Besonnenheit ja. Kneifen nein.

Staatspräsident Erdoğan sagte in einer Rede in Istanbul den deutschen Behörden: „Eure Praktiken unterscheiden sich nicht von den früheren Nazi-Praktiken.“ Das kann man nicht akzeptieren. Herr Präsident, in Deutschland leben wir tagtäglich Demokratie.

Ich erinnere mich immer wieder an ein Zitat von Charles de Gaulle, französischer General und Politiker: „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.“ Das mag legitim sein. In Ordnung, geschenkt! Aber muss es so ausarten? Muss es in der Art und Weise sein, wie wir es zwischen Ankara und Berlin erleben? Nein. So etwas gehört sich unter Freunden nicht. So verhält sich ein Freund nicht. Sehr geehrter Herr Staatspräsident Erdogan, warum? Warum verhalten Sie sich so? Türkei und Deutschland, Türken und Deutsche verbindet eine historische Freundschaft. Wir sind doch Freunde! Wir haben ein gemeinsames Schicksal.

Ich erinnere mich an die deutschen Grabstellen um Gallipoli. Im Dezember 1915 waren in Gallipoli rund 1500 deutsche Soldaten aller Dienstgrade eingesetzt. Bei der Anafarta-Gruppe waren 51 deutsche Offiziere mit rund 100 Unteroffizieren und Mannschaften. Insgesamt dürften direkt an Gallipoli-Kämpfen zwischen 1000 und 1500 deutsche Soldaten beteiligt gewesen sein. Mehr als 200 starben bzw. bis zu 750 wurden verwundet oder erkrankten. Seit mehr als einem halben Jahrhundert leben und arbeiten türkischstämmige Menschen in Deutschland. Die allermeisten von ihnen haben hier eine Heimat gefunden. Bis vor kurzem haben mehrere hunderttausend Deutsche in der Türkei Urlaub gemacht. Ich könnte noch Dutzende gute Gründe für diese historische Freundschaft aufzählen.

„In der Politik geschieht nichts durch Zufall. Wenn etwas geschah, kann man sich sicher sein, dass es so geplant war“ hat Franklin Roosevelt einmal gesagt. Ich möchte gar nicht daran glauben, dass diese Zuspitzung der Krise zwischen Ankara und Berlin geplant war.

Die Entwicklung deutsch-türkischer Beziehungen nahm ihren Anfang im 11. Jahrhundert, als zwischen dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und dem türkischen Sultanat der Rum-Seldschuken erste Kontakte geknüpft wurden. Sie entfalteten sich zu Zeiten des Osmanischen Reiches und setzten sich, in der Entwicklung enger Bindungen, die wirtschaftliche, militärische, kulturelle und soziale Beziehungen umfassten, im 20. Jahrhundert fort. Mit dem von der Republik Türkei angestrebten Beitritt in die Europäische Union und der Existenz einer großen türkischen Diaspora in Deutschland vertieften sich die Beziehungen im Laufe der Jahrzehnte weiter.

Beide Staaten sind Mitglieder des Europarates, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der OECD und der NATO. Die Türkei ist ein Beitrittskandidat der Europäischen Union (Wikipedia).

Volksabstimmung

Was passiert aber jetzt? Am 16. April 2017 findet die Volksabstimmung zur Verfassungsänderung in der Türkei statt. Der Ministerpräsident und verschiedene Minister aus der Türkei kommen nach Deutschland, um für ein „Ja“ zu werben. Deutschland ist ein Rechtsstaat. Kommunale Verwaltungen haben den einen oder anderen Auftritt verboten. Dagegen konnten die Organisatoren juristisch vorgehen und Verwaltungsgerichte einschalten. Anstatt aber juristisch vorzugehen, wirft Herr Erdoğan Deutschland „Nazi-Praktiken“ vor. Das kann nicht sein. Das gehört sich unter Freunden nicht.

Staatspräsident Erdoğan sagte in einer Rede in Istanbul den deutschen Behörden: „Eure Praktiken unterscheiden sich nicht von den früheren Nazi-Praktiken.“ Er hätte gedacht, diese Zeiten seien längst vorbei. „Wir haben uns geirrt“, so Erdoğan vor tausenden Anhängerinnen der regierungsnahen Frauenorganisation Kadem. Weiter sagte er, Deutschland habe nichts mit Demokratie zu tun. Diese Vorwürfe kann man nicht akzeptieren. Herr Präsident, in Deutschland leben wir tagtäglich Demokratie, Toleranz, Nächstenliebe und Willkommenskultur. Ihr Verhalten überschattet leider unsere Integrationsarbeit vor Ort. Sie treiben mit ihren Aussagen einen Keil in die Gesellschaft. Hier gilt das Deutsche Grundgesetz. Das gilt für alle!

Auch in Richtung Berlin will ich appellieren. Die Bundesrepublik ist wirtschaftlich ein Riese, politisch aber ein Zwerg, sagt man. Dieses Zitat möchte ich als Grund nehmen und sage: Wir dürfen gerade jetzt und unter diesen Umständen aus gut gemeinter Besonnenheit und falschverstandener Toleranz nicht kneifen! Wir müssen, so wie es sich zwischen Freunden gehört, mit unseren Freunden in Ankara im Klartext reden. Auf Augenhöhe müssen wir unsere Meinung, zwar nicht überheblich aber in einer verständlichen Sprache und ohne Scheu zum Ausdruck bringen: Yeter artik! Jetzt reicht’s! Nur bis hierhin und nicht weiter. Auch für die hier lebenden türkischen Freunde, sie stimmen die täglichen Angriffe aus Ankara in Richtung Deutschland traurig.

Diese Eiszeit schadet nicht nur der historischen Freundschaft, sondern auch dem friedlichen Zusammenleben in der Gesellschaft. Ich befürchte eines: Sollten diese verbalen Ausgleisungen kein Ende nehmen, werden zwischen Türken und Deutschen Vorurteile wachsen. Ich hoffe, dass es am Ende in der Türkei und hier in Deutschland keine unerwünschten Auseinandersetzungen zwischen den Menschen gibt. Seit Wochen schaukelt sich der deutsch-türkische Streit hoch. Das muss nicht sein. Yeter artik! Jetzt reicht’s!

Noch ein letzter Satz: „Wer in einer Demokratie einschläft, muss damit rechnen, in einer Diktatur aufzuwachen!“ (Dwight D. Eisenhower)

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Kommentare ( 18 )

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18 Comments
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Rene Bolliger
7 Jahre her

Gemach, liebe deutsche Freunde. Was kümmert es die deutsche Eiche, wenn ein Strassenköter daran pinkelt?
Der Irre vom Bosporus sollte schnellstens professionelle psychiatrische Hilfe suchen.
Gruss aus der Schweiz

Sabine W.
7 Jahre her

Möglicherweise hat man in Deutschland eine Kleinigkeit noch nicht begriffen:
Die Deutschen sprechen eben keine ‚Weltsprache‘.
Was hier als Souveränität, Toleranz, Diplomatie, Freiheit interpretiert wird, gilt in anderen Staaten als Nachgiebigkeit, Weichheit, als Einladung, alle Möglichkeiten, die man zulässt, bis zum Anschlag auszunutzen.
Deutschland hat sich zu lange auf diese eigene Sprache verlassen.
Es ist an der Zeit, endlich ein paar ‚Fremdsprachen‘ zu lernen, um diese Missverständnisse aus dem Weg zu räumen bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Oder wie weit will man sich in diesem Land noch zu Tode tolerieren?

AlfredE
7 Jahre her

„haben keine Sprachprobleme“

Sind Sie da sicher ?? Ich jedenfalls nicht 😉

Fritz Goergen
7 Jahre her

Das Thema ist damit ja nicht durch …

Sabine Ehrke
7 Jahre her

Allahu Akbar Geschrei allerortens! Ich bin überzeugt, sehr verehrter Herr Tipi, dass die Demokratie in Deutschland ihren Namen nicht mehr verdient und die Diktatur nur einen Molotovcocktail Wurf entfernt ist. Wir alle wissen, insbesondere Ihre!! Kanzlerin, wie gegen das ‚Pack‘ vorgegangen wird. Ich meine sogar, nach Merkels Reaktionen, dass diese Person und ihre Schranzenschar, inkl. St. Martin, ähnliche Ambitionen hegen wie Erdogan! Deutschland als Schlachtfeld ließe vor den Wahlen den Ausnahmezustand zu, dazu US- und Russen Hacker-Angriffe… jippi ja jä… finito!

Uwe
7 Jahre her

Was soll das ganze Gerede um die doppelte Staatsbürgerschaft eigentlich? Um im Bild zu Bleiben: eine Ziege, die ihr Junges in einem Pferdestall wirft bleibt mit ihrem Junge dennoch eine Ziege.

Fritz Goergen
7 Jahre her

In diesem Fall hat der EuGH heute nein zur Visa-Erteilung gesagt.

Ungläubiger
7 Jahre her

Ich habe eher Tränen gelacht…

Johann Thiel
7 Jahre her
Antworten an  Ungläubiger

:-))

Cornelius Angermann
7 Jahre her

Ich kenne dazu auch noch folgenden Spruch: „Wer immer auch die andere Wange hinhält, der muss irgendwann auch seinen A**** hinhalten“
So wie es aussieht, ist es gerade so weit.

Rainer Neuhaus
7 Jahre her

H. Bartholomäus, vieles von dem was Sie hier schreiben ist sicherlich richtig. Vor allem Ihre Hinweise auf die einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts, bezüglich des Verbots der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Insbesondere die Durchsetzung der Armenien-Resolution war, meiner Ansicht nach, eine bewusste Provokation um die Beziehungen zur Türkei zu beschädigen. Die Provokateure haben Sie benannt. Das Völkerrecht gilt aber in beide Richtungen, also auch für die Türkei, wie folgt: 1. Unter dem Vorwand der religiösen Betreuung ihrer Bürger, betreibt der türkische Staat über Jahre schon mit ihren „Kulturvereinen“ wie Ditib und Co eine massive Beeinflussung der deutschen… Mehr