengrenzen, um dort binnen kurzer Fristen über den Schutz von Menschen mit geringer Aussicht auf Asyl in der EU zu entscheiden“, sagte Faeser dem Handelsblatt. „Dann können abgelehnte Asylbewerber schnell bereits von den EU-Außengrenzen aus zurückgeführt werden.“ Dieser Satz ist erstaunlich, denn Worte wie Zurückführung kommen sonst in ihrem Vokabular überhaupt nicht vor. Nicht nur von ihrem Koalitionspartner Christian Lindner gibt es eine dazu passende aktuelle Aussage, in der sogar von Zäunen die Rede ist, sondern ausgerechnet von Faesers Vorgänger Horst Seehofer (CSU) kommt Lob, der ihr für die Verhandlungen eine „glückliche Hand“ wünscht.

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Womöglich hat sich Faeser tatsächlich zu einem gewissen migrationspolitischen Minimalrealismus durchgerungen, was man angesichts ihrer bisherigen Aussagen und (Nicht-)Handlungen weiter bezweifeln kann, allerdings angesichts ihres Wahlkampfs um das Ministerpräsidentenamt in Hessen ihr taktisch zu raten wäre. In der Koalition würde sie damit zwar die FDP auf ihrer Seite wissen, aber die Haltung der in der Koalition programmatisch tonangebenden Grünen bleibt weiter das eigentliche Hindernis für die in Zeitungsüberschriften immer mal wieder behauptete „Asyl-Wende“. So winkt etwa der grüne EU-Parlamentarier Erik Marquardt schon mit der Populismus-Keule, die ihre Wirkung selten verfehlt: „Das Bundesinnenministerium und die Bundesregierung dürfen den Rechtspopulisten nicht auf den Leim gehen und Vorschläge unterstützen, die von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban stammen könnten“, sagte er der Welt. In einem Detail könnte er allerdings recht behalten, nämlich dass die Mittelmeerländer die Außengrenzenverfahren nutzen könnten, noch mehr Zuwanderer nach Norden Richtung Deutschland durchzuwinken.

Letztlich ist die Position der Grünen einfach eine Debattenverweigerung mittels moralischer Lufthoheit. So hat Britta Haßelmann umgehend mit den üblichen Nicht-Argumenten klargemacht, dass sie eigentlich gar nicht über pragmatische Lösungen debattieren will: „Wir können nicht die Debatte darauf konzentrieren, wie schotten wir uns am besten ab.“ Sie will auch auf dem Migrationsgipfel nur darüber reden, wie man die Kommunen unterstützen könne. Deutsche Einwanderungspolitik soll also nach grüner Vorstellung weiter nur darin bestehen, Einwanderer mit staatlichen Mitteln zu versorgen.

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Kommentare ( 29 )

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gmccar
11 Monate her

Es ist festzustellen, 11 von 10 (Grün/Roten) Frauen haben immer Recht !
Allerdings nähern wir uns da mit den EU-Bestrebungen einer Abschaffung der Nationalstaaten einer Grenze, denn „Kein Sozialstaat ohne Nationalstaat“.
Stellt eigentlich irgend jemand verbindlich fest, wovor diese Horden der Westasiaten „Fliehen „?

Last edited 11 Monate her by gmccar
Micky Maus
11 Monate her

Ich bin nicht generell gegen Migranten (also kein Nazi, wie sonst immer gleich als solcher hingestellt), aber für gewisse Bedingungen: Erste Voraussetzung für Aufnahme von Migranten wäre ein Deutschkurs und bei Nichtteilnahme oder Abbruch sofort raus aus Deutschland. Anschließend Zuweisung einer Arbeit, welche auch Deutschen zugemutet wird und sofortige Einstellung der finanziellen Hilfen, ansonsten raus, bei Straftaten sofort raus, bei Nichtachtung von deutschen Regeln und Gesetzen sofort raus, Mißachtung christlicher Werte und Gedanken sofort raus. Aber das ist leider nur Wunschdenken. Die unfähige Faeser redet jetzt halt mal anders, weil sie ja weiß, dass die Grünen dies abblocken (was vielleicht… Mehr

H. Heinz
11 Monate her

Um es klar zu sagen: Ich will überhaupt keine Migranten aufnehmen, ich will sie loswerden. Nur wer berechtigt und nachweisbar einen Asylanspruch hat und diesen bereits außerhalb der EU Grenzen beantragt, darf kommen und zwar nicht nur nach D.

Cassiopeia
11 Monate her

Um sich das Ausmaß der Politik verschiedener Regierungen – Ampel und Vorgängerregierungen – zur Ansiedlung von illegalen Migranten in der Bundesrepublik Deutschland vor Augen zu führen, reicht es nicht aus, einfach den absoluten Bevölkerungszuwachs festzustellen (offizielle 81,1 Millionen in 2014 zu 84,3 Millionen in 2022). Wenn man die Zahlen der natürlichen Entwicklung (jährliche höhere Sterbe- als Geburtenrate) plus die jährliche Anzahl der einheimischen Auswanderer dazurechnet, ergibt sich, dass zwischen 2014 und 2022 fast sieben Millionen fremder Staatsangehöriger in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert sind. Es geht somit nicht mehr um Asyl- und Flüchtlingsschutz, sondern um eine groß angelegte An- und Umsiedlungspolitik,… Mehr

EinBuerger
11 Monate her

Was für ein Kasperltheater. Links koaliert mit links und links. Ein Links ist dann bereit gewisse Zugeständnisse an die Bevölkerung zu machen. Aber ein anderes Links verweigert sich.
So muss man sich vermutlich als Oppositioneller im Iran fühlen, wenn Friedensreligion mit Friedensreligion und Friedensreligion koaliert.
Das gesamte Links muss weg. Egal welche Unterart.

Klaus D
11 Monate her

Das boot ist noch nicht voll genug! Hier wird doch erst was passieren, wenn wir massen an menschen durch die völkerwanderung auf der straße leben müssen. so lange es irgendwie geht machen WIR doch immer weiter darum kam damals auch Merkel „WIR schaffen das“ so gut an. Mich würde es nicht wundern wenn hier das gleiche wie bei der energiewende passiert. Sprich hier lobbys und interessenvertreter die politik bestimmen. Man muss ja nur schauen wer bei dem ganzen wahnsinn so richtig absahnt, denn auch hier geht es um hunderte mrd euro.

mr.kruck
11 Monate her

Die Quintessenz wird sein trotz allem Gegenteiligem Gelaber : Es gibt weiter unbegrenzte Zuwanderung mit Vollversorgung aus der ganzen Welt, und der Deutsche Steuerzahler zahlt dafür, während das Land vor die Hunde geht. Dies passiert so lange, wie diese Protagonisten des Neo-Marxismus in politischer Verantwortung sind.

Hesta
11 Monate her

Zäune hin, Zäune her, Herrgott warum nicht einfach auf Sachleistungen umstellen, dann spricht sich das bei den Gästen herum und der Spuk endet endlich.

Rob Roy
11 Monate her

„Kanzler schweigt […] manchmal könnte man fast vergessen, dass er über die Richtlinienkompetenz verfügt.“
Manchmal könnte man fast vergessen, dass ihn überhaupt gibt.

Astrid
11 Monate her

Hinhaltetaktik, mehr ist das alles nicht. Jetzt schwadroniert sie über eine Lösung innerhalb der EU, die es seit 2015 nicht gibt und niemals geben wird. Die meisten EU-Staaten sind schon seit 2015 nicht bereit hier mitzuziehen. Unsere Regierung einschließlich der CDU/CSU wollen, dass diese neuen Deutschen kommen und je mehr desto besser. Sie wollen das dieses Land komplett an die Wand fährt und das Tempo wird täglich beschleunigt. Migration als Waffe! Die machen so lange weiter, bis die Leute auf die Straße gehen. Leider wird das dauern, weil die meisten Bürger noch so wohlstandsverwahrlost sind und im Moment noch nicht… Mehr

Paul Brusselmans
11 Monate her
Antworten an  Astrid

Es gab eine europäische Lösung, der Merkel seit 2015 keine Chance gab, sie systematisch sabotierte. Registrierung und Entscheidung an der Aussengrenze, Rückführung weiterwandernder. Üppige Sozialversorgung derjeniger, die laut EU/Recht hier nichts zu suchen haben als Magnet zulasten der Peripheriestaaten. Hass & Hetze gegen Griechenland und Italien, mit Gerichtsurteilen, die eine Rückführung aufgrund angeblich schlechter Bedingungen dort verbieten. Rettungsfähren unter Deutscher Flagge. Direktimport aus Afghanistan,…

Maulhelden, die etwa auch nicht willens sind, ihre Flughäfen gegen Extremisten zu sichern wie vom EU-Recht gefordert